• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Bern · Place of Destination: Genf · Date: 27.02.1812
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Bern
  • Place of Destination: Genf
  • Date: 27.02.1812
  • Typ: Deutsche Übersetzung
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 294–295.
  • Incipit: „Bern, den 27. Februar [1812]
    Liebe Freundin! Sie jagen mir einen großen Schrecken wegen Ihres Befindens ein. Ich hoffe nur, Sie [...]“
    Language
  • German
Bern, den 27. Februar [1812]
Liebe Freundin! Sie jagen mir einen großen Schrecken wegen Ihres Befindens ein. Ich hoffe nur, Sie beobachten gewissenhaft alle ärztlichen Vorschriften und haben außer Jurine und Butini noch Odier konsultiert. Das bestärkt mich in meiner Meinung, Sie müßten im Frühjahr Mineralbäder nehmen; ich glaube auch, daß Sie sich Bewegung machen, also täglich viel spazieren gehen sollten, sobald es die Jahreszeit erlaubt. Leider haben wir hier wieder Winter, keine andauernde Kälte, aber Schnee und sehr schlechtes Wetter. Das wird aber nicht lange dauern, und mein Gepäck wird bald in Ordnung sein, um aufs Land zu gehen, sobald ich dort nicht allein zu sein brauche. Ich möchte so gern dazu beitragen, Ihnen die traurigen Gedanken zu vertreiben, aber leider vermag ich ja so wenig dazu zu tun.
Sie schreiben mir nichts über Alberts Befinden. Ich hoffe, er ist in der Genesung begriffen. Er macht recht früh schon unangenehme Erfahrungen.
An Ihrem Plan eines epischen Gedichtes nehme ich lebhaften Anteil. Sie wissen recht gut, wenn es sich um Stoff für eine Dichtung handelt, erscheint mir nichts zu wunderlich oder zu gewagt. Ich würde mir ein Vergnügen daraus machen, die Quellen neuer Dichtungsstoffe für Sie auszubeuten.
Sie schreiben mir sehr amüsante und charakteristische Anekdoten. Ich möchte gern Gleiches mit Gleichem vergelten, aber ich weiß nur von ganz gewöhnlichen Neuigkeiten zu berichten, die auf Hörensagen beruhen. Was Sie über große Kriegsvorbereitungen sagen, scheint mir durchaus begründet; die ungewöhnliche Getreideteuerung berechtigt zu der Annahme, daß man diesmal Magazine anlegt. Die Schweizer Regimenter, die nach Deutschland marschieren, bilden mit den Bayern eine Division. Man glaubt sich so sicher, daß Preußen angesichts seiner Lage für Frankreich Partei ergreifen wird, daß man bereits Davoust als künftigen Befehlshaber der preußischen Truppen bezeichnet. Auf das Zeugnis eines angeblich Münchener Briefes hin versichert man, Österreich habe die Erklärung abgegeben, es wolle neutral bleiben und werde sich gegen jede Macht wenden, die es zum Kriege zwingen wolle. Indessen geht der österreichische Wechselkurs wieder zum Teufel – zweifellos unter dem Einfluß der Aussicht auf neue Stürme. Die Equipagen des Kaisers sind von Paris fortgeschafft, und zwar nicht nur die Kriegswagen, sondern auch die Galawagen, die bei feierlichen Gelegenheiten benutzt werden. Ein deutscher Kutscher erzählte mir das, und da diese Neuigkeit in den Bereich des Kutscherhorizontes gehört, kann man sie wohl glauben.
Was literarische Neuigkeiten betrifft, so scheint mir die Auseinandersetzung Schelling-Jacobi recht lebhaft zu werden. Sie werfen sich gegenseitig Atheismus vor, als wenn sie miteinander Ball spielten. Ihre Schriften selber habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Es war vorauszusehen, daß das Buch meines Bruders Über die neuere Geschichte heftige Angriffe aus dem Lager seiner Gegner zur Folge haben würde. Soeben lese ich einen ungemein langen Auszug in der Hallenser Allgemeinen Litteraturzeitung, in der man nichts übergangen hat, was den Eindruck abzuschwächen imstande ist, den es etwa hervorrufen könnte. Mir scheint, diese Kritik hat Herrn Rehberg, unsern Landsmann, zum Verfasser, der schon über die französische Revolution, gegen Rousseau, über Macchiavelli und mehrere andere philosophische und politische Themen Ausgezeichnetes geschrieben hat. Der Angriff ist übrigens in einem würdigen, gemäßigten Ton gehalten – der Verfasser sieht sich gezwungen, meinem Bruder viele Zugeständnisse zu machen.
Was Sie über Herrn von Chamisso schreiben, erinnert mich daran, daß ich vor einiger Zeit einen Brief von Frau Chézy hatte, recht gefühlvoll, mit rosenroten Wölkchen. Das Kind, das sie zur Welt gebracht hat, ist bald nach seiner Geburt gestorben. Sie meint, das Dasein dieses Kindes habe sie über die Ungerechtigkeit der Menschen und die Treulosigkeit von Freunden getröstet, auf die sie im Leben wie im Tode gerechnet hatte. Man muß doch sagen, daß die deutschen Frauen ebenso leichthin und wortreich über Herzenssachen sprechen wie die französischen Männer über Politik; dennoch kann ich nicht begreifen, wie man eine Frau, so leichtsinnig sie auch sein mag, in eine solche Lage bringen und dann schutzlos durch die Welt irren lassen kann.
Leben Sie wohl, liebe Freundin! Ungeduldig warte ich auf Nachricht von Ihnen. Glauben Sie an meine ständige, unerschütterliche Ergebenheit; ich habe glückliche, glänzende Tage bei Ihnen verlebt, ich werde Sie in traurigeren Zeiten nicht verlassen. Ich hoffe noch immer, der Horizont wird sich bald aufklären. Man darf sich nicht deprimieren lassen, sonst wird das Leben völlig sinnlos. Es hat nur dann einen Wert, wenn man etwas will und unternimmt.
Bern, den 27. Februar [1812]
Liebe Freundin! Sie jagen mir einen großen Schrecken wegen Ihres Befindens ein. Ich hoffe nur, Sie beobachten gewissenhaft alle ärztlichen Vorschriften und haben außer Jurine und Butini noch Odier konsultiert. Das bestärkt mich in meiner Meinung, Sie müßten im Frühjahr Mineralbäder nehmen; ich glaube auch, daß Sie sich Bewegung machen, also täglich viel spazieren gehen sollten, sobald es die Jahreszeit erlaubt. Leider haben wir hier wieder Winter, keine andauernde Kälte, aber Schnee und sehr schlechtes Wetter. Das wird aber nicht lange dauern, und mein Gepäck wird bald in Ordnung sein, um aufs Land zu gehen, sobald ich dort nicht allein zu sein brauche. Ich möchte so gern dazu beitragen, Ihnen die traurigen Gedanken zu vertreiben, aber leider vermag ich ja so wenig dazu zu tun.
Sie schreiben mir nichts über Alberts Befinden. Ich hoffe, er ist in der Genesung begriffen. Er macht recht früh schon unangenehme Erfahrungen.
An Ihrem Plan eines epischen Gedichtes nehme ich lebhaften Anteil. Sie wissen recht gut, wenn es sich um Stoff für eine Dichtung handelt, erscheint mir nichts zu wunderlich oder zu gewagt. Ich würde mir ein Vergnügen daraus machen, die Quellen neuer Dichtungsstoffe für Sie auszubeuten.
Sie schreiben mir sehr amüsante und charakteristische Anekdoten. Ich möchte gern Gleiches mit Gleichem vergelten, aber ich weiß nur von ganz gewöhnlichen Neuigkeiten zu berichten, die auf Hörensagen beruhen. Was Sie über große Kriegsvorbereitungen sagen, scheint mir durchaus begründet; die ungewöhnliche Getreideteuerung berechtigt zu der Annahme, daß man diesmal Magazine anlegt. Die Schweizer Regimenter, die nach Deutschland marschieren, bilden mit den Bayern eine Division. Man glaubt sich so sicher, daß Preußen angesichts seiner Lage für Frankreich Partei ergreifen wird, daß man bereits Davoust als künftigen Befehlshaber der preußischen Truppen bezeichnet. Auf das Zeugnis eines angeblich Münchener Briefes hin versichert man, Österreich habe die Erklärung abgegeben, es wolle neutral bleiben und werde sich gegen jede Macht wenden, die es zum Kriege zwingen wolle. Indessen geht der österreichische Wechselkurs wieder zum Teufel – zweifellos unter dem Einfluß der Aussicht auf neue Stürme. Die Equipagen des Kaisers sind von Paris fortgeschafft, und zwar nicht nur die Kriegswagen, sondern auch die Galawagen, die bei feierlichen Gelegenheiten benutzt werden. Ein deutscher Kutscher erzählte mir das, und da diese Neuigkeit in den Bereich des Kutscherhorizontes gehört, kann man sie wohl glauben.
Was literarische Neuigkeiten betrifft, so scheint mir die Auseinandersetzung Schelling-Jacobi recht lebhaft zu werden. Sie werfen sich gegenseitig Atheismus vor, als wenn sie miteinander Ball spielten. Ihre Schriften selber habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Es war vorauszusehen, daß das Buch meines Bruders Über die neuere Geschichte heftige Angriffe aus dem Lager seiner Gegner zur Folge haben würde. Soeben lese ich einen ungemein langen Auszug in der Hallenser Allgemeinen Litteraturzeitung, in der man nichts übergangen hat, was den Eindruck abzuschwächen imstande ist, den es etwa hervorrufen könnte. Mir scheint, diese Kritik hat Herrn Rehberg, unsern Landsmann, zum Verfasser, der schon über die französische Revolution, gegen Rousseau, über Macchiavelli und mehrere andere philosophische und politische Themen Ausgezeichnetes geschrieben hat. Der Angriff ist übrigens in einem würdigen, gemäßigten Ton gehalten – der Verfasser sieht sich gezwungen, meinem Bruder viele Zugeständnisse zu machen.
Was Sie über Herrn von Chamisso schreiben, erinnert mich daran, daß ich vor einiger Zeit einen Brief von Frau Chézy hatte, recht gefühlvoll, mit rosenroten Wölkchen. Das Kind, das sie zur Welt gebracht hat, ist bald nach seiner Geburt gestorben. Sie meint, das Dasein dieses Kindes habe sie über die Ungerechtigkeit der Menschen und die Treulosigkeit von Freunden getröstet, auf die sie im Leben wie im Tode gerechnet hatte. Man muß doch sagen, daß die deutschen Frauen ebenso leichthin und wortreich über Herzenssachen sprechen wie die französischen Männer über Politik; dennoch kann ich nicht begreifen, wie man eine Frau, so leichtsinnig sie auch sein mag, in eine solche Lage bringen und dann schutzlos durch die Welt irren lassen kann.
Leben Sie wohl, liebe Freundin! Ungeduldig warte ich auf Nachricht von Ihnen. Glauben Sie an meine ständige, unerschütterliche Ergebenheit; ich habe glückliche, glänzende Tage bei Ihnen verlebt, ich werde Sie in traurigeren Zeiten nicht verlassen. Ich hoffe noch immer, der Horizont wird sich bald aufklären. Man darf sich nicht deprimieren lassen, sonst wird das Leben völlig sinnlos. Es hat nur dann einen Wert, wenn man etwas will und unternimmt.
· Original , 27. Februar [1812]
· Pange, Pauline de: Auguste-Guillaume Schlegel et Madame de Staël d’apres des documents inédits. Paris 1938, S. 366‒368.
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