• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Unknown · Date: 10.11.1810
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 10.11.1810
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 175‒179.
  • Incipit: „[1] Wien den 10ten November 1810
    Geliebter Bruder, Du kannst Dir leicht denken, welche unsägliche Freude Dein letzter Brief mir verursacht hat, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-8
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,II,21
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,9 x 11,1 cm
[1] Wien den 10ten November 1810
Geliebter Bruder, Du kannst Dir leicht denken, welche unsägliche Freude Dein letzter Brief mir verursacht hat, um so mehr da er aus Lausanne kam, und mich die verworrnen Zeitungsnachrichten doch sehr beunruhigt hatten. Von dem Mitgetheilten habe ich den besten Gebrauch gemacht. – Daß ich diesen Sommer im Schreiben nicht fleißiger war, würdest Du gewiß entschuldigen, wenn Du wüßtest, in welchem Grade ich an meiner Gesundheit gelitten habe. Noch im späten Herbst habe ich nach Baden gehn müssen. Die Bäder haben eine ganz vortrefliche Wirkung hervorgebracht, aber leider habe ich nur noch eine kleine Anzahl nehmen können, und muß nur so sehen, wie ich den Winter leidlich durchbringe. – In den letzten Wochen vor Empfang Deines Briefs kam aber auch das hinzu, daß ich nicht so recht wußte, ob ich Dir noch nach Blois schreiben sollte oder wo sonst hin. – Empfiehl mich Deiner Freundin und versichre sie meiner eben so herzlichen Theilnahme als Verehrung. Laß mich ja immer recht genau wissen, was Ihr etwa zum Frühjahr für einen Entschluß fassen werdet. Diesen Winter wollen wir uns nun gewiß fleißiger schreiben. Meine Vorlesungen werden jetzt bei Schaumburg gedruckt; freilich arbeite ich sie nicht so aus, wie Du die Deinigen, und habe mich nur darauf beschränkt, alle Nachläßigkeiten der Schreibart auszugleichen. Hätte ich umarbeiten wollen, das würde bei diesem Gegenstande gar zu weit geführt haben; auch ists mir in vieler Rücksicht lieb und daran gelegen, daß recht bald und gleich etwas Historisches von mir in die Welt kömmt. Ich möchte es Dir [2] gern recht bald zukommen lassen, wenn wir uns nur eine Gelegenheit ausmachen könnten, durch welche wir uns Pakete zusenden könnten. Laß wenigstens keine Gelegenheit durch Reisende ungenutzt verstreichen. Mit der ersten solchen, die sich darbietet, werde ich Dir denn auch den Tauler schicken. – Sehr erwünscht wäre es mir, wenn Du mir einige Beiträge für den Beobachter schicktest; doppelt und aus vielen Gründen wenn es eben jetzt und also recht bald geschähe. Kleine Artikel sind auch willkommen. Wenn die neue Ausgabe Deiner Gedichte schon bestimmt ist, könntest Du nicht irgend eine kleinere Stelle aus dem Tristan (nur dürfte es nicht grade eine von den etwas freyen sein) als Probe geben? – Dann wirst Du auch wohl veranlaßt, ein und das andere zu dichten, was Du mir dann für den Beobachter geben könntest, damit die Leute hier sehen, daß Du ihrer noch gedenkst. Der Ausgabe wird dadurch nichts entrissen, weil der Beobachter doch nicht in das allgemeine Deutsche Publikum kommt. – Für das Gedicht auf Fichte sage ich Dir den besten Dank; es ist eine wahre Panacee gegen die üble Laune.
Außer dem Druck der Vorlesungen arbeite ich noch an etwas Großem; aber leider hindern die kleinen Geschäfte am Beobachter, Besuche, Verhältnisse und Briefe und rauben viel Zeit, noch mehr die Gesundheit, mit der ich fast immer zu kämpfen habe; so bleibt es oft nur beim Arbeiten am Arbeiten, oder beim Vorbereiten dazu. – In der Litteratur wüßte ich Dir nichts Neues zu berichten. Wolf war [3] eine Zeitlang hier. Er ist viel bei mir gewesen, und noch ganz der alte; gewiß ein geistvoller Mann, aber sonst ein verstockter Barbar. Alle gereimte Poesie ist ihm ein wahrer Greuel. In den Aristophanes, für den er vor 14 Jahren, als ich ihn kennen lernte, gar keinen Sinn hatte, ist er nun völlig verliebt und dichtet und trachtet nichts andres. – Außerdem war ein sichrer Graf Loeben hier und meistens allstets bei uns, der sich auch sonst Orientalis nennt; er fließt über von Sonetten, spanischen Liedern und ist überhaupt ein sehr zartes schäferliches Wesen, außerdem aber scheint er eine recht gute Art von Jungen zu seyn. – Baader erwarten wir. Wie er schrieb, müssen Knorring und Sophie jetzt in der Schweiz seyn. Ist dem also und wie treiben sie es dort?
Hardenbergs Frau war sehr gefährlich krank und noch habe ich keine Nachricht, welchʼ ein Ende es genommen. Charlotte befindet sich wohl. – Ganz neuerdings ist uns ein junger Mahler aus Paris zugekommen, der Helminen auf der Reise nach Deutschland in Metz verlassen hatte. Seitdem haben wir von meinem Freunde Sulpiz Boisseré, der sich zu Heidelberg befindet, Nachricht von ihr erhalten, daß sie nehmlich dort angekommen und vor der Hand da zu bleiben gedenkt. Es ist ein wahres Glück, daß sie dort den Sulpiz gefunden hat, so war sie doch nicht ganz verlassen, wie sie es sonst mit ihren 2 oder 3 Kindern (das dritte nur noch in petto) in dem fremden Ort gewesen sein würde. Schreibe mir doch ohne Rückhalt was Du von dem abentheuerlichen Handel und [4] ihrer ganzen Lage weißst und denkst. Mir ist es sehr ängstlich, und wir haben Sulpiz gebeten, daß er sie wo möglich bewegen soll, wieder nach Frankreich zurückzugehn.
An diesem meinem Freunde erlebe ich übrigens große Freude. Er hat es durch sein Bemühen dahin gebracht, daß das große köllnische Bild in dem alten Dom aufgestellt worden ist; seine Sammlung altdeutscher Gemählde wird in dieser Gattung nun bald eine der ersten und merkwürdigsten seyn, die es noch giebt; er hat eine sehr große Summe aufgewandt, um ein großes architektonisches Prachtwerk zur Charakteristik des Doms und überhaupt der altdeutschen Alterthümer zu Stande [zu bringen], welches in der Kunstgeschichte Epoche machen wird. Er treibt es nicht als müssige Liebhaberei sondern als ernste Forschung, und täglich nehmen seine Kenntnisse zu. Goethe, welcher die Zeichnungen gesehn, hat mit der höchsten Achtung und Anerkennung davon reden müssen, obwohl man den verbissenen Ton des Abgenöthigten und die eingebohrne Abneigung gegen die altdeutsche und christliche Kunstherrlichkeit noch einigermassen anmerkt. – Ueberhaupt aber ist es ein für das Beste durchaus thätiger, wahrhaft gebildeter Mensch geworden. Solche gute Früchte haben unsre gutgemeinten Lehren nur sehr selten getragen.
Wenn Du einmal Zeit übrig hast, so ließ doch meine Gemähldebeschreibungen in der Europa und auch die Briefe über Gothische Baukunst wieder durch und theile mir mit was Du glaubst, das so wohl im Inhalt als in der Schreibart [5] zu erinnern und zu ändern wäre. Denn diese kommen in der Sammlung meiner frühern Schriften nun zunächst an die Reihe. Meine Bitte geht aber mehr nur auf das Einzelne Versehen in Rücksicht des Inhalts, oder Nachlässigkeiten im Styl. Das Ganze, da ich es ohnehin nur als Ansichten geben kann, leidet keine wesentliche Umarbeitung. Doch denke ich es unter dem Titel Briefe über die Kunst, doch mit einigem Neuem zu vermehren und so sehr als möglich zu einem Ganzen zusammenzuschmelzen. –
Von literarischen Kleinigkeiten ist Dir vielleicht folgendes noch das merkwürdigste. Das Manuscript der Niebelungen, was ehedem zu Hohen Ems sich befand, war wie Du wissen wirst, einigermaßen verschwunden. Es hat sich darauf in dem Besitz eines Professors in Prag befunden und gezeigt, und ich hegte schon mehr den Wunsch als die Hoffnung daß wir es hier her bekommen möchten. Unterdessen wird mir für ganz zuverläßig versichert, daß die bayrische Regierung es käuflich an sich gebracht habe. Hagens neue Ausgabe, correcter Abdruck mit Varianten, ist äußerlich sehr gut eingerichtet; nur hat er die über alles klägliche Klage zu meinem Abscheu wieder mit abdrucken lassen. Auch ist das Geständniß in der Vorrede ziemlich klar, daß keine erschöpfende Vergleichung aller Handschriften zum Grunde liegt, sondern nur unvollständige ihm mitgetheilte VariantenSammlungen. Wie steht es mit Deinen Arbeiten und Planen in dieser Rücksicht? Hast Du den Münchner Codex noch bei Dir? Wenn Du in Europa bleibst, so ist es gewiß eine der ersten und größten Anfoderungen welche die Welt und Nachwelt an Dich zu machen hätten; eine [6] Ausgabe der Niebelungen! – Dein 3ter Theil der Vorlesungen wird hier mit unglaublicher Begierde erwartet. Sorge nur ja, daß ich ihn gleich bekomme. Dein Richard III soll abgedruckt seyn, aber hier ist er noch nicht. Was das Theater überhaupt und auch das hiesige betrift, so darf man nur nicht daran denken, ohne sich in einen doppelten und dreifachen Mantel von Geduld, Demuth und Langmuth einzuhüllen. Du irrst wenn Du glaubst, daß die jüngeren Schauspieler besser wären als die alten, die allerdings alt ganz alt sind; dagegen sind die jungen der Gesinnung und dem Talent nach recht von Herzensgrunde schlecht und gesindlicht.
Unter allen neuen Erscheinungen der Literatur hat mich nicht leicht etwas mehr interessirt, als Docenʼs erstes Dir dedicirtes Sendschreiben über den Titurell. Ich finde das Bruchstück sehr merkwürdig und seine Behandlung recht wie ich sie gern habe. In Hagenʼs und Büschingʼs Altdeutschem Museum sind sehr gute Sachen. Ueberhaupt gefällt mir die Art und Weise dieser Menschen immer besser; es sind doch ordentliche ehrbare, gelehrte oder wenigstens belehrbare Leute. Dagegen scheinen mir die beiden Grimm sammt ihrem Grimm ziemlich unwissende (wenigstens in dem Allgemeinen und Geschichtlichen) und besonders sehr rohe Teppen zu seyn. – Hammers Schirin kennst Du. Mir hat es unglaublich wohl gefallen, und nach meinen Reminiscenzen persischer Poesie hat es auch als concentrirte Uebersetzung eigner Art ein großes Verdienst. Hormayr gibt einen historischen Allmanach heraus; er zersplittert sich sehr. – Steffens geognostische Untersuchungen enthalten [7] manches über die ehemalige Gestalt der Erde, Land und Meer, was mich beschäftigt hat, andres was ich nicht verstehe. Meiner hat er, was so wenige jetzt thun, mit Liebe erwähnt. Daß meine Gedichte so wenig recensirt worden, ist nicht etwa Ignoriren sondern bloß politische Feigheit. Wenn Du noch mit der Allg.[emeinen] Lit.[teratur] Zeitung in Verbindung stehst, so könntest Du allenfalls ein Wort der Anmahnung aber ja nur verlohren hinwerfen; daß sie nicht denken, es läge so viel daran.
Tieck war auch in Heidelberg, nachdem er die Bäder in Baden (am OberRhein) gebraucht und hat ihn Sulpiz viel gesehn. Er fand ihn noch sehr krank und auch dadurch sehr herabgestimmt, doch floß er von mehrern künftigen Werken über und hat auch einige derselben in den Meßcatalog setzen lassen. Seine Frau ist mit der ältesten Tochter, im eignen Wagen und Pferden von Ziebingen angekommen um ihn abzuhohlen, oder vielmehr einzufangen; so wird er nun also wohl wirklich wo nicht in den Hafen doch in den Stall eingelaufen seyn.
Ich habe schon vor geraumer Zeit Sulpiz aufgetragen, Dir den Schlei[ermacherschen] Plato 2ter Band 1ter und 2ter Theil nebst einem Band von dem zu Grieß gemachten Tasso zu schicken, der aus Versehn an mich geschickt worden. Melde mir doch ob Du diese Bücher richtig empfangen hast.
Ich sollte Dir noch von meiner Lage schreiben. Aber im Ganzen kennst Du sie ja und es ist auch keine Hauptänderung damit vorgegangen. Wir wohnen nun [8] wieder in der Stadt, haben uns aber mit einer sehr schlechten und finstern Wohnung begnügen müssen; auf dem Bauernmarkt N° 617, im Hüttnerischen Hause, Stiege im Hof, 2ter Stock rechts. – Sonst würde es uns schon ganz gut gehn; nur ist der Cours jetzt so schlecht, und die Preise der meisten Dinge richten sich nach dem wahren Werth. Ich habe zwar mit der Vorlesung in diesem Jahre ziemlich viel eingenommen, aber es war eben lauter Papier, und so haben wir uns noch nicht einmal ganz einrichten können. Betten haben wir und Küchengeräth, Meublen noch nicht was doch sehr nöthig wäre. Den Bedienten habe ich wieder abgeschafft weil er mir zu kostbar wurde. Ich schreibe Dir dieß nur, damit Du siehst wie unmöglich es mir für jetzt ist, so sehr ich es auch wünschte, der Mutter auch an meinem Theile zu Hülfe zu kommen. Doch wenn ich gesund bleibe, soll wohl bald Rath dazu werden. – Ich habe auf Deinem Brief das neue Siegel bemerkt. Könntest Du mir nicht nur auf ein Oktavblatt einen Auszug (alles Factische und juridisch wichtige) aus dem Adelsdiplom schreiben, desgleichen unser GeschlechtsRegister, damit ich vorläufig mit einem Freund reden könnte den ich bei der Siebenbürgischen Hofkanzlei habe. Zu dem eigentlichen Schritt muß ich freilich einen günstigen Augenblick abwarten, der aber vielleicht auch bald kommen kann. Ehe ich mir eine ähnliche vidimirte Abschrift wie Du hast von Moritz kommen lasse, möchte noch zu viel Zeit vergehn. – Schreib mir ja bald, geliebter Freund und gedenke
Deines
Friedrich Sch.[legel]
[1] Wien den 10ten November 1810
Geliebter Bruder, Du kannst Dir leicht denken, welche unsägliche Freude Dein letzter Brief mir verursacht hat, um so mehr da er aus Lausanne kam, und mich die verworrnen Zeitungsnachrichten doch sehr beunruhigt hatten. Von dem Mitgetheilten habe ich den besten Gebrauch gemacht. – Daß ich diesen Sommer im Schreiben nicht fleißiger war, würdest Du gewiß entschuldigen, wenn Du wüßtest, in welchem Grade ich an meiner Gesundheit gelitten habe. Noch im späten Herbst habe ich nach Baden gehn müssen. Die Bäder haben eine ganz vortrefliche Wirkung hervorgebracht, aber leider habe ich nur noch eine kleine Anzahl nehmen können, und muß nur so sehen, wie ich den Winter leidlich durchbringe. – In den letzten Wochen vor Empfang Deines Briefs kam aber auch das hinzu, daß ich nicht so recht wußte, ob ich Dir noch nach Blois schreiben sollte oder wo sonst hin. – Empfiehl mich Deiner Freundin und versichre sie meiner eben so herzlichen Theilnahme als Verehrung. Laß mich ja immer recht genau wissen, was Ihr etwa zum Frühjahr für einen Entschluß fassen werdet. Diesen Winter wollen wir uns nun gewiß fleißiger schreiben. Meine Vorlesungen werden jetzt bei Schaumburg gedruckt; freilich arbeite ich sie nicht so aus, wie Du die Deinigen, und habe mich nur darauf beschränkt, alle Nachläßigkeiten der Schreibart auszugleichen. Hätte ich umarbeiten wollen, das würde bei diesem Gegenstande gar zu weit geführt haben; auch ists mir in vieler Rücksicht lieb und daran gelegen, daß recht bald und gleich etwas Historisches von mir in die Welt kömmt. Ich möchte es Dir [2] gern recht bald zukommen lassen, wenn wir uns nur eine Gelegenheit ausmachen könnten, durch welche wir uns Pakete zusenden könnten. Laß wenigstens keine Gelegenheit durch Reisende ungenutzt verstreichen. Mit der ersten solchen, die sich darbietet, werde ich Dir denn auch den Tauler schicken. – Sehr erwünscht wäre es mir, wenn Du mir einige Beiträge für den Beobachter schicktest; doppelt und aus vielen Gründen wenn es eben jetzt und also recht bald geschähe. Kleine Artikel sind auch willkommen. Wenn die neue Ausgabe Deiner Gedichte schon bestimmt ist, könntest Du nicht irgend eine kleinere Stelle aus dem Tristan (nur dürfte es nicht grade eine von den etwas freyen sein) als Probe geben? – Dann wirst Du auch wohl veranlaßt, ein und das andere zu dichten, was Du mir dann für den Beobachter geben könntest, damit die Leute hier sehen, daß Du ihrer noch gedenkst. Der Ausgabe wird dadurch nichts entrissen, weil der Beobachter doch nicht in das allgemeine Deutsche Publikum kommt. – Für das Gedicht auf Fichte sage ich Dir den besten Dank; es ist eine wahre Panacee gegen die üble Laune.
Außer dem Druck der Vorlesungen arbeite ich noch an etwas Großem; aber leider hindern die kleinen Geschäfte am Beobachter, Besuche, Verhältnisse und Briefe und rauben viel Zeit, noch mehr die Gesundheit, mit der ich fast immer zu kämpfen habe; so bleibt es oft nur beim Arbeiten am Arbeiten, oder beim Vorbereiten dazu. – In der Litteratur wüßte ich Dir nichts Neues zu berichten. Wolf war [3] eine Zeitlang hier. Er ist viel bei mir gewesen, und noch ganz der alte; gewiß ein geistvoller Mann, aber sonst ein verstockter Barbar. Alle gereimte Poesie ist ihm ein wahrer Greuel. In den Aristophanes, für den er vor 14 Jahren, als ich ihn kennen lernte, gar keinen Sinn hatte, ist er nun völlig verliebt und dichtet und trachtet nichts andres. – Außerdem war ein sichrer Graf Loeben hier und meistens allstets bei uns, der sich auch sonst Orientalis nennt; er fließt über von Sonetten, spanischen Liedern und ist überhaupt ein sehr zartes schäferliches Wesen, außerdem aber scheint er eine recht gute Art von Jungen zu seyn. – Baader erwarten wir. Wie er schrieb, müssen Knorring und Sophie jetzt in der Schweiz seyn. Ist dem also und wie treiben sie es dort?
Hardenbergs Frau war sehr gefährlich krank und noch habe ich keine Nachricht, welchʼ ein Ende es genommen. Charlotte befindet sich wohl. – Ganz neuerdings ist uns ein junger Mahler aus Paris zugekommen, der Helminen auf der Reise nach Deutschland in Metz verlassen hatte. Seitdem haben wir von meinem Freunde Sulpiz Boisseré, der sich zu Heidelberg befindet, Nachricht von ihr erhalten, daß sie nehmlich dort angekommen und vor der Hand da zu bleiben gedenkt. Es ist ein wahres Glück, daß sie dort den Sulpiz gefunden hat, so war sie doch nicht ganz verlassen, wie sie es sonst mit ihren 2 oder 3 Kindern (das dritte nur noch in petto) in dem fremden Ort gewesen sein würde. Schreibe mir doch ohne Rückhalt was Du von dem abentheuerlichen Handel und [4] ihrer ganzen Lage weißst und denkst. Mir ist es sehr ängstlich, und wir haben Sulpiz gebeten, daß er sie wo möglich bewegen soll, wieder nach Frankreich zurückzugehn.
An diesem meinem Freunde erlebe ich übrigens große Freude. Er hat es durch sein Bemühen dahin gebracht, daß das große köllnische Bild in dem alten Dom aufgestellt worden ist; seine Sammlung altdeutscher Gemählde wird in dieser Gattung nun bald eine der ersten und merkwürdigsten seyn, die es noch giebt; er hat eine sehr große Summe aufgewandt, um ein großes architektonisches Prachtwerk zur Charakteristik des Doms und überhaupt der altdeutschen Alterthümer zu Stande [zu bringen], welches in der Kunstgeschichte Epoche machen wird. Er treibt es nicht als müssige Liebhaberei sondern als ernste Forschung, und täglich nehmen seine Kenntnisse zu. Goethe, welcher die Zeichnungen gesehn, hat mit der höchsten Achtung und Anerkennung davon reden müssen, obwohl man den verbissenen Ton des Abgenöthigten und die eingebohrne Abneigung gegen die altdeutsche und christliche Kunstherrlichkeit noch einigermassen anmerkt. – Ueberhaupt aber ist es ein für das Beste durchaus thätiger, wahrhaft gebildeter Mensch geworden. Solche gute Früchte haben unsre gutgemeinten Lehren nur sehr selten getragen.
Wenn Du einmal Zeit übrig hast, so ließ doch meine Gemähldebeschreibungen in der Europa und auch die Briefe über Gothische Baukunst wieder durch und theile mir mit was Du glaubst, das so wohl im Inhalt als in der Schreibart [5] zu erinnern und zu ändern wäre. Denn diese kommen in der Sammlung meiner frühern Schriften nun zunächst an die Reihe. Meine Bitte geht aber mehr nur auf das Einzelne Versehen in Rücksicht des Inhalts, oder Nachlässigkeiten im Styl. Das Ganze, da ich es ohnehin nur als Ansichten geben kann, leidet keine wesentliche Umarbeitung. Doch denke ich es unter dem Titel Briefe über die Kunst, doch mit einigem Neuem zu vermehren und so sehr als möglich zu einem Ganzen zusammenzuschmelzen. –
Von literarischen Kleinigkeiten ist Dir vielleicht folgendes noch das merkwürdigste. Das Manuscript der Niebelungen, was ehedem zu Hohen Ems sich befand, war wie Du wissen wirst, einigermaßen verschwunden. Es hat sich darauf in dem Besitz eines Professors in Prag befunden und gezeigt, und ich hegte schon mehr den Wunsch als die Hoffnung daß wir es hier her bekommen möchten. Unterdessen wird mir für ganz zuverläßig versichert, daß die bayrische Regierung es käuflich an sich gebracht habe. Hagens neue Ausgabe, correcter Abdruck mit Varianten, ist äußerlich sehr gut eingerichtet; nur hat er die über alles klägliche Klage zu meinem Abscheu wieder mit abdrucken lassen. Auch ist das Geständniß in der Vorrede ziemlich klar, daß keine erschöpfende Vergleichung aller Handschriften zum Grunde liegt, sondern nur unvollständige ihm mitgetheilte VariantenSammlungen. Wie steht es mit Deinen Arbeiten und Planen in dieser Rücksicht? Hast Du den Münchner Codex noch bei Dir? Wenn Du in Europa bleibst, so ist es gewiß eine der ersten und größten Anfoderungen welche die Welt und Nachwelt an Dich zu machen hätten; eine [6] Ausgabe der Niebelungen! – Dein 3ter Theil der Vorlesungen wird hier mit unglaublicher Begierde erwartet. Sorge nur ja, daß ich ihn gleich bekomme. Dein Richard III soll abgedruckt seyn, aber hier ist er noch nicht. Was das Theater überhaupt und auch das hiesige betrift, so darf man nur nicht daran denken, ohne sich in einen doppelten und dreifachen Mantel von Geduld, Demuth und Langmuth einzuhüllen. Du irrst wenn Du glaubst, daß die jüngeren Schauspieler besser wären als die alten, die allerdings alt ganz alt sind; dagegen sind die jungen der Gesinnung und dem Talent nach recht von Herzensgrunde schlecht und gesindlicht.
Unter allen neuen Erscheinungen der Literatur hat mich nicht leicht etwas mehr interessirt, als Docenʼs erstes Dir dedicirtes Sendschreiben über den Titurell. Ich finde das Bruchstück sehr merkwürdig und seine Behandlung recht wie ich sie gern habe. In Hagenʼs und Büschingʼs Altdeutschem Museum sind sehr gute Sachen. Ueberhaupt gefällt mir die Art und Weise dieser Menschen immer besser; es sind doch ordentliche ehrbare, gelehrte oder wenigstens belehrbare Leute. Dagegen scheinen mir die beiden Grimm sammt ihrem Grimm ziemlich unwissende (wenigstens in dem Allgemeinen und Geschichtlichen) und besonders sehr rohe Teppen zu seyn. – Hammers Schirin kennst Du. Mir hat es unglaublich wohl gefallen, und nach meinen Reminiscenzen persischer Poesie hat es auch als concentrirte Uebersetzung eigner Art ein großes Verdienst. Hormayr gibt einen historischen Allmanach heraus; er zersplittert sich sehr. – Steffens geognostische Untersuchungen enthalten [7] manches über die ehemalige Gestalt der Erde, Land und Meer, was mich beschäftigt hat, andres was ich nicht verstehe. Meiner hat er, was so wenige jetzt thun, mit Liebe erwähnt. Daß meine Gedichte so wenig recensirt worden, ist nicht etwa Ignoriren sondern bloß politische Feigheit. Wenn Du noch mit der Allg.[emeinen] Lit.[teratur] Zeitung in Verbindung stehst, so könntest Du allenfalls ein Wort der Anmahnung aber ja nur verlohren hinwerfen; daß sie nicht denken, es läge so viel daran.
Tieck war auch in Heidelberg, nachdem er die Bäder in Baden (am OberRhein) gebraucht und hat ihn Sulpiz viel gesehn. Er fand ihn noch sehr krank und auch dadurch sehr herabgestimmt, doch floß er von mehrern künftigen Werken über und hat auch einige derselben in den Meßcatalog setzen lassen. Seine Frau ist mit der ältesten Tochter, im eignen Wagen und Pferden von Ziebingen angekommen um ihn abzuhohlen, oder vielmehr einzufangen; so wird er nun also wohl wirklich wo nicht in den Hafen doch in den Stall eingelaufen seyn.
Ich habe schon vor geraumer Zeit Sulpiz aufgetragen, Dir den Schlei[ermacherschen] Plato 2ter Band 1ter und 2ter Theil nebst einem Band von dem zu Grieß gemachten Tasso zu schicken, der aus Versehn an mich geschickt worden. Melde mir doch ob Du diese Bücher richtig empfangen hast.
Ich sollte Dir noch von meiner Lage schreiben. Aber im Ganzen kennst Du sie ja und es ist auch keine Hauptänderung damit vorgegangen. Wir wohnen nun [8] wieder in der Stadt, haben uns aber mit einer sehr schlechten und finstern Wohnung begnügen müssen; auf dem Bauernmarkt N° 617, im Hüttnerischen Hause, Stiege im Hof, 2ter Stock rechts. – Sonst würde es uns schon ganz gut gehn; nur ist der Cours jetzt so schlecht, und die Preise der meisten Dinge richten sich nach dem wahren Werth. Ich habe zwar mit der Vorlesung in diesem Jahre ziemlich viel eingenommen, aber es war eben lauter Papier, und so haben wir uns noch nicht einmal ganz einrichten können. Betten haben wir und Küchengeräth, Meublen noch nicht was doch sehr nöthig wäre. Den Bedienten habe ich wieder abgeschafft weil er mir zu kostbar wurde. Ich schreibe Dir dieß nur, damit Du siehst wie unmöglich es mir für jetzt ist, so sehr ich es auch wünschte, der Mutter auch an meinem Theile zu Hülfe zu kommen. Doch wenn ich gesund bleibe, soll wohl bald Rath dazu werden. – Ich habe auf Deinem Brief das neue Siegel bemerkt. Könntest Du mir nicht nur auf ein Oktavblatt einen Auszug (alles Factische und juridisch wichtige) aus dem Adelsdiplom schreiben, desgleichen unser GeschlechtsRegister, damit ich vorläufig mit einem Freund reden könnte den ich bei der Siebenbürgischen Hofkanzlei habe. Zu dem eigentlichen Schritt muß ich freilich einen günstigen Augenblick abwarten, der aber vielleicht auch bald kommen kann. Ehe ich mir eine ähnliche vidimirte Abschrift wie Du hast von Moritz kommen lasse, möchte noch zu viel Zeit vergehn. – Schreib mir ja bald, geliebter Freund und gedenke
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