• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Bern · Place of Destination: Unknown · Date: 23.08.1811
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Bern
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 23.08.1811
  • Typ: Deutsche Übersetzung
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 245–247.
  • Incipit: „23. August 1811
    Liebe Freundin!
    Nun ist alles wieder ungewiß geworden – und ich glaubte schon, es sei so gut wie beschlossene Sache. [...]“
    Language
  • German
23. August 1811
Liebe Freundin!
Nun ist alles wieder ungewiß geworden – und ich glaubte schon, es sei so gut wie beschlossene Sache. Ich kann meine Meinung nicht ändern und bin entschieden gegen den Weg nach Westen. Glauben Sie mir: meine Abneigung, meinen Fuß noch einmal in dieses verfluchte Land [Frankreich] zu setzen, spielt dabei keine Rolle, wiewohl ich es allerdings für unwürdig hielte, wenn man um die Erlaubnis einkäme, ein Land durchfahren zu dürfen, aus dem man mich wie einen Vagabunden hinausgeworfen hat. Nur ein Fall wäre möglich, der das rechtfertigen würde: wenn ein vertrauenswürdiger Amerikaner z. B. Herr Le Ray die ganze Sache in die Hand nehmen und Sie zum Hafen und zu Ihrem Reiseziel geleiten würde – das würde mir dann weniger gefahrvoll erscheinen, denn man kann natürlich einen Bürger jenes Landes nicht schikanieren.
Im übrigen: wenn Sie Herrn Cap[elle] Glauben schenken, werden Sie niemals etwas erreichen. Sehen Sie denn garnicht, daß es das einzige Ziel dieses Elenden ist, sich als Kerkermeister einer bedeutenden Persönlichkeit einen Namen zu machen? Er tut doch nichts weiter als lügen; wenn er Sie erschrecken will, so seien Sie getrost mutig – nur wenn er Ihnen schmeichelt, müssen Sie auf Ihrer Hut sein: diese Erfahrung haben Sie doch nun schon gemacht.
Ich gebe Ihnen zu, der Brief, den Sie mir mitteilten, könnte Grund zur Entmutigung sein – aber, wenn ich mich nicht sehr täusche, kommt diese Absage nicht von Billys Schwester selber, sondern die Familie ihres Mannes steckt dahinter; die hat ihr abgeraten. Sie sind alle recht verzagt, obwohl es sich doch bei den letzten Verhandlungen zeigte, daß Billy für die Rechte seiner Schwäger sich stark einsetzte.
Immer erhält man kühle Antworten, wenn man aus der Ferne und im voraus um etwas bittet. Der Würfel muß eben schon gefallen sein, und man muß die Menschen in die Zwangslage versetzen, entweder eine Schuftigkeit zu begehen oder sich einigermaßen anständig zu benehmen. Ich rechne wenig mit ihrem Edelmut, sondern nur mit ihrer Selbstsucht und ihrer Furcht, sie könnten von der öffentlichen Meinung verurteilt werden. Ich bin immer noch davon überzeugt, und alle meine Beobachtungen haben mich in diesem Glauben bestärkt, das Schlimmste, was bei dem alten Plan herauskommen könnte, wäre ein unangenehmer Winteraufenthalt. Aber eine Frau auszuliefern, die ungerecht verfolgt wird und dort um ein Asyl bittet, wo sie sich schon einmal die Liebe und Achtung aller erworben hat – das liegt den Grundsätzen des Herrschers zu fern, als daß nur ein einziger seiner Untergebenen es wagen würde, ihm einen solchen Vorschlag zu machen. Seien Sie überzeugt davon, daß die Idee Cap[elles], Durocher könne bei ihm in seiner Hauptstadt [Genf] jemand ohne Rechtsgrundlage verhaften lassen, seine lebhafteste Entrüstung wecken würde.
Aber bringen Sie mir ruhig Ihr Mißtrauen entgegen – für mich ist dieses Land ja schon mein neues Vaterland! – ich könnte wirklich die Dinge zu rosenrot anschauen. Rufen Sie sich nur ins Gedächtnis, wie vielen Menschen der Gedanke einer solchen Zuflucht ganz natürlich erschienen ist. Ich sagte zu F[ürst] L[ubomirski], ich sei völlig im unklaren über unsere Pläne, da antwortete er: ›Ich glaube noch immer, daß sie schließlich nach Wien gehen wird.‹
Wir haben ständig die Erfahrung gemacht, daß alles schwieriger wird, wenn man seine Entschlüsse aufschiebt; trotzdem: wenn Sie kein Vertrauen haben, schieben Sie Ihr Vorhaben auf, aber dann bleiben Sie zu Hause auf dem Lande und rühren Sie sich nicht; richten Sie sich ein, dort zu überwintern – ich würde mit Vergnügen wieder dort hinkommen und mich nicht im geringsten ängstigen.
Ich weiß sehr wohl, daß, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, ich es als Mann schon lange Gott, den Menschen und mir selbst gegenüber für meine Pflicht gehalten hätte, um jeden Preis das Land zu verlassen und ungerechte Unterdrückung durch meine freiwillige Unterwerfung nicht zu sanktionieren. Einer meiner jetzt verstorbenen Freunde pflegte zu sagen, kein Mensch brauche sich von einem anderen wirklich zwingen zu lassen. Der Wille ist unbezwinglich – vorausgesetzt, daß ein wirklich starker Wille da ist. Sie sind eine Frau, aber Sie haben viel mehr geistige Energie gezeigt, als die meisten Männer – Sie haben sogar die Energie besessen, anderen gewisse Dinge zu verweigern. Das alles taten Sie für die Allgemeinheit und zu dem Zwecke, ihr ein Beispiel zu geben. Sollten Sie weniger Mut zeigen, wenn es sich um Ihr persönliches Schicksal und das der Ihren handelt? Alles bekommt ein anderes Gesicht, wenn man eine Handlung als Pflicht ansieht; dann steht man unter Gottes Schutz, der alle Haare auf unserem Haupte gezählt hat und der in einem einzigen Augenblick alle Mächtigen dieser Erde in Staub verwandeln kann.
Ich rechne damit, heute einen Brief von Ihnen zu erhalten, aber erst nach Abgang dieses Schreibens; er wird über meine Reise nach Solothurn und Jägersdorff, die ich am Dienstag antreten wollte, entscheiden – freilich hätte es auch noch bis Donnerstag Zeit; – wenn die Post heute nichts bringt, kann ich bis zum nächsten Mittwoch keinen Brief mehr von Ihnen bekommen.
Ich habe meinen Schweizer Paß auf dem Polizeibüro wiedergefunden, aber auch sehr energisch darauf bestanden, daß man genau nachsuchte.
Herr von Freudenreich Vater bittet mich, ihn bei Ihnen in Erinnerung zu bringen. Herr von Wattenwyl ist hier bis zur Eröffnung der Tagsatzung, von der man immer noch behauptet, sie werde am neunten September stattfinden – doch man hat noch nichts davon gehört, daß Herr Reinhard in Audienz empfangen wurde.
Ein Reisender berichtete mir hier von einer Reise des Kais[ers] nach Bayonne und behauptete, viele Truppen warteten dort auf seine Ankunft, ja, das Gardecorps habe sich schon in Marsch gesetzt; aber Sie werden das ja alles besser wissen als ich.
Entsinnen Sie sich Ihrer Unterhaltung mit dem armen Herrn de Corbigny über die Einschiffung nach Amerika, vor der Sie solche Angst hatten? Nach der Art, wie er gestorben, kann man wohl annehmen, daß ihm das alles aus ehrlichem Herzen kam – und was hat sich seitdem geändert, wenn nicht zum Schlechteren?
Wenn ich die Wahl hätte, mich der Treulosigkeit, der Schwäche oder der Kleinmütigkeit anzuvertrauen, würde ich im allgemeinen immer die letztgenannte bevorzugen, weil sie nicht gegen das Verbrechen abgestumpft ist.
In diesem Augenblick sind Sie von Ihren besten Beratern umgeben, da die Herren M[ontmorency] bei Ihnen sind – ich meinerseits habe nun alles erschöpft, was ich auf meiner Reise an Erfahrungen habe sammeln können. Seien Sie aber immer meiner Ergebenheit versichert – was für einen Entschluß Sie auch fassen mögen.
Würde zur Regelung der Vermögensangelegenheiten in Amerika nicht eine Reise Augusts genügen? Für ihn ist das doch eine Kleinigkeit.
23. August 1811
Liebe Freundin!
Nun ist alles wieder ungewiß geworden – und ich glaubte schon, es sei so gut wie beschlossene Sache. Ich kann meine Meinung nicht ändern und bin entschieden gegen den Weg nach Westen. Glauben Sie mir: meine Abneigung, meinen Fuß noch einmal in dieses verfluchte Land [Frankreich] zu setzen, spielt dabei keine Rolle, wiewohl ich es allerdings für unwürdig hielte, wenn man um die Erlaubnis einkäme, ein Land durchfahren zu dürfen, aus dem man mich wie einen Vagabunden hinausgeworfen hat. Nur ein Fall wäre möglich, der das rechtfertigen würde: wenn ein vertrauenswürdiger Amerikaner z. B. Herr Le Ray die ganze Sache in die Hand nehmen und Sie zum Hafen und zu Ihrem Reiseziel geleiten würde – das würde mir dann weniger gefahrvoll erscheinen, denn man kann natürlich einen Bürger jenes Landes nicht schikanieren.
Im übrigen: wenn Sie Herrn Cap[elle] Glauben schenken, werden Sie niemals etwas erreichen. Sehen Sie denn garnicht, daß es das einzige Ziel dieses Elenden ist, sich als Kerkermeister einer bedeutenden Persönlichkeit einen Namen zu machen? Er tut doch nichts weiter als lügen; wenn er Sie erschrecken will, so seien Sie getrost mutig – nur wenn er Ihnen schmeichelt, müssen Sie auf Ihrer Hut sein: diese Erfahrung haben Sie doch nun schon gemacht.
Ich gebe Ihnen zu, der Brief, den Sie mir mitteilten, könnte Grund zur Entmutigung sein – aber, wenn ich mich nicht sehr täusche, kommt diese Absage nicht von Billys Schwester selber, sondern die Familie ihres Mannes steckt dahinter; die hat ihr abgeraten. Sie sind alle recht verzagt, obwohl es sich doch bei den letzten Verhandlungen zeigte, daß Billy für die Rechte seiner Schwäger sich stark einsetzte.
Immer erhält man kühle Antworten, wenn man aus der Ferne und im voraus um etwas bittet. Der Würfel muß eben schon gefallen sein, und man muß die Menschen in die Zwangslage versetzen, entweder eine Schuftigkeit zu begehen oder sich einigermaßen anständig zu benehmen. Ich rechne wenig mit ihrem Edelmut, sondern nur mit ihrer Selbstsucht und ihrer Furcht, sie könnten von der öffentlichen Meinung verurteilt werden. Ich bin immer noch davon überzeugt, und alle meine Beobachtungen haben mich in diesem Glauben bestärkt, das Schlimmste, was bei dem alten Plan herauskommen könnte, wäre ein unangenehmer Winteraufenthalt. Aber eine Frau auszuliefern, die ungerecht verfolgt wird und dort um ein Asyl bittet, wo sie sich schon einmal die Liebe und Achtung aller erworben hat – das liegt den Grundsätzen des Herrschers zu fern, als daß nur ein einziger seiner Untergebenen es wagen würde, ihm einen solchen Vorschlag zu machen. Seien Sie überzeugt davon, daß die Idee Cap[elles], Durocher könne bei ihm in seiner Hauptstadt [Genf] jemand ohne Rechtsgrundlage verhaften lassen, seine lebhafteste Entrüstung wecken würde.
Aber bringen Sie mir ruhig Ihr Mißtrauen entgegen – für mich ist dieses Land ja schon mein neues Vaterland! – ich könnte wirklich die Dinge zu rosenrot anschauen. Rufen Sie sich nur ins Gedächtnis, wie vielen Menschen der Gedanke einer solchen Zuflucht ganz natürlich erschienen ist. Ich sagte zu F[ürst] L[ubomirski], ich sei völlig im unklaren über unsere Pläne, da antwortete er: ›Ich glaube noch immer, daß sie schließlich nach Wien gehen wird.‹
Wir haben ständig die Erfahrung gemacht, daß alles schwieriger wird, wenn man seine Entschlüsse aufschiebt; trotzdem: wenn Sie kein Vertrauen haben, schieben Sie Ihr Vorhaben auf, aber dann bleiben Sie zu Hause auf dem Lande und rühren Sie sich nicht; richten Sie sich ein, dort zu überwintern – ich würde mit Vergnügen wieder dort hinkommen und mich nicht im geringsten ängstigen.
Ich weiß sehr wohl, daß, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, ich es als Mann schon lange Gott, den Menschen und mir selbst gegenüber für meine Pflicht gehalten hätte, um jeden Preis das Land zu verlassen und ungerechte Unterdrückung durch meine freiwillige Unterwerfung nicht zu sanktionieren. Einer meiner jetzt verstorbenen Freunde pflegte zu sagen, kein Mensch brauche sich von einem anderen wirklich zwingen zu lassen. Der Wille ist unbezwinglich – vorausgesetzt, daß ein wirklich starker Wille da ist. Sie sind eine Frau, aber Sie haben viel mehr geistige Energie gezeigt, als die meisten Männer – Sie haben sogar die Energie besessen, anderen gewisse Dinge zu verweigern. Das alles taten Sie für die Allgemeinheit und zu dem Zwecke, ihr ein Beispiel zu geben. Sollten Sie weniger Mut zeigen, wenn es sich um Ihr persönliches Schicksal und das der Ihren handelt? Alles bekommt ein anderes Gesicht, wenn man eine Handlung als Pflicht ansieht; dann steht man unter Gottes Schutz, der alle Haare auf unserem Haupte gezählt hat und der in einem einzigen Augenblick alle Mächtigen dieser Erde in Staub verwandeln kann.
Ich rechne damit, heute einen Brief von Ihnen zu erhalten, aber erst nach Abgang dieses Schreibens; er wird über meine Reise nach Solothurn und Jägersdorff, die ich am Dienstag antreten wollte, entscheiden – freilich hätte es auch noch bis Donnerstag Zeit; – wenn die Post heute nichts bringt, kann ich bis zum nächsten Mittwoch keinen Brief mehr von Ihnen bekommen.
Ich habe meinen Schweizer Paß auf dem Polizeibüro wiedergefunden, aber auch sehr energisch darauf bestanden, daß man genau nachsuchte.
Herr von Freudenreich Vater bittet mich, ihn bei Ihnen in Erinnerung zu bringen. Herr von Wattenwyl ist hier bis zur Eröffnung der Tagsatzung, von der man immer noch behauptet, sie werde am neunten September stattfinden – doch man hat noch nichts davon gehört, daß Herr Reinhard in Audienz empfangen wurde.
Ein Reisender berichtete mir hier von einer Reise des Kais[ers] nach Bayonne und behauptete, viele Truppen warteten dort auf seine Ankunft, ja, das Gardecorps habe sich schon in Marsch gesetzt; aber Sie werden das ja alles besser wissen als ich.
Entsinnen Sie sich Ihrer Unterhaltung mit dem armen Herrn de Corbigny über die Einschiffung nach Amerika, vor der Sie solche Angst hatten? Nach der Art, wie er gestorben, kann man wohl annehmen, daß ihm das alles aus ehrlichem Herzen kam – und was hat sich seitdem geändert, wenn nicht zum Schlechteren?
Wenn ich die Wahl hätte, mich der Treulosigkeit, der Schwäche oder der Kleinmütigkeit anzuvertrauen, würde ich im allgemeinen immer die letztgenannte bevorzugen, weil sie nicht gegen das Verbrechen abgestumpft ist.
In diesem Augenblick sind Sie von Ihren besten Beratern umgeben, da die Herren M[ontmorency] bei Ihnen sind – ich meinerseits habe nun alles erschöpft, was ich auf meiner Reise an Erfahrungen habe sammeln können. Seien Sie aber immer meiner Ergebenheit versichert – was für einen Entschluß Sie auch fassen mögen.
Würde zur Regelung der Vermögensangelegenheiten in Amerika nicht eine Reise Augusts genügen? Für ihn ist das doch eine Kleinigkeit.
· Original , 23.08.1811
· Pange, Pauline de: Auguste-Guillaume Schlegel et Madame de Staël d’apres des documents inédits. Paris 1938, S. 315‒317.
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