Erlauben Sie mir, werthester Herr Professor, nach so langer Unterbrechung unseres Briefwechsels Sie wieder einmal zu begrüßen, und mich nach Ihrem und der Ihrigen Befinden zu erkundigen. Seit dem Frieden habe ich mich wieder den gewohnten Beschäftigungen ergeben: allein ich brachte den größten Theil der Zeit in Frankreich zu, wo ich von dem was in litterarischer Hinsicht in Deutschland vorgeht, wenig erfuhr, und mir die neuen Erscheinungen gar nicht verschaffen konnte. Dieß hat mich auch bisher abgehalten, Ihnen Beyträge zu den Heidelbergischen Jahrbüchern anzubieten. Falls ich den Sommer hier ruhig zubringen kann, was ich jedoch mehr wünsche als hoffe, werde ich mir ein Vergnügen daraus machen, Ihnen einiges zu liefern. Ich schlage zum Anfange die altdeutschen Wälder der Brüder Grimm vor. In diesem Fache möchte ich überhaupt am liebsten etwas übernehmen. Zwar gestehe ich Ihnen im voraus, daß meine Urtheile etwas anders ausfallen werden, als wenn die Herren Grimm und Görres einander gegenseitig anzeigen. HE. Jakob Grimm ist ein eifriger Forscher, er schüttet aber das gesammelte zu eilfertig aus, und ist daher oft auf einem Irrwege sowohl in der Geschichte als in der Auslegung und Etymologie. HE. Görres hat nun vollends eine Gabe, alles durcheinander zu wirren, daß einem wirklich schwindlich dabey wird. Am wenigsten kann ich ihm folgen, wenn er von den Indischen Alterthümern ohne alle Kenntniß der Sprache Rechenschaft zu geben unternimmt. Ich habe jetzt das Sanskritanische zu erlernen angefangen, und dieß ist nicht so entlegen von meinen bisherigen Studien, als es auf den ersten Blick scheinen möchte; vielmehr gehe ich dabey auf eine grammatische und etymologische Zusammenstellung des Indischen mit dem Griechischen und Lateinischen nicht nur, sondern mit den sämtlichen altdeutschen Mundarten aus: eine Arbeit, die von den Englischen Orientalisten schwerlich geliefert werden dürfte. Die Ereignisse haben meinen Aufenthalt in Paris abgekürzt, und mich bey einer großen Arbeit über die provenzalischen Dichter unterbrochen; doch habe ich eine nicht unbeträchtliche Ausbeute mitgebracht.
Geben Sie mir doch vor allem Nachricht von Ihren gelehrten Arbeiten. Ist die Fortsetzung Ihres Handbuchs der Deutschen Geschichte erschienen? Was Sie über die Gesetze sagen, war mir besonders merkwürdig und ließ mich eine ausführlichere Behandlung des Gegenstandes wünschen. Wir bedürfen in Deutschland einer vollständigen Quellensammlung nach dem Plane der großen Werke von Muratori und Bouquet. Aber dieß kann freylich nur durch Begünstigung einer oder mehrerer Regierungen geschehen.
Melden Sie mir doch, wie es mit dem Flore Ihrer Universität steht. Sie liegen dort nahe an der Gränze, und werden die Wirkungen des Krieges zunächst erfahren. Es scheint unvermeidlich, und ich glaube, es ist nothwendig, allein es ist doch hart, daß Deutschland der errungenen Siege so wenig hat froh werden können. Es war noch so vieles zu ordnen, und der Fortschritt zum Besseren findet immer nur langsam Statt. Wird die innere Verfassung sich neben dem äußeren Kampfe ausbilden können? Leben Sie recht wohl, und erfreuen Sie mich bald durch einige Zeilen. Meinen herzlichen Gruß an Ihre Gattin. Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Wohlgeb.
ergebenster
A. W. von Schlegel