Verzeihen Sie mir liebster Freund das ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe. Ich bin in der ganzen Zeit nicht wohl gewesen, ich war schon in der lezten Zeit in Dresden kranck eigentlich seit Bernhardis abgeschmackten Brief so das mich die Reise so sehr angrif das ich gegen meinen Willen einige Tage in Leipzig bleiben mußte wo nun das Unangenehme eintrat das wir ohne alles Geld waren so das Marie die mit mir hier ist welches leihen mußte von einem Kaufmann den sie kante und welches wir noch nicht haben zurik bezalen können da Knorrings Wechsel noch nicht gekommen ist und auch mein Bruder jezt nichts bekommen kann so das wir alle nun in Noht sind und wie die ganze Geselschaft vereinigt ist so besteht ihr Vermögen aus keinen Thaler. Dennoch aber lieber Freund habe ich mich recht herzlich gefreut das Sie die für mich bestimmte Summe an Fischer bezalt haben einmal damit Sie dieser Schuld loß sind und dan weil mir in Ihrem Briefe vieles wehe gethan hat was ich lieber aufrichtig schreiben als es gegen Sie auf dem [2] Herzen behalten will. Sie schreiben mir Sie hätten die Hoffnung geäussert das Sie mir vielleicht eine große Summe zu einem bestimten Zweck verschaffen könten. Nein lieber Freund das waren Ihre Worte in Ihren früheren Briefen nicht, dies lehrt auch nur das die Entfernung vieles ändert und das kein Freund der lange von uns getrent ist ganz derselbe bleibt. Sie haben mir wiederholt in allen Ihren früheren Briefen bestimte Versprechungen gethan und mich in jedem neuen Briefe gebeten ja fest darauf zu vertrauen. Dies allein konte mich dahin bewegen Sie so zu bitten und Ihnen mit meinen unverschämten Foderungen lästig zu sein welches ich heilig verspreche nie wieder zu thun.
Dan schreiben Sie in Ihren Briefen wiederholt Sie können nicht glauben das ich mich so lange in Dresden aufhalten wolle. Warum zweiflen Sie den[n] daran? Ist es den[n] etwas unnatürliches das ich so lange wie mein Bruder zu bleiben wünsche das ich die Zeit noch gerne in seiner Geselschaft leben will da ich in so kurzen Monahten eine solche Reise zu machen denke wo ich ihn gewiß [3] lange nicht und vieleicht niemals wiedersehe. Endlich äussern Sie so viele Bedenklichkeiten und wünschen Schritte erspart die Sie voraus wissen können das ich sie nur aus Noht und gezwungen thun wirde da Sie mich kennen. Und aus welchen Grunde? Weil mein Bruder mich nicht begleiten und ich nicht allein reisen kann. Sehr wohl verstehe ich was alles noch dahinter ligt was Sie verschweigen. Sie haben auch wohl nicht gewolt das ich es nicht verstehen soll. Wo ist die gepriesene Freiheit nun in der ich leben solte? Ach in dem Augenblick wo ich mein Leben verweinen möchte wo ich mit der Sehnsucht meines Herzens Ihre Briefe zu mir her zwingen möchte damit Ihre freundlichen Worte mich trösteten erhalte ich solche worin Sie mir alle gegebene Worte brechen worin stat der Theilnahme die ich erwartete mich eine Eifersucht kränckt die Sie so oft betheuert haben das Sie meiner unwirdig wäre das ich frei nach meinem Herzen handlen solte und das es niemand so dürfe wie ich. Ich fühle ja wie auch die treusten Freunde erkalten. [4] Ich habe das Elend des Lebens mit standhaften Muht ertragen und zerfließe nun doch aufs neue in Thränen.
Ich kann nichts erfreuliches denken, wen[n] ich an alle Anstalten zur Reise denke und darauf hoffen will so fält Ihr Brief mir ein der mir so wehe thun konte und ich muß weinen wen[n] ich mir die alte Zeit zurik rufe. Ich will Ihnen heut nichts mehr schreiben weil ich hoffe ich erhalte noch einen Brief von Ihnen der diesen Eindruck vertilgt. Ach wie sind Sie erkaltet wie lange muß ich auf Briefe hoffen, auch dies Wort mir alle Woche zu schreiben ist gebrochen. Mein angebornes Laster ist diese Nachlässigkeit, Sie sind darin ganz anders, von Ihnen ist es nur die Herzenskälte. Ich will aufhören, ich rufe selbst das Fieber herbei. Leben Sie wohl, die Kinder sind gesund und fröhlich.
S[ophie] Tieck