• Amalie Wolper to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe · Place of Destination: Bonn · Date: 05.01.1844
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Amalie Wolper
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 05.01.1844
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34336
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.29,Nr.75
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 21,6 x 13,9 cm
  • Incipit: „[1] Harburg d. 5ten Jan.
    1844.
    Geliebtester Oheim!
    Erst gestern bin ich von meiner kleinen Reise, von der ich Ihnen in meinem letzten [...]“
  • Editors: Varwig, Olivia · Zeil, Sophia
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[1] Harburg d. 5ten Jan.
1844.
Geliebtester Oheim!
Erst gestern bin ich von meiner kleinen Reise, von der ich Ihnen in meinem letzten Briefe schrieb, zurück gekehrt und beabsichtigte, Ihnen in den nächsten Tagen Nachricht von uns zu geben. Sie kamen mir jedoch mit Ihrer großen Güte zuvor und innigst gerührt empfing ich diesen Morgen Ihren Brief und die Cassen-Anweisung von fünfzig Thaler. Ihnen meiner Schwester und meine Dankbarkeit und Gefühle genügend mit Worten auszüdrücken, vermag ich nicht. Möge Gott Ihnen alle Segnungen im reichsten Maaße zu Theil werden lassen, die Sie verdienen und die wir von ihm für Sie erflehen!
Meine Abreise von hier verzögerte sich bis Mitte November und da ich nichts Wesentliches damit zu versäumen hatte, so ließ ich mich von meinen Freunden bereden, das neue Jahr in ihrer Mitte zu beginnen. Gestärkt und erheitert bin ich zurück gekehrt und nun mehr [2] geeignet, meiner armen Schwester Stütze und Trost zu sein. Zu ihren bisherigen Übeln gesellen sich jetzt mitunter Zufälle, die mir bedenklich scheinen und bei deren öfterer Wiederkehr ich für ihr Leben fürchte. Es geschieht Alles zu ihrer Pflege und Erheiterung, was in unsern Kräften steht. Der Arzt besucht sie fast täglich und ist zugleich ein theilnehmender Freund unseres Hauses. Ihre Tochter Pauline wird im Februar 22 Jahre alt und ist seit einiger Zeit Gott sei Dank! gesund und kräftig. Als Kind hat sie viel gekränkelt und die blasse Gesichtsfarbe, als Folge der Bleichsucht, wird ihr wohl stets eigen bleiben. Sie ist von mitteler Größe, nicht grade schön, aber ihre Gesichtszüge sind angenehm und interessant, nur ungewöhnlich ernst für ein so junges Mädchen. Der Sohn Adolph, im Mai 20 Jahre alt, studirt seit Ostern in Göttingen und widmet sich vorzugsweise der Mathematik, wozu er die meiste Lust und Anlage hat. Er ist von blühendem, hübschen Äußern und von jeher kräftig und gesund gewesen. Wir hoffen, daß er den Erwartungen der Lehrer, die ihn hier zu ihren besten Schülern zählten, entsprechen wird.
Recht sehr beklage ich es, daß Sie, mein theuerster Oheim, mit Hermann’s früherem Betragen und mit mei[3]ner scheinbar zu großen Nachgiebigkeit unzufrieden sind, da mir an Ihrer Billigung und Achtung so unendlich viel liegt. Ich verarge es Ihnen jedoch nicht, da in der Entfernung Manches anders erscheint und der Schein allerdings gegen uns war. Erst nachdem ich mich selbst überzeugt hatte, daß Hermann’s damaliger Prinzipal ein boshafter und hämischer Mensch war, unter dessen täglich sich wiederholenden geistigen Mißhandlungen Herm’s. Character leiden mußte, entschloß ich mich, ihn weg zu nehmen. Gott allein, der mir die schwere Pflicht auferlegte, ohne männliche Stütze und Rath die Erzieherinn meines Sohnes zu sein, weiß, was ich gelitten und wie ich gekämpft habe. Ich muß mich mit dem Gedanken beruhigen, daß ich wenigstens das Gute gewollt und nach meiner Überzeugung mein einziges Kind nicht verweichlicht, sondern, wo es sein mußte, streng und consequent behandelt habe. Es wird mir nun auch die große Freude zu Theil, daß er seit 2 Jahren in einer geachteten und wohldenkenden Familie lebt, wo man mit seinem Betragen und seinen Leistungen sehr zufrieden ist. Ich nahm meinen Rückweg über Lüneburg, brachte 1 1/2 Tag dort zu und bin sehr befriedigt durch die persönliche Bekanntschaft dieser braven und gebildeten Leute. Der alte, würdige H. Wahlstab sagte mir selbst unaufgefordert, daß er H. recht lieb gewonnen habe wegen seines [4] großen Eifers, seiner Pünktlichkeit und sonstigen guten Eigenschaften, ich dürfe die besten Erwartungen von ihm hegen. Er lebt und webt aber auch in seinem Beruf und es machte mir wahres Vergnügen, ihn einmal in seinem Elemente sich bewegen zu sehen. Er ist nur klein, wächs’t aber hoffentlich noch etwas, nicht eigentlich hübsch und sein schwacher Theil sind und bleiben die Augen. Doch nun genug hiervon.
Leben Sie recht wohl, theurer Oheim, Gott erhalte Sie noch lange und gebe Ihnen eine feste und dauerhafte Gesundheit!
Wenn Sie es erlauben, werde ich Ihnen von Zeit zu Zeit schreiben, es versteht sich jedoch, daß ich nur selten von Ihnen Nachricht erwarte.
Mit aufrichtiger Liebe und Verehrung
Ihre
dankbare Nichte
Amalie Wolper.
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[1] Harburg d. 5ten Jan.
1844.
Geliebtester Oheim!
Erst gestern bin ich von meiner kleinen Reise, von der ich Ihnen in meinem letzten Briefe schrieb, zurück gekehrt und beabsichtigte, Ihnen in den nächsten Tagen Nachricht von uns zu geben. Sie kamen mir jedoch mit Ihrer großen Güte zuvor und innigst gerührt empfing ich diesen Morgen Ihren Brief und die Cassen-Anweisung von fünfzig Thaler. Ihnen meiner Schwester und meine Dankbarkeit und Gefühle genügend mit Worten auszüdrücken, vermag ich nicht. Möge Gott Ihnen alle Segnungen im reichsten Maaße zu Theil werden lassen, die Sie verdienen und die wir von ihm für Sie erflehen!
Meine Abreise von hier verzögerte sich bis Mitte November und da ich nichts Wesentliches damit zu versäumen hatte, so ließ ich mich von meinen Freunden bereden, das neue Jahr in ihrer Mitte zu beginnen. Gestärkt und erheitert bin ich zurück gekehrt und nun mehr [2] geeignet, meiner armen Schwester Stütze und Trost zu sein. Zu ihren bisherigen Übeln gesellen sich jetzt mitunter Zufälle, die mir bedenklich scheinen und bei deren öfterer Wiederkehr ich für ihr Leben fürchte. Es geschieht Alles zu ihrer Pflege und Erheiterung, was in unsern Kräften steht. Der Arzt besucht sie fast täglich und ist zugleich ein theilnehmender Freund unseres Hauses. Ihre Tochter Pauline wird im Februar 22 Jahre alt und ist seit einiger Zeit Gott sei Dank! gesund und kräftig. Als Kind hat sie viel gekränkelt und die blasse Gesichtsfarbe, als Folge der Bleichsucht, wird ihr wohl stets eigen bleiben. Sie ist von mitteler Größe, nicht grade schön, aber ihre Gesichtszüge sind angenehm und interessant, nur ungewöhnlich ernst für ein so junges Mädchen. Der Sohn Adolph, im Mai 20 Jahre alt, studirt seit Ostern in Göttingen und widmet sich vorzugsweise der Mathematik, wozu er die meiste Lust und Anlage hat. Er ist von blühendem, hübschen Äußern und von jeher kräftig und gesund gewesen. Wir hoffen, daß er den Erwartungen der Lehrer, die ihn hier zu ihren besten Schülern zählten, entsprechen wird.
Recht sehr beklage ich es, daß Sie, mein theuerster Oheim, mit Hermann’s früherem Betragen und mit mei[3]ner scheinbar zu großen Nachgiebigkeit unzufrieden sind, da mir an Ihrer Billigung und Achtung so unendlich viel liegt. Ich verarge es Ihnen jedoch nicht, da in der Entfernung Manches anders erscheint und der Schein allerdings gegen uns war. Erst nachdem ich mich selbst überzeugt hatte, daß Hermann’s damaliger Prinzipal ein boshafter und hämischer Mensch war, unter dessen täglich sich wiederholenden geistigen Mißhandlungen Herm’s. Character leiden mußte, entschloß ich mich, ihn weg zu nehmen. Gott allein, der mir die schwere Pflicht auferlegte, ohne männliche Stütze und Rath die Erzieherinn meines Sohnes zu sein, weiß, was ich gelitten und wie ich gekämpft habe. Ich muß mich mit dem Gedanken beruhigen, daß ich wenigstens das Gute gewollt und nach meiner Überzeugung mein einziges Kind nicht verweichlicht, sondern, wo es sein mußte, streng und consequent behandelt habe. Es wird mir nun auch die große Freude zu Theil, daß er seit 2 Jahren in einer geachteten und wohldenkenden Familie lebt, wo man mit seinem Betragen und seinen Leistungen sehr zufrieden ist. Ich nahm meinen Rückweg über Lüneburg, brachte 1 1/2 Tag dort zu und bin sehr befriedigt durch die persönliche Bekanntschaft dieser braven und gebildeten Leute. Der alte, würdige H. Wahlstab sagte mir selbst unaufgefordert, daß er H. recht lieb gewonnen habe wegen seines [4] großen Eifers, seiner Pünktlichkeit und sonstigen guten Eigenschaften, ich dürfe die besten Erwartungen von ihm hegen. Er lebt und webt aber auch in seinem Beruf und es machte mir wahres Vergnügen, ihn einmal in seinem Elemente sich bewegen zu sehen. Er ist nur klein, wächs’t aber hoffentlich noch etwas, nicht eigentlich hübsch und sein schwacher Theil sind und bleiben die Augen. Doch nun genug hiervon.
Leben Sie recht wohl, theurer Oheim, Gott erhalte Sie noch lange und gebe Ihnen eine feste und dauerhafte Gesundheit!
Wenn Sie es erlauben, werde ich Ihnen von Zeit zu Zeit schreiben, es versteht sich jedoch, daß ich nur selten von Ihnen Nachricht erwarte.
Mit aufrichtiger Liebe und Verehrung
Ihre
dankbare Nichte
Amalie Wolper.
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