• August Wilhelm von Schlegel to Johann Jakob Horner

  • Place of Dispatch: Coppet · Place of Destination: Zürich · Date: 22.10.1811
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Jakob Horner
  • Place of Dispatch: Coppet
  • Place of Destination: Zürich
  • Date: 22.10.1811
  • Notations: Da der Druck den Brief nicht vollständig wiedergibt, wurde er neu transkribiert. – Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1891. Neue Folge, Vierzehnter Jahrgang. Zürich 1891. S. 4–6.
  • Incipit: „[1] Coppet d. 22sten Oct. 1811.
    Hochgeehrtester Herr Professor!
    Ew. Wohlgeb. danke ich für die verbindlichen Zeilen, wodurch Sie mir den richtigen Empfang [...]“
    Manuscript
  • Provider: Zentralbibliothek Zürich
  • Classification Number: Ms. M 8.48
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Editors: Bamberg, Claudia · Varwig, Olivia
[1] Coppet d. 22sten Oct. 1811.
Hochgeehrtester Herr Professor!
Ew. Wohlgeb. danke ich für die verbindlichen Zeilen, wodurch Sie mir den richtigen Empfang des Parcival u Titurel melden. Mit schwerem Herzen habe ich das Buch eingepackt, denn ich war mit diesen labyrinthischen Untersuchungen noch längst nicht zu meiner Befriedigung zu Ende, aber ich wollte die Zurücksendung um keinen Tag verspäten. Den Ertrag Ihrer gefälligen Mittheilungen werden Sie nächstens in den Heidelberger Jahrbüchern finden.
Es hat mir in mancher Hinsicht leid gethan, meinen Aufenthalt in Zürich nicht mehr verlängern zu können. In Bern vermißte ich einen Bibliothekar wie Sie. Hr. Tscharner ist ängstlich zurückhaltend, und ohne Interesse für die Gegenstände, die uns so lebhaft beschäftigten, u worüber ich mich aus Ihrem Gespräch vielfältig belehrte. Indessen habe ich doch durch Hrn. Freudenreichs Vermittlung ein Manuscript des Parcival im Hause gehabt, von dessen Daseyn man erst seit kurzem wußte. Es ist auf Papier, mit rohen Bildern verziert, [2] und sehr jung, vermuthlich erst vom J. 1467. Indessen dürfte es doch bey einer künftigen kritischen Ausgabe des bis jetzt unlesbaren Gedichtes nicht vernachläßigt werden. Sonst giebt es auf der dasigen Bibliothek noch sehr wichtige historische Anekdoten.
Die neue Ausgabe meiner Gedichte muß schon versendet seyn, aber die Schrift über die Nibelungen ist noch nicht weiter vorgerückt. Mein missionarisches Predigen, man solle dieß urdeutsche Heldengedicht, wie bey den Griechen den Homer, in den Schulen erklären, scheint hie u da einigen Eingang zu finden. Ich habe darüber dem Erzieher im Fellenbergischen Institut meine Gedanken mitgetheilt, auch Hr. Niederer hat davon gehört, u bezeigt sich bereitwillig zu einem Versuch. – Freylich wird erst noch eine eigends hiezu eingerichtete Ausgabe erfodert.
Von Hagens Heldenbuch erwarte ich viel gutes, u sie werden mich verbinden, wenn Sie der Orellschen Buchhandlung Auftrag geben wollen, mir sowohl dieses als die Dänischen Volkslieder von Grimm durch den nächsten Waarenwagen auf meine Rechnung nach Coppet zu schicken. Die Volkslieder sind mir schon in Wien durch die Hände gegangen, doch weiß ich nicht, was ich von den [3] Versen der Herren Grimm erwarten soll, da ihre Prosa nicht die beste ist. Gelehrt sind sie und tüchtige Arbeiter, aber noch bis jetzt war mir alles unerfreulich, was von ihrer Hand kommt. Mein Bruder schreibt mir darüber: „Grimms altdänische Lieder haben meine Erwartung nicht befriedigt. Die eigentlich Dänischen sind, obwohl sie treu übersetzt scheinen, oftmals sogar etwas wunderhörnern. Diese eigne Gattung von halb verrückten Volksliedern mag in allen protestantischen Ländern seit der Reformation durch den Untergang der alten großen Nationalgedichte entstanden seyn. Die wenigen auf Nibelungische Mythologie sich beziehenden in Grimms Sammlung scheinen mir ein äußerst später, verworrener und wenig erfreulicher Nachhall der deutschen Nibelungen-Lieder zu seyn. Die Wolsunga-Saga muß dagegen wie ein göttliches Eisgebirge emporragen.“
Mit Anfang des nächstens Jahres wird mein Bruder ein vaterländisches Museum in Wien herausgeben. Ich vermuthe, daß ein Brief von ihm in Zürich liegen geblieben ist. Dürfte ich Sie wohl mit der Bitte beschweren, auf dem Postamt anzufragen, ob sich dort keine Briefe für mich poste restante finden, und mir solche hieher fördern zu lassen?
[4] Wenn Sie etwa Frau von Harmes sehen, so bitte ich Sie, mein Andenken bey ihr zu erneuern und ihr meine demüthige Klage vorzubringen, daß sie mir auf einen langen Brief nicht geantwortet. Die besten Grüße an Tieck.
Unter wiederhohlten Danksagungen und den Versicherungen der ausgezeichnetsten Hochachtung
Ew Wohlgeb.
ergebenster
AWSchlegel
[1] Coppet d. 22sten Oct. 1811.
Hochgeehrtester Herr Professor!
Ew. Wohlgeb. danke ich für die verbindlichen Zeilen, wodurch Sie mir den richtigen Empfang des Parcival u Titurel melden. Mit schwerem Herzen habe ich das Buch eingepackt, denn ich war mit diesen labyrinthischen Untersuchungen noch längst nicht zu meiner Befriedigung zu Ende, aber ich wollte die Zurücksendung um keinen Tag verspäten. Den Ertrag Ihrer gefälligen Mittheilungen werden Sie nächstens in den Heidelberger Jahrbüchern finden.
Es hat mir in mancher Hinsicht leid gethan, meinen Aufenthalt in Zürich nicht mehr verlängern zu können. In Bern vermißte ich einen Bibliothekar wie Sie. Hr. Tscharner ist ängstlich zurückhaltend, und ohne Interesse für die Gegenstände, die uns so lebhaft beschäftigten, u worüber ich mich aus Ihrem Gespräch vielfältig belehrte. Indessen habe ich doch durch Hrn. Freudenreichs Vermittlung ein Manuscript des Parcival im Hause gehabt, von dessen Daseyn man erst seit kurzem wußte. Es ist auf Papier, mit rohen Bildern verziert, [2] und sehr jung, vermuthlich erst vom J. 1467. Indessen dürfte es doch bey einer künftigen kritischen Ausgabe des bis jetzt unlesbaren Gedichtes nicht vernachläßigt werden. Sonst giebt es auf der dasigen Bibliothek noch sehr wichtige historische Anekdoten.
Die neue Ausgabe meiner Gedichte muß schon versendet seyn, aber die Schrift über die Nibelungen ist noch nicht weiter vorgerückt. Mein missionarisches Predigen, man solle dieß urdeutsche Heldengedicht, wie bey den Griechen den Homer, in den Schulen erklären, scheint hie u da einigen Eingang zu finden. Ich habe darüber dem Erzieher im Fellenbergischen Institut meine Gedanken mitgetheilt, auch Hr. Niederer hat davon gehört, u bezeigt sich bereitwillig zu einem Versuch. – Freylich wird erst noch eine eigends hiezu eingerichtete Ausgabe erfodert.
Von Hagens Heldenbuch erwarte ich viel gutes, u sie werden mich verbinden, wenn Sie der Orellschen Buchhandlung Auftrag geben wollen, mir sowohl dieses als die Dänischen Volkslieder von Grimm durch den nächsten Waarenwagen auf meine Rechnung nach Coppet zu schicken. Die Volkslieder sind mir schon in Wien durch die Hände gegangen, doch weiß ich nicht, was ich von den [3] Versen der Herren Grimm erwarten soll, da ihre Prosa nicht die beste ist. Gelehrt sind sie und tüchtige Arbeiter, aber noch bis jetzt war mir alles unerfreulich, was von ihrer Hand kommt. Mein Bruder schreibt mir darüber: „Grimms altdänische Lieder haben meine Erwartung nicht befriedigt. Die eigentlich Dänischen sind, obwohl sie treu übersetzt scheinen, oftmals sogar etwas wunderhörnern. Diese eigne Gattung von halb verrückten Volksliedern mag in allen protestantischen Ländern seit der Reformation durch den Untergang der alten großen Nationalgedichte entstanden seyn. Die wenigen auf Nibelungische Mythologie sich beziehenden in Grimms Sammlung scheinen mir ein äußerst später, verworrener und wenig erfreulicher Nachhall der deutschen Nibelungen-Lieder zu seyn. Die Wolsunga-Saga muß dagegen wie ein göttliches Eisgebirge emporragen.“
Mit Anfang des nächstens Jahres wird mein Bruder ein vaterländisches Museum in Wien herausgeben. Ich vermuthe, daß ein Brief von ihm in Zürich liegen geblieben ist. Dürfte ich Sie wohl mit der Bitte beschweren, auf dem Postamt anzufragen, ob sich dort keine Briefe für mich poste restante finden, und mir solche hieher fördern zu lassen?
[4] Wenn Sie etwa Frau von Harmes sehen, so bitte ich Sie, mein Andenken bey ihr zu erneuern und ihr meine demüthige Klage vorzubringen, daß sie mir auf einen langen Brief nicht geantwortet. Die besten Grüße an Tieck.
Unter wiederhohlten Danksagungen und den Versicherungen der ausgezeichnetsten Hochachtung
Ew Wohlgeb.
ergebenster
AWSchlegel
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