• August Wilhelm von Schlegel to Ludwig Tieck

  • Place of Dispatch: Coppet · Place of Destination: Unknown · Date: 08.10.1804
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Ludwig Tieck
  • Place of Dispatch: Coppet
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 08.10.1804
  • Notations: Kommentar von Körner (Krisenjahre, 3. Bd, S. 104): „Abschrift von Christian Friedrichs Tiecks Hand [...], deren störendste Rechtschreibewillkürlichkeiten im Abdruck getilgt wurden.“
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 160‒165.
  • Weitere Drucke: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 153‒159.
  • Incipit: „[1] Coppet 8. Oct. [180]4
    Schon lange habe ich Dir schreiben wollen, geliebter Freund, denn es ist mir ein Bedürfniß, von meinen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-4
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,15,59
  • Number of Pages: 7 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 19,8 x 12,3 cm
[1] Coppet 8. Oct. [180]4
Schon lange habe ich Dir schreiben wollen, geliebter Freund, denn es ist mir ein Bedürfniß, von meinen Freunden in der Entfernung nicht vergessen zu werden, ich habe nur immer nicht zum Entschluß kommen können. Jezt geben mir die häuslichen Verhältnisse Deiner Schwester, die sich hoffentlich einer befriedigenden Auflösung nähern, einen dringenden Antrieb dazu.
Bernhardis Betragen gegen Deine Schwester ist so unglaublich gewesen, daß es in dieser Hinsicht bestätigender Zeugnisse zu bedürfen scheinen könnte, wiewohl Deine Schwester jeder Uebertreibung unfähig ist, und jedes Wort das aus ihrem reinen Gemüth kommt, den Stempel der strengsten Wahrheit an sich trägt. Ja ich glaube daß sie in der Freude sich endlich von so vielem unwürdigem Elend befreit zu fühlen und aus Abneigung mit ihrer Einbildungskraft bei dem Wiederwärtigen zu verweilen, manche Züge und Thatsachen wird haben ihrem Gedächtnisse entfallen lassen, und daß ich zwar nur als Augenzeuge, freilich oft als schmerzlich bewegter Zeuge, ein vollständiges Gemählde von ihren Leiden während der drei lezten Jahre aufzustellen im Stande bin. Du kennst meine Redlichkeit, ich brauche Dir also nicht erst auf Ehre zu versichern, daß alles was ich hier schreibe die genaue und mir fest im Gedächtniß haftende Wahrheit ist, ich füge nur hinzu, daß Du Bernhardi meine Aussage auf keine Weise zu verheimlichen brauchst: ich bin gern bereit, sie ihm mündlich ins Angesicht zu wiederholen, und falls er sich beeinträchtigt finden sollte, durch jede Genugthuung die er begehren mag, für meine Worte einzustehen.
Wie sehr durch das innre Misverhältniß des Geistes und Gemüths Deiner Schwester alle Tage und Stunden ihres Lebens verbittert worden, unternehme ich nicht zu beschreiben, ich will mich hauptsächlich auf einen Punkt einschränken der näher mit dem äußern Recht zusammenhängt, nemlich die oekonomische Lage. Jeder Tagelöhner erkennt die Pflicht an, Frau und Kinder zu ernähren, wenn er dies aus Trägheit versäumt, so ist die Mutter gewiß berechtigt, in die gesammten Elternrechte einzutreten, allein für ihre Kinder zu sorgen, und sich mit ihnen von dem Manne zu entfernen dem nur die Befriedigung eines sinnlichen Triebes und nicht irgend ein menschliches Gefühl auf den Namen des Vaters Anspruch gegeben hat. Bernhardi hatte sich der Sorge für seine Familie so sehr entzogen, daß es ihn gar nicht hätte [2] wundern dürfen, wenn einmal plötzlich aus Mangel an dem Unentbehrlichsten sein häusliches Leben sich aufgelöst hätte. Der Gedanke als ob in dieser Art Anfoderungen an ihn gemacht werden könnten war ihm ganz abhanden gekommen, er blieb unbekümmert wiewol er sich selbst durch fremde Sorge ernährt sah, und es ihm eigentlich ein Geheimniß sein mußte, wie es bewerkstelligt wurde daß die Kinder nicht aus Mangel an Pflege verkamen.
Ich bin beinahe drei Jahre Hausgenosse Deiner Schwester gewesen, vom Frühling 1801, bis zu meiner Abreise von Berlin im April 1804, wozwischen nur wenige Monathe Abwesenheit ausfallen. Während dieser Zeit habe ich ihre Lage sofern sie von Bernhardis Betragen abhieng immer schlimmer werden gesehn, lange hatte sie das Uebermaß unwürdiger Begegnungen ertragen, ohne den Gedanken in sich aufkommen zu lassen sich von ihm zu trennen, und nur die leider unumstößliche Ueberzeugung von seiner Unverbesserlichkeit, ja die augenscheinliche und von Hufeland anerkannte Gefahr für ihr Leben, wenn sie nicht aus einer so drückenden Lage wegversezt würde, hat sie endlich für diesen Entschluß entschieden.
Daß Bernhardi in einem Briefe an Dich geäußert hat, die üble Wirtschaft Deiner Schwester sei an seiner oekonomischen Zerrüttung Schuld, dieß ist in der That eine unerhörte Unverschämtheit. Ich sage es ohne Bedenken: er ist ein gemeiner Schurke, wenn er zu behaupten wagt daß er Deiner Schwester, während meines Aufenthalts im Hause, nur so viel gegeben habe, als für seine eignen nicht geringen Bedürfnisse erfoderlich war, geschweige denn für sie selbst und ihre Kinder, oder gar zu unnützen Ausgaben. Es ist wahr: die Haushaltung bei welcher Deine Schwester für ihre Person sich so vieles versagen mußte, um nur dasjenige herbei zu schaffen, was in Bernhardis Leben die Hauptstelle einnimmt, nämlich volle Schüsseln, hätte vielleicht mit etwas wenigerm bestritten werden können, wenn immer Geld vorräthig gewesen wäre, wenn mit Gewißheit auf eine wiewohl kleine Einnahme zu bestimmten Zeiten hätte gerechnet werden dürfen, wenn nicht wegen augenblicklichen gänzlichen Geldmangels die Sorge für die nöthigsten Auslagen oft mehrere Tage lang den Mägden hätte überlassen werden müssen, welche dadurch Anspruch auf ein Zutrauen gewannen, das sie vielleicht nicht verdienten; unter diesen Umständen aber war es so wenig die Schuld Deiner Schwester, wenn nicht alles aufs vortheilhafteste eingerichtet werden konnte, daß es vielmehr neben den übrigen Schwierigkeiten ein immer erneuerter Verdruß war.
[3] Was Bernhardis Amt eintrug weißt Du, daß man mit kaum 400 Thaler in Berlin und in der uns anständigen Lebensweise eine Familie nicht erhalten kann, sieht ein jeder leicht ein. Die fast mechanischen Arbeiten seines Amtes nahmen nur einen Theil seiner Zeit und gar nichts von seinen Kräften hinweg, wenn er sie nicht etwa für kopfanstrengend ausgeben will, er hätte also wie andre wackre Schulmänner in Berlin, mit Privatstunden beträchtlich viel verdienen können, an Gelegenheit dazu hätte es auch bei einiger Bemühung nicht gefehlt. Er hat aber in der ganzen Zeit bloß Knorring eine Stunde im Griechischen gegeben. Dieß war ein außerordentlicher Fall und fast wie ein akademisches Privatissimum zu betrachten. Die gewöhnlichen Privatstunden aber schienen ihm wohl gar unter seiner Würde zu sein. Von schriftstellerischen Arbeiten hat er in den drei Jahren nichts weiter zu Stande gebracht, als ein Heft vom Kynosarges, den zweiten Theil der Sprachlehre, und wo ich nicht irre war das erste Buch davon schon früher fertig. Daß er wenn er auch geschrieben hätte es doch nicht würde haben unterbringen können ist eine leere Ausflucht. Er fing immer damit an Buchhändlern Bücher anzubieten, die noch nicht geschrieben waren, und er hatte Frölich so lange auf die Beendigung der Grammatik warten lassen, daß sie billig Mistrauen hegen mußten. Freilich kostet es Mühe sich als Gelehrter einen Nahmen zu machen, und mit seinen Schriften durchzudringen. Dieser Mensch, in gemeiner Verzärtelung erzogen, und nachher der unbeholfensten Trägheit ergeben, hat nie geahndet was es heißt, Schwierigkeiten bekämpfen und überwinden.
In eben dieser Zeit hat Deine Schwester zwei Bände eigner Dichtungen, die Wunderbilder, und die dramatischen Fantasien zu Stande gebracht; (nur von den ersten war einiges früher geschrieben) wiewohl sie zwei angreifende Wochenbetten, und die traurigsten Vorfälle erlebt, und beständig gekränkelt hatte. Dazu kam, daß Bernhardi niemals die mindeste Achtung für den edleren Gebrauch ihrer Zeit hatte. Den ersten Winter hatte sie nicht einmal ein eignes Zimmer, in der Folge betrachtete er das ihrige immer wie ein Gemeingut, stürmte bei jeder Gelegenheit hindurch, ließ die Kinder herein, wenn sie sie mit Fleiß entfernt hatte um ruhig zu sein, als ob es zu den Mutterpflichten gehörte ununterbrochen im Getöse der kindischen Spiele zu leben, oder er pflanzte sich selbst ganze Nachmittage neben ihr hin, – nicht etwa um ein Gespräch zu führen, sondern in behaglicher Dumpfheit hinzubrüten. Wie sehr er ihr durch erregten Verdruß und die Sorgen denen er sie bloß gab, die Stimmung zum Schreiben verdarb, dieß will ich hier nicht ausführlich beschreiben.
In der ersten Zeit legte ihm Deine Schwester noch zuweilen ihre Geldverlegenheiten vor, und bat ihn sie zu heben, oder sie foderte ihn auch gelinde [4] zu einiger Thätigkeit auf. Dieß verursachte aber immer so heftige Auftritte, so entsezliche Ausbrüche ohnmächtiger Wuth, und es fruchtete so wenig daß sie es bald gänzlich aufgab. In den vorhergehenden beiden Jahren hatte er sich meist durch Borgen kleiner Summen zu hohen Zinsen geholfen, aber niemals darauf gedacht wieder Ordnung in seine Angelegenheiten zu bringen, so wuchs die Zerrüttung immer mehr, Deine Schwester war gar nicht einmal von dem Umfang derselben unterrichtet, und wurde in der Ungewißheit hingehalten, ob sie am Ende des Vierteljahrs auf einen Theil seiner schmalen Einkünfte rechnen durfte oder nicht. Da sie endlich nicht mehr darauf zu rechnen schien, ließ er sich dieß nicht zweimal gesagt sein, sondern behielt sie fast ganz zurück, so daß sie in den beiden lezten Jahren eine ganz unbedeutende Summe von ihm erhalten hat, vielleicht nicht über 100 Thaler. Es kann sein, daß er einige Thaler mehr herausrechnet, aber die Summe könnte verdoppelt und verdreifacht sein, und wäre immer noch außer allem Verhältniß mit dem was er für sich allein verbraucht. Denn es läßt sich leicht darthun, daß seine persönlichen Bedürfnisse an Kleidung, Nahrung (besonders auch seine auf Sparen gar nicht Rücksicht nehmende Unmäßigkeit) jährlich gewiß nicht mit weniger als 400 Thaler zu bestreiten waren, dies ist wahrscheinlich noch ein ganz unzulänglicher Anschlag.
Deine Schwester hingegen hat für sich fast gar nichts verbraucht, außer wenn Krankheit es nothwendig machte. Wie mäßig sie ist, weißt Du. Was zur Kleidung und anständigem Putz gehört, erhielt sie zum Theil von ihrer Mutter, oder sie hatte es schon vor ihrer Verheirathung gehabt, und dieser Vorrath erhielt sich immer, da sie ihre Sachen so wenig abnutzte. Auf etwas neu Anzuschaffendes, auf das Nöthigste leistete sie aber meistens Verzicht. Ich habe es ihr im Winter an dem Nothwendigen fehlen sehen, um sich gegen die rauhe Witterung zu schützen, so daß sie nur die Wahl hatte das Haus zu hüten, oder ihre Gesundheit auszusetzen. Ja es fehlte ihr auch an dem was erfodert wurde, um die Kleider die sie hatte, zur Erscheinung in der Gesellschaft einzurichten, so daß sie schon dadurch auf ihr trauriges Zimmer eingeschränkt wurde, wenn nicht ihre gedrückte Lage sie von jedem geselligen Vergnügen entfernt hätte.
Man hätte erwarten sollen, daß Bernhardi einer Frau, die so viel für ihn aufopferte, die mit mühseeliger Sorge sein Haus versah, die ihn selbst, ohne sein Zuthun größtentheils ernährte, wenigstens durch lebhafte Bezeigung seiner Dankbarkeit, und Ergebenheit es einigermassen zu vergelten gesucht haben würde. Aber gerade umgekehrt, mit der Vernachlässigung aller seiner Pflichten, nahm bei ihm in gleichem Grade das herrische ungestüme Wesen zu, und die Vernachlässigung aller Achtung. [5] Er rief ihr wie einer Magd, wenn sie matt und krank kaum von ihrem Ruhbett aufstehn konnte, er verlangte Aufwartung, wenn er bei einigem Gefühl sie ihr hätte mit dem bereitwilligsten Eifer entgegenbringen sollen. Ich schäme mich auf eine so erniedrigende Umständlichkeit einzugehn, die Sache läßt sich aber nur durch Beispiele deutlich machen. Deine Schwester war eine sehr fertige Strickerin gewesen, geschwächt wie sie war griff diese Arbeit durch die Stellung ihre Brust, und durch die Bewegung der Stricknadeln ihre Nerven augenscheinlich an. Dennoch verlangte Bernhardi immerfort mit Strümpfen von ihr versehn zu werden, er machte ihr noch obendrein Vorwürfe, wenn sie welche für ihn angeschafft ohne sie selbst gestrickt zu haben, er hätte es gleichgültig angesehn, wenn sie sich durch diesen Dienst die Schwindsucht zugezogen hätte. Als Hufeland zu Rathe gezogen ward, untersagte er sogleich alle dergleichen Arbeiten, als das verderblichste. – Wenn einmal der Tisch weniger reichlich besetzt als gewöhnlich, oder ein Gericht durch Nachläßigkeit der Magd misrathen war, so ließ er es Deine Schwester durch die gemeinste üble Laune entgelten, wie wohl er sehr gut wußte, daß er zu Gaste speiste, und daß ihre schlechte Gesundheit es ihr unmöglich mache in die Küche zu gehn. Er misgönnte es ihr sogar von ihrem eigenen Gelde ein Almosen zu geben, und murrte als über eine unsinnige Verschwendung, wenn einer armen Person einmal eine Malzeit bei den Mägden verstattet wurde. Niemals erkundigte er sich bei den Wochenbetten Deiner Schwester, oder den Krankheiten der Kinder, ob auch das Nöthige zur Verpflegung vorhanden sei, sie hätten sich in dem hülflosesten Zustand befinden mögen, es würde seine Gemüthsruhe weniger gestört haben, als ein verunglücktes Mittagsessen. Dagegen ermangelte er nicht zu verstehn zu geben, als rührten die Unpäslichkeiten der Kinder von verwahrloster körperlicher Erziehung her, und darüber zu lärmen, wenn z. B. Wilhelm nicht alle Tage gebadet ward, was doch wie jeder weiß Unkosten macht. Wie wenig es ihm mit dieser Sorge ein Ernst war, bewies er wiederum dadurch, daß er Wilhelms Besuche bei den Großeltern, wo dieser ganz augenscheinlich körperlich und geistig verdorben ward, nie abstellte, so sehr es Deine Schwester auch wünschte, die es für sich allein nicht konnte, weil es von ihrer Seite als Erwiederung der unwürdigen Begegnung und gemeinen Klätschereien erschienen wäre die sie von seinen Eltern erlitt, und wogegen Bernhardi sie niemals in Schutz genommen.
Es wäre endlos wenn ich alle die Züge dieser Art aufzählen wollte. Mir scheint es beinahe ein Wunder, wofür ich Gott täglich [6] danke, daß Deine Schwester wiewohl mit zerrütteter Gesundheit, doch noch mit dem Leben entronnen ist, aus einem so trüben und freudenlosen Zustand, so anhaltendem niederdrückenden Kummer, oft so ängstigenden Verlegenheiten, so heftigen Erschütterungen die seine Mishandlungen verursachten, und dem beständigen unüberwindlichen Gefühl des Widerwillens und Abscheues vor einer dumpfen, ins Thierische versunkenen, dabei im höchsten Grade anmaßenden tyrannischen und alles Bessere verhöhnenden Existenz, wovon sie die tägliche, ja stündliche Zeugin zu sein verdammt war. Ich habe sie zittern gesehn, wenn Bernhardi eine Schuld welche sie insgeheim aber doch ganz für die Haushaltung gemacht hatte, zufällig erfuhr, da er hingegen die Bezahlung einer weit größeren Schuld, derentwegen er mit gerichtlichen Proceduren bedroht wurde, als ein Recht von ihr foderte, weil sie ihren Namen mit unterzeichnet hatte. Ich habe gesehn, welche gefährliche Zufälle die heftigen Szenen mit ihm ihr zugezogen, und wie auch der stille Verdruß untergrabend würkte. Doch ich kann hierüber ein unverwerflicheres Zeugniß anführen als das meinige. Hufeland, dem Deine Schwester durch ihre ganze Art zu sein das reinste und menschlichste Interesse einflößte, hat oft in umständlichen vertraulichen Gesprächen mit mir über den Zustand ihrer Gesundheit geäußert, ihr Übel rühre, wiewol ihre Brust schwach, und sie durch die Wochenbetten sehr geschwächt sei, dennoch hauptsächlich von ihrer Stimmung, folglich von ihrer Lage her, und er verzweifle gar nicht an ihrer Besserung, wenn sie da heraus versezt würde, wohl aber bei der Fortdauer derselben nachtheiligen Einflüsse. Wenn Du nach Berlin kommen solltest, wird er ohne Zweifel bereit sein Dir dasselbe zu wiederholen.
Im ersten Jahre, als ich Hausgenosse war, lebten noch Eure Eltern, Deine Schwester fand Rath und Hülfe bei ihrer liebevollen Mutter. Auf der andern Seite gab der Wunsch, ihre Eltern nicht in die ganze Tiefe ihres Unglücks hinunterblicken zu lassen, ihr Stärke es zu ertragen. Im Herbst 1801 kam Dein redlicher Bruder nach Berlin, und verband seitdem unablässig seine brüderlichen Bemühungen mit den meinigen, um das Loos Deiner Schwester zu erleichtern. Mir ist der erste Augenblick unvergeßlich und heilig, wo sie mir ihr Zutrauen entgegen wandte, und mir sagte, Sie wissen nicht, was Sie unternehmen, da Sie sich erbieten mein [7] Freund zu sein. Habe ich etwas dazu beizutragen mögen, ihrem Untergang vorzubeugen, so achte ich dies für die schönsten Werke meines Lebens. In meiner weiten Entfernung hege ich die beruhigende Hoffnung, daß Ihr Brüder die Rechte der Unterdrückten entschlossen vertheidigen werdet. Ihr könnt euch nicht bethören lassen, als ob jene Misverhältnisse auszugleichen wären, ihr kennt Bernhardi zu gut und durchschaut die Heuchelei, wodurch er seine hülflose zugleich dumpfe und heftige Rohheit überkleidet. Wenn Deine Schwester jezt nach Berlin zurückkehrte, da ihre Eltern todt, ihre Brüder entfernt sind, und vielleicht kein andrer hülfreiche Freund in der Nähe, so würde sie bald rettungslos auf das erbärmlichste vergehn und umkommen, ihr lezter Seufzer würde euch die Ihr sie so zärtlich liebt, verklagen, und die armen Kinder wären der äußersten Verwahrlosung preisgegeben. Vertheidigt sie entschlossen, das Recht ist Euer, und Bernhardi hat selbst ein zu schlechtes Gewissen, um es auf das Äußerste kommen zu lassen. Der Himmel wird Eure Bemühungen segnen. Ich umarme Dich mit brüderlicher Gesinnung und bin lebenslang Dein treuer Freund.
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[1] Coppet 8. Oct. [180]4
Schon lange habe ich Dir schreiben wollen, geliebter Freund, denn es ist mir ein Bedürfniß, von meinen Freunden in der Entfernung nicht vergessen zu werden, ich habe nur immer nicht zum Entschluß kommen können. Jezt geben mir die häuslichen Verhältnisse Deiner Schwester, die sich hoffentlich einer befriedigenden Auflösung nähern, einen dringenden Antrieb dazu.
Bernhardis Betragen gegen Deine Schwester ist so unglaublich gewesen, daß es in dieser Hinsicht bestätigender Zeugnisse zu bedürfen scheinen könnte, wiewohl Deine Schwester jeder Uebertreibung unfähig ist, und jedes Wort das aus ihrem reinen Gemüth kommt, den Stempel der strengsten Wahrheit an sich trägt. Ja ich glaube daß sie in der Freude sich endlich von so vielem unwürdigem Elend befreit zu fühlen und aus Abneigung mit ihrer Einbildungskraft bei dem Wiederwärtigen zu verweilen, manche Züge und Thatsachen wird haben ihrem Gedächtnisse entfallen lassen, und daß ich zwar nur als Augenzeuge, freilich oft als schmerzlich bewegter Zeuge, ein vollständiges Gemählde von ihren Leiden während der drei lezten Jahre aufzustellen im Stande bin. Du kennst meine Redlichkeit, ich brauche Dir also nicht erst auf Ehre zu versichern, daß alles was ich hier schreibe die genaue und mir fest im Gedächtniß haftende Wahrheit ist, ich füge nur hinzu, daß Du Bernhardi meine Aussage auf keine Weise zu verheimlichen brauchst: ich bin gern bereit, sie ihm mündlich ins Angesicht zu wiederholen, und falls er sich beeinträchtigt finden sollte, durch jede Genugthuung die er begehren mag, für meine Worte einzustehen.
Wie sehr durch das innre Misverhältniß des Geistes und Gemüths Deiner Schwester alle Tage und Stunden ihres Lebens verbittert worden, unternehme ich nicht zu beschreiben, ich will mich hauptsächlich auf einen Punkt einschränken der näher mit dem äußern Recht zusammenhängt, nemlich die oekonomische Lage. Jeder Tagelöhner erkennt die Pflicht an, Frau und Kinder zu ernähren, wenn er dies aus Trägheit versäumt, so ist die Mutter gewiß berechtigt, in die gesammten Elternrechte einzutreten, allein für ihre Kinder zu sorgen, und sich mit ihnen von dem Manne zu entfernen dem nur die Befriedigung eines sinnlichen Triebes und nicht irgend ein menschliches Gefühl auf den Namen des Vaters Anspruch gegeben hat. Bernhardi hatte sich der Sorge für seine Familie so sehr entzogen, daß es ihn gar nicht hätte [2] wundern dürfen, wenn einmal plötzlich aus Mangel an dem Unentbehrlichsten sein häusliches Leben sich aufgelöst hätte. Der Gedanke als ob in dieser Art Anfoderungen an ihn gemacht werden könnten war ihm ganz abhanden gekommen, er blieb unbekümmert wiewol er sich selbst durch fremde Sorge ernährt sah, und es ihm eigentlich ein Geheimniß sein mußte, wie es bewerkstelligt wurde daß die Kinder nicht aus Mangel an Pflege verkamen.
Ich bin beinahe drei Jahre Hausgenosse Deiner Schwester gewesen, vom Frühling 1801, bis zu meiner Abreise von Berlin im April 1804, wozwischen nur wenige Monathe Abwesenheit ausfallen. Während dieser Zeit habe ich ihre Lage sofern sie von Bernhardis Betragen abhieng immer schlimmer werden gesehn, lange hatte sie das Uebermaß unwürdiger Begegnungen ertragen, ohne den Gedanken in sich aufkommen zu lassen sich von ihm zu trennen, und nur die leider unumstößliche Ueberzeugung von seiner Unverbesserlichkeit, ja die augenscheinliche und von Hufeland anerkannte Gefahr für ihr Leben, wenn sie nicht aus einer so drückenden Lage wegversezt würde, hat sie endlich für diesen Entschluß entschieden.
Daß Bernhardi in einem Briefe an Dich geäußert hat, die üble Wirtschaft Deiner Schwester sei an seiner oekonomischen Zerrüttung Schuld, dieß ist in der That eine unerhörte Unverschämtheit. Ich sage es ohne Bedenken: er ist ein gemeiner Schurke, wenn er zu behaupten wagt daß er Deiner Schwester, während meines Aufenthalts im Hause, nur so viel gegeben habe, als für seine eignen nicht geringen Bedürfnisse erfoderlich war, geschweige denn für sie selbst und ihre Kinder, oder gar zu unnützen Ausgaben. Es ist wahr: die Haushaltung bei welcher Deine Schwester für ihre Person sich so vieles versagen mußte, um nur dasjenige herbei zu schaffen, was in Bernhardis Leben die Hauptstelle einnimmt, nämlich volle Schüsseln, hätte vielleicht mit etwas wenigerm bestritten werden können, wenn immer Geld vorräthig gewesen wäre, wenn mit Gewißheit auf eine wiewohl kleine Einnahme zu bestimmten Zeiten hätte gerechnet werden dürfen, wenn nicht wegen augenblicklichen gänzlichen Geldmangels die Sorge für die nöthigsten Auslagen oft mehrere Tage lang den Mägden hätte überlassen werden müssen, welche dadurch Anspruch auf ein Zutrauen gewannen, das sie vielleicht nicht verdienten; unter diesen Umständen aber war es so wenig die Schuld Deiner Schwester, wenn nicht alles aufs vortheilhafteste eingerichtet werden konnte, daß es vielmehr neben den übrigen Schwierigkeiten ein immer erneuerter Verdruß war.
[3] Was Bernhardis Amt eintrug weißt Du, daß man mit kaum 400 Thaler in Berlin und in der uns anständigen Lebensweise eine Familie nicht erhalten kann, sieht ein jeder leicht ein. Die fast mechanischen Arbeiten seines Amtes nahmen nur einen Theil seiner Zeit und gar nichts von seinen Kräften hinweg, wenn er sie nicht etwa für kopfanstrengend ausgeben will, er hätte also wie andre wackre Schulmänner in Berlin, mit Privatstunden beträchtlich viel verdienen können, an Gelegenheit dazu hätte es auch bei einiger Bemühung nicht gefehlt. Er hat aber in der ganzen Zeit bloß Knorring eine Stunde im Griechischen gegeben. Dieß war ein außerordentlicher Fall und fast wie ein akademisches Privatissimum zu betrachten. Die gewöhnlichen Privatstunden aber schienen ihm wohl gar unter seiner Würde zu sein. Von schriftstellerischen Arbeiten hat er in den drei Jahren nichts weiter zu Stande gebracht, als ein Heft vom Kynosarges, den zweiten Theil der Sprachlehre, und wo ich nicht irre war das erste Buch davon schon früher fertig. Daß er wenn er auch geschrieben hätte es doch nicht würde haben unterbringen können ist eine leere Ausflucht. Er fing immer damit an Buchhändlern Bücher anzubieten, die noch nicht geschrieben waren, und er hatte Frölich so lange auf die Beendigung der Grammatik warten lassen, daß sie billig Mistrauen hegen mußten. Freilich kostet es Mühe sich als Gelehrter einen Nahmen zu machen, und mit seinen Schriften durchzudringen. Dieser Mensch, in gemeiner Verzärtelung erzogen, und nachher der unbeholfensten Trägheit ergeben, hat nie geahndet was es heißt, Schwierigkeiten bekämpfen und überwinden.
In eben dieser Zeit hat Deine Schwester zwei Bände eigner Dichtungen, die Wunderbilder, und die dramatischen Fantasien zu Stande gebracht; (nur von den ersten war einiges früher geschrieben) wiewohl sie zwei angreifende Wochenbetten, und die traurigsten Vorfälle erlebt, und beständig gekränkelt hatte. Dazu kam, daß Bernhardi niemals die mindeste Achtung für den edleren Gebrauch ihrer Zeit hatte. Den ersten Winter hatte sie nicht einmal ein eignes Zimmer, in der Folge betrachtete er das ihrige immer wie ein Gemeingut, stürmte bei jeder Gelegenheit hindurch, ließ die Kinder herein, wenn sie sie mit Fleiß entfernt hatte um ruhig zu sein, als ob es zu den Mutterpflichten gehörte ununterbrochen im Getöse der kindischen Spiele zu leben, oder er pflanzte sich selbst ganze Nachmittage neben ihr hin, – nicht etwa um ein Gespräch zu führen, sondern in behaglicher Dumpfheit hinzubrüten. Wie sehr er ihr durch erregten Verdruß und die Sorgen denen er sie bloß gab, die Stimmung zum Schreiben verdarb, dieß will ich hier nicht ausführlich beschreiben.
In der ersten Zeit legte ihm Deine Schwester noch zuweilen ihre Geldverlegenheiten vor, und bat ihn sie zu heben, oder sie foderte ihn auch gelinde [4] zu einiger Thätigkeit auf. Dieß verursachte aber immer so heftige Auftritte, so entsezliche Ausbrüche ohnmächtiger Wuth, und es fruchtete so wenig daß sie es bald gänzlich aufgab. In den vorhergehenden beiden Jahren hatte er sich meist durch Borgen kleiner Summen zu hohen Zinsen geholfen, aber niemals darauf gedacht wieder Ordnung in seine Angelegenheiten zu bringen, so wuchs die Zerrüttung immer mehr, Deine Schwester war gar nicht einmal von dem Umfang derselben unterrichtet, und wurde in der Ungewißheit hingehalten, ob sie am Ende des Vierteljahrs auf einen Theil seiner schmalen Einkünfte rechnen durfte oder nicht. Da sie endlich nicht mehr darauf zu rechnen schien, ließ er sich dieß nicht zweimal gesagt sein, sondern behielt sie fast ganz zurück, so daß sie in den beiden lezten Jahren eine ganz unbedeutende Summe von ihm erhalten hat, vielleicht nicht über 100 Thaler. Es kann sein, daß er einige Thaler mehr herausrechnet, aber die Summe könnte verdoppelt und verdreifacht sein, und wäre immer noch außer allem Verhältniß mit dem was er für sich allein verbraucht. Denn es läßt sich leicht darthun, daß seine persönlichen Bedürfnisse an Kleidung, Nahrung (besonders auch seine auf Sparen gar nicht Rücksicht nehmende Unmäßigkeit) jährlich gewiß nicht mit weniger als 400 Thaler zu bestreiten waren, dies ist wahrscheinlich noch ein ganz unzulänglicher Anschlag.
Deine Schwester hingegen hat für sich fast gar nichts verbraucht, außer wenn Krankheit es nothwendig machte. Wie mäßig sie ist, weißt Du. Was zur Kleidung und anständigem Putz gehört, erhielt sie zum Theil von ihrer Mutter, oder sie hatte es schon vor ihrer Verheirathung gehabt, und dieser Vorrath erhielt sich immer, da sie ihre Sachen so wenig abnutzte. Auf etwas neu Anzuschaffendes, auf das Nöthigste leistete sie aber meistens Verzicht. Ich habe es ihr im Winter an dem Nothwendigen fehlen sehen, um sich gegen die rauhe Witterung zu schützen, so daß sie nur die Wahl hatte das Haus zu hüten, oder ihre Gesundheit auszusetzen. Ja es fehlte ihr auch an dem was erfodert wurde, um die Kleider die sie hatte, zur Erscheinung in der Gesellschaft einzurichten, so daß sie schon dadurch auf ihr trauriges Zimmer eingeschränkt wurde, wenn nicht ihre gedrückte Lage sie von jedem geselligen Vergnügen entfernt hätte.
Man hätte erwarten sollen, daß Bernhardi einer Frau, die so viel für ihn aufopferte, die mit mühseeliger Sorge sein Haus versah, die ihn selbst, ohne sein Zuthun größtentheils ernährte, wenigstens durch lebhafte Bezeigung seiner Dankbarkeit, und Ergebenheit es einigermassen zu vergelten gesucht haben würde. Aber gerade umgekehrt, mit der Vernachlässigung aller seiner Pflichten, nahm bei ihm in gleichem Grade das herrische ungestüme Wesen zu, und die Vernachlässigung aller Achtung. [5] Er rief ihr wie einer Magd, wenn sie matt und krank kaum von ihrem Ruhbett aufstehn konnte, er verlangte Aufwartung, wenn er bei einigem Gefühl sie ihr hätte mit dem bereitwilligsten Eifer entgegenbringen sollen. Ich schäme mich auf eine so erniedrigende Umständlichkeit einzugehn, die Sache läßt sich aber nur durch Beispiele deutlich machen. Deine Schwester war eine sehr fertige Strickerin gewesen, geschwächt wie sie war griff diese Arbeit durch die Stellung ihre Brust, und durch die Bewegung der Stricknadeln ihre Nerven augenscheinlich an. Dennoch verlangte Bernhardi immerfort mit Strümpfen von ihr versehn zu werden, er machte ihr noch obendrein Vorwürfe, wenn sie welche für ihn angeschafft ohne sie selbst gestrickt zu haben, er hätte es gleichgültig angesehn, wenn sie sich durch diesen Dienst die Schwindsucht zugezogen hätte. Als Hufeland zu Rathe gezogen ward, untersagte er sogleich alle dergleichen Arbeiten, als das verderblichste. – Wenn einmal der Tisch weniger reichlich besetzt als gewöhnlich, oder ein Gericht durch Nachläßigkeit der Magd misrathen war, so ließ er es Deine Schwester durch die gemeinste üble Laune entgelten, wie wohl er sehr gut wußte, daß er zu Gaste speiste, und daß ihre schlechte Gesundheit es ihr unmöglich mache in die Küche zu gehn. Er misgönnte es ihr sogar von ihrem eigenen Gelde ein Almosen zu geben, und murrte als über eine unsinnige Verschwendung, wenn einer armen Person einmal eine Malzeit bei den Mägden verstattet wurde. Niemals erkundigte er sich bei den Wochenbetten Deiner Schwester, oder den Krankheiten der Kinder, ob auch das Nöthige zur Verpflegung vorhanden sei, sie hätten sich in dem hülflosesten Zustand befinden mögen, es würde seine Gemüthsruhe weniger gestört haben, als ein verunglücktes Mittagsessen. Dagegen ermangelte er nicht zu verstehn zu geben, als rührten die Unpäslichkeiten der Kinder von verwahrloster körperlicher Erziehung her, und darüber zu lärmen, wenn z. B. Wilhelm nicht alle Tage gebadet ward, was doch wie jeder weiß Unkosten macht. Wie wenig es ihm mit dieser Sorge ein Ernst war, bewies er wiederum dadurch, daß er Wilhelms Besuche bei den Großeltern, wo dieser ganz augenscheinlich körperlich und geistig verdorben ward, nie abstellte, so sehr es Deine Schwester auch wünschte, die es für sich allein nicht konnte, weil es von ihrer Seite als Erwiederung der unwürdigen Begegnung und gemeinen Klätschereien erschienen wäre die sie von seinen Eltern erlitt, und wogegen Bernhardi sie niemals in Schutz genommen.
Es wäre endlos wenn ich alle die Züge dieser Art aufzählen wollte. Mir scheint es beinahe ein Wunder, wofür ich Gott täglich [6] danke, daß Deine Schwester wiewohl mit zerrütteter Gesundheit, doch noch mit dem Leben entronnen ist, aus einem so trüben und freudenlosen Zustand, so anhaltendem niederdrückenden Kummer, oft so ängstigenden Verlegenheiten, so heftigen Erschütterungen die seine Mishandlungen verursachten, und dem beständigen unüberwindlichen Gefühl des Widerwillens und Abscheues vor einer dumpfen, ins Thierische versunkenen, dabei im höchsten Grade anmaßenden tyrannischen und alles Bessere verhöhnenden Existenz, wovon sie die tägliche, ja stündliche Zeugin zu sein verdammt war. Ich habe sie zittern gesehn, wenn Bernhardi eine Schuld welche sie insgeheim aber doch ganz für die Haushaltung gemacht hatte, zufällig erfuhr, da er hingegen die Bezahlung einer weit größeren Schuld, derentwegen er mit gerichtlichen Proceduren bedroht wurde, als ein Recht von ihr foderte, weil sie ihren Namen mit unterzeichnet hatte. Ich habe gesehn, welche gefährliche Zufälle die heftigen Szenen mit ihm ihr zugezogen, und wie auch der stille Verdruß untergrabend würkte. Doch ich kann hierüber ein unverwerflicheres Zeugniß anführen als das meinige. Hufeland, dem Deine Schwester durch ihre ganze Art zu sein das reinste und menschlichste Interesse einflößte, hat oft in umständlichen vertraulichen Gesprächen mit mir über den Zustand ihrer Gesundheit geäußert, ihr Übel rühre, wiewol ihre Brust schwach, und sie durch die Wochenbetten sehr geschwächt sei, dennoch hauptsächlich von ihrer Stimmung, folglich von ihrer Lage her, und er verzweifle gar nicht an ihrer Besserung, wenn sie da heraus versezt würde, wohl aber bei der Fortdauer derselben nachtheiligen Einflüsse. Wenn Du nach Berlin kommen solltest, wird er ohne Zweifel bereit sein Dir dasselbe zu wiederholen.
Im ersten Jahre, als ich Hausgenosse war, lebten noch Eure Eltern, Deine Schwester fand Rath und Hülfe bei ihrer liebevollen Mutter. Auf der andern Seite gab der Wunsch, ihre Eltern nicht in die ganze Tiefe ihres Unglücks hinunterblicken zu lassen, ihr Stärke es zu ertragen. Im Herbst 1801 kam Dein redlicher Bruder nach Berlin, und verband seitdem unablässig seine brüderlichen Bemühungen mit den meinigen, um das Loos Deiner Schwester zu erleichtern. Mir ist der erste Augenblick unvergeßlich und heilig, wo sie mir ihr Zutrauen entgegen wandte, und mir sagte, Sie wissen nicht, was Sie unternehmen, da Sie sich erbieten mein [7] Freund zu sein. Habe ich etwas dazu beizutragen mögen, ihrem Untergang vorzubeugen, so achte ich dies für die schönsten Werke meines Lebens. In meiner weiten Entfernung hege ich die beruhigende Hoffnung, daß Ihr Brüder die Rechte der Unterdrückten entschlossen vertheidigen werdet. Ihr könnt euch nicht bethören lassen, als ob jene Misverhältnisse auszugleichen wären, ihr kennt Bernhardi zu gut und durchschaut die Heuchelei, wodurch er seine hülflose zugleich dumpfe und heftige Rohheit überkleidet. Wenn Deine Schwester jezt nach Berlin zurückkehrte, da ihre Eltern todt, ihre Brüder entfernt sind, und vielleicht kein andrer hülfreiche Freund in der Nähe, so würde sie bald rettungslos auf das erbärmlichste vergehn und umkommen, ihr lezter Seufzer würde euch die Ihr sie so zärtlich liebt, verklagen, und die armen Kinder wären der äußersten Verwahrlosung preisgegeben. Vertheidigt sie entschlossen, das Recht ist Euer, und Bernhardi hat selbst ein zu schlechtes Gewissen, um es auf das Äußerste kommen zu lassen. Der Himmel wird Eure Bemühungen segnen. Ich umarme Dich mit brüderlicher Gesinnung und bin lebenslang Dein treuer Freund.
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