Es ist mir herzlich unangenehm daß ich durch mein langes Zögern dem Anschein nach auf mein Schreiben einen Wehrt lege, den es so wenig behaupten kann, nach meiner eignen Überzeugung. Ich hoffe auch Sie werden mich von dem Verdacht frey sprechen wenn ich Ihnen erzähle wie es mir gegangen seit Ihrem kurzen Besuche in Osnabrück. Denken Sie nur daß ich jezt kaum wieder zur Ruhe gelangt bin. Für Ihre sonst ganz häuslich stille Freundinn ist die Zeit ziemlich wüste und bunt verstrichen, wenigstens die lezte. Der glückliche einfache Lebenslauf in Mösers Hause, deßen Wehrt für mich Sie so bald zu meiner Freude anerkannten, wurde mir noch sehr verlängert. Der gütige Vater bestand darauf ihn nach Pirmont zu begleiten, und wollte mich nicht eher reisen laßen. Einige kleine Einrichtungen zu dem dortigen Aufenthalt beschäftigten mich als ich Ihren Brief erhielt, nachher vier Wochen in dem Pirmonter Wirbel verlebt, der, ob es gleich für den Ort oft ganz ruhig und einförmig zuging, doch dem Kopf – wenigstens dem meinigen wenig Fähigkeit zu einem erträglichen Briefe lies, da ich so sehr jeden vernünftigern Augenblick im Umgang meiner Freunde zu genießen wünschte, den ich so bald ganz entbehren sollte. – Ich habe den aufrichtigsten Antheil genommen an allem was Sie damals schon gutes in Ihrer Lage gefunden hatten das dauerhafte Zufriedenheit hoffen lies; noch mehr alles bestätigt zu hören durch die spätern Nachrichten an Ihre Familie. Mösers theilten recht die Freude darüber, und trugen mir auf Ihnen das zu bezeugen. Ihnen dies vorenthalten zu haben werfe ich mir mehr vor als mein eignes Stillschweigen; indeß deucht mich der Achtung von Möser und seiner Tochter versichert zu werden müßte nach Jahre langer Trennung noch angenehm seyn. Auch müßen Sie aus der ganzen Aufnahme, so kurz die Bekantschaft war, überzeugt seyn daß man Ihnen gut war, und gern Sie länger da gesehn hätte, da Sie sich so geschwind [2] in den ganzen Ton des Hauses fanden. Ich bin da so unbeschreiblich glücklich gewesen daß ich für niemand etwas beßers auszudencken und zu wünschen weis als es eben so gut zu haben, so armseelig der Ort auch sonst in mancher Rücksicht ist; denn ich wurde immer mehr überzeugt daß in dem häuslichen Umgang ein unerschöpflicher Reichtuhm an Geistes Unterhaltung lag, den ich nur nicht genug zu nuzen verstand, und der deswegen auch jeden befriedigen müßte der mehr Geist, und deswegen auch mehr Bedürfniß dafür, hinbrächte. Ich bin sehr arm an Worten wenn ich auf diese Leute komme, kann nur sagen daß ich ihren ganzen Wehrt dunckel empfinde, aber so lebhaft, so tief daß meine Liebe für sie sich ohnmöglich jemals vermindern kann. Einen solchen Vater und schwesterliche Freundinn gefunden zu haben scheint mir oft zu viel Glück, auch nach der Trennung, die mir so bitter sein muß, denn der genaueste Briefwechsel kann nichts seyn gegen solchen täglichen Umgang. Doch machte Pirmont darin schon einen großen Unterschied. Der Morgen und Abend war wohl häuslich nach alter Art, und manche einzelne Stunden, allein das ganze Leben verscheuchte die ruhige Stimmung der Seele in der man allein recht fähig für die Freuden des Umgangs ist. Viele neue intereßante Bekantschaften habe ich nicht dort gemacht. Ich fand fast lauter Hannoveraner, aber unter ihnen einen sehr angenehmen kleinem Zirckel; tägliche Partien bey dem schönsten Wetter, in den umliegenden Gegenden und auf die Berge, die ganz besonders nach meinem Geschmack waren da alle Gene und Hofton dadurch verdrängt wurden. Ein junges Mädchen machte mir besonders die Geselschaften angenehm, da sie mir sehr gefiel, und es hier etwas seltnes ist eine zu finden deren Unterhaltung nach meinem Geschmack ganz wäre. Diese war in der Gegend von Hamburg einfach aber sehr sorgsam von einer vortreflichen Mutter erzogen mit mehrern Schwestern. Sie hatte ganz das was ich an uns am meisten liebe, ein ofnes freymüthiges Wesen, ein fröhliches Herz, und doch auch [3] den sanftern ernsthaftern Eindrücken so offen, das alles laß man ganz in ihren schönen sehr sprechenden Augen, daß ich wenig Zeit bedurfte sie bey weiten allen andern vorzuziehn.
Fr.[au] v. Berlepsch war auch da während der ganzen Zeit. Allein ihre Bitterkeit und Foderungen verderben oft mehr im kleinen Zirkel als ihr gebildeter Geist gut macht, so viel der auch zur Unterhaltung beytragen müßte. Ich habe Bouterweck einige Tage da gesehn. Sie wißen er ist zurückhaltend und sein Ansehn, kränklich und melancholisch, macht einen traurigen Eindruck, doch freute ich mich sehr ihn zu sehn, und in manchem was er sagte Spuren von dem Geiste zu finden den ich in seinen Gedichten liebe. Verschiedene aus Göttingen waren länger da. Blumenbachs Umgang trug vorzüglich zu der Freude bey; immer heiter und dabey etwas so zuverläßiges, das ist von doppeltem Wehrt da wo rund um einem her Lieb und Freundschaft als die launigsten unbeständigsten Gottheiten erscheinen. Man kann nicht laßen auch blos als Zuschauer dort oft mit der bittern Empfindung einen Schwarm Menschen zu verlaßen daß ihre Bezeugungen unter einander nichts wehrt sind. Wie glücklich wenn man denn zu Haus die Leute findet die die Geselschaft aller übrigen gleichgültig und allenfalls entbehrlich macht! Ohne das mögte ich auch um vieles mich dort nicht so lange aufhalten. Es ist nicht die Welt die ich liebe und für die ich mich im geringsten gemacht fühle. Man lernt die Leute geschwind aber auf eine unangenehme Art kennen, so manche Schwäche ist lästig und unerträglich weil andre schäzbare Seiten nicht Gelegenheit haben sich zu zeigen, die glänzenden Vorzüge gewinnen und blenden, von mancher gut gespielten Rolle wird man betrogen, nachher erbittert – ich bleibe bey der Meynung die ich vor einigen Jahren schon davon hatte. Ich wünschte nicht Klugheit und Menschen Kentniß mir von dort her zu erwerben, denn sie wäre unfreundlich, ja, ungerecht.
Wie ich wieder kam lernte ich hier Hofrath Moriz aus Berlin kennen. Sein [4] genauer Umgang mit meinem Bruder in Rom, das lebhafte Intereße für die Künste, sein ganzes eigenthümliches Wesen, das nicht zu verkennen möglich ist veranlaßte viele intereßante Gespräche in der kurzen Zeit. Er hat mich mit den lebhaften Schilderungen des schönen Lebens das er in Rom mit Friz führte so ganz zu dem hin versezt daß ich einige Tage alles was die Täuschung störte ungern sah. Jezt bin ich aber wieder mit wahrem Vergnügen hier, ich war noch nie so lange abwesend als diesen Sommer, und da bleibt doch die größte aller Freuden sich wieder zu Haus zu finden, alles nach alter Weise. Die kennen Sie; meine Mutter und mein Bruder grüßen Sie herzlich.
Der Sommer in dem ich so viele Freuden durch andre gehabt, endet auch recht schön für mich. Ihre Schwester komt nun gewiß bald auf einige Wochen. Ich freue mich sehr darauf denn es war nicht anders möglich als daß man sich durch die Länge der Zeit fremd wurde, ich hoffe ihren Aufenthalt hier recht zu nuzen. Indeß mache ich mich in dem was sie betrifft immer bekanter durch Henriettens Erzählungen. Sie ist so munter so glücklich nach ihrer langen Reise, hat so vieles eingesamlet von mancher Art, daß es ein Vergnügen ist sie davon reden zu hören, und es war wohl der Mühe wehrt sie deswegen ein Jahr zu entbehren; es muß auch Ihren Eltern dadurch leicht geworden seyn.
Von Ihrem jüngsten Bruder freue ich mich sehr zu hören daß er vergnügt in L.[eipzig] ist, in einiger Rücksicht beßer zufrieden als in G.[öttingen] da er mit verschiedenen dort gern umgeht.
Leben Sie recht wohl und vergeßen uns alte Freunde nicht in Ihrer neuen Welt.
C. Rehberg