Mein lieber, hochgeehrter Freund,
Billigerweise sollte ich Ihnen wohl kein Wörtchen mehr schreiben, da ich volles Recht habe, mich tief verletzt zu halten. Seit länger als einem Jahr keine Silbe von Ihnen, alle Grüße, Bitten, Aufmunterungen, durch freundliche Boten an Sie bestellt, ohne Antwort. Von fremden Zeugen muß ich die sonderbarsten Gerüchte über Ihr Leben, Ihre Schicksale erfahren, muß mich durch Verleumdungen und Anklagen, die Sie treffen, gefoltert fühlen; ‒ ohne eine Tatsache von Ihnen zu wissen, habe ich doch keinen Augenblick gezaudert, mich zu Ihrem Verteidiger laut und öffentlich aufzuwerfen und der Verleumdung die Waffen aus blutigen Händen zu reißen. Oft habe ich mich im stillen gefragt, womit ich nur dies herbe Los verdient habe. Ein ganzes Leben hindurch bin ich [2] Ihnen so freundlich gewesen, habe Sie so lieb gehabt, und auf einmal stoßen Sie mich durch Ihr Schweigen in die Masse der Gleichgültigen, der Ihrem Herzen ganz fremden Menschen weit zurück. Wenn nicht mein Verhältnis zu Ihnen so klar, so sonnenhell vor aller Welt Augen läge, so möchte ich beinahe glauben, daß irgend jemand mir den Liebesdienst der Verleumdung bei Ihnen getan, wie das hier so oft geschieht. Kurz, ich marterte mich mit Vermutungen ab und konnte doch nichts erraten. Wenn Sie mir auch kein Recht auf die Kunde und Mitteilung Ihrer Freuden zugestehen wollten, so hat doch die Freundschaft geheiligte Ansprüche auf den Schmerz, und auch diese haben Sie mir gegenüber nicht wollen gelten lassen. [3] Erklären Sie mir dies Mißverhältnis, ich bitte Sie darum. Es ist zu meiner Beruhigung nötig. Auch ich bin tief verletzt, von vielen Seiten schwer gekränkt, und die lieben Worte der Freundschaft sind mir Bedürfnis.
Auch heute würde ich Ihnen nicht schreiben, wenn nicht das unglückselige Blatt vor mir läge, wo die Bitte Ihres Abschiedes mit unglückseligen Lettern darauf steht und uns mit dem schmerzlichsten Verluste bedroht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie weh es mir tut, daß ich selbst, der Ihre Berufung geschrieben hat, nun mit derselben Hand Ihren Abschied niederschreiben soll. Dieser Schmerz, und der Wunsch, Sie zu behalten, der nicht bloß in meiner Brust, sondern [4] auch in der des edlen Fürsten Staatskanzlers, der Sie so hoch schätzt, lebt, drängt mich gebieterisch, Ihnen zu schreiben und Sie mit freundlichen Worten im Namen der edelsten Männer, im Namen Deutschlands, im Namen der Freundschaft und Anhänglichkeit zu bitten, einen ruhigen Blick auf Ihre Verhältnisse zu werfen und sich nicht von der Stimme der Leidenschaften betäuben zu lassen. Schütten Sie mir Ihr ganzes Herz aus, sagen Sie mir offen, was Ihnen mißfällt, und überlegen Sie wohl, daß die allgemeinen, streng ausgesprochenen Maßregeln der Politik mit der größten Liberalität werden gehandhabt werden, und Sie, der Sie ein Freund des Rechten [5] und der Ordnung sind, auf keine Art unangenehm berühren werden. Ich kann es mir denken, daß Sie vielleicht in einer Aufwallung von Unmut Ihr Wort gegeben haben, bei dem und dem eintretenden Falle Ihre Demission zu geben. Auch dies ist zu ändern, indem Sie in andere Verhältnisse übertreten können. Seien Sie doch fest überzeugt, daß die vornehmen Leute, denen Sie sich ängstlich und treu verpflichtet hatten, ihre Demission weder eingereicht haben noch einreichen werden und sich höchstens ins Fäustchen lachen, andere zum Opfer ihrer Existenz verleitet zu haben, und in behaglicher Ruhe dem Sturm und dem treibenden Wrack zusehen. Kennen Sie denn die Welt und die vornehme Welt so wenig, um sich ihr so rücksichtslos hinzugeben? Auch ich habe in ihr vielfach gelebt, lebe täglich in ihr und sehe zu klar, daß sie für diese Art Opfer nur einen Dank höchstens in Worten weiß. Ich kann es begreifen, daß aus tausend und abermal tausend Ursachen der Aufenthalt in Bonn Ihnen unangenehm ist und Sie Lust und Neigung haben, ihn unter plausiblem Vorwand zu verlassen. Dies kann aber ja auf andere Weise veranstaltet werden. Hier in Berlin stehen die Pforten der Akademie, der Universität und des Ministeriums Ihnen offen ‒ mit Liebe und Wohlwollen werden Sie empfangen werden, und in der Nähe wird in gestaltlosen Nebel zerrinnen, was gleich einer Wolke aus der Ferne als riesenhaftes Ungetüm Ihnen erscheint. Warum Sie sich so vor Berlin scheuen, ist mir und allen Ihren Freunden und Verehrern höchst unbegreiflich. Sie sehen ja doch, daß die anderen, trotz ihres Schimpfens und Schmähens, sich recht wohl dort befinden und alle anderen Staaten immer verlassen, wenn sie hier nur ein Plätzchen erlangen können, und sich ernstlich hüten, es zu verlassen. Lieber, guter Schlegel, urteilen Sie doch nur mit eigenen Augen, mit eigenem Sinn und Takt, und lassen Sie sich doch nicht durch fremdes Urteil bestimmen und aufregen. Kommen Sie doch nur selbst her und urteilen Sie selber. Blicken Sie um sich, und alle die Mißverständnisse werden schwinden. Bleibt Ihr Mißfallen, nun, so steht es Ihnen ja immer frei, Ihren Abschied zu nehmen; ich will dann keine Viertelstunde zögern, ihn auszufertigen, so schwer es meinem Herzen auch fällt. Sie sind es sich, dem Vaterlande, den Wissenschaften und Ihren Freunden schuldig, diesen Schritt nicht so leichtsinnig in rascher Aufwallung zu tun. Ihr alter, geprüfter Freund spricht mit Ihnen, der die Verhältnisse in ihrem genauesten Zusammenhange und in allen sich durchkreuzenden Beziehungen genau kennt, und der zuviel Freundschaft für Sie und Ehrgefühl in der Brust trägt, um Ihnen einen Rat zu geben, dessen Befolgung Ihnen und Ihrer Ruhe und Ehre zunahe treten könnte.
Guter, trefflicher Freund, wollen Sie sich denn wiederum aus dem Vaterlande verbannen? Wollen Sie denn wieder das drückende Gefühl haben, ein Fremder sich zu fühlen und mit fremder Zunge zu sprechen und kein Echo für das tiefgefühlte Wort, für den lebendigen Hauch der Poesie in der menschenvollen Öde zu finden? Wollen Sie denn wiederum Ihre Kraft in unfruchtbaren Disputationen über Klassisch und Romantisch und über die drei Einheiten [des Aristoteles] erschöpfen? Im Auslande bleibt ja doch alles ohne Wurzel, ohne fröhliche Blüte, ohne lebendige Verflechtung mit dem Leben der anderen. Bedenken Sie, daß ich auch das Gefühl aus Erfahrung kenne, was dem fremd sich Fühlenden Tränen des bitteren Heimwehs entpreßt. Bedenken Sie auch, daß Sie durch diesen Schritt den Staatskanzler empfindlich beleidigen, der Sie so liebreich, so wahrhaft väterlich aufgenommen hat, und dem es sehr unangenehm ist. Wohl verdient der Fürst, der Ihre Anstellung bei Sr. Majestät bewirkträgt hat, große Rücksicht bei dieser eklatanten Maßregel. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie der preußische Staat für das Gedeihen der Wissenschaft und Kunst stets väterlich und liberaler wie jeder andere Staat sorgt, und daß wohl nirgends so viel Gründliches für die Entwicklung geistiger Kräfte geschieht, und daß selbst die Strenge, die jetzt herrscht, keineswegs gegen den Stamm und die Wurzel geistiger Bildung, sondern einzig und allein gegen die geilen Auswüchse und Schößlinge gerichtet ist, und daß Ihr Wirken und Leben vor jeder unfreundlichen Berührung heilig und geschützt dasteht von einer Ägide, die kein Pfeil durchbohrt. Sie werden leicht selbst ermessen, daß, haben Sie einmal Ihren Abschied erhalten, es in der Zukunft fast unmöglich sein dürfte, wiederzukehren, und früher oder später erwacht doch im Auslande die Sehnsucht zur Heimat und zu einer ins wirkliche Leben unmittelbar eingreifenden Wirksamkeit. Ich weiß nicht, was ich noch hinzusetzen soll, um Sie zu bestimmen, selbst herzukommen, selbst sich zu überzeugen, selbst zu erwägen, selbst mit dem Fürsten und dem Minister von Altenstein und mit den anderen bedeutenden Männern zu sprechen und danach selbst diesen höchst wichtigen Schritt zu bestimmen, der für Ihr ganzes Leben so entscheidend ist.
Verkennen Sie die Stimme Ihres alten Freundes nicht, der Ihnen stets bewiesen, wie ehrlich er es mit Ihnen meint, und der wohl verdient hätte, nicht so sehr von Ihnen vernachlässigt zu werden. Leben Sie wohl, erwägen Sie mild und ernstlich meine Worte, und erfreuen Sie mich bald mit einer entscheidenden Antwort.