Geliebter Bruder, Dein Brief über den Tod der guten Mutter hat mich sehr gerührt. Auch bey mir hat dieser unerwartete Fall viele alte Erinnerungen aufgeregt, und mich wehmüthiger noch gestimmt, als ich es schon war. Beklagen darf man wohl niemanden, der jetzt zur Ruhe gelangt; wer weiß wie hart die Verwirrung der Zeit auch sie noch getroffen hätte! Mir gereicht nur das zum Troste, daß sie unsre letzten Briefe noch erhalten hat und zufrieden damit war. – Es war auch gewiß nicht Vergessen oder Mangel an Gefühl Schuld an dieser langen Verzögerung, sondern grade wie bey dem seltnem Schreiben an Dich; Verstimmung und Muthlosigkeit. Sie lastet immer noch auf mir, diese widerwärtige und meistens unthätige Traurigkeit. Sie mag zum Theil körperlichen Ursprungs seyn. Ich habe zwar während dieses Winters keine positive Krankheit gehabt, aber desto mehr allgemeines Uebelbehagen und Mangel an lebendiger Kraft. – Wenn ich zuweilen schon glaube, die Wassersucht zu haben, so sage ich mir nachher selbst wohl, daß dieser Gedanke vielmehr Hypochondrie ist. Allein was hilft es zu wissen, daß man hypochondrisch ist, wenn man darum nicht aufhört es zu seyn? – Und daß mein Uebel nicht ganz in der Einbildung bestehe, davon [2] habe ich leider Beweise genug. Auch der Artzt behandelt es sehr ernsthaft und es ist wohl unzweifelhaft daß mir ein großes Uebel im Körper liegt, welches wenn es nicht noch überwunden wird, bald in einer oder der andren Form ausbrechen wird. Jetzt habe ich meine ganze Hoffnung nun aufs Frühjahr und auf die Schwefelbäder in Baden gesetzt. Wenn ich auch nur schon das Geld dazu hätte.
Moralische Ursachen wirken wie Du leicht denken kannst auch sehr viel zu dieser Verstimmung mit; das ist seit länger als einem Jahre der Fall. Aber es ist nicht bloß das was sich so leicht denken läßt, sondern auch noch manches was ich selbst nicht so ganz zu erklären wüßte. Es drückt mich wohl auch das Gefühl daß es doch mit meinem Leben und meiner Thätigkeit in der Trennung von Dir nicht recht fort will, daß ich ohne Dich eigentlich nur halb lebe. Wenigstens habe ich sehr oft mit Sehnsucht daran gedacht, und weiß auch wohl daß mich nichts so gründlich heilen und wieder aufrichten könnte, als mit Dir vereint zu seyn. – Die heitersten Stunden [3] dieses trüben Winters verdanke ich Dir; denn eine unaussprechliche Freude habe ich an Deiner erneuerten Thätigkeit. In dem 3ten Theil der Vorlesungen hast Du das Werk würdig gekrönt, und die frühern noch übertroffen. Collin will etwas über das Ganze schreiben, ob viel dabey herauskommen wird, weiß ich nicht. Auch den Richard III erhielt ich zu großer Freude. – Besser als über das Niebelungenlied schreiben kannst Du nicht thun; möchtest Du auch nur eine eigne Ausgabe besorgen können. Ich lege hier ein Blatt aus dem Beobachter von mir bey; die darin citirte Stelle in der ungrischen Chronik des Thurocz ist eine der wichtigsten. Die Erzählung von Dietrich von Bern, wie er gegen die Hunnen gekämpft habe, und ihm ein Pfeil in der Stirn sitzen geblieben, woraus ein unermeßlicher Blutstrom gequollen sey, ist offenbar aus einem Heldenliede genommen, und daß es dergleichen auch in ungarischer Sprache über diese Gegenstände gab, scheint mir schon aus dem dort angeführten Epitheton des Dietrich halhatatlan, (auch bloß immortalis oder vielmehr nicht zu tödten) zu folgen. Diesen Thurocz findest Du in mehren Sammlungen der [4] Scriptores rerum Hungaricarum, irgend eine wirst Du doch finden können. Außerdem empfehle ich Dir auch den Pray, da er lateinisch geschrieben, kannst Du ihn vielleicht auch haben. Du mußt dann den ganzen Abschnitt vom Attila pp. in seinen Annales nachlesen. In seinem Werke de S. Elisabetha soll viel vom Klingsohr stehen. Dieser wird mir übrigens doch zu astrologisch weise geschildert, um der Dichter der Niebelungen seyn zu können; ich bleibe daher beym Ofterdingen. Heute darf der Brief nicht aufgehalten werden; ich will aber auf der Bibliothek mehr nachsuchen und Dir dann Bericht erstatten; auch bey Harrach wegen der einen EmserHandschrift nachfragen. – Ich habe Hormayr ohnehin einen kurzen Aufsatz über die Niebelungen für sein Archiv versprochen, der anfangs für den Beobachter bestimmt war. An diesem ist der literarische Theil jetzt beynah ganz weggefallen, ich habe an der Redaction keinen Theil mehr, und werde einen oder den andern Aufsatz höchstens nur dann liefern, wenn ich dazu ausdrücklich aufgefodert werde. – Man [5] wünscht sehr, daß ich ein eignes litterarisches Blatt unternehmen soll; aber allein ist die Plage gar zu groß. Auch ist andres vor der Hand wichtiger. Ich will endlich einmal meine Philosophie los seyn, und habe deshalb auch schon mit Perthes Abrede genommen. Auch muß und soll Karl der Vte fertig geschafft werden. – Daß ich, so wie die Umstände und Verhältnisse waren, von dem Beobachter frey geworden bin, ist ohne Zweifel gut, obwohl ich dabey die Aussicht auf eine in der Folge wahrscheinlich sehr vortheilhafte Einnahme verlohren habe. Ehe sichs aber so weit geordnet und entschieden, habe ich leider viel Zeit verlohren und dagegen nur Verdruß gewonnen. Es gehörte dieß in der That mit zu den Unannehmlichkeiten dieses Winters. Darüber hab ich denn die Zeit versäumt, wieder eine Vorlesung zu halten, was mich zur Thätigkeit gestimmt, und nebstdem auch den Beutel oder richtiger zu sagen die Brieftasche gefüllt haben würde. Daß es mir in dieser letzten Hinsicht auch wieder sehr schlecht geht, kannst Du Dir leicht denken, da unser Cours in allen Zeitungen steht. Es wird täglich [6] theurer, die meisten Sachen muß man doch nach dem wahren Werth bezahlen, daher denn die Besoldung in Papier gar nicht weit reicht. Eingerichtet sind wir auch immer noch nicht, doch das wäre das geringste, wenn man nur nicht sogar für das tägliche Leben stets mit Sorgen kämpfen müßte! – Die Vorlesungen werden nun mit nächstem fertig seyn, 25 Bogen sind schon gedruckt, es werden aber wohl ein 32. Ehe Du sie dorten erhalten kannst, wird immer Ostern werden. Könntest Du mir nicht hier jemand nennen, dem ich sie zur schnellen Besorgung nach Genf geben könnte ? – Da ich nun vom Beobachter frey bin, so werde ich wieder mit Eifer an den Heidelberger Jahrbüchern Antheil nehmen, um so mehr da sich dieselben, wie mir vielfach verkündigt wird, von dem unsaubern wunderhürninen Geiste ganz gereinigt und desselben für immer abgethan haben. Wilken hat mir freundlichst geschrieben. – Eine Recension von Dir über St. Martin wäre trefflich. – Baader [7] ist jetzt hier, doch sehe ich ihn wo nicht sehr oft, doch desto fruchtbarer. Er scheint Neigung und Zutrauen zu mir zu haben, ich habe schon vieles von ihm gelernt; ich habe auch einige Werke von St. Martin bey dieser Gelegenheit gelesen. Einen bessern und tiefern F.[rei] M.[aurer] und Theosophen wie Baader es ist, kann es wohl nicht geben. Wie unermeßlich hoch steht er über Schelling und die andern Naturphilosophen! Gleichwohl stimmen wir in der Hauptsache doch gar nicht überein, wie ich sehr deutlich fühle. Ich höre ihn sehr gern reden und seine Weisheit erzählen; manches davon kann ich brauchen, aber ich selbst fühle mich nur nach jeder solchen Berührung mit dem Andersdenkenden wo möglich noch katholischer als vorher, fast so wie Calderon sagt
cristianamente agrado
catolicamente sañudo
ob es mir aber wohl je gelingen wird meine Ansicht ganz und klar zu verkündigen? – Am ersten könnte [8] es noch möglich werden, wenn Du mir zur Seite stündest, und mir die Geburthsschmerzen einigermaßen erleichtertest. –
Die Stael ist sehr gütig gewesen, mir bey der jetzigen Veranlassung einige Worte zu schreiben. Ich bin sehr dankbar dafür und werde ihr auch nächstens wieder schreiben. – Nur muß ich mich über Euch beyde einigermaßen beklagen, daß ich von Euren Planen, die mich doch so nahe angehen, immer zuerst durch andre Leute hören muß. So war es mit dem Plan nach Teplitz der mich mit den besten Hoffnungen des Wiedersehens erfüllte. Jetzt aber sagte mir die Humb.[oldt] vor einigen Tagen, die Staël schreibe ihr so eben, daß Du allein eine Reise machen werdest. Ich weiß nicht recht wie ich dieß mit den übrigen Planen zusammenstellen soll, auch kann der Brief der Humbold[t] nur wenige Tage jünger seyn als der meinige. Geliebter Bruder, wenn Du wirklich eine Reise im Sinne haben solltest, so hoffe ich Du wirst nirgends andres hingehn als zu uns; denn keinem andern kann Deine Gegenwart erwünschter und nothwendiger seyn als mir.
[9] Wenn Du noch Zeit findest, die Europa und das Taschenbuch mit kritischem Auge durchzugehn, so theile mir doch ja Deine Bemerkungen mit. – Vor einiger Zeit ist hier ein Katalog der Birkenstockschen Bibliothek gedruckt zur Auction; darin sind auch einige altdeutsche Sachen, Hickes thesaurus, einige angelsächsische Sachen, einige Bände von Hans Sachs, Reineke Voß pp. Aber jetzt ist die Auction auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. Binz hat jetzt gar nichts mehr von der Art; und ich freylich auch kein Geld, um zu kaufen. – Von Helminas Niederkunft hat uns Sulpiz aus Heidelberg die Nachricht gegeben. Wie es nun weiter mit ihr gehn soll, wird uns nach allem, was wir hören, schwer zu denken.
Literarisch Neues von Bedeutung giebt es nichts, außer ein Paar unsinnige Erzeugnisse von Arnim, Halle und Jerusalem, worin die wunderhürnine Poesie im letzten Ueberschnappen oder vielmehr Verrecken zu sehn ist. – Goethe wird im Frühjahr oder Sommer herkommen; man sieht hier allmählig recht viele alte Bekannte wieder. Humbolds sind ausser[10]ordentlich artig gegen uns, wir sind oft zum Essen da, leben aber sonst diesen Winter einsam. – Für unsern Adel warte ich immer noch auf einen günstigen Augenblick; das schwierigste wird seyn, die sämtliche Taufscheine zum Beweise unsrer Abstammung von dem Christoph Schlegel bey zu bringen. – Ich habe übrigens hier vor einiger Zeit in der Antiquitäten Samlung eines HE. v. Schönfeldt in einem heraldischen Buche (welches weil es aus der ehemaligen Böhmischen Kronsamlung herrührt, sogar juridicam fidem haben würde) das Wappen und die ganze Ableitung unsrer Familie gefunden. Es bestätigt sich auch hier, wie ich immer gegen Dich behauptet, daß unsre Familie schon vor dem ertheilten ungarischen Adel, Deutsch adlich gewesen sey. Es wird unser Adel in jenem Buche sogar bis auf König Heinrich den Iten zurückgeführt, was ich denn wieder nicht verbürgen will. – Nun genug geschwatzt, laß mich nur bald wissen wie es mit Deiner Reise ist. Ich umarme Dich herzlich.
Friedrich