nehme ich mir die Freiheit, beiliegende Probe einer Uebersetzung der Manuischen Schöpfungsurkunde vorzulegen. Was mich zu der Beendigung dieser kleinen nur versuchsweise begonnenen Arbeit ermunterte, was vielleicht auch die Kühnheit zu entschuldigen vermag, mit welcher ich derselben nunmehr die nachsichtige Theilnahme und Beurtheilung des competentesten Richters zu erbitten wage, war der Anschein eines unerwarteten Erfolges bei dem Unternehmen, jenen tiefsinnigen, dem Theologen, Philosophen und Alterthumforscher gleich wichtigen, dem deutschen Publicum zu lange vorenthaltenen Text in einer dem Original möglichst verwandten Diction und metrischen Gestalt durch die Muttersprache wiederzugeben. Ich glaube mich dabei überzeugt zu haben, daß der Slôkenrhythmus nicht allein für diejenigen Zweige der sanskritischen Original-Literatur, die sich desselben ausschließlich bedienen, vortrefflich erfunden, sondern auch vorzugsweise geeignet sei, den dogmatisch, gnomisch- oder philosophisch-didactischen, wie auch den epischen Inhalt jener Dichtungen in den Kreis der deutschen Literatur herüberzuführen. Durch seine Halbgebundenheit und durch die Mannigfaltigkeit der innerhalb seiner möglichen Rhythmen vereinigt der Slôke in sich entgegengesetzte Charactere. Durch den meistentheils hinkend schweren Ausgang der ungeraden Padas besitzt er Gravität, doctrinelle und poetische Würde und ernstes Pathos; die gestatteten metrischen Variationen geben Anlaß zu erhöhter Bewegung und lassen zugleich auch Malerei nicht ausgeschlossen. Wegen seiner abwechselnden Ungebundenheit verschmäht er aber auch nicht, in das Gebiet der Reflexion und des kalten Urtheils herabzusteigen, und im Allgemeinen scheint die prosaische Wortfolge für den Slôkas die geeignetere. Aller Willkür und Abwechslung, aller Steigerungs- und Schwächungsfähigkeit desselben legt aber endlich der regelmäßige, unveränderlich diiambische Ablauf der beiden Schlußpadas das Joch eines ruhigen Zusammenhanges auf.
Ein anderer Gedanke, der mich während der Lecture und des Uebersetzungsgeschäftes begleitete, betraf die Nothwendigkeit, die hauptsächlichsten Urkunden und Denkmäler der Indischen Literatur dem Publicum, auch dem gelehrten Publicum Deutschlands noch zugänglicher zu machen, als sie dieß durch die Bemühungen und den einflußreichen Vorgang großer und verehrungswürdiger Männer bereits geworden sind. Es ist dem deutschen Geist gelungen, den wesentlichen Inhalt der [2] Bildung des classischen Alterthums in sich aufzunehmen, hauptsächlich, wie ich glaube, durch das Mittel und unter der Leitung eines lebendig erwachten Kunstsin[ns.] Der Schlüssel zu den Geheimnissen des Orients scheint ein anderer zu sein. Nachde[m] das deutsche Bewußtsein wie an intuitiver Verinnerlichung durch große Künstl[er] und Kunstfreunde, so auch nunmehr an speculativer Vertiefung durch bedeuten[de] Philosophen sich mächtig gefördert sieht: sollte es nunmehr nicht für die deutsch[e] Wissenschaft zu den Aufgaben der nächsten Zukunft gehören, die tiefen und f[...]baren Ideen, die da stark waren, Jahrtausende hindurch das reiche, abgeschloss[ene] Indien auf einem hohen Standpunkte socialer und geistiger Bildung zu erh[alten] an den Quellen erforscht, dem modernen, christlich-universellen Bewußtsein einzuverleiben?
So lange die Sprache einer reichen und gebildeten Literatur nur erst spärlich[e] Verbreitung unter den gelehrten und gebildeten Ständen gefunden hat, könne[n] Uebersetzungen aus derselben dankenswerther und verdienstlicher erscheinen, [ih]res größeren Nutzens wegen für Viele. Der Uebersetzer halte vielmehr daf[ür] daß, je weniger unter der Zahl derer, denen er dienen möchte, die quellenha[ften] Mittel zur Würdigung und Berichtigung seiner Thätigkeit in Händen haben, desto größer für ihn die Verpflichtung werde, durch hingegebene Treue an [den] Sinn und Character, durch sorgfältige Zurückdrängung aller willkürlichen und subjectiven Ausdeutung seines Textes gleichsam eine Originalcopie desselben darzustellen. Es steht mir nicht zu, in dieser Rücksicht zwischen meinem Ver[such] und der englischen Uebersetzung des verehrungswürdigen Jones die Parallele [zu] ziehen. Sollte ich jedoch nach dem Urtheil meiner Richter in einigen der zahl[rei]chen Fälle, wo ich von der letzteren abweichen zu dürfen glaubte, das Richtige getroffen, so glaube ich darin nur der Forderung genügt zu haben, welche de[r] Fortschritt der heutigen, Fremdes weniger ausschließenden Bildung, so wie die günstigeren Mittel der Muttersprache dem deutschen Bearbeiter der Speculati[o]nen eines entlegenen tiefsinnigen Alterthums als unerläßlich auferlegen. In zweifelhaften Fällen jedoch, wo ich mich durch höhere Rücksichten des Sinnes und Zusammenhanges nicht gebunden fühlte, habe ich mich nicht überhoben, die Autorität des Scholiasten Kullûka Baṭṭa, auf welche Jones fußt, für diese[n] sprechen zu lassen.
Schließlich erlaube ich mir noch die Bemerkung, daß für den Fall meine [3] Uebersetzung einer Mittheilung in weiteren Kreisen nicht ganz unwürdig erachtet zu sehen, ich mit Ausarbeitung der nöthigsten kurzen sacherklärenden Anmerkungen beschäftigt bin.
Ich wiederhole meine Bitte um Entschuldigung der Freimüthigkeit, mit welcher ich Ew. Hochwohlgeboren Aufmerksamkeit auf meine unreifen Ansichten und Bestrebungen zu ziehen wage. Indem ich aber mich glücklich schätze, als dankbarer Jünger einer Wissenschaft angehören zu können, an welche, unter den Auspicien derselben Meister, die ihr auf vaterländischen Boden zuerst eine Wohnung gründeten, schon gegenwärtig sich zu kräftiger Blüthe erwachsen sieht und auch fortan ihren bereits gewonnenen Einfluß auf die das gesammte Bewußtsein zu höherer Bildung am meisten fördernden Probleme des menschlichen Geistes mächtig zu erweitern verspricht: habe ich die Ehre zu sein
Ew. Hochwohlgeboren
ergebener
J. W. Lyra. stud. phil.
Bonn, 12. Nov. 1843.
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