• August Wilhelm von Schlegel to Sibilla Forstheim

  • Place of Dispatch: Paris · Place of Destination: Bonn · Date: 03.10.1831
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Sibilla Forstheim
  • Place of Dispatch: Paris
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 03.10.1831
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Paul Kaufmann: Auf den Spuren August Wilhelm von Schlegels. In: Preußische Jahrbücher 234 (1933), S. 236−238.
  • Incipit: „[1] Paris d. 3ten Oct. 31.
    Rue de lʼUniversité 90
    Ich darf nicht länger versäumen, meine edle und hochverehrte Freundin, Ihnen zu schreiben: [...]“
    Manuscript
  • Provider: Stadt- und Landesbibliothek Dortmund
  • Classification Number: Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Atg Nr.11813
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Editors: Bamberg, Claudia · Varwig, Olivia
[1] Paris d. 3ten Oct. 31.
Rue de lʼUniversité 90
Ich darf nicht länger versäumen, meine edle und hochverehrte Freundin, Ihnen zu schreiben: es wäre schon weit früher geschehen, wenn der erste Wirbel der Zerstreuungen mich nicht abgehalten hätte. Die Eile womit ich abreiste und von Ihnen, von Ihnen allein, Abschied nahm, war dringend nöthig: nur vier Stunden vor Thorschluß, nämlich d. 7ten Sept. Abends um acht Uhr habe ich die französische Gränze erreicht. Bei dem Zollamte sah ich das zur Quarantäne ausgewählte Haus mit doppelten Pallisaden umgeben. Stellen Sie sich die Verzweifelung vor, wenn ich da eine Anzahl Tage eingesperrt hätte verweilen müssen. Ich hätte lieber meinen ganzen Plan geändert, u wäre durch die Niederlande nach England gereist. Es ist aber so weit besser. In Coblenz traf ich, außer Hrn Forstheim, die Generalin von Paulsdorf, meine weitläuftige Cousine, die mich sehr warnte, nicht bei Nacht nach Trier zu reisen: die Straße sey zwar gut unterhalten, aber wegen der steilen Berge gefährlich. Ich ließ mich indessen nicht abhalten; es war allerdings eine unangenehme Nacht. Auch in Trier hielt ich mich nur eine halbe Stunde auf; so habe ich dreißig Postmeilen ziemlich in Einem Striche gemacht. In Frankreich fand ich viel schlechte Wege, noch überdieß durch den [2] Regen u durch Überschwemmungen verdorben. Man reist in Frankreich etwas wohlfeiler als bei uns, aber die Wege sind mit den unsrigen gar nicht zu vergleichen. Die Mosel-Gegenden sind noch schön, dann kommt der häßliche Theil der Champagne, äußerst trübselig. Kriegerische Thätigkeit bemerkte ich nur in Thionville, nachher im Innern gar nicht weiter; überall nur ruhiges Gewerbe. Am Sonntag Mittag, gestern vor drei Wochen, war ich in Paris. Diese Zeit habe ich schon mannichfaltig benutzt, alte Bekanntschaften erneuert u neue gestiftet, u eine Menge Gegenstände gesehen. Hier im Hause des Herzogs von Broglie bin ich auf das freundschaftlichste aufgenommen, u wie ein Mitglied der Familie. Die schönen u geistreichen Kinder machen mir große Freude: ich beschäftige mich viel mit Ihnen im Scherz u im Ernst. Die älteste Tochter, noch nicht funfzehn Jahr alt, ist eine schöne Brünette mit schwarzen Augen u langen Wimpern; die jüngere blonde, verbirgt unter dem Schein der Indolenz einen zarten Sinn u eine lebhafte Regsamkeit. Der Sohn, ein krauslockiger Bube von 10 Jahren ist ganz Feuer u Leben. Die junge Witwe meines verewigten Freundes August von Stael, ist gegenwärtig auch hier. In diesem Familienkreise bin ich beim Frühstück u Mittagessen; die Herzogin geht selten aus. Abends kommen uneingeladene Besuche; meistens ausgezeichnete Mitglieder der zweiten Kammer, auch Pairs, [3] ehemalige u jetzige Minister, u. s. w. Der Herzog ist immer in der obern Kammer im Mittelpunkt der gemäßigt liberalen Partei. Kurz nach meiner Ankunft wurden auf Veranlassung der Einnahme von Warschau künstlich Unruhen angestiftet; doch kam es nicht zu Thätlichkeiten: in der Kammer leere Declamationen, außerhalb Versammlungen bezahlter Tagelöhnern unter ihren Anführern, immer von den National-Garden u Linientruppen aus einander getrieben. Da die Misvergnügten keine allgemeinere Theilnahme unter den Bürgern fanden, wurden sie es zuletzt überdrüßig. Die Minister haben große Siege davon getragen, ihre Existenz scheint gesichert. Alles dieß ist vortrefflich für die Erhaltung des Europäischen Friedens, u die Befestigung des jetzigen Zustandes im Innern. Das Durchsprechen des politischen Themaʼs ist zuweilen ermüdend: es ist als wäre man, ohne an der Jagd Theil zu nehmen, auf dem Lande unter einer Gesellschaft von leidenschaftlichen Jägern, die Abends nur von den Jagdereignissen des Tages sprechen. Aber die völlige Zwanglosigkeit ist ein Mittel dagegen: man setzt sich zu besondren Gesprächen in die Ecke, oder liest eine Zeitung, oder spielt mit den Kindern, u kommt oder geht wie man will. Ich thue meiner Indolenz einige Gewalt an, u besuche die Abendzirkel. Bei dem Preußischen, Österreichischen u Russischen Gesandten, war ich schon zu zahlreichen u prächtigen dîners eingeladen, auch auf dem Lande bei der Baronin Salomon von Rothschild auf dem Lande. Der Luxus der Tafel, der [4] Zimmerverzierung, des Silbergeschirres u. s. w. ist außerordentlich groß. Ich finde nur, daß man zu kurze Zeit bei Tische bleibt: eine Menge auserlesener Gerichte u feiner Weine werden mit unglaublicher Schnelle vorübergeführt. Bei dem Englischen Gesandten war ich auch schon in dem Abendzirkel.
Nachmittags. Eben komme ich von den Tuilerien zurück wohin sich die Königliche Familie vorgestern begeben hat. Gestern war Abends allgemeiner Empfang für die Einheimischen; heute Vorstellung des diplomatischen Corps im Thronsaale. Äußerst glänzend, alles in Uniformen oder Hoftracht. Unser Gesandte stellte mich vor. Der König erinnerte sich seiner alten Bekanntschaft mit mir die Königin u Mlle Adelaïde machten mir Complimente über meinen Ruhm als Schriftsteller.
Es scheint, daß die hiesige Lebensart mir ungemein wohl bekommt: ich bin lange nicht so gesund u munter gewesen. Der junge Ribbentrop muß bereits bei seinen Eltern seyn: ich habe den Auftrag bestens ausgerichtet. Meine besten Grüße an Hrn. Forstheim, dem ich nächstens schreiben werde. Ich hoffe, daß meine Pferde oft die Ehre haben, Sie u Ihre Fräulein Tochter spazieren zu fahren. Die Stimme der Madame Pasta hat mich an die Ihrige erinnert: aber, wiewohl Sie edle Züge hat, so würde sie mit Ihrer Gestalt doch noch eine ganz anders bezaubernde Erscheinung machen.
Leben Sie recht wohl, meine liebenswürdige Freundin, u erfreuen Sie mich recht bald mit einem Briefchen
Ganz der Ihrige
AWvSchlegel
[1] Paris d. 3ten Oct. 31.
Rue de lʼUniversité 90
Ich darf nicht länger versäumen, meine edle und hochverehrte Freundin, Ihnen zu schreiben: es wäre schon weit früher geschehen, wenn der erste Wirbel der Zerstreuungen mich nicht abgehalten hätte. Die Eile womit ich abreiste und von Ihnen, von Ihnen allein, Abschied nahm, war dringend nöthig: nur vier Stunden vor Thorschluß, nämlich d. 7ten Sept. Abends um acht Uhr habe ich die französische Gränze erreicht. Bei dem Zollamte sah ich das zur Quarantäne ausgewählte Haus mit doppelten Pallisaden umgeben. Stellen Sie sich die Verzweifelung vor, wenn ich da eine Anzahl Tage eingesperrt hätte verweilen müssen. Ich hätte lieber meinen ganzen Plan geändert, u wäre durch die Niederlande nach England gereist. Es ist aber so weit besser. In Coblenz traf ich, außer Hrn Forstheim, die Generalin von Paulsdorf, meine weitläuftige Cousine, die mich sehr warnte, nicht bei Nacht nach Trier zu reisen: die Straße sey zwar gut unterhalten, aber wegen der steilen Berge gefährlich. Ich ließ mich indessen nicht abhalten; es war allerdings eine unangenehme Nacht. Auch in Trier hielt ich mich nur eine halbe Stunde auf; so habe ich dreißig Postmeilen ziemlich in Einem Striche gemacht. In Frankreich fand ich viel schlechte Wege, noch überdieß durch den [2] Regen u durch Überschwemmungen verdorben. Man reist in Frankreich etwas wohlfeiler als bei uns, aber die Wege sind mit den unsrigen gar nicht zu vergleichen. Die Mosel-Gegenden sind noch schön, dann kommt der häßliche Theil der Champagne, äußerst trübselig. Kriegerische Thätigkeit bemerkte ich nur in Thionville, nachher im Innern gar nicht weiter; überall nur ruhiges Gewerbe. Am Sonntag Mittag, gestern vor drei Wochen, war ich in Paris. Diese Zeit habe ich schon mannichfaltig benutzt, alte Bekanntschaften erneuert u neue gestiftet, u eine Menge Gegenstände gesehen. Hier im Hause des Herzogs von Broglie bin ich auf das freundschaftlichste aufgenommen, u wie ein Mitglied der Familie. Die schönen u geistreichen Kinder machen mir große Freude: ich beschäftige mich viel mit Ihnen im Scherz u im Ernst. Die älteste Tochter, noch nicht funfzehn Jahr alt, ist eine schöne Brünette mit schwarzen Augen u langen Wimpern; die jüngere blonde, verbirgt unter dem Schein der Indolenz einen zarten Sinn u eine lebhafte Regsamkeit. Der Sohn, ein krauslockiger Bube von 10 Jahren ist ganz Feuer u Leben. Die junge Witwe meines verewigten Freundes August von Stael, ist gegenwärtig auch hier. In diesem Familienkreise bin ich beim Frühstück u Mittagessen; die Herzogin geht selten aus. Abends kommen uneingeladene Besuche; meistens ausgezeichnete Mitglieder der zweiten Kammer, auch Pairs, [3] ehemalige u jetzige Minister, u. s. w. Der Herzog ist immer in der obern Kammer im Mittelpunkt der gemäßigt liberalen Partei. Kurz nach meiner Ankunft wurden auf Veranlassung der Einnahme von Warschau künstlich Unruhen angestiftet; doch kam es nicht zu Thätlichkeiten: in der Kammer leere Declamationen, außerhalb Versammlungen bezahlter Tagelöhnern unter ihren Anführern, immer von den National-Garden u Linientruppen aus einander getrieben. Da die Misvergnügten keine allgemeinere Theilnahme unter den Bürgern fanden, wurden sie es zuletzt überdrüßig. Die Minister haben große Siege davon getragen, ihre Existenz scheint gesichert. Alles dieß ist vortrefflich für die Erhaltung des Europäischen Friedens, u die Befestigung des jetzigen Zustandes im Innern. Das Durchsprechen des politischen Themaʼs ist zuweilen ermüdend: es ist als wäre man, ohne an der Jagd Theil zu nehmen, auf dem Lande unter einer Gesellschaft von leidenschaftlichen Jägern, die Abends nur von den Jagdereignissen des Tages sprechen. Aber die völlige Zwanglosigkeit ist ein Mittel dagegen: man setzt sich zu besondren Gesprächen in die Ecke, oder liest eine Zeitung, oder spielt mit den Kindern, u kommt oder geht wie man will. Ich thue meiner Indolenz einige Gewalt an, u besuche die Abendzirkel. Bei dem Preußischen, Österreichischen u Russischen Gesandten, war ich schon zu zahlreichen u prächtigen dîners eingeladen, auch auf dem Lande bei der Baronin Salomon von Rothschild auf dem Lande. Der Luxus der Tafel, der [4] Zimmerverzierung, des Silbergeschirres u. s. w. ist außerordentlich groß. Ich finde nur, daß man zu kurze Zeit bei Tische bleibt: eine Menge auserlesener Gerichte u feiner Weine werden mit unglaublicher Schnelle vorübergeführt. Bei dem Englischen Gesandten war ich auch schon in dem Abendzirkel.
Nachmittags. Eben komme ich von den Tuilerien zurück wohin sich die Königliche Familie vorgestern begeben hat. Gestern war Abends allgemeiner Empfang für die Einheimischen; heute Vorstellung des diplomatischen Corps im Thronsaale. Äußerst glänzend, alles in Uniformen oder Hoftracht. Unser Gesandte stellte mich vor. Der König erinnerte sich seiner alten Bekanntschaft mit mir die Königin u Mlle Adelaïde machten mir Complimente über meinen Ruhm als Schriftsteller.
Es scheint, daß die hiesige Lebensart mir ungemein wohl bekommt: ich bin lange nicht so gesund u munter gewesen. Der junge Ribbentrop muß bereits bei seinen Eltern seyn: ich habe den Auftrag bestens ausgerichtet. Meine besten Grüße an Hrn. Forstheim, dem ich nächstens schreiben werde. Ich hoffe, daß meine Pferde oft die Ehre haben, Sie u Ihre Fräulein Tochter spazieren zu fahren. Die Stimme der Madame Pasta hat mich an die Ihrige erinnert: aber, wiewohl Sie edle Züge hat, so würde sie mit Ihrer Gestalt doch noch eine ganz anders bezaubernde Erscheinung machen.
Leben Sie recht wohl, meine liebenswürdige Freundin, u erfreuen Sie mich recht bald mit einem Briefchen
Ganz der Ihrige
AWvSchlegel
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