• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Bern · Place of Destination: Unknown · Date: 29.08.1811
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Bern
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 29.08.1811
  • Typ: Deutsche Übersetzung
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 248–250.
  • Incipit: „29. August 1811.
    Liebe Freundin!
    Ich bin überzeugt, daß Sie gar keinen Grund haben, sich um B[enjamin] C[onstant] zu sorgen. Wie leicht können [...]“
    Language
  • German
29. August 1811.
Liebe Freundin!
Ich bin überzeugt, daß Sie gar keinen Grund haben, sich um B[enjamin] C[onstant] zu sorgen. Wie leicht können Briefe bei diesen Entfernungen sich verspäten, besonders in Norddeutschland! Wäre ihm wirklich etwas zugestoßen, so würde man es schon lange wissen.
Ihre Aufträge habe ich alle erledigt. Ich habe zwei Unterschriften von Herr d’O., aber nach den neuen bayr[ischen] Verordnungen ist noch eine dritte nötig: doch ich wollte sie mir nicht ohne Ihre Erlaubnis verschaffen. Es kostet eine neue Reise von zwei Wegstunden, und es wäre unvorsichtig, um diese Unterschrift lange vorher zu bitten: aber wenn ich sie erst in dem Augenblick fordere, wo ich sie nötig habe, wird es – das verspreche ich Ihnen – nicht mehr unklug sein.
Im übrigen hat Herr d’O. keine so wichtige Stellung, daß er über sehr wirksame Verbindungen verfügte oder ausgezeichnet über alle Vorgänge informiert wäre. Er lebt ganz allein auf dem Lande, man sagt: aus Sparsamkeitsgründen, da seine Verhältnisse etwas in Unordnung geraten sind – er rechnet sogar damit, dort auch im Winter zu bleiben. Das ist natürlich nicht die Lebensart eines Diplomaten von wirklicher Bedeutung.
Mit Herrn M[ousson] in S[olothurn] steht es da ganz anders: er weiß wirklich über alles Bescheid. Er äußerte sich sehr bescheiden über ihre Anerkennung, durch die er sich sehr geschmeichelt fühlt – er empfindet die Schwierigkeit seiner Stellung sehr stark. Alle Menschen waren zuerst von dem, was er tat, begeistert; als die Sache aber schlecht auslief, wurde er hinterher heftig getadelt. über meine Angelegenheit sprach er ganz offen und vertrauensvoll, aber doch für mich nicht sehr beruhigend. Er glaubt zwar nicht, daß der Präfekt, wenn ich bei Ihnen – etwa in Lausanne – bliebe, sich unmittelbar an die Kantonalregierung wenden würde, aber daß die Angelegenheit auf dem offiziellen Wege durch das Polizei- und Außenministerium gehen und dies Herrn von Falk beauftragen würde, die Sache vor den Landammann zu bringen, der sie seinerseits der Kantonalregierung zur Kenntnis geben würde.
Doch für diesen Fall könne er mir wenig Schutz versprechen; die allgemeine Lage sei so verwickelt, sagte er, die öffentlichen Angelegenheiten beanspruchten so sehr das Interesse und erschöpften so sehr alle Mittel, die etwa da sind, daß für persönliche Interessen nichts übrig bliebe; so würde man unter solchen Umständen sich dann verpflichtet fühlen, der Forderung des mächtigen Verbündeten ohne weiteres nachzukommen. Der Titel eines Grundbesitzers, den ich erst erworben hätte, nachdem die Schritte in Genf gegen mich unternommen waren, würde weniger ins Gewicht fallen. Im übrigen verliehe der Besitz allein noch nicht das Bürgerrecht, man müsse sich auch noch einbürgern lassen, was jedoch weder viel Kosten noch Schwierigkeiten verursache.
Wenn man es aber trotzdem versuchen wolle, so meinte er, wäre es nicht unangebracht, irgend ein Mitglied des Kleinen Rats in Lausanne, etwa Herrn d’Arlens, zu befragen, um dort die Stimmung kennen zu lernen – für den wenig wahrscheinlichen Fall, daß der Präfekt sich unmittelbar an ihn wendete. Er meinte, der Kanton würde zuerst einer solchen Forderung nicht nachgeben, sondern die Entscheidung dem Landammann anheimstellen.
Sehen Sie zu, was Sie mit mir machen wollen. Ich komme, wohin Sie wollen, – nach Coppet mit doppeltem Vergnügen, weil ich da in unmittelbarer Nähe des Präfekten bin; aber sollten Sie ihn etwa für mich in diesem Falle darum als um eine Gnade bitten, so würde ich Ihnen das weder im Leben noch im Tode verzeihen.
Liebe Freundin! Sie sind wie eine Kranke, die sich zugleich an mehrere Ärzte wendet – Sie haben zuviel Freunde, die Ihnen alle einen guten Rat geben wollen. Frau Réc[amier] ist sicher eine zuverlässige Freundin und Ihnen sehr ergeben, aber sie sieht natürlich die Dinge von ihrem persönlichen Standpunkt aus, und ihr Gesichtskreis ist auf Paris beschränkt – außerhalb dieser Stadt existiert für sie keine Welt. Wovon kann sie mit Ihnen reden als nur von dem, was man alles aufgibt, und diese verdammten Blicke nach rückwärts haben uns schon so günstige Gelegenheiten versäumen lassen. Will man vorwärts, sieht aber dabei rückwärts, so ist immer nur eins von zwei Dingen möglich: entweder man bleibt stehen oder man stößt sich und fällt. Man müßte es wie Faust machen, der bei seinen Reisen den Teufel die Wege vor sich pflastern und das Pflaster nachher wieder aufreißen ließ, um keine Spuren zu hinterlassen. Unser guter Geist würde dasselbe für uns tun, wenn wir ihm nur Vertrauen entgegenbrächten. Denken Sie daran, daß Orpheus seine Frau verlor, nur weil er sich nach ihr umsah, bevor er aus der Unterwelt ganz wieder emporgestiegen war.
Ich bin nicht erstaunt über Sie und tadle Sie nicht – im Grunde ist jeder so – Sie gleichen Europa, wie ein Wassertropfen dem anderen.
Es wäre sicherlich unliebenswürdig von mir, wenn ich Ihnen sagte, daß ich unnütz meine Zeit verliere und darüber wütend bin. Ich bin so unbesorgt wie möglich über meine Zukunft, denn in einem sehe ich ganz klar: unsere Trennung kann nur von kurzer Dauer sein. Ich werde stets in Ihrem Herzen ein Vaterland finden. Aber Ihre Entschlüsse sind zu wichtig, als daß Sie etwas zu meinen Gunsten überstürzen dürften. Sie haben die beste Gesellschaft der Welt um sich und – was schmerzlich genug ist – ich gehöre nicht zu ihr. Sie werden es sicher nicht als ein Verbrechen ansehen, wenn ich jetzt versuche, mich durch einige angenehme Bekanntschaften zu zerstreuen – immer in meiner Eigenschaft als Reisender, der bald wieder verschwindet, oder als Soldat, der zwar in der Garnison steht, aber beim ersten Befehl ausmarschieren muß.
Inzwischen nähert sich die Zeit, wo man an die Winterquartiere denken muß. Ich bin im Hochsommer weggefahren und habe daher nur leichte Kleider mitgenommen; jetzt fängt es schon an, morgens frisch zu werden – ich gäbe viel darum, wenn ich meinen großen weißen Mantel hätte.
Ärgern Sie sich bitte nicht über meine Scherze, liebe Freundin. Ich finde, man ist viel besser aufgelegt, etwas zu tun, wenn man sich seine Fröhlichkeit erhält. Ich habe ein ziemlich reines Gewissen, außer ein paar unbedeutenden Sünden. Es lebe die Vorsehung!
Gestern besuchte mich Herr Meister, um dann aufs Land zu Frau von Zeerleder zu fahren. In diesem Augenblick kommt er mit einem Brief von Ihnen vom 24., der aber nicht mehr zählt, weil er vor der Ankunft von Frau Réc[amier] geschrieben ist. Er will sich einige Tage ausruhen und dann nach Coppet fahren, so daß er dort also ungefähr am 5. oder 6. September eintrifft, um drei oder vier Tage zu bleiben. Auf jeden Fall muß er nach Lausanne fahren, aber er wird sich nach Ihnen richten. Sollten Sie ihm etwas mitzuteilen haben, so schreiben Sie es mir oder ihm selbst an die Adresse der Herren Haller und Co.
Leben Sie wohl! Ich muß den Brief schnell zur Post bringen. Ich habe dem Kutscher von Déjean, der meinen Wagen geholt hat, für Herrn Adrien [de Montmorency] einen Kasten in Wachsleinwand anvertraut. Es ist nicht mein Fehler, wenn er nicht angekommen ist. Von der Ankunft des Wagens erfuhr ich auch nichts.
29. August 1811.
Liebe Freundin!
Ich bin überzeugt, daß Sie gar keinen Grund haben, sich um B[enjamin] C[onstant] zu sorgen. Wie leicht können Briefe bei diesen Entfernungen sich verspäten, besonders in Norddeutschland! Wäre ihm wirklich etwas zugestoßen, so würde man es schon lange wissen.
Ihre Aufträge habe ich alle erledigt. Ich habe zwei Unterschriften von Herr d’O., aber nach den neuen bayr[ischen] Verordnungen ist noch eine dritte nötig: doch ich wollte sie mir nicht ohne Ihre Erlaubnis verschaffen. Es kostet eine neue Reise von zwei Wegstunden, und es wäre unvorsichtig, um diese Unterschrift lange vorher zu bitten: aber wenn ich sie erst in dem Augenblick fordere, wo ich sie nötig habe, wird es – das verspreche ich Ihnen – nicht mehr unklug sein.
Im übrigen hat Herr d’O. keine so wichtige Stellung, daß er über sehr wirksame Verbindungen verfügte oder ausgezeichnet über alle Vorgänge informiert wäre. Er lebt ganz allein auf dem Lande, man sagt: aus Sparsamkeitsgründen, da seine Verhältnisse etwas in Unordnung geraten sind – er rechnet sogar damit, dort auch im Winter zu bleiben. Das ist natürlich nicht die Lebensart eines Diplomaten von wirklicher Bedeutung.
Mit Herrn M[ousson] in S[olothurn] steht es da ganz anders: er weiß wirklich über alles Bescheid. Er äußerte sich sehr bescheiden über ihre Anerkennung, durch die er sich sehr geschmeichelt fühlt – er empfindet die Schwierigkeit seiner Stellung sehr stark. Alle Menschen waren zuerst von dem, was er tat, begeistert; als die Sache aber schlecht auslief, wurde er hinterher heftig getadelt. über meine Angelegenheit sprach er ganz offen und vertrauensvoll, aber doch für mich nicht sehr beruhigend. Er glaubt zwar nicht, daß der Präfekt, wenn ich bei Ihnen – etwa in Lausanne – bliebe, sich unmittelbar an die Kantonalregierung wenden würde, aber daß die Angelegenheit auf dem offiziellen Wege durch das Polizei- und Außenministerium gehen und dies Herrn von Falk beauftragen würde, die Sache vor den Landammann zu bringen, der sie seinerseits der Kantonalregierung zur Kenntnis geben würde.
Doch für diesen Fall könne er mir wenig Schutz versprechen; die allgemeine Lage sei so verwickelt, sagte er, die öffentlichen Angelegenheiten beanspruchten so sehr das Interesse und erschöpften so sehr alle Mittel, die etwa da sind, daß für persönliche Interessen nichts übrig bliebe; so würde man unter solchen Umständen sich dann verpflichtet fühlen, der Forderung des mächtigen Verbündeten ohne weiteres nachzukommen. Der Titel eines Grundbesitzers, den ich erst erworben hätte, nachdem die Schritte in Genf gegen mich unternommen waren, würde weniger ins Gewicht fallen. Im übrigen verliehe der Besitz allein noch nicht das Bürgerrecht, man müsse sich auch noch einbürgern lassen, was jedoch weder viel Kosten noch Schwierigkeiten verursache.
Wenn man es aber trotzdem versuchen wolle, so meinte er, wäre es nicht unangebracht, irgend ein Mitglied des Kleinen Rats in Lausanne, etwa Herrn d’Arlens, zu befragen, um dort die Stimmung kennen zu lernen – für den wenig wahrscheinlichen Fall, daß der Präfekt sich unmittelbar an ihn wendete. Er meinte, der Kanton würde zuerst einer solchen Forderung nicht nachgeben, sondern die Entscheidung dem Landammann anheimstellen.
Sehen Sie zu, was Sie mit mir machen wollen. Ich komme, wohin Sie wollen, – nach Coppet mit doppeltem Vergnügen, weil ich da in unmittelbarer Nähe des Präfekten bin; aber sollten Sie ihn etwa für mich in diesem Falle darum als um eine Gnade bitten, so würde ich Ihnen das weder im Leben noch im Tode verzeihen.
Liebe Freundin! Sie sind wie eine Kranke, die sich zugleich an mehrere Ärzte wendet – Sie haben zuviel Freunde, die Ihnen alle einen guten Rat geben wollen. Frau Réc[amier] ist sicher eine zuverlässige Freundin und Ihnen sehr ergeben, aber sie sieht natürlich die Dinge von ihrem persönlichen Standpunkt aus, und ihr Gesichtskreis ist auf Paris beschränkt – außerhalb dieser Stadt existiert für sie keine Welt. Wovon kann sie mit Ihnen reden als nur von dem, was man alles aufgibt, und diese verdammten Blicke nach rückwärts haben uns schon so günstige Gelegenheiten versäumen lassen. Will man vorwärts, sieht aber dabei rückwärts, so ist immer nur eins von zwei Dingen möglich: entweder man bleibt stehen oder man stößt sich und fällt. Man müßte es wie Faust machen, der bei seinen Reisen den Teufel die Wege vor sich pflastern und das Pflaster nachher wieder aufreißen ließ, um keine Spuren zu hinterlassen. Unser guter Geist würde dasselbe für uns tun, wenn wir ihm nur Vertrauen entgegenbrächten. Denken Sie daran, daß Orpheus seine Frau verlor, nur weil er sich nach ihr umsah, bevor er aus der Unterwelt ganz wieder emporgestiegen war.
Ich bin nicht erstaunt über Sie und tadle Sie nicht – im Grunde ist jeder so – Sie gleichen Europa, wie ein Wassertropfen dem anderen.
Es wäre sicherlich unliebenswürdig von mir, wenn ich Ihnen sagte, daß ich unnütz meine Zeit verliere und darüber wütend bin. Ich bin so unbesorgt wie möglich über meine Zukunft, denn in einem sehe ich ganz klar: unsere Trennung kann nur von kurzer Dauer sein. Ich werde stets in Ihrem Herzen ein Vaterland finden. Aber Ihre Entschlüsse sind zu wichtig, als daß Sie etwas zu meinen Gunsten überstürzen dürften. Sie haben die beste Gesellschaft der Welt um sich und – was schmerzlich genug ist – ich gehöre nicht zu ihr. Sie werden es sicher nicht als ein Verbrechen ansehen, wenn ich jetzt versuche, mich durch einige angenehme Bekanntschaften zu zerstreuen – immer in meiner Eigenschaft als Reisender, der bald wieder verschwindet, oder als Soldat, der zwar in der Garnison steht, aber beim ersten Befehl ausmarschieren muß.
Inzwischen nähert sich die Zeit, wo man an die Winterquartiere denken muß. Ich bin im Hochsommer weggefahren und habe daher nur leichte Kleider mitgenommen; jetzt fängt es schon an, morgens frisch zu werden – ich gäbe viel darum, wenn ich meinen großen weißen Mantel hätte.
Ärgern Sie sich bitte nicht über meine Scherze, liebe Freundin. Ich finde, man ist viel besser aufgelegt, etwas zu tun, wenn man sich seine Fröhlichkeit erhält. Ich habe ein ziemlich reines Gewissen, außer ein paar unbedeutenden Sünden. Es lebe die Vorsehung!
Gestern besuchte mich Herr Meister, um dann aufs Land zu Frau von Zeerleder zu fahren. In diesem Augenblick kommt er mit einem Brief von Ihnen vom 24., der aber nicht mehr zählt, weil er vor der Ankunft von Frau Réc[amier] geschrieben ist. Er will sich einige Tage ausruhen und dann nach Coppet fahren, so daß er dort also ungefähr am 5. oder 6. September eintrifft, um drei oder vier Tage zu bleiben. Auf jeden Fall muß er nach Lausanne fahren, aber er wird sich nach Ihnen richten. Sollten Sie ihm etwas mitzuteilen haben, so schreiben Sie es mir oder ihm selbst an die Adresse der Herren Haller und Co.
Leben Sie wohl! Ich muß den Brief schnell zur Post bringen. Ich habe dem Kutscher von Déjean, der meinen Wagen geholt hat, für Herrn Adrien [de Montmorency] einen Kasten in Wachsleinwand anvertraut. Es ist nicht mein Fehler, wenn er nicht angekommen ist. Von der Ankunft des Wagens erfuhr ich auch nichts.
· Original , 29.08.1811
· Pange, Pauline de: Auguste-Guillaume Schlegel et Madame de Staël d’apres des documents inédits. Paris 1938, S. 317‒320.
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