• August Wilhelm von Schlegel to Friedrich de La Motte-Fouqué

  • Place of Dispatch: Genf · Place of Destination: Unknown · Date: 12.03.1806
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Friedrich de La Motte-Fouqué
  • Place of Dispatch: Genf
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 12.03.1806
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm von Schlegel's sämmtliche Werke. Vermischte und kritische Schriften. Hg. v. Eduard Böcking. Zweiter Band: Charakteristiken und Litteratur. Leipzig 1846. S. 142–153.
  • Incipit: „Laß dich herzlich umarmen, mein geliebter Freund und Bruder, und dir meinen Dank sagen für dein schönes Geschenk, einen rührenden Beweis [...]“
    Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt am Main
  • Classification Number: Hs-26030
  • Number of Pages: 20 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 8°
Laß dich herzlich umarmen, mein geliebter Freund und Bruder, und dir meinen Dank sagen für dein schönes Geschenk, einen rührenden Beweis deiner Liebe zu dem Entfernten, und der durch sein Stillschweigen dich vergeßen zu haben scheinen konnte. Andere werden es dir nicht leicht glauben, daß du mein Schüler seist, ich selbst aber kann nicht umhin, beschämt darein zu willigen, wenn du diesem freundlichen Irrthum noch treu bleiben willst: es ist das schönste Blatt in dem mäßigen Lorber, den mir meine dichterischen Bestrebungen verdient haben. – Ich wollte auf deine Zueignung, die mir erst geraume Zeit nach meiner Zurückkunft aus Italien nebst den Schauspielen zu Handen gekommen, in einem Gedicht antworten, und dieß, um dich damit zu überraschen, irgendwo in ein öffentliches Blatt einrücken laßen:
Fern an Posilipp’s Bucht, und der gelblichen Tiber Gestade,
Wandelt’ ich, da du den Gruß, trautester Freund! mir gesandt.
Nun erst, seit ich die Alpen dahinten im Süden zurückließ u. s. w.
Zufällig aber versäumte ich den rechten Zeitpunkt dazu. Indessen habe ich, wie Pindar sagt, viele Pfeile in meinem Köcher, und denke es dir zu anderer Zeit nicht unwürdig zu erwidern. – Ich habe deine Schauspiele mit großer Aufmerksamkeit und ungemeinem Genuß vielfältig gelesen, und hätte Stunden, ja Tage lang mit dir darüber zu schwatzen, wenn uns der Himmel die Freude des Wiedersehens gönnen wollte. In einem Briefe muß ich mich aber schon kürzer faßen. Im Allgemeinen also: ich habe hier alle die Vorzüge, kunstreicher auf umfaßendere Stoffe verwandt, wiedergefunden, womit die dramatischen Spiele glänzen: eine durchaus edle, zarte und gebildete Sinnesart, frische Jugendlichkeit, zierliche Feinheit, gewandte Bewegung, viel Sinnreiches in der Erfindung und sichere Fertigkeit in der Behandlung. In Sprache und Versbau besitzest du eine ungemeine Fülle und Mannichfaltigkeit; die einzigen Klippen, wovor du Dich meines Bedünkens zu hüten hast, sind Dunkelheit, welche aus allzu künstlichen Wendungen entspringt, und Härte aus dem Streben nach Gedrängtheit. Mit vielem Geschick verflichtst du zuweilen prosaische Bestandtheile in den Ausdruck, wodurch er neuer und eigener erscheint, doch hüte dich, dieß Mittel allzufreigebig zu gebrauchen. – – So viel ist ausgemacht, vor einer geringen Anzahl Jahre wäre es noch unmöglich gewesen, alles dieß mit so vieler anscheinenden Leichtigkeit zu leisten. Es hat tief in den Schacht unsrer Sprache gegraben, die Kunst des Versbaues hat gleichsam in eine ganz andere Region gesteigert werden müßen, um dergleichen möglich zu machen. Aber was vor ein zwanzig Jahren ein großes Aufheben würde veranlaßt haben, das nehmen die gedankenlosen Leser jetzt so hin, als müßte es nur so sein; es scheint, daß ihre Unempfänglichkeit in demselben Verhältniße zunimmt, wie die Fülle blühender Talente, die sich seit Kurzem entfaltet haben. Ich glaube hievon den Grund einzusehen, doch muß ich dazu etwas weiter ausholen.
Wie Goethe, als er zuerst auftrat, und seine Zeitgenoßen, Klinger, Lenz u. s. w. (diese mit roheren Mißverständnissen) ihre ganze Zuversicht auf Darstellung der Leidenschaften setzten, und zwar mehr ihres äußeren Ungestüms als ihrer innern Tiefe, so meine ich, haben die Dichter der letzten Epoche die Phantasie, und zwar die bloß spielende, müßige, träumerische Phantasie, allzusehr zum herrschenden Bestandtheil ihrer Dichtungen gemacht. Anfangs mochte dieß sehr heilsam und richtig sein, wegen der vorhergegangenen Nüchternheit und Erstorbenheit dieser Seelenkraft. Am Ende aber fordert das Herz seine Rechte wieder, und in der Kunst wie im Leben ist doch das Einfältigste und Nächste wieder das Höchste. Warum fühlen wir die romantische Poesie inniger und geheimnißvoller als die klassische? Weil die Griechen nur die Poetik der Freude ersonnen hatten. Der Schmerz ist aber poetischer als das Vergnügen, und der Ernst als der Leichtsinn.
Mißverstehe mich nicht, ich weiß wohl, daß es auch einen peinlichen Ernst und einen ätherischen Leichtsinn giebt. Die Poesie, sagt man, soll ein schönes und freies Spiel sein. Ganz recht, in so fern sie keinen untergeordneten, beschränkten Zwecken dienen soll. Allein wollen wir sie bloß zum Festtagsschmuck des Geistes? zur Gespielin seiner Zerstreuung? oder bedürfen wir ihrer nicht weit mehr als einer erhabenen Trösterin in den innerlichen Drangsalen eines unschlüßigen, zagenden, bekümmerten Gemüths, folglich als der Religion verwandt? Darum ist das Mitleid die höchste und heiligste Muse. Mitleid nenne ich das tiefe Gefühl des menschlichen Schicksals, von jeder selbstischen Regung geläutert und dadurch schon in die religiöse Sphäre erhoben. Darum ist ja auch die Tragödie und was im Epos ihr verwandt ist, das Höchste der Poesie. Was ist es denn, was im Homer, in den Nibelungen, im Dante, im Shakspeare die Gemüther so unwiderstehlich hinreißt, als jener Orakelspruch des Herzens, jene tiefen Ahnungen, worin das dunkle Räthsel unseres Daseins sich aufzulösen scheint?
Nimm dazu, daß die Poesie, um lebendig zu wirken, immer in einem gewissen Gegensatze mit ihrem Zeitalter stehen muß. Die spanische, die spielendste, sinnreichste, am meisten gaukelnd phantastische, ist in der Epoche des stolzesten Ehrgefühls der Nation und unter der Fülle kräftiger Leidenschaften und eines überströmenden Muthes entstanden. Unsere Zeit krankt gerade an allem, was dem entgegengesetzt ist, an Schlaffheit, Unbestimmtheit, Gleichgültigkeit, Zerstücklung des Lebens in kleinliche Zerstreuungen und an Unfähigkeit zu großen Bedürfnissen, an einem allgemeinen mit-dem-Strom-Schwimmen, in welche Sümpfe des Elends und der Schande er auch hinunter treiben mag. Wir bedürften also einer nicht träumerischen, sondern wachen, unmittelbaren, energischen und besonders einer patriotischen Poesie. Dieß ist eine gewaltsame, hartprüfende, entweder aus langem unsäglichem Unglück eine neue Gestalt der Dinge hervorzurufen oder auch die ganze europäische Bildung unter einem einförmigen Joch zu vernichten bestimmte Zeit. Vielleicht sollte, so lange unsere nationale Selbstständigkeit, ja die Fortdauer des deutschen Namens so dringend bedroht wird, die Poesie bei uns ganz der Beredsamkeit weichen, einer Beredsamkeit, wie z.B. Müllers Vorrede zum vierten Bande seiner Schweizergeschichte. Ich gestehe, daß ich für Gedichte, wie die meines Bruders auf den Rhein in der Europa und dem Taschenbuch, viele andere von ihm hingeben würde. – Wer wird uns Epochen der deutschen Geschichte, wo gleiche Gefahren uns drohten, und durch Biedersinn und Heldenmuth überwunden wurden, in einer Reihe Schauspiele, wie die historischen von Shakspeare, allgemein verständlich und für die Bühne aufführbar darstellen? Tieck hatte ehemals diesen Plan mit dem dreißigjährigen Kriege, hat ihn aber leider nicht ausgeführt. Viele andere Zeiträume, z. B. die Regierungen Heinrichs des Vierten, der Hohenstaufen u.s.w. würden eben so reichhaltigen Stoff darbieten. Warum unternimmst du nicht dieß oder etwas Aehnliches?
Doch ich kehre von dieser speciellen Abschweifung über die Zeitumstände zu meinen allgemeinern Betrachtungen zurück. Von dem, was ich über die Freunde und Zeitgenoßen gesagt, nehme ich mich keineswegs aus. Ich weiß gar wohl, daß viele meiner Arbeiten nur als Kunstübungen zu betrachten sind, die zum allgemeinen Anbau des poetischen Gebiets das Ihrige beitragen möchten, aber auf keine sehr eindringliche Wirkung Anspruch machen können. Diejenigen von meinen Gedichten, die am meisten das Gemüth bewegen, sind gewiß die, wo mich ein persönliches Gefühl trieb, wie die Elegie über meinen verstorbenen Bruder und die Todtenopfer. Auch von der Elegie über Rom hoffe ich, daß sie den gehörigen strengen Nachdruck hat, weil ich von der Gegegenwart eines großen geschichtlichen und dennoch gewissermaßen noch sichtbaren Gegenstandes erfüllt war. – Viele Dichtungen unserer Freunde können allerdings sehr rühren und bewegen. So das Leben Berglingers im Klosterbruder, Novalis geistliche Lieder, Alarcos, Genoveva etc. Alarcos ist fast übertrieben drastisch und hat daher auch seine Wirkung auf der Bühne nicht verfehlt, aber der beständige Wechsel und das Weitgesuchte in den Silbenmaßen läßt wiederum einen nicht völlig auf’s Reine gebrachten Kunstversuch erkennen. In der Genoveva ist nur in der ersten Hälfte das Phantastische zu sehr verschwendet, oder vielmehr nicht genugsam zusammengedrängt und auf wenige Brennpunkte versammelt. In dem bewundernswürdigen Oktavian finde ich, besonders im zweiten Theil, die komischen Scenen weit kräftiger und wahrhaft poetischer, als die phantastischen, die manchmal viel zu weit ausgesponnen sind und in’s Blaue allegorischer Anspielungen ermüdend verschwimmen. Er hat die orientalische Sinnlichkeit mehr didaktisch abgehandelt, als sie wie einen elektrischen Funken sprühen laßen. (Beiläufig zu bemerken, so sind auch die Verse zuweilen gar zu unbillig vernachläßigt.) – Das merkwürdigste Beispiel aber von den Usurpationen der Phantasie über das Gefühl finde ich und fand ich immer im Lacrimas, wo unter blendender Farbenpracht die Herzenskälte sich nicht verbergen kann, und alle Ausdrücke der Liebe, Sehnsucht, Wehmuth u.s.w. in eine bloße Bilderleerheit übergegangen sind. Laß dich’s nicht befremden, daß ich hier strenger urtheile, als du es vielleicht von mir zu hören gewohnt bist. Ich habe gleich beim ersten Eindrucke so empfunden, allein im Augenblicke der Hervorbringung und Erscheinung bin ich aus Grundsatz für die Werke meiner Freunde parteiisch; auch jetzt würde ich mich wohl hüten, so etwas öffentlich, ja nur anders als im engsten Vertrauen zu sagen, so lange das Vortreffliche an ihnen nur so unvollkommen anerkannt wird. Wende mir nicht meine Vorliebe für den so phantastischen, musikalischen und farbenspielenden Calderon ein. Meine Bewunderung hat alles, was ich von ihm kenne; mein Herz haben ihm Stücke, wie die Andacht zum Kreuze und der standhafte Prinz, gewonnen. Wo religiöser oder nationaler Enthusiasmus eintritt, da ist er es selbst; im Uebrigen offenbart sich nur der große Künstler. Aber auch da sorgt er immer zuerst, sei es nun im Wunderbaren, Witzigen oder Pathetischen, für das was am unmittelbarsten wirkt, für rasche Bewegung und frische Lebenskraft.
Um in eine andere Region herabzusteigen: woher kommt denn Schillers großer Ruhm und Popularität anders als daher, daß er sein ganzes Leben hindurch (etwa die romantische Fratze der Jungfrau von Orleans und die tragische Fratze der Braut von Messina ausgenommen, welche deswegen auch nicht die geringste Rührung hervorbringen konnten) dem nachgejagt hat, was ergreift und erschüttert, er mochte es nun per fas aut nefas habhaft werden? Der Irrthum des Publikums lag nicht in der Wirkung selbst, sondern in der Unbekanntschaft mit Schillers Vorbildern, und der Unfähigkeit das übel verknüpfte Gewebe seiner Kompositionen zu entwirren. – Sein Wilhelm Tell hat mich fast mit ihm ausgesöhnt, wiewohl er ihn, möchte ich sagen, mehr Johannes Müller als sich selbst zu danken hat.
Was den Werken der neuesten Periode zur vollkommen gelungenen Wirkung fehlt, liegt keineswegs an dem Maße der aufgewandten Kraft, sondern an der Richtung und Absicht. Man kann aber so viel Tapferkeit, Stärke und Uebung in den Waffen bei einem Kampfsspiel aufwenden, als bei einer Schlacht, wo es Freiheit, Vaterland, Weib und Kind, die Gräber der Vorfahren und die Tempel der Götter gilt; aber du wirst mir zugeben, daß die Erwartung der Entscheidung hier die Gemüther der theilnehmenden Zuschauer ganz anders bewegt als dort.
Jene Richtung rührt zum Theil von den Umständen her, unter welchen wir die Poesie wieder zu beleben gesucht haben. Wir fanden eine solche Waffe prosaischer Plattheit vor, so erbärmliche Götzen des öffentlichen Beifalls, daß wir so wenig als möglich mit einem gemeinen Publikum wollten zu schaffen haben, und beschloßen, für die Paar Dutzend ächte Deutsche, welche in unsern Augen die einzige Nation ausmachten, ausschließend zu dichten. Ich mache dieses Recht dem Dichter auch nicht im mindesten streitig! nur der dramatische (wenigstens theatralische) hat die Aufgabe populär zu sein, den Gebildetsten zu genügen und den großen Haufen anzulocken, was auch Shakspeare und Calderon geleistet haben. – – –
Sieh in Allem nur meine Liebe zu dir und deiner Poesie, deren Gedeihen mir so sehr am Herzen liegt. Du wirst dich erinnern, daß ich schon ehedem solche Ermahnungen an dich ergehen laßen, und deine Gattin stimmte mir darin bei, als wir den Anfang des Falken lasen. Lieber Freund, was soll ich sagen? Du bist allzu glücklich und es von jeher gewesen. Ein recht herzhaftes Unglück in deiner frühen Jugend hätte dir großen Vortheil schaffen können. Nun wolle der Himmel auf alle Weise verhüten, daß du es noch nachholen solltest. Du hast zwar eine Zeit lang verlaßen in der Asche gelebt, aber bald hat dich eine wohlthätige Zauberin in ihren Kreiß gezogen, wo du nun heitere und selige Tage lebst. Benutze fernerhin deine Muße zu schönen Dichtungen, begeistere dich, wie du es immer gethan, an den alten Denkmalen unserer Poesie und Geschichte, und wenn es noch eines besondern Sporns zu Behandlung nationaler Gegenstände bedarf, so sieh die jetzige Versunkenheit an, gegen das, was wir vormals waren, und – faciat indignato versum.
Nun einige Nachrichten von den Freunden und mir. Daß mein Bruder vorigen Herbst sechs Wochen in Coppet bei uns war, wirst du wißen. Du kannst denken, wie lebhaft unsere Mittheilungen über alle Gegenstände des beiderseitigen Nachdenkens waren. Er hat mir eine große Lust zur orientalischen Litteratur gemacht, besonders zur persischen und indischen, und ich gehe gewiß daran, sobald sich Gelegenheit findet, was aber nicht eher sein dürfte als bei einem längern Aufenthalt in Paris oder London. Von hier gieng Friedrich nach Paris, wo er einen großen Theil des Winters zugebracht und viel am Indischen gearbeitet hat. Unter andern hat er eine Abschrift der Sakontala zum Behuf einer neuen Uebersetzung genommen. Er schreibt die indischen Lettern so vertrefflich wie irgend ein Bramine, mit welchem Charakterer überhaupt immer mehr Aehnlichkeit gewinnt. In Köln hat er seine orientalischen Studien nicht weiter führen, sondern nur die schon gemachten ordnen und entwickeln können. Dagegen hat er sich mit dem Mittelalter, der deutschen Geschichte, den Kirchenvätern u.s.w. beschäftigt. Ich fordere ihn sehr auf zu einer Geschichte der Deutschen. –
Von Ludwig Tiecks Arbeiten in Rom habe ich bis jetzt nichts vernommen, sei es, daß ihn seine Gesundheit, Stimmung, oder die Betrachtung so vieler neuen Gegenstände bis jetzt abgehalten, oder man es mir nur nicht gemeldet hat. – Ohne Zweifel wird doch die südliche Kunstwelt sehr befruchtend auf seinen Geist wirken. – Sophie Tieck hat sich vorgenommen, sobald es ihre Gesundheit erlaubt, die altdeutschen Manuskripte im Vatikan genau durchzugehen. – Der Bildhauer hat erst Zeit nöthig gehabt, sich nach Betrachtung der großen Kunstwerke wieder zu sammeln. Jetzt arbeitet er an einem Basrelief für Reckers Grabmal. – Vom sogenannten Maler Müller schreiben mit die Freunde aus Rom viel Gutes; ich habe ihn nur sehr flüchtig gesehen, weil er den Prinzen von Baiern herumführte, und also niemals zu haben war. Die andern deutschen und deutschgesinnten Künstler in Rom hiengen sehr an mir.
Du kannst denken, daß ich während der sieben Monate in Italien nicht viel Muße zu andern Studien übrig hatte, als die, welche der gegenwärtige Gegenstand forderte. In Rom haben mich die geschichtlichen Alterthümer fast noch mehr beschäftigt als die Kunst. Die Elegie habe ich dort angefangen, aber erst in Coppet vollendet. Du begreifst wohl, daß man ein solches Gedicht nicht in der Geschwindigkeit macht. Schreibe mir, wie es dir gefallen. Viele specielle Anspielungen müßen freilich für den verloren gehen, der nicht in Rom gewesen. – Einen Aufsatz von mir über die Künstler in Rom, den ich auch seit der Zurückkunft geschrieben, wirst du im Intelligenzblatt der Jenaischen Allg. Lit. Zeit. gelesen haben. – Ferner habe ich viel über die Etymologie, besonders des Lateinischen aufgeschrieben; doch bin ich seit dem Winter von diesem Studium, in welches ich gleich leidenschaftlich hineingerathen, abgelenkt worden. Endlich habe ich im Herbst, als Versuch, ob ich in französischer Sprache öffentlich auftreten könnte, einen philosophischen Aufsatz angefangen über Geschichte der Menschheit, der Religion u.s.w. Ich habe etwa 80 Seiten geschrieben, die außerordentlichen Beifall gefunden haben, besonders auch von Seite des Stils. Verschmähe diese Fertigkeit nicht, wozu mich meine Lebensweise einladet; man soll ja auch den Heiden das Evangelium predigen. Es könnte sein, daß ich in einiger Zeit mit einer Schrift über das Theater auftrete, besonders mit polemischen Zwecken gegen das französische Theater.
Von Shakspeare und Calderon habe ich die versprochenen folgenden Bände immer noch nicht fertig. Sie drücken mich auf dem Herzen wie Marmelsteine und fügen mir ein wahres Uebel zu. Meine Reisen und andere Zerstreuungen ziehen mich von anhaltender Arbeit daran ab, und doch läßt der Gedanke, daß dieses zuvörderst geleistet werden muß, mich nicht mit ungetheiltem Geist andere Pläne ausbilden. Doch hoffe ich in ein Paar Monaten damit zu Stande zu sein. Das poetische Uebersetzen ist eine Kunst, die man sehr schwer lernt und äußerst leicht verlernt; wenn man nicht beständig in das Joch eingezwängt ist, weiß man es nicht mehr zu tragen. Jedoch habe ich lachen müßen über das Anstellen von Heinse mit seiner sinnlosen prosaischen Uebersetzung von Ariost, in den Briefen an Gleim. – Was ist es denn mit einer Bearbeitung des Hamlet von Musje Schütz in Halle, die ich angekündigt gesehen? Es wird wohl halb ein Plagiat und halb eine Sauerei sein.
Melde mir recht viel von den Vorfällen in unserer Litteratur, nicht nur von den eigentlichen Werken, sondern auch dem Gange der Zeitschriften, dem Theater, den Schreiern und andern Anekdoten; auch von den diis minorium gentium, den neuen Spatzen, welche geflogen und den Künstlern, welche geplatzt sind. – Bis zur Ostermesse 1805 habe ich ziemlich viel neue Sachen erhalten. – Wie treibt’s nur der alte Goethe? Ich höre, er hat Stella zu einem Trauerspiele umgearbeitet, worin Fernando und Stella verdientermaßen umkommen. Es scheint, er will alle seine Jugendsünden wieder gut machen; er hat schon vorlängst mit Claudine von Villa Bella angefangen. Nur vor einer Sünde hütet er sich nicht, die am wenigsten Verzeihung hoffen kann, nämlich der Sünde wider den heiligen Geist. Sein Winckelmann, das sind wieder verkleidete Propyläen, die also das Publikum doch auf alle Weise hinunterwürgen soll. Und was soll uns eine steife, ganz französisch lautende Uebersetzung eines Dialogs, den Diderot selbst vermuthlich verworfen hat? Ich habe recht über die barbarische Avantage lachen müßen, die Shakspeare und Calderon bei ihren Stücken gehabt haben sollen. Dieß ist eine wahrhaft barbarische Art zu schreiben, dergleichen sich jene Großen nie zu Schulden kommen laßen. Man versichert uns, daß Goethe im Gespräch unverholen Partei gegen die neue Schule nimmt, und das ist ganz in der Ordnung. Warum zieht er nicht gedruckt gegen sie zu Felde? – Hast du Müllers Bekanntschaft gemacht? Das ist ein göttlicher Mensch, bei solcher Begeisterung von so unergründlich tiefer Gelehrsamkeit. Ich habe eine verwirrte Nachricht gehört von einer neuen Schrift von ihm; was ist es denn damit?
Vergilt mir nicht Gleiches mit Gleichem, geliebter Freund, und schreibe mir ohne Zögern, ich will es dann auch zuverläßig fortsetzen. – Lebe tausendmal wohl; ich schließe dich und die Deinigen in mein Herz.
Laß dich herzlich umarmen, mein geliebter Freund und Bruder, und dir meinen Dank sagen für dein schönes Geschenk, einen rührenden Beweis deiner Liebe zu dem Entfernten, und der durch sein Stillschweigen dich vergeßen zu haben scheinen konnte. Andere werden es dir nicht leicht glauben, daß du mein Schüler seist, ich selbst aber kann nicht umhin, beschämt darein zu willigen, wenn du diesem freundlichen Irrthum noch treu bleiben willst: es ist das schönste Blatt in dem mäßigen Lorber, den mir meine dichterischen Bestrebungen verdient haben. – Ich wollte auf deine Zueignung, die mir erst geraume Zeit nach meiner Zurückkunft aus Italien nebst den Schauspielen zu Handen gekommen, in einem Gedicht antworten, und dieß, um dich damit zu überraschen, irgendwo in ein öffentliches Blatt einrücken laßen:
Fern an Posilipp’s Bucht, und der gelblichen Tiber Gestade,
Wandelt’ ich, da du den Gruß, trautester Freund! mir gesandt.
Nun erst, seit ich die Alpen dahinten im Süden zurückließ u. s. w.
Zufällig aber versäumte ich den rechten Zeitpunkt dazu. Indessen habe ich, wie Pindar sagt, viele Pfeile in meinem Köcher, und denke es dir zu anderer Zeit nicht unwürdig zu erwidern. – Ich habe deine Schauspiele mit großer Aufmerksamkeit und ungemeinem Genuß vielfältig gelesen, und hätte Stunden, ja Tage lang mit dir darüber zu schwatzen, wenn uns der Himmel die Freude des Wiedersehens gönnen wollte. In einem Briefe muß ich mich aber schon kürzer faßen. Im Allgemeinen also: ich habe hier alle die Vorzüge, kunstreicher auf umfaßendere Stoffe verwandt, wiedergefunden, womit die dramatischen Spiele glänzen: eine durchaus edle, zarte und gebildete Sinnesart, frische Jugendlichkeit, zierliche Feinheit, gewandte Bewegung, viel Sinnreiches in der Erfindung und sichere Fertigkeit in der Behandlung. In Sprache und Versbau besitzest du eine ungemeine Fülle und Mannichfaltigkeit; die einzigen Klippen, wovor du Dich meines Bedünkens zu hüten hast, sind Dunkelheit, welche aus allzu künstlichen Wendungen entspringt, und Härte aus dem Streben nach Gedrängtheit. Mit vielem Geschick verflichtst du zuweilen prosaische Bestandtheile in den Ausdruck, wodurch er neuer und eigener erscheint, doch hüte dich, dieß Mittel allzufreigebig zu gebrauchen. – – So viel ist ausgemacht, vor einer geringen Anzahl Jahre wäre es noch unmöglich gewesen, alles dieß mit so vieler anscheinenden Leichtigkeit zu leisten. Es hat tief in den Schacht unsrer Sprache gegraben, die Kunst des Versbaues hat gleichsam in eine ganz andere Region gesteigert werden müßen, um dergleichen möglich zu machen. Aber was vor ein zwanzig Jahren ein großes Aufheben würde veranlaßt haben, das nehmen die gedankenlosen Leser jetzt so hin, als müßte es nur so sein; es scheint, daß ihre Unempfänglichkeit in demselben Verhältniße zunimmt, wie die Fülle blühender Talente, die sich seit Kurzem entfaltet haben. Ich glaube hievon den Grund einzusehen, doch muß ich dazu etwas weiter ausholen.
Wie Goethe, als er zuerst auftrat, und seine Zeitgenoßen, Klinger, Lenz u. s. w. (diese mit roheren Mißverständnissen) ihre ganze Zuversicht auf Darstellung der Leidenschaften setzten, und zwar mehr ihres äußeren Ungestüms als ihrer innern Tiefe, so meine ich, haben die Dichter der letzten Epoche die Phantasie, und zwar die bloß spielende, müßige, träumerische Phantasie, allzusehr zum herrschenden Bestandtheil ihrer Dichtungen gemacht. Anfangs mochte dieß sehr heilsam und richtig sein, wegen der vorhergegangenen Nüchternheit und Erstorbenheit dieser Seelenkraft. Am Ende aber fordert das Herz seine Rechte wieder, und in der Kunst wie im Leben ist doch das Einfältigste und Nächste wieder das Höchste. Warum fühlen wir die romantische Poesie inniger und geheimnißvoller als die klassische? Weil die Griechen nur die Poetik der Freude ersonnen hatten. Der Schmerz ist aber poetischer als das Vergnügen, und der Ernst als der Leichtsinn.
Mißverstehe mich nicht, ich weiß wohl, daß es auch einen peinlichen Ernst und einen ätherischen Leichtsinn giebt. Die Poesie, sagt man, soll ein schönes und freies Spiel sein. Ganz recht, in so fern sie keinen untergeordneten, beschränkten Zwecken dienen soll. Allein wollen wir sie bloß zum Festtagsschmuck des Geistes? zur Gespielin seiner Zerstreuung? oder bedürfen wir ihrer nicht weit mehr als einer erhabenen Trösterin in den innerlichen Drangsalen eines unschlüßigen, zagenden, bekümmerten Gemüths, folglich als der Religion verwandt? Darum ist das Mitleid die höchste und heiligste Muse. Mitleid nenne ich das tiefe Gefühl des menschlichen Schicksals, von jeder selbstischen Regung geläutert und dadurch schon in die religiöse Sphäre erhoben. Darum ist ja auch die Tragödie und was im Epos ihr verwandt ist, das Höchste der Poesie. Was ist es denn, was im Homer, in den Nibelungen, im Dante, im Shakspeare die Gemüther so unwiderstehlich hinreißt, als jener Orakelspruch des Herzens, jene tiefen Ahnungen, worin das dunkle Räthsel unseres Daseins sich aufzulösen scheint?
Nimm dazu, daß die Poesie, um lebendig zu wirken, immer in einem gewissen Gegensatze mit ihrem Zeitalter stehen muß. Die spanische, die spielendste, sinnreichste, am meisten gaukelnd phantastische, ist in der Epoche des stolzesten Ehrgefühls der Nation und unter der Fülle kräftiger Leidenschaften und eines überströmenden Muthes entstanden. Unsere Zeit krankt gerade an allem, was dem entgegengesetzt ist, an Schlaffheit, Unbestimmtheit, Gleichgültigkeit, Zerstücklung des Lebens in kleinliche Zerstreuungen und an Unfähigkeit zu großen Bedürfnissen, an einem allgemeinen mit-dem-Strom-Schwimmen, in welche Sümpfe des Elends und der Schande er auch hinunter treiben mag. Wir bedürften also einer nicht träumerischen, sondern wachen, unmittelbaren, energischen und besonders einer patriotischen Poesie. Dieß ist eine gewaltsame, hartprüfende, entweder aus langem unsäglichem Unglück eine neue Gestalt der Dinge hervorzurufen oder auch die ganze europäische Bildung unter einem einförmigen Joch zu vernichten bestimmte Zeit. Vielleicht sollte, so lange unsere nationale Selbstständigkeit, ja die Fortdauer des deutschen Namens so dringend bedroht wird, die Poesie bei uns ganz der Beredsamkeit weichen, einer Beredsamkeit, wie z.B. Müllers Vorrede zum vierten Bande seiner Schweizergeschichte. Ich gestehe, daß ich für Gedichte, wie die meines Bruders auf den Rhein in der Europa und dem Taschenbuch, viele andere von ihm hingeben würde. – Wer wird uns Epochen der deutschen Geschichte, wo gleiche Gefahren uns drohten, und durch Biedersinn und Heldenmuth überwunden wurden, in einer Reihe Schauspiele, wie die historischen von Shakspeare, allgemein verständlich und für die Bühne aufführbar darstellen? Tieck hatte ehemals diesen Plan mit dem dreißigjährigen Kriege, hat ihn aber leider nicht ausgeführt. Viele andere Zeiträume, z. B. die Regierungen Heinrichs des Vierten, der Hohenstaufen u.s.w. würden eben so reichhaltigen Stoff darbieten. Warum unternimmst du nicht dieß oder etwas Aehnliches?
Doch ich kehre von dieser speciellen Abschweifung über die Zeitumstände zu meinen allgemeinern Betrachtungen zurück. Von dem, was ich über die Freunde und Zeitgenoßen gesagt, nehme ich mich keineswegs aus. Ich weiß gar wohl, daß viele meiner Arbeiten nur als Kunstübungen zu betrachten sind, die zum allgemeinen Anbau des poetischen Gebiets das Ihrige beitragen möchten, aber auf keine sehr eindringliche Wirkung Anspruch machen können. Diejenigen von meinen Gedichten, die am meisten das Gemüth bewegen, sind gewiß die, wo mich ein persönliches Gefühl trieb, wie die Elegie über meinen verstorbenen Bruder und die Todtenopfer. Auch von der Elegie über Rom hoffe ich, daß sie den gehörigen strengen Nachdruck hat, weil ich von der Gegegenwart eines großen geschichtlichen und dennoch gewissermaßen noch sichtbaren Gegenstandes erfüllt war. – Viele Dichtungen unserer Freunde können allerdings sehr rühren und bewegen. So das Leben Berglingers im Klosterbruder, Novalis geistliche Lieder, Alarcos, Genoveva etc. Alarcos ist fast übertrieben drastisch und hat daher auch seine Wirkung auf der Bühne nicht verfehlt, aber der beständige Wechsel und das Weitgesuchte in den Silbenmaßen läßt wiederum einen nicht völlig auf’s Reine gebrachten Kunstversuch erkennen. In der Genoveva ist nur in der ersten Hälfte das Phantastische zu sehr verschwendet, oder vielmehr nicht genugsam zusammengedrängt und auf wenige Brennpunkte versammelt. In dem bewundernswürdigen Oktavian finde ich, besonders im zweiten Theil, die komischen Scenen weit kräftiger und wahrhaft poetischer, als die phantastischen, die manchmal viel zu weit ausgesponnen sind und in’s Blaue allegorischer Anspielungen ermüdend verschwimmen. Er hat die orientalische Sinnlichkeit mehr didaktisch abgehandelt, als sie wie einen elektrischen Funken sprühen laßen. (Beiläufig zu bemerken, so sind auch die Verse zuweilen gar zu unbillig vernachläßigt.) – Das merkwürdigste Beispiel aber von den Usurpationen der Phantasie über das Gefühl finde ich und fand ich immer im Lacrimas, wo unter blendender Farbenpracht die Herzenskälte sich nicht verbergen kann, und alle Ausdrücke der Liebe, Sehnsucht, Wehmuth u.s.w. in eine bloße Bilderleerheit übergegangen sind. Laß dich’s nicht befremden, daß ich hier strenger urtheile, als du es vielleicht von mir zu hören gewohnt bist. Ich habe gleich beim ersten Eindrucke so empfunden, allein im Augenblicke der Hervorbringung und Erscheinung bin ich aus Grundsatz für die Werke meiner Freunde parteiisch; auch jetzt würde ich mich wohl hüten, so etwas öffentlich, ja nur anders als im engsten Vertrauen zu sagen, so lange das Vortreffliche an ihnen nur so unvollkommen anerkannt wird. Wende mir nicht meine Vorliebe für den so phantastischen, musikalischen und farbenspielenden Calderon ein. Meine Bewunderung hat alles, was ich von ihm kenne; mein Herz haben ihm Stücke, wie die Andacht zum Kreuze und der standhafte Prinz, gewonnen. Wo religiöser oder nationaler Enthusiasmus eintritt, da ist er es selbst; im Uebrigen offenbart sich nur der große Künstler. Aber auch da sorgt er immer zuerst, sei es nun im Wunderbaren, Witzigen oder Pathetischen, für das was am unmittelbarsten wirkt, für rasche Bewegung und frische Lebenskraft.
Um in eine andere Region herabzusteigen: woher kommt denn Schillers großer Ruhm und Popularität anders als daher, daß er sein ganzes Leben hindurch (etwa die romantische Fratze der Jungfrau von Orleans und die tragische Fratze der Braut von Messina ausgenommen, welche deswegen auch nicht die geringste Rührung hervorbringen konnten) dem nachgejagt hat, was ergreift und erschüttert, er mochte es nun per fas aut nefas habhaft werden? Der Irrthum des Publikums lag nicht in der Wirkung selbst, sondern in der Unbekanntschaft mit Schillers Vorbildern, und der Unfähigkeit das übel verknüpfte Gewebe seiner Kompositionen zu entwirren. – Sein Wilhelm Tell hat mich fast mit ihm ausgesöhnt, wiewohl er ihn, möchte ich sagen, mehr Johannes Müller als sich selbst zu danken hat.
Was den Werken der neuesten Periode zur vollkommen gelungenen Wirkung fehlt, liegt keineswegs an dem Maße der aufgewandten Kraft, sondern an der Richtung und Absicht. Man kann aber so viel Tapferkeit, Stärke und Uebung in den Waffen bei einem Kampfsspiel aufwenden, als bei einer Schlacht, wo es Freiheit, Vaterland, Weib und Kind, die Gräber der Vorfahren und die Tempel der Götter gilt; aber du wirst mir zugeben, daß die Erwartung der Entscheidung hier die Gemüther der theilnehmenden Zuschauer ganz anders bewegt als dort.
Jene Richtung rührt zum Theil von den Umständen her, unter welchen wir die Poesie wieder zu beleben gesucht haben. Wir fanden eine solche Waffe prosaischer Plattheit vor, so erbärmliche Götzen des öffentlichen Beifalls, daß wir so wenig als möglich mit einem gemeinen Publikum wollten zu schaffen haben, und beschloßen, für die Paar Dutzend ächte Deutsche, welche in unsern Augen die einzige Nation ausmachten, ausschließend zu dichten. Ich mache dieses Recht dem Dichter auch nicht im mindesten streitig! nur der dramatische (wenigstens theatralische) hat die Aufgabe populär zu sein, den Gebildetsten zu genügen und den großen Haufen anzulocken, was auch Shakspeare und Calderon geleistet haben. – – –
Sieh in Allem nur meine Liebe zu dir und deiner Poesie, deren Gedeihen mir so sehr am Herzen liegt. Du wirst dich erinnern, daß ich schon ehedem solche Ermahnungen an dich ergehen laßen, und deine Gattin stimmte mir darin bei, als wir den Anfang des Falken lasen. Lieber Freund, was soll ich sagen? Du bist allzu glücklich und es von jeher gewesen. Ein recht herzhaftes Unglück in deiner frühen Jugend hätte dir großen Vortheil schaffen können. Nun wolle der Himmel auf alle Weise verhüten, daß du es noch nachholen solltest. Du hast zwar eine Zeit lang verlaßen in der Asche gelebt, aber bald hat dich eine wohlthätige Zauberin in ihren Kreiß gezogen, wo du nun heitere und selige Tage lebst. Benutze fernerhin deine Muße zu schönen Dichtungen, begeistere dich, wie du es immer gethan, an den alten Denkmalen unserer Poesie und Geschichte, und wenn es noch eines besondern Sporns zu Behandlung nationaler Gegenstände bedarf, so sieh die jetzige Versunkenheit an, gegen das, was wir vormals waren, und – faciat indignato versum.
Nun einige Nachrichten von den Freunden und mir. Daß mein Bruder vorigen Herbst sechs Wochen in Coppet bei uns war, wirst du wißen. Du kannst denken, wie lebhaft unsere Mittheilungen über alle Gegenstände des beiderseitigen Nachdenkens waren. Er hat mir eine große Lust zur orientalischen Litteratur gemacht, besonders zur persischen und indischen, und ich gehe gewiß daran, sobald sich Gelegenheit findet, was aber nicht eher sein dürfte als bei einem längern Aufenthalt in Paris oder London. Von hier gieng Friedrich nach Paris, wo er einen großen Theil des Winters zugebracht und viel am Indischen gearbeitet hat. Unter andern hat er eine Abschrift der Sakontala zum Behuf einer neuen Uebersetzung genommen. Er schreibt die indischen Lettern so vertrefflich wie irgend ein Bramine, mit welchem Charakterer überhaupt immer mehr Aehnlichkeit gewinnt. In Köln hat er seine orientalischen Studien nicht weiter führen, sondern nur die schon gemachten ordnen und entwickeln können. Dagegen hat er sich mit dem Mittelalter, der deutschen Geschichte, den Kirchenvätern u.s.w. beschäftigt. Ich fordere ihn sehr auf zu einer Geschichte der Deutschen. –
Von Ludwig Tiecks Arbeiten in Rom habe ich bis jetzt nichts vernommen, sei es, daß ihn seine Gesundheit, Stimmung, oder die Betrachtung so vieler neuen Gegenstände bis jetzt abgehalten, oder man es mir nur nicht gemeldet hat. – Ohne Zweifel wird doch die südliche Kunstwelt sehr befruchtend auf seinen Geist wirken. – Sophie Tieck hat sich vorgenommen, sobald es ihre Gesundheit erlaubt, die altdeutschen Manuskripte im Vatikan genau durchzugehen. – Der Bildhauer hat erst Zeit nöthig gehabt, sich nach Betrachtung der großen Kunstwerke wieder zu sammeln. Jetzt arbeitet er an einem Basrelief für Reckers Grabmal. – Vom sogenannten Maler Müller schreiben mit die Freunde aus Rom viel Gutes; ich habe ihn nur sehr flüchtig gesehen, weil er den Prinzen von Baiern herumführte, und also niemals zu haben war. Die andern deutschen und deutschgesinnten Künstler in Rom hiengen sehr an mir.
Du kannst denken, daß ich während der sieben Monate in Italien nicht viel Muße zu andern Studien übrig hatte, als die, welche der gegenwärtige Gegenstand forderte. In Rom haben mich die geschichtlichen Alterthümer fast noch mehr beschäftigt als die Kunst. Die Elegie habe ich dort angefangen, aber erst in Coppet vollendet. Du begreifst wohl, daß man ein solches Gedicht nicht in der Geschwindigkeit macht. Schreibe mir, wie es dir gefallen. Viele specielle Anspielungen müßen freilich für den verloren gehen, der nicht in Rom gewesen. – Einen Aufsatz von mir über die Künstler in Rom, den ich auch seit der Zurückkunft geschrieben, wirst du im Intelligenzblatt der Jenaischen Allg. Lit. Zeit. gelesen haben. – Ferner habe ich viel über die Etymologie, besonders des Lateinischen aufgeschrieben; doch bin ich seit dem Winter von diesem Studium, in welches ich gleich leidenschaftlich hineingerathen, abgelenkt worden. Endlich habe ich im Herbst, als Versuch, ob ich in französischer Sprache öffentlich auftreten könnte, einen philosophischen Aufsatz angefangen über Geschichte der Menschheit, der Religion u.s.w. Ich habe etwa 80 Seiten geschrieben, die außerordentlichen Beifall gefunden haben, besonders auch von Seite des Stils. Verschmähe diese Fertigkeit nicht, wozu mich meine Lebensweise einladet; man soll ja auch den Heiden das Evangelium predigen. Es könnte sein, daß ich in einiger Zeit mit einer Schrift über das Theater auftrete, besonders mit polemischen Zwecken gegen das französische Theater.
Von Shakspeare und Calderon habe ich die versprochenen folgenden Bände immer noch nicht fertig. Sie drücken mich auf dem Herzen wie Marmelsteine und fügen mir ein wahres Uebel zu. Meine Reisen und andere Zerstreuungen ziehen mich von anhaltender Arbeit daran ab, und doch läßt der Gedanke, daß dieses zuvörderst geleistet werden muß, mich nicht mit ungetheiltem Geist andere Pläne ausbilden. Doch hoffe ich in ein Paar Monaten damit zu Stande zu sein. Das poetische Uebersetzen ist eine Kunst, die man sehr schwer lernt und äußerst leicht verlernt; wenn man nicht beständig in das Joch eingezwängt ist, weiß man es nicht mehr zu tragen. Jedoch habe ich lachen müßen über das Anstellen von Heinse mit seiner sinnlosen prosaischen Uebersetzung von Ariost, in den Briefen an Gleim. – Was ist es denn mit einer Bearbeitung des Hamlet von Musje Schütz in Halle, die ich angekündigt gesehen? Es wird wohl halb ein Plagiat und halb eine Sauerei sein.
Melde mir recht viel von den Vorfällen in unserer Litteratur, nicht nur von den eigentlichen Werken, sondern auch dem Gange der Zeitschriften, dem Theater, den Schreiern und andern Anekdoten; auch von den diis minorium gentium, den neuen Spatzen, welche geflogen und den Künstlern, welche geplatzt sind. – Bis zur Ostermesse 1805 habe ich ziemlich viel neue Sachen erhalten. – Wie treibt’s nur der alte Goethe? Ich höre, er hat Stella zu einem Trauerspiele umgearbeitet, worin Fernando und Stella verdientermaßen umkommen. Es scheint, er will alle seine Jugendsünden wieder gut machen; er hat schon vorlängst mit Claudine von Villa Bella angefangen. Nur vor einer Sünde hütet er sich nicht, die am wenigsten Verzeihung hoffen kann, nämlich der Sünde wider den heiligen Geist. Sein Winckelmann, das sind wieder verkleidete Propyläen, die also das Publikum doch auf alle Weise hinunterwürgen soll. Und was soll uns eine steife, ganz französisch lautende Uebersetzung eines Dialogs, den Diderot selbst vermuthlich verworfen hat? Ich habe recht über die barbarische Avantage lachen müßen, die Shakspeare und Calderon bei ihren Stücken gehabt haben sollen. Dieß ist eine wahrhaft barbarische Art zu schreiben, dergleichen sich jene Großen nie zu Schulden kommen laßen. Man versichert uns, daß Goethe im Gespräch unverholen Partei gegen die neue Schule nimmt, und das ist ganz in der Ordnung. Warum zieht er nicht gedruckt gegen sie zu Felde? – Hast du Müllers Bekanntschaft gemacht? Das ist ein göttlicher Mensch, bei solcher Begeisterung von so unergründlich tiefer Gelehrsamkeit. Ich habe eine verwirrte Nachricht gehört von einer neuen Schrift von ihm; was ist es denn damit?
Vergilt mir nicht Gleiches mit Gleichem, geliebter Freund, und schreibe mir ohne Zögern, ich will es dann auch zuverläßig fortsetzen. – Lebe tausendmal wohl; ich schließe dich und die Deinigen in mein Herz.
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