• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Leipzig · Place of Destination: Amsterdam · Date: 24.11.1793
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Leipzig
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 24.11.1793
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 159‒162.
  • Incipit: „[1] Den 24ten Nov. 93
    Hier ist was mir Caroline von ihrer Gesundheit schreibt; wenn die Nachricht in dem kleinen Briefe etwa [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.43
  • Number of Pages: 6S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 18,8 x 11,6 cm
    Language
  • German
[1] Den 24ten Nov. 93
Hier ist was mir Caroline von ihrer Gesundheit schreibt; wenn die Nachricht in dem kleinen Briefe etwa nicht umständlich genung seyn sollte. ‚Seit 14 Tagen bin ich um nichts stärker geworden; Montag Abend fieng ich an, alles mögliche Schlimme zu fürchten – die drauf folgende Nacht lößten Schmerz und Krampf sich in einen Opium ähnlichen Rausch auf – in dem ich seelenvergnügt war und starr, ohne Schlaf und sehr betäubt da lag – das wechselte mit heftigem Kopfweh ab, und hielt ein paar Tage an. Der Artzt hat keine Schuld – er kann nicht davor, daß sich die Zunge immer wieder belegt, wenn er noch so viel Unheil wegschafft. Der Schmerz im Bein ist gelinder – aber diese verhaßte Schwäche!.ʻ – Mache Dir nur nicht zu viel Sorgen, denn immer empfindet sie ihr Uebel ungleich stärker, als es ist. Es ist in allem dem noch nichts, als was sie erwarten mußte, und nichts zu ernstlicher Furcht.
Habe Dank für Deinen reichhaltigen Brief, den ich heute nicht ganz so beantworten kann, wie ers verdient. – Das wird Dir Caroline schon geschrieben haben, daß sie selbst überrascht wurde, ehe sie noch Zeit hatte, Dich zu täuschen, wie sie es wollte. – Nimm meinen wärmsten Dank für den Entschluß, mir zu helfen; Du erwirbst Dir dadurch ein un[2]ermeßlich großes Verdienst auf mein ganzes künftiges Leben, das ich nun gleichsam von Dir empfange, um es mit Dir zu genießen. Deine Belohnung sey die Erfüllung Deiner Hoffnungen von mir, und die Unauflöslichkeit unsrer Verbindung; Du, Caroline, und ich. – Ich brauche Deinen Eifer nicht durch Gemählde zu spornen; aber ich muß Dir sagen, daß ich sehr wünschen muß, zu Neujahr wenigstens einen Theil der Summe zu haben. Und wenn Du glaubst, daß Mastiauxʼs Vermögen und guter Willen zureicht, so hilf mir ganz, und fodre 500 Thl. Meine neuliche Angabe war nur ohngefähr und sehr mäßig, Du wirst also diese Fodrung nicht übertrieben finden. – Sonst sieht es schlimm aus; bis Neujahr fehlt es mir sehr, und droht schon. Wie ich dann noch Aufschub erkünstle, weiß ich nicht. Vergeblich bemühtʼ ich mich bis iezt durch eine Uebersetzung etwas zu verdienen, und ich zweifle, daß es mir noch gelingt. Aber gewiß wird mich der Muth nicht verlaßen, so lange Du mich nicht verläßt.
Es war meine Pflicht, lieber Freund, Dich in Carolinenʼs eignen harten Ausdrücken zu erinnern, daß sie iezt nichts so sehr bedurfte als die äußerste Schonung, selbst mehr als den nöthigsten, gerechtesten Tadel. Ob der Deinige über Cranz das wäre, konnte ich mir [3] nie anmaaßen, zu beurtheilen. – Mein allgemeines Urtheil aber hängt davon nicht ab; und ich kann es nicht zurücknehmen, wiewohl ich es nur als mein Gefühl gebe, und auch gern gestehe, daß Caroline weit empörender tadelt wie Du. Aber das war gewiß sehr unschuldig von ihr, daß sie mir unter sehr vielen andern auch Deinen Brief nach Maynz zu lesen gab. In diesem fand ich ganz nach eigner Anleitung, zwar immer noch viel Zärtlichkeit, aber doch noch mehr beleidigte Eitelkeit. Sie hatte Dich gereitzt, und Du hieltst vielleicht Spott für ein Mittel sie zu retten: aber ich verzeihe ihr doch, daß er das Gegentheil wirkte, und Ihr durftet Euch nicht wundern, daß auch die edelste Zuversicht durch Vergötterung endlich entarten könne. – Ihr Glaube an die Ewigkeit dieser kurzen Republik mußte freylich außer Maynz Mauern sehr schwach scheinen – aber innerhalb derselben war er doch wohl selbst bey großem Verstande möglich. Aber das werde ich Ihrem Herzen nie verzeihen können, daß weiblicher Taumel es so weit hinriß, daß sie fähig war ihren Freund in diesen gräßlichen Strudel armseeliger Gefahren und lumpichter Menschen zu locken. Ich wünschte auch, sie hätte öffentliche Angelegenheiten für immer den Männern überlaßen, aber da sie nun einmal abwich, [4] so finde ich in ihrer Ansicht der Sache zwar gewiß nicht reine Wahrheit, oder tiefe Weisheit, aber ächten Eifer für alles Große. Dieser bleibt mir immer ehrwürdig bey allen Einflüßen des ansteckenden allgemeinen Taumels der Eitelkeit, der Sinnlichkeit, der Neuheit und der Weiblichkeit, die sie nie verließ. Nur diese lezte ist die einzige Entschuldigung gegen Deinen nicht ungerechten Vorwurf der Grausamkeit, die grade in der Art mit dem weiblichen Character so tief verwebt ist. – Mit Rührung verehre ich Deine edle Menschlichkeit, die <die kleinste> Gewaltthätigkeit verabscheut, sie mag im Namen der Ordnung oder im Namen der Freyheit verübt werden; aber ungern sehe ich daß Dein Haß gegen die Franken Dich unbillig macht, daß alle Theilnahme, die Du einem großen Volke zu schenken hast, einige bittre Spöttereyen sind. Sollte ich auch ein Vorurtheil wieder die Engländer haben, die weniger Achtung verdienen, so vergeße ich doch gewiß solche kleine Rücksichten bey der ernsten Prüfung so erhabner Gegenstände. Ueber die Affiliation aller Völker zu der franz.[ösischen] Republik denke ich ganz wie Du, aber ich wünsche die Erhaltung der französischen Freiheit. Doch [5] genung; mein Herz möchte sich leicht zu feurig ergießen, und ich möchte das Aufhören vergeßen: vergeßen, daß Du ausdrücklich wünschest, hierüber nicht von mir zu hören, daß Du mich ungehört verdammst, auf einige Aeußerungen, die doch nichts andeuten, als Kühnheit und Enthusiasmus, die doch allein den Mann bilden, dem Menschlichkeit und Mäßigkeit ziert. – Nur noch das; ein eigentliches Für oder Wieder findet bey mir nicht Statt; ja ich begreife es kaum. –
Meine politische Lectüre ist nicht blos Liebhaberey sondern Vorübung zu der Bearbeitung der vaterländischen Geschichte, die in Dr.[esden] meine ernstlichste Arbeit seyn wird: nur die übrige Zeit werde ich andern Neigungen überlaßen, die <von Natur> so frey sind, daß sich darüber nichts zuverläßiges vorausbestimmen läßt. – Dort wird <für mich> ein neues Leben beginnen; ich werde mir selbst das Opfer strenger Entsagung und unaufhaltsamer Thätigkeit bringen, das ich mir längst schuldig war. Dann werde ich Dich auffodern, der unerbittliche Censor meines Lebens zu seyn. – Aber eher erwarte nicht Besondres. Die Sorgen raubten mir bis iezt die Ruhe, zerstückten nebst den Besuchen und der Sorge für Car[oline] [6] meine Muße, und ließen mir außer der beträchtlichen politischen Lectüre, und den griechischen Dichtern, zu nichts Zeit, das für mehr als Uebung gelten könnte.
Habe Dank für Deine critischen Gaben; ich fühle das Bedürfniß einer scharfen Prüfung iezt mehr wie je: wenn Du auch nicht jedesmal das in meinen Briefen wählst, worauf ich am meisten Antwort wünsche. Aber erlaube mir zugleich eine allgemeine Warnung. Ich nehme eine Veränderung an Dir wahr; Du wirst kälter gegen das Wenige, was Du bewunderst, Du tadelst, was Du sonst empfandest, und verachtest, worüber Du Dich sonst freutest; wenn ich dabey eine fast allzu strenge Sorgfalt in der Entwicklung Deiner Gedanken wahrnehme, und an den Zwang, Verdruß, die Langeweile und das Clima denke in dem Du lebst, so entsteht die ernstliche Furcht; es möchte eine gewiße unzufriedne Kälte herschend bey Dir werden, von der man sich oft nie wieder befreyen kann. Die umständliche Beantwortung <des Übrigen> verspare ich bis aufs nächstemal.
Den 24ten Nov[ember]
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[1] Den 24ten Nov. 93
Hier ist was mir Caroline von ihrer Gesundheit schreibt; wenn die Nachricht in dem kleinen Briefe etwa nicht umständlich genung seyn sollte. ‚Seit 14 Tagen bin ich um nichts stärker geworden; Montag Abend fieng ich an, alles mögliche Schlimme zu fürchten – die drauf folgende Nacht lößten Schmerz und Krampf sich in einen Opium ähnlichen Rausch auf – in dem ich seelenvergnügt war und starr, ohne Schlaf und sehr betäubt da lag – das wechselte mit heftigem Kopfweh ab, und hielt ein paar Tage an. Der Artzt hat keine Schuld – er kann nicht davor, daß sich die Zunge immer wieder belegt, wenn er noch so viel Unheil wegschafft. Der Schmerz im Bein ist gelinder – aber diese verhaßte Schwäche!.ʻ – Mache Dir nur nicht zu viel Sorgen, denn immer empfindet sie ihr Uebel ungleich stärker, als es ist. Es ist in allem dem noch nichts, als was sie erwarten mußte, und nichts zu ernstlicher Furcht.
Habe Dank für Deinen reichhaltigen Brief, den ich heute nicht ganz so beantworten kann, wie ers verdient. – Das wird Dir Caroline schon geschrieben haben, daß sie selbst überrascht wurde, ehe sie noch Zeit hatte, Dich zu täuschen, wie sie es wollte. – Nimm meinen wärmsten Dank für den Entschluß, mir zu helfen; Du erwirbst Dir dadurch ein un[2]ermeßlich großes Verdienst auf mein ganzes künftiges Leben, das ich nun gleichsam von Dir empfange, um es mit Dir zu genießen. Deine Belohnung sey die Erfüllung Deiner Hoffnungen von mir, und die Unauflöslichkeit unsrer Verbindung; Du, Caroline, und ich. – Ich brauche Deinen Eifer nicht durch Gemählde zu spornen; aber ich muß Dir sagen, daß ich sehr wünschen muß, zu Neujahr wenigstens einen Theil der Summe zu haben. Und wenn Du glaubst, daß Mastiauxʼs Vermögen und guter Willen zureicht, so hilf mir ganz, und fodre 500 Thl. Meine neuliche Angabe war nur ohngefähr und sehr mäßig, Du wirst also diese Fodrung nicht übertrieben finden. – Sonst sieht es schlimm aus; bis Neujahr fehlt es mir sehr, und droht schon. Wie ich dann noch Aufschub erkünstle, weiß ich nicht. Vergeblich bemühtʼ ich mich bis iezt durch eine Uebersetzung etwas zu verdienen, und ich zweifle, daß es mir noch gelingt. Aber gewiß wird mich der Muth nicht verlaßen, so lange Du mich nicht verläßt.
Es war meine Pflicht, lieber Freund, Dich in Carolinenʼs eignen harten Ausdrücken zu erinnern, daß sie iezt nichts so sehr bedurfte als die äußerste Schonung, selbst mehr als den nöthigsten, gerechtesten Tadel. Ob der Deinige über Cranz das wäre, konnte ich mir [3] nie anmaaßen, zu beurtheilen. – Mein allgemeines Urtheil aber hängt davon nicht ab; und ich kann es nicht zurücknehmen, wiewohl ich es nur als mein Gefühl gebe, und auch gern gestehe, daß Caroline weit empörender tadelt wie Du. Aber das war gewiß sehr unschuldig von ihr, daß sie mir unter sehr vielen andern auch Deinen Brief nach Maynz zu lesen gab. In diesem fand ich ganz nach eigner Anleitung, zwar immer noch viel Zärtlichkeit, aber doch noch mehr beleidigte Eitelkeit. Sie hatte Dich gereitzt, und Du hieltst vielleicht Spott für ein Mittel sie zu retten: aber ich verzeihe ihr doch, daß er das Gegentheil wirkte, und Ihr durftet Euch nicht wundern, daß auch die edelste Zuversicht durch Vergötterung endlich entarten könne. – Ihr Glaube an die Ewigkeit dieser kurzen Republik mußte freylich außer Maynz Mauern sehr schwach scheinen – aber innerhalb derselben war er doch wohl selbst bey großem Verstande möglich. Aber das werde ich Ihrem Herzen nie verzeihen können, daß weiblicher Taumel es so weit hinriß, daß sie fähig war ihren Freund in diesen gräßlichen Strudel armseeliger Gefahren und lumpichter Menschen zu locken. Ich wünschte auch, sie hätte öffentliche Angelegenheiten für immer den Männern überlaßen, aber da sie nun einmal abwich, [4] so finde ich in ihrer Ansicht der Sache zwar gewiß nicht reine Wahrheit, oder tiefe Weisheit, aber ächten Eifer für alles Große. Dieser bleibt mir immer ehrwürdig bey allen Einflüßen des ansteckenden allgemeinen Taumels der Eitelkeit, der Sinnlichkeit, der Neuheit und der Weiblichkeit, die sie nie verließ. Nur diese lezte ist die einzige Entschuldigung gegen Deinen nicht ungerechten Vorwurf der Grausamkeit, die grade in der Art mit dem weiblichen Character so tief verwebt ist. – Mit Rührung verehre ich Deine edle Menschlichkeit, die <die kleinste> Gewaltthätigkeit verabscheut, sie mag im Namen der Ordnung oder im Namen der Freyheit verübt werden; aber ungern sehe ich daß Dein Haß gegen die Franken Dich unbillig macht, daß alle Theilnahme, die Du einem großen Volke zu schenken hast, einige bittre Spöttereyen sind. Sollte ich auch ein Vorurtheil wieder die Engländer haben, die weniger Achtung verdienen, so vergeße ich doch gewiß solche kleine Rücksichten bey der ernsten Prüfung so erhabner Gegenstände. Ueber die Affiliation aller Völker zu der franz.[ösischen] Republik denke ich ganz wie Du, aber ich wünsche die Erhaltung der französischen Freiheit. Doch [5] genung; mein Herz möchte sich leicht zu feurig ergießen, und ich möchte das Aufhören vergeßen: vergeßen, daß Du ausdrücklich wünschest, hierüber nicht von mir zu hören, daß Du mich ungehört verdammst, auf einige Aeußerungen, die doch nichts andeuten, als Kühnheit und Enthusiasmus, die doch allein den Mann bilden, dem Menschlichkeit und Mäßigkeit ziert. – Nur noch das; ein eigentliches Für oder Wieder findet bey mir nicht Statt; ja ich begreife es kaum. –
Meine politische Lectüre ist nicht blos Liebhaberey sondern Vorübung zu der Bearbeitung der vaterländischen Geschichte, die in Dr.[esden] meine ernstlichste Arbeit seyn wird: nur die übrige Zeit werde ich andern Neigungen überlaßen, die <von Natur> so frey sind, daß sich darüber nichts zuverläßiges vorausbestimmen läßt. – Dort wird <für mich> ein neues Leben beginnen; ich werde mir selbst das Opfer strenger Entsagung und unaufhaltsamer Thätigkeit bringen, das ich mir längst schuldig war. Dann werde ich Dich auffodern, der unerbittliche Censor meines Lebens zu seyn. – Aber eher erwarte nicht Besondres. Die Sorgen raubten mir bis iezt die Ruhe, zerstückten nebst den Besuchen und der Sorge für Car[oline] [6] meine Muße, und ließen mir außer der beträchtlichen politischen Lectüre, und den griechischen Dichtern, zu nichts Zeit, das für mehr als Uebung gelten könnte.
Habe Dank für Deine critischen Gaben; ich fühle das Bedürfniß einer scharfen Prüfung iezt mehr wie je: wenn Du auch nicht jedesmal das in meinen Briefen wählst, worauf ich am meisten Antwort wünsche. Aber erlaube mir zugleich eine allgemeine Warnung. Ich nehme eine Veränderung an Dir wahr; Du wirst kälter gegen das Wenige, was Du bewunderst, Du tadelst, was Du sonst empfandest, und verachtest, worüber Du Dich sonst freutest; wenn ich dabey eine fast allzu strenge Sorgfalt in der Entwicklung Deiner Gedanken wahrnehme, und an den Zwang, Verdruß, die Langeweile und das Clima denke in dem Du lebst, so entsteht die ernstliche Furcht; es möchte eine gewiße unzufriedne Kälte herschend bey Dir werden, von der man sich oft nie wieder befreyen kann. Die umständliche Beantwortung <des Übrigen> verspare ich bis aufs nächstemal.
Den 24ten Nov[ember]
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