• August Wilhelm von Schlegel to Johann Diederich Gries

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Jena · Date: 10.05.1799
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Diederich Gries
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Jena
  • Date: 10.05.1799
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 90‒93.
  • Incipit: „[1] Jena d. 10 May [17]99
    Erst heute gegen Abend brachte uns Ihr HE. Bruder Ihre Briefe und morgen früh reist er [...]“
    Manuscript
  • Provider: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg
  • Classification Number: SUB Hamburg : CS 4 : Schlegel AW : 2‒4
  • Number of Pages: 6 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
[1] Jena d. 10 May [17]99
Erst heute gegen Abend brachte uns Ihr HE. Bruder Ihre Briefe und morgen früh reist er schon ab; ich hatte grade noch andre abzufertigen, also müssen Sie für dießmal vorlieb nehmen. Ihre Zeilen nebst dem Buche habe ich richtig empfangen – auch die poetische Komposition der Göttingischen Metzger. Grüßen Sie Fiorillo ja, wenn Sie ihn sehen, und danken Sie ihm für das Geschenk, ich schreibe ihm nächstens.
Ihre Briefe erfreuen uns, wenn sie gleich kläglich lauten – um desto eher haben wir wohl Hoffnung Sie einmal wieder bey uns zu sehen. Daß Sie die Göttingische Welt erstaunlich weit zurück finden würden, sahe ich voraus – wenn nur Jena durch F[ichte]ʼs Entlassung nicht in der Folge eben dahin kommt! Es ist in seiner Sache eigentlich gar nichts weiter geschehen, außer die beiden Bittschriften der Studenten, die zweyte hatte St.[effens] aufgesetzt, sie war dem Anschein nach unterthänig, aber im Grunde äußerst keck, und hat gewiß die Herren recht sehr geärgert. Es wäre zu wünschen, daß sie gedruckt würde, weil in ihr der richtige Gesichtspunkt festgestellt, und die Hauptartikel von F[ichte]ʼs Rechtfertigung angegeben sind; und zwar daß sie in einer gelesenen Zeitung gedruckt würde, wozu man das seinige gethan hat. Man muß nun sehen.
[2] F.[ichte] muß den Druck seiner aktenmäßigen Erzählung noch aufschieben, und kann unterdessen nicht verhindern, daß nicht Stücke daraus sollten bekannt gemacht werden. Er ist noch immer hier, und sein Aufenthalt scheint sich in die Länge zu ziehen. Jetzt hat er freylich auch keine Eil. Die Begebenheiten des Krieges (die uns unsrerseits halb zur Verzweiflung bringen) mögen ihn sehr unentschlüssig machen, wohin er gehen soll.
Jakobiʼs Brief ist wirklich äußerst seelenvoll und beredt. Das philosophische darin steht ganz auf der rechten Höhe, und so kräftige und schöne Worte sind über F.[ichte] noch nicht gesprochen worden. Dagegen kann ich in seine Religion gar nicht eingehn – sie ist mir Aberglaube – ja der ganze Brief hat mich eigentlich überzeugt, daß Religion ohne Aberglauben gar nicht möglich ist, und daß daher die Philosophen besser thäten, die theologische Terminologie ganz abzuschaffen, und nicht mehr von dem bewußten alten Herrn zu reden. Jakobi erklärt F.[ichte] für einen Atheisten – und ich glaube daß er darin Recht hat, denn F.[ichte] ist nun einmal ganz und durchaus ein Philosoph, und der Theismus ist philo[3]sophisch unmöglich. Ich wollte F.[ichte] hätte nicht nöthig gehabt, sich überhaupt über seine Theologie zu vertheidigen, was er freylich wegen der Scheiterhaufen thun mußte, und hätte sich ganz ins Gebiet der Sittlichkeit zurückgezogen. – Dann mißbilligt Jakobi die Einrückung der Aufsätze, auch des Fichteschen, und zwar mit einer Wendung, die offenbar darauf geht, daß er eine esoterische und eine exoterische Wahrheit statuirt, und den gemeinen Mann, das dessous des cartes nicht will sehen lassen – ein Aristokratisches Prinzip, welches ich nun gar nicht leiden kann. Aus diesen Rücksichten kann ich die Bekanntmachung des Briefes nicht wünschen, ob sie gleich von der philosophischen Seite sehr interessant wäre.
Sie erhalten hier Ihre Manuscripte zurück, für die ich schon eine Gelegenheit suchte. Mir däucht, Sie müssen am Wanderer im wesentlichen nichts mehr ändern – die Ausführung ist schön und sorgfältig – was man an Bestimmtheit im Gange des Ganzen, und hervortretender Bedeutung einiger einzelnen Bilder vermissen möchte, liegt in der ersten Anlage, von der es mislich ist sich zu weit zu entfernen. [4] Es wird schon wieder Zeiten der Muße und des geistigen Genusses für Sie geben, wo Sie poetische Entwürfe ausführen können. – Wollen Sie dieß Gedicht nicht einstweilen in die Erhohlungen geben? Becker nimmt es gewiß mit vielem Vergnügen. Er zahlt Honorar, zwar nicht so, daß es für Gedichte ein angemeßner Preis wäre – aber den kann man ja auch fast nie erwarten – indessen man nimmt es mit. Er giebt 8 bis 10 rth. für den Bogen in dem sehr kleinen Format. Auch fürs Taschenbuch bittet er sehr um Beyträge, vor Ende Mays.
Wallensteins Tod wäre ich sehr begierig zu lesen: auf dem Theater hat uns die Wirkung nicht ganz befriedigt. Die Ermordung ging so still ab, daß man sie sich kaum als geschehen denken konnte. (Bey der zweyten Vorstellung hat man die Leiche in einen Teppich gewickelt, übers Theater getragen – das erstemal nichts.) Überhaupt vereinzelten sich die großen Schläge – gegen das Ende wollte es nicht rücken: nicht als wenn die Handlung langsamer ginge, aber sie beschleunigt wenigstens ihren Rhythmus nicht und das ist doch nothwendig. Die [5] Reden sollten kürzer werden, die Sentenzen wegbleiben pp. Die Szene zwischen Thekla und dem Schweden hat uns auch die rührendste geschienen.
Die Lucinde ist nicht fertig geworden aber ein Band Sh[akespeare] und Don Quixote. Goethe arbeitet an einem großen epischen Gedicht und ist jetzt wieder hier. Die Unzelmann ist nicht gekommen, ungeachtet sie noch von Wien aus Hoffnungen dazu gab.
Gestern gab ... ein zahlreiches Diné auf der Driesnitz, wo es recht hübsch war – so der erste Frühlings Ausflug. Es waren allerley Leute dabey zusammen, Hufelands, Paulus, Loders, Fichtes, Frommanns und – Kotzebueʼs! Ich habe nun also diesen hölzernen Götzen auch gesehen und gesprochen, der über die Maßen gewöhnlich, lahm und philisterhaft aussieht.
Wenn man in Göttingen von nichts weiß, so wird auch wohl die Ermordung der französischen Gesandten dort keine Sensation gemacht haben, die hier das Gespräch des Tages ist, und uns – nämlich uns Gutgesinnten! – aufs heftigste [6] erschüttert, indignirt, mit Grimm und Wünschen der Rache erfüllt hat. Doch das sind alles schwache Worte. Wenn Sie den Hamlet bey der Hand haben, so schlagen Sie nach S. 302, da stehn unsre eigentliche Gesinnungen unten in der Rede des Laertes. Wir hoffen indessen es soll gut für die gute Sache ausschlagen.
Schelling ist jetzt unser Tischgenosse. Steffens muß nun in Berlin seyn, ich bin begierig auf seine Bekanntschaft mit Fr. Schlegel und Schleyermacher. Hardenberg ist nicht hier gewesen.
Mein Gesang vom Ariost ist jetzt bald fertig – ich hatte ihn lange liegen lassen.
Leben Sie recht wohl – ich muß für heute schließen. Meine Frau grüßt bestens – sie hätte gern gleich heute geschrieben aber sie ist nicht ganz wohl. Adieu!
Ihr
A. W. S.

In den dictis des alten Heyne erkenne ich recht seinen Leineweber Styl.
[1] Jena d. 10 May [17]99
Erst heute gegen Abend brachte uns Ihr HE. Bruder Ihre Briefe und morgen früh reist er schon ab; ich hatte grade noch andre abzufertigen, also müssen Sie für dießmal vorlieb nehmen. Ihre Zeilen nebst dem Buche habe ich richtig empfangen – auch die poetische Komposition der Göttingischen Metzger. Grüßen Sie Fiorillo ja, wenn Sie ihn sehen, und danken Sie ihm für das Geschenk, ich schreibe ihm nächstens.
Ihre Briefe erfreuen uns, wenn sie gleich kläglich lauten – um desto eher haben wir wohl Hoffnung Sie einmal wieder bey uns zu sehen. Daß Sie die Göttingische Welt erstaunlich weit zurück finden würden, sahe ich voraus – wenn nur Jena durch F[ichte]ʼs Entlassung nicht in der Folge eben dahin kommt! Es ist in seiner Sache eigentlich gar nichts weiter geschehen, außer die beiden Bittschriften der Studenten, die zweyte hatte St.[effens] aufgesetzt, sie war dem Anschein nach unterthänig, aber im Grunde äußerst keck, und hat gewiß die Herren recht sehr geärgert. Es wäre zu wünschen, daß sie gedruckt würde, weil in ihr der richtige Gesichtspunkt festgestellt, und die Hauptartikel von F[ichte]ʼs Rechtfertigung angegeben sind; und zwar daß sie in einer gelesenen Zeitung gedruckt würde, wozu man das seinige gethan hat. Man muß nun sehen.
[2] F.[ichte] muß den Druck seiner aktenmäßigen Erzählung noch aufschieben, und kann unterdessen nicht verhindern, daß nicht Stücke daraus sollten bekannt gemacht werden. Er ist noch immer hier, und sein Aufenthalt scheint sich in die Länge zu ziehen. Jetzt hat er freylich auch keine Eil. Die Begebenheiten des Krieges (die uns unsrerseits halb zur Verzweiflung bringen) mögen ihn sehr unentschlüssig machen, wohin er gehen soll.
Jakobiʼs Brief ist wirklich äußerst seelenvoll und beredt. Das philosophische darin steht ganz auf der rechten Höhe, und so kräftige und schöne Worte sind über F.[ichte] noch nicht gesprochen worden. Dagegen kann ich in seine Religion gar nicht eingehn – sie ist mir Aberglaube – ja der ganze Brief hat mich eigentlich überzeugt, daß Religion ohne Aberglauben gar nicht möglich ist, und daß daher die Philosophen besser thäten, die theologische Terminologie ganz abzuschaffen, und nicht mehr von dem bewußten alten Herrn zu reden. Jakobi erklärt F.[ichte] für einen Atheisten – und ich glaube daß er darin Recht hat, denn F.[ichte] ist nun einmal ganz und durchaus ein Philosoph, und der Theismus ist philo[3]sophisch unmöglich. Ich wollte F.[ichte] hätte nicht nöthig gehabt, sich überhaupt über seine Theologie zu vertheidigen, was er freylich wegen der Scheiterhaufen thun mußte, und hätte sich ganz ins Gebiet der Sittlichkeit zurückgezogen. – Dann mißbilligt Jakobi die Einrückung der Aufsätze, auch des Fichteschen, und zwar mit einer Wendung, die offenbar darauf geht, daß er eine esoterische und eine exoterische Wahrheit statuirt, und den gemeinen Mann, das dessous des cartes nicht will sehen lassen – ein Aristokratisches Prinzip, welches ich nun gar nicht leiden kann. Aus diesen Rücksichten kann ich die Bekanntmachung des Briefes nicht wünschen, ob sie gleich von der philosophischen Seite sehr interessant wäre.
Sie erhalten hier Ihre Manuscripte zurück, für die ich schon eine Gelegenheit suchte. Mir däucht, Sie müssen am Wanderer im wesentlichen nichts mehr ändern – die Ausführung ist schön und sorgfältig – was man an Bestimmtheit im Gange des Ganzen, und hervortretender Bedeutung einiger einzelnen Bilder vermissen möchte, liegt in der ersten Anlage, von der es mislich ist sich zu weit zu entfernen. [4] Es wird schon wieder Zeiten der Muße und des geistigen Genusses für Sie geben, wo Sie poetische Entwürfe ausführen können. – Wollen Sie dieß Gedicht nicht einstweilen in die Erhohlungen geben? Becker nimmt es gewiß mit vielem Vergnügen. Er zahlt Honorar, zwar nicht so, daß es für Gedichte ein angemeßner Preis wäre – aber den kann man ja auch fast nie erwarten – indessen man nimmt es mit. Er giebt 8 bis 10 rth. für den Bogen in dem sehr kleinen Format. Auch fürs Taschenbuch bittet er sehr um Beyträge, vor Ende Mays.
Wallensteins Tod wäre ich sehr begierig zu lesen: auf dem Theater hat uns die Wirkung nicht ganz befriedigt. Die Ermordung ging so still ab, daß man sie sich kaum als geschehen denken konnte. (Bey der zweyten Vorstellung hat man die Leiche in einen Teppich gewickelt, übers Theater getragen – das erstemal nichts.) Überhaupt vereinzelten sich die großen Schläge – gegen das Ende wollte es nicht rücken: nicht als wenn die Handlung langsamer ginge, aber sie beschleunigt wenigstens ihren Rhythmus nicht und das ist doch nothwendig. Die [5] Reden sollten kürzer werden, die Sentenzen wegbleiben pp. Die Szene zwischen Thekla und dem Schweden hat uns auch die rührendste geschienen.
Die Lucinde ist nicht fertig geworden aber ein Band Sh[akespeare] und Don Quixote. Goethe arbeitet an einem großen epischen Gedicht und ist jetzt wieder hier. Die Unzelmann ist nicht gekommen, ungeachtet sie noch von Wien aus Hoffnungen dazu gab.
Gestern gab ... ein zahlreiches Diné auf der Driesnitz, wo es recht hübsch war – so der erste Frühlings Ausflug. Es waren allerley Leute dabey zusammen, Hufelands, Paulus, Loders, Fichtes, Frommanns und – Kotzebueʼs! Ich habe nun also diesen hölzernen Götzen auch gesehen und gesprochen, der über die Maßen gewöhnlich, lahm und philisterhaft aussieht.
Wenn man in Göttingen von nichts weiß, so wird auch wohl die Ermordung der französischen Gesandten dort keine Sensation gemacht haben, die hier das Gespräch des Tages ist, und uns – nämlich uns Gutgesinnten! – aufs heftigste [6] erschüttert, indignirt, mit Grimm und Wünschen der Rache erfüllt hat. Doch das sind alles schwache Worte. Wenn Sie den Hamlet bey der Hand haben, so schlagen Sie nach S. 302, da stehn unsre eigentliche Gesinnungen unten in der Rede des Laertes. Wir hoffen indessen es soll gut für die gute Sache ausschlagen.
Schelling ist jetzt unser Tischgenosse. Steffens muß nun in Berlin seyn, ich bin begierig auf seine Bekanntschaft mit Fr. Schlegel und Schleyermacher. Hardenberg ist nicht hier gewesen.
Mein Gesang vom Ariost ist jetzt bald fertig – ich hatte ihn lange liegen lassen.
Leben Sie recht wohl – ich muß für heute schließen. Meine Frau grüßt bestens – sie hätte gern gleich heute geschrieben aber sie ist nicht ganz wohl. Adieu!
Ihr
A. W. S.

In den dictis des alten Heyne erkenne ich recht seinen Leineweber Styl.
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