Mein hochgeehrtester Herr und Freund!
Ew. Wohlgeb. haben mir durch Ihr freundschaftliches Schreiben eine sehr große Freude gewährt, wobei ich nur beklagen muß, daß der Brief unerwünschte Nachrichten von Ihrem Befinden enthält. Diese habe ich, Ihrem Auftrage gemäß, meinem Freunde Welcker mitgetheilt, der sie mit der aufrichtigsten Theilnahme aufgenommen hat, und über die gemeldeten Trauerfälle ganz bestürzt gewesen ist.
Sie sind mir zuvorgekommen: längst hatte ich mir vorgesetzt Ihnen zu schreiben, um Ihnen meine Bewunderung und meinen Dank für so vielfache Belehrung auszudrücken. Ein wissenschaftliches Schreiben an Sie, oder vielmehr eine Reihe von Briefen will ich meiner Indischen Bibliothek einrücken. Der Inhalt ist seit geraumer Zeit in meinem Kopfe fertig: mancherlei Störungen und Arbeiten anderer Art haben die Ausführung verzögert, wie denn immer die besten Vorsätze am langsamsten zur Wirklichkeit zu gelangen pflegen. Mit der nachdrücklichsten Anerkennung Ihrer großen Verdienste um die Wissenschaft und um das deutsche Vaterland werde ich anfangen, und dann zu einzelnen Erörterungen fortgehn. Bestätigungen aus eigner Forschung, besonders über das Sanskrit, habe ich Ihnen in Menge entgegen zu bringen; Zweifel und Einwendungen meistens nur bei mehr hypothetischen Punkten der Sprachvergleichung und Etymologie. Mir schwindelt ordentlich, wenn ich bedenke, welche unermeßliche Bahn Sie in einem Zeitraum von etwa zwölf Jahren nicht nur durchlaufen, sondern zuerst geöffnet haben. Was ich am meisten bewundern muß, ist, daß die Masse des gesammelten Stoffes, und die ungeheuern Gedulds-Arbeiten, die sie haben vornehmen müssen, der immer regen Empfänglichkeit für das innerste Wesen der Sprache, dem divinatorischen Scharfsinne, der geistreichen Ansicht niemals den mindesten Abbruch gethan haben. Dieses schreib ich nicht bloß Ihnen, als eine vertrauliche Äußerung: ich wünsche, ganz Deutschland möge erfahren, wie gern ich mich für Ihren Schüler erkläre. Ich bin sehr häufig in dem Falle, Sie in meinen Vorlesungen zu erwähnen; und es geschieht nie in einem andern Sinne.
Ich hatte gehofft, im vorigen Herbst eine Reise nach Berlin machen zu können, und dabei war mein Augenmerk ganz besonders auf Cassel gerichtet, wo ich einige Tage zu verweilen gedachte. Jetzt habe ich es mir nur für die Osterferien vorgenommen, und werde es gewiß ausführen, wenn nicht unvorhergesehene Hindernisse in den Weg treten, und dann treffe ich schon vor Ostern in Cassel ein. – Ich habe Ihnen aber noch etwas anderes vorzuschlagen. Könnten Sie sich nicht einen Urlaub während der Sommer-Monate auswirken, und wenigstens einige Wochen in Bonn zubringen. Sie ließen sich gefallen, mein Haus- und Tischgenosse zu seyn, wir könnten manches besprechen, und dabei uns auf Spaziergängen der heitern Gegend erfreuen. Wir haben zu viel wissenschaftliche Berührungen, als daß sie sich in ein paar Tagen abthun ließen. Das Sanskrit wissen Sie zwar in bedeutendem Grade, ohne es förmlich erlernt zu haben; es wird Ihnen, wenn Sie sich an die Lesung der Schriften begeben, wie ein alter Bekannter erscheinen. Aber es würde Ihnen einen Genuß gewähren; sowohl mein gelehrter Mitarbeiter Hr. Lassen als ich selbst, wir würden uns beeifern, Ihnen jede Erleichterung entgegen zu bringen und Sie lernen mehr in einem Monat als andre Schüler in Jahren. Überlegen Sie doch ja, ob es nicht möglich zu machen ist.
Ihre sehr willkommnen Aufsätze werde ich in dem ersten Hefte des 3ten Bandes der Indischen Bibliothek abdrucken lassen. Das letzte Heft des 2ten war bereits im Druck und hatte seine vollständige Bestimmung, als ich sie empfing. Nächstens sende ich es Ihnen. Das erste Buch von dem Texte des Râmâyańa ist gedruckt, der Band soll, denke ich, im Laufe des Jahres mit der Lateinischen Übersetzung erscheinen. Eine kurzgefaßte Grammatik des Sanskrit in Lateinischer Sprache habe ich auch angefangen auszuarbeiten, bin aber noch nicht über die ersten Capitel hinausgekommen.
Empfangen Sie, mein hochgeehrtester Herr und Freund, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.
Ihr ergebenster
A. W. v. Schlegel
Ich höre, Prof. Bopp hat in der neuen Berliner Literatur Zeitung Ihr Werk anzuzeigen übernommen. Er hat viel Scharfsinn in grammatischen Dingen, wenn er nur nicht allzu einseitig gewisse Lieblings-Ansichten von der Sprachbildung verfolgte, auf die ich gar nicht eingehen kann.