Verzeihen Sie, mein werthester Herr Professor, daß ich wieder so lange die Antwort schuldig geblieben bin. Seit dem Empfange Ihres Briefes vom 1ten Jul. habe ich, andre Reisen und Abhaltungen nicht zu erwähnen, einen großen Theil der Schweiz durchwandert, und bin erst vor vier Wochen hieher zurückgekommen. Dann wollte ich auch eine Antwort vom Hofrath Eichstädt abwarten, die ich kürzlich erhalten. Er ist bereit, eine zweyte Anzeige Ihres Othello und Lear von mir aufzunehmen, meynt aber, sie würde am schicklichsten neben einer zu veranstaltenden Beurtheilung meiner Übersetzung des Shakspeare erscheinen können. Ich habe hierauf erwiedert, es sey wohl nicht nöthig so lange damit zu warten, und von meinem Shakspeare zu reden, könne bis auf die Herausgabe des neunten Bandes verspart werden.
Indessen kann ich diese Arbeit, die ich gern gründlich machen möchte, nicht auf eine gewisse Zeit zu liefern versprechen. In sechs Wochen gehe ich wahrscheinlich nach Deutschland um den Winter dort zuzubringen, und hoffe dann [2] Muße dazu zu finden. Hier fehlen mir sogar einige zur Vergleichung nöthige Bücher, z. B. die neuesten Ausgaben des Shakspeareʼs.
Ich glaube Sie haben Unrecht von dem Stillschweigen oder der Oberflächlichkeit der gelehrten Zeitungen auf kalte Aufnahme Ihrer Arbeit beym Publicum zu schließen. Es stünde übel um unsere Literatur wenn diese Folgerung gelten sollte. Ob und wie, mit welchem Sinn und welcher Zuneigung ein Buch gelesen wird, darauf kommt es ja einzig an. Die Menge der abgesetzten Exemplare, die man nicht einmal immer mit völliger Gewißheit von den Buchhändlern erfährt, ist davon auch nur ein unzureichendes Kennzeichen. Wiewohl ich seit so vielen Jahren, daß ich die Arbeit am Shakspeare angefangen habe, fast nie in öffentlichen Blättern ein bedeutendes treffendes Lob derselben gelesen, war ich doch von jeher mit der Aufnahme ungemein zufrieden, weil mir viele Leser, die sich nicht anmaßen als Öffentliche Beurtheiler aufzutreten, ihren Dank für den ihnen verschafften Genuß herzlich geäußert haben. Dieß wird Ihnen sicherlich nicht entstehen, lassen Sie sich daher durch das Unwesen der literarischen Blätter die gute Stimmung nicht verderben, [3] und fahren Sie fort Ihre schönen Talente und gründlichen Kenntnisse den besseren Lesern zu widmen.
Möchte mich mein Weg über Heidelberg führen! Ich fürchte aber, für jetzt wird mir dieß Vergnügen nicht zu Theil. Indessen sage ich Ihnen für Ihre freundliche Einladung den herzlichsten Dank. Es ist mir immer eine große Freude, mit einem ächten Deutschen ein neues Verhältniß angeknüpft zu haben: dieß ist das einzige was in unsern verworrnen Zeiten den Muth aufrecht erhalten kann.
Meine hochachtungsvollsten Empfehlungen an Ihren Herrn Vater. Ich wußte nicht, daß Hr. Gries in Heidelberg wäre, ich danke ihm für sein Andenken, und hoffe daß es ihm so wohl geht als er es durch seine Talente und seinen liebenswürdigen Charakter verdient. Leben Sie recht wohl, und bedenken Sie mich einmal wieder mit einem Brief. Ich erfahre hier fast nichts von den literarischen Vorfällen in Deutschland. Wenn nur viel gutes davon zu melden wäre! Nochmals leben Sie wohl.
Ganz Ihr
A. W. Schlegel
Nächstens sende ich Ihnen zu einiger Erwiederung Ihres Geschenkes eine französische Schrift von mir, die so eben in Paris erscheint: eine Ver[4]gleichung zwischen der Phädra des Euripides und der des Racine. Es ist ein fast nur zum Scherze angestellter Versuch, ich kann wohl nur von Deutschen Lesern verstanden und gebilligt zu werden hoffen. Aber hat doch auch der heilige Antonius den Fischen gepredigt. Wenn Sie Gelegenheit haben etwas darüber zu sagen, etwa im Morgenblatt oder sonst, so wird es mir lieb seyn. In der Jenaischen ALZ ist vermuthlich schon für eine Anzeige gesorgt.