• August Wilhelm von Schlegel to Johann Wolfgang von Goethe

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Weimar · Date: 16.03.1802
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Weimar
  • Date: 16.03.1802
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm und Friedrich Schlegel im Briefwechsel mit Schiller und Goethe. Hg. v. Josef Körner u. Ernst Wieneke. Leipzig 1926, S. 128‒130.
  • Verlag: Insel Verlag
  • Incipit: „[1] Berlin d. 16 März 1802
    Ich habe mir immer von Zeit zu Zeit mit der Hoffnung geschmeichelt, einmal einige Zeilen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 28/805 St. 36
  • Provenance: Klassik Stiftung Weimar
[1] Berlin d. 16 März 1802
Ich habe mir immer von Zeit zu Zeit mit der Hoffnung geschmeichelt, einmal einige Zeilen von Ihnen zu erhalten, wiewohl ich deren nicht bedurfte, um Ihres freundschaftlichen Andenkens versichert zu seyn. Sie haben bey dem Ihnen zurückgelaßnen Schauspiele so gütig mein Interesse wahrgenommen, daß ich Ihnen nicht genug dafür danken kann. Die Geschichte von Böttigers vereiteltem Angriff hat mich unendlich ergötzt; ernstlich freuen würde es mich, wenn sie die Veranlassung würde, wie man mir Hoffnung gemacht hat, daß Sie Ihr Urtheil über meine Arbeit öffentlich werden ließen. Die Versendung des Manuscripts nach Frankfurt kann mir nicht anders als sehr angenehm seyn: es scheint doch, als rege sich überall ein Verlangen nach etwas neuem und ungewohntem. [2] Es versteht sich, daß Sie bey ähnlichen Fällen mit unbedingter Vollmacht über mein Mspt: disponiren können. Nach Breslau hat von hieraus Mad. Unzelmann für mich geschrieben, jedoch ohne mich noch als Verfasser zu nennen. Ich erwarte nur Ihren Rath darüber, wie ich es am Besten in Ansehung der Wiener Bühne mache: ob ich eine Anfrage von dorther abwarte, oder auf welchem Wege der Jon am besten dahin zu befördern wäre. Ich wünschte wohl, daß er dort Eingang fände, ehe die Nennung meines Namens in Verknüpfung mit ihm bis dahin gelangte, welches dann leicht ein Hinderniß der Aufführung werden könnte. Hier ist es längst schon ein öffentliches Geheimniß, daß ich der Verfasser bin: wenn so etwas einmal einen Ausweg gefunden hat, so ist nichts mehr dagegen zu machen. Indessen hat sich meine Lage gegen das hiesige Publicum bedeutend verändert. [3] Meine Vorlesungen haben eine Menge Menschen, die nur vom Hörensagen wider mich eingenommen waren, näher mit mir bekannt gemacht, und ich darf wohl sagen, manche für mich gewonnen. Jedoch soll bey der Aufführung, die erst zu Ende Aprils oder Anfang Maiʼs nach Ifflands Angabe erfolgen soll, und sich vermuthlich noch länger hinzieht, mein Name nicht hinzugefügt werden. Der Architekt Genelli zeichnet mir eine vortreffliche Decoration dazu, wozu Tieck die Basreliefs im Fronton skizziren wird, u die, wenn sie so, wie sie projectirt ist, ausgeführt wird, die Zuschauer ganz nach Delphi hin versetzen muß. Eine solche Harmonie der Darstellung wie auf Ihrem Theater darf ich hier freylich nicht erwarten, doch von den Hauptpersonen außerordentlich viel Gutes. Im Regulus hat sich Iffland u Mad. Meyer ungemein brav gezeigt. Leider müssen die Zuschauer [4] dabey die gelehrten und poetischen Bestrebungen des Autors mit Langerweile büßen, weswegen sie vor diesem Stücke auch einen großen Respect haben. Doch gewöhnt sich sowohl das Publicum als die Schauspieler allmählig an Versifizirte Stücke. – Die Kreuzfahrer von Kotzebue, sowie die Oper, sind todt u begraben; der Aufführung seiner beyden neuen Lustspiele sieht man entgegen. Iffland scheint diesen Winter über nichts neues von sich geben zu wollen, wiewohl schon im Sommer etwas davon verlautete u er gewiß, Ein Schauspiel wenigstens, fertig liegen hat. – Nathan der Weise findet viel Beyfall, ich habe noch nicht hineingehen können. Turandot soll in vierzehn Tagen gegeben werden. ‒ Sonst ist der exemplarisch dumme zweyte Theil der Donaunymphe noch an der Tagesordnung.
Die verzögerte Entscheidung über das aufgegebne Intriguen-Lustspiel läßt mich vermuthen, daß seit dem Herbst [5] noch verschiednes, was Aufmerksamkeit verdient, eingelaufen ist, was auch für uns hier ersprießlich werden könnte, denn der Mangel an Lustspielen ist bis zum Heißhunger gestiegen, wie sichs in der Aufnahme jedes aus dem Französischen entlehnten, nur muntern und leichten Stückes offenbart.
Ich benutze die Gelegenheit, daß H. Catel nach Weimar reist, Ihnen einige ganz frische literarische Neuigkeiten zu senden. Das eine ist der so eben fertig gedruckte Alarcos meines Bruders, der seit geraumer Zeit von hier nach Dresden gereist ist, und selbst noch keine vollständigen Exemplare dorthin bekommen hat. Ich wäre sehr begierig etwas von Ihnen darüber zu hören: mir scheint die Meduse allerdings ein treffendes Symbol zu seyn; leider ist sie im Stich misrathen, da sie von Tieck sehr hübsch gezeichnet war. Das andre ist eine Sammlung von Dichtungen von derselben Hand, [6] von welcher Sie schon die Gedichte im Almanach u die Lebensansicht im Athenäum gelesen haben. Die meisten sind schon vor einiger Zeit geschrieben, nur die beyden letzten Nummern sind ganz neu. Ich möchte besonders die letzte, das kleine Drama, Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen, u Sie bitten, die Lesung damit anzufangen. Sie würden mich sehr erfreuen, wenn Sie mir etwas darüber sagen wollten.
Tieck hat uns den ersten Theil seines Octavian hieher geschickt, ein unvergleichliches Werk, ganz der Gegensatz der Genoveva, nur in seiner Art vielleicht noch vollendeter u energischer. –Von mir selbst kann ich noch nichts von neuen Arbeiten rühmen, es ist bis jetzt noch bey Planen stehen geblieben. Der Bildhauer Tieck ist sehr fleißig, er mußte den ungemeinen Beyfall, den seine Arbeiten hier finden, benutzen, um für die Zukunft festen Fuß zu fassen, doch eilt er sich möglichst, um nach Weimar zu[7]rückzukehren. Er hat die Büste einer mit dem Grafen Kalkreuth vermählten Tochter des Ministers Haugwitz fertig, u ist mit denen der Frau von Berg u Gräfin Voß schon sehr weit vorgerückt. – Schadow hat in der letzten Zeit verschiedne Arbeiten geliefert, die auf keine Weise mit denen von Tieck die Vergleichung aushalten, u er fühlt es recht gut, daß er einen schlimmen Nebenbuhler an ihm gefunden hat.
Leben Sie recht wohl, u erfreuen Sie mich doch bald mit einiger Antwort.
AWSchlegel
[8]
[1] Berlin d. 16 März 1802
Ich habe mir immer von Zeit zu Zeit mit der Hoffnung geschmeichelt, einmal einige Zeilen von Ihnen zu erhalten, wiewohl ich deren nicht bedurfte, um Ihres freundschaftlichen Andenkens versichert zu seyn. Sie haben bey dem Ihnen zurückgelaßnen Schauspiele so gütig mein Interesse wahrgenommen, daß ich Ihnen nicht genug dafür danken kann. Die Geschichte von Böttigers vereiteltem Angriff hat mich unendlich ergötzt; ernstlich freuen würde es mich, wenn sie die Veranlassung würde, wie man mir Hoffnung gemacht hat, daß Sie Ihr Urtheil über meine Arbeit öffentlich werden ließen. Die Versendung des Manuscripts nach Frankfurt kann mir nicht anders als sehr angenehm seyn: es scheint doch, als rege sich überall ein Verlangen nach etwas neuem und ungewohntem. [2] Es versteht sich, daß Sie bey ähnlichen Fällen mit unbedingter Vollmacht über mein Mspt: disponiren können. Nach Breslau hat von hieraus Mad. Unzelmann für mich geschrieben, jedoch ohne mich noch als Verfasser zu nennen. Ich erwarte nur Ihren Rath darüber, wie ich es am Besten in Ansehung der Wiener Bühne mache: ob ich eine Anfrage von dorther abwarte, oder auf welchem Wege der Jon am besten dahin zu befördern wäre. Ich wünschte wohl, daß er dort Eingang fände, ehe die Nennung meines Namens in Verknüpfung mit ihm bis dahin gelangte, welches dann leicht ein Hinderniß der Aufführung werden könnte. Hier ist es längst schon ein öffentliches Geheimniß, daß ich der Verfasser bin: wenn so etwas einmal einen Ausweg gefunden hat, so ist nichts mehr dagegen zu machen. Indessen hat sich meine Lage gegen das hiesige Publicum bedeutend verändert. [3] Meine Vorlesungen haben eine Menge Menschen, die nur vom Hörensagen wider mich eingenommen waren, näher mit mir bekannt gemacht, und ich darf wohl sagen, manche für mich gewonnen. Jedoch soll bey der Aufführung, die erst zu Ende Aprils oder Anfang Maiʼs nach Ifflands Angabe erfolgen soll, und sich vermuthlich noch länger hinzieht, mein Name nicht hinzugefügt werden. Der Architekt Genelli zeichnet mir eine vortreffliche Decoration dazu, wozu Tieck die Basreliefs im Fronton skizziren wird, u die, wenn sie so, wie sie projectirt ist, ausgeführt wird, die Zuschauer ganz nach Delphi hin versetzen muß. Eine solche Harmonie der Darstellung wie auf Ihrem Theater darf ich hier freylich nicht erwarten, doch von den Hauptpersonen außerordentlich viel Gutes. Im Regulus hat sich Iffland u Mad. Meyer ungemein brav gezeigt. Leider müssen die Zuschauer [4] dabey die gelehrten und poetischen Bestrebungen des Autors mit Langerweile büßen, weswegen sie vor diesem Stücke auch einen großen Respect haben. Doch gewöhnt sich sowohl das Publicum als die Schauspieler allmählig an Versifizirte Stücke. – Die Kreuzfahrer von Kotzebue, sowie die Oper, sind todt u begraben; der Aufführung seiner beyden neuen Lustspiele sieht man entgegen. Iffland scheint diesen Winter über nichts neues von sich geben zu wollen, wiewohl schon im Sommer etwas davon verlautete u er gewiß, Ein Schauspiel wenigstens, fertig liegen hat. – Nathan der Weise findet viel Beyfall, ich habe noch nicht hineingehen können. Turandot soll in vierzehn Tagen gegeben werden. ‒ Sonst ist der exemplarisch dumme zweyte Theil der Donaunymphe noch an der Tagesordnung.
Die verzögerte Entscheidung über das aufgegebne Intriguen-Lustspiel läßt mich vermuthen, daß seit dem Herbst [5] noch verschiednes, was Aufmerksamkeit verdient, eingelaufen ist, was auch für uns hier ersprießlich werden könnte, denn der Mangel an Lustspielen ist bis zum Heißhunger gestiegen, wie sichs in der Aufnahme jedes aus dem Französischen entlehnten, nur muntern und leichten Stückes offenbart.
Ich benutze die Gelegenheit, daß H. Catel nach Weimar reist, Ihnen einige ganz frische literarische Neuigkeiten zu senden. Das eine ist der so eben fertig gedruckte Alarcos meines Bruders, der seit geraumer Zeit von hier nach Dresden gereist ist, und selbst noch keine vollständigen Exemplare dorthin bekommen hat. Ich wäre sehr begierig etwas von Ihnen darüber zu hören: mir scheint die Meduse allerdings ein treffendes Symbol zu seyn; leider ist sie im Stich misrathen, da sie von Tieck sehr hübsch gezeichnet war. Das andre ist eine Sammlung von Dichtungen von derselben Hand, [6] von welcher Sie schon die Gedichte im Almanach u die Lebensansicht im Athenäum gelesen haben. Die meisten sind schon vor einiger Zeit geschrieben, nur die beyden letzten Nummern sind ganz neu. Ich möchte besonders die letzte, das kleine Drama, Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen, u Sie bitten, die Lesung damit anzufangen. Sie würden mich sehr erfreuen, wenn Sie mir etwas darüber sagen wollten.
Tieck hat uns den ersten Theil seines Octavian hieher geschickt, ein unvergleichliches Werk, ganz der Gegensatz der Genoveva, nur in seiner Art vielleicht noch vollendeter u energischer. –Von mir selbst kann ich noch nichts von neuen Arbeiten rühmen, es ist bis jetzt noch bey Planen stehen geblieben. Der Bildhauer Tieck ist sehr fleißig, er mußte den ungemeinen Beyfall, den seine Arbeiten hier finden, benutzen, um für die Zukunft festen Fuß zu fassen, doch eilt er sich möglichst, um nach Weimar zu[7]rückzukehren. Er hat die Büste einer mit dem Grafen Kalkreuth vermählten Tochter des Ministers Haugwitz fertig, u ist mit denen der Frau von Berg u Gräfin Voß schon sehr weit vorgerückt. – Schadow hat in der letzten Zeit verschiedne Arbeiten geliefert, die auf keine Weise mit denen von Tieck die Vergleichung aushalten, u er fühlt es recht gut, daß er einen schlimmen Nebenbuhler an ihm gefunden hat.
Leben Sie recht wohl, u erfreuen Sie mich doch bald mit einiger Antwort.
AWSchlegel
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