• August Wilhelm von Schlegel to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling

  • Place of Dispatch: Coppet · Place of Destination: München · Date: [3. Juni 1811]
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling
  • Place of Dispatch: Coppet
  • Place of Destination: München
  • Date: [3. Juni 1811]
  • Typ: Beilage
  • Notations: Datum sowie Absende- und Empfangsort durch den zugehörigen Brief erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • Classification Number: Mscr.Dresd.Aut.2842.a
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., eigenh. o. U.
  • Format: 18,5 x 11,4 cm
  • Incipit: „[1] Parabel
    vom Eulenspiegel und den Schneidern.
    Unter vielen löblichen Thaten,
    So Eulenspiegels Witze gerathen,
    Ist eine von sondrer Lehr und Nutzen, [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
[1] Parabel
vom Eulenspiegel und den Schneidern.
Unter vielen löblichen Thaten,
So Eulenspiegels Witze gerathen,
Ist eine von sondrer Lehr und Nutzen,
Wie er die Schneider zurecht thät stutzen.
Nach Rostock, der berühmten Stadt,
Beschied er sie zu gemeinem Rath:
Er woll’ ihnen etwas offenbaren,
Auf ewige Zeiten zu bewahren,
Daß jeder es auf die Seinen vererbe,
Eine große Sach für ihr Gewerbe
Durch ein Ausschreiben gab er Kunde
Den Wendischen Städten in die Runde,
In Holstein, Pommern, bis Stettin,
Nach Wismar, Lübeck und Hamburg hin.
Die Schneider kamen in hellen Haufen
Von ihren Werkstätten hergelaufen;
Bracht’ jeder Scheer, Elle, Nadel und Zwirn,
Und plagt im voraus drob sein Gehirn,
Was er doch neues hätt’ ersonnen,
Daß sie noch nicht gewußt noch begonnen.
Als sie nun warteten auf dem Platz,
Stieg Eulenspiegel, der schlaue Fratz,
[2] Frey hinauf in ein hohes Haus,
Und schaute oben zum Fenster hinaus.
Ehrbare Meister vom Schneidergewerke!
So sprach er, jeder hör’ und merke:
Habt ihr Scheer, Ell’ und Nadel gut,
Dazu noch Zwirn und Fingerhut,
So habt ihr zu eurem Handwerk genug;
Das schafft sich jeder mit gutem Fug.
An allem dem ist keine Kunst,
Nur eines, bitt’ ich, bemerkt mit Gunst.
Wenn ihr die Nadel habt eingeöhrt,
So macht einen Knoten, wie sichs gehört
Ans andere Ende des Fadens recht,
Daß ihr umsonst viel Stiche nicht stecht.
Denn wenn ihr nicht den Knoten knüpft,
Der Faden euch durch das Tuch hinschlüpft,
So bringt ihr nimmer zu Stand die Nath:
Vergeßt es nicht, dieß ist mein Rath.
Die Schneider sahen einander an,
Sprach jeder zu seinem Nachbarsmann:
Was ist das für eine Fantasey,
Daß er uns ruft so weit herbey?
Schon lange wußten wir diese Kunst;
Unsre Reise war gar umsunst.
[3] Der Schalksnarr als er solches sah,
Sprach: Was vor tausend Jahren geschah,
Deß ist oft niemand eingedenk,
Drum seiner Mühe sich keiner kränk’.
Auch meynt’ er, sollten sie sich schämen,
Statt Danks mit Unwillen aufzunehmen
Die Treu, so er zum Handwerk trüge.
So schlich er sich fort auf neue Züge.
Die Schneider schalten zwar mit Recht
Auf Eulenspiegel, den schlimmen Knecht.
Doch wollt ihr erwägen des Spruches Sinn,
So bringt er vielleicht euch noch Gewinn.
Ich weiß wohl manchen, dem’s thät vonnöthen,
Daß wir nach Rostock ihn entböten,
’s giebt Leute, die ihr alle kennt,
Der Weltweisheit Lehrer man sie nennt,
Die sind in diesen Tagen bemüht,
Wo Wissenschaft und Kunst erblüht,
Aus mancherley Lappen von geistigen Kleidern
Dem alten Adam ’nen Rock zu schneidern.
Sie nehmen die Brille nach Schneiderart
Vor die Augenbrauen struppig behaart,
Sie kauern auf einem Tische hoch,
Und stecken die Füße durch das Loch,
Sie halten die Nadel zur Nasenspitze,
[4] Um recht zu treffen die schmale Ritze;
Sie ziehn den Faden hindurch gar fein,
Das Knötlein vergessen sie allein.
So nähn sie, daß ihnen der Schweiß ausbricht,
So will die Nath doch fördern nicht,
Und nimmer will sich der Mantel gestalten,
Der Leib und Seele zusammen soll halten.
Die Nadel heißet Logica,
Der Faden Metaphysica,
Und was sothanns Knötlein bedeute,
Das merken nun schon die gescheidten Leute,
Die Weltweisen aber spürens nicht,
Weil’s ihnen an tüchtigem Sinn gebricht.
O Eulenspiegel, du weiser Narr,
Schau auf der heutigen Welt Wirrwarr!

Kannst du vom Grab’ erstehn, so komm,
Und mache durch Spott die Narren fromm!
[1] Parabel
vom Eulenspiegel und den Schneidern.
Unter vielen löblichen Thaten,
So Eulenspiegels Witze gerathen,
Ist eine von sondrer Lehr und Nutzen,
Wie er die Schneider zurecht thät stutzen.
Nach Rostock, der berühmten Stadt,
Beschied er sie zu gemeinem Rath:
Er woll’ ihnen etwas offenbaren,
Auf ewige Zeiten zu bewahren,
Daß jeder es auf die Seinen vererbe,
Eine große Sach für ihr Gewerbe
Durch ein Ausschreiben gab er Kunde
Den Wendischen Städten in die Runde,
In Holstein, Pommern, bis Stettin,
Nach Wismar, Lübeck und Hamburg hin.
Die Schneider kamen in hellen Haufen
Von ihren Werkstätten hergelaufen;
Bracht’ jeder Scheer, Elle, Nadel und Zwirn,
Und plagt im voraus drob sein Gehirn,
Was er doch neues hätt’ ersonnen,
Daß sie noch nicht gewußt noch begonnen.
Als sie nun warteten auf dem Platz,
Stieg Eulenspiegel, der schlaue Fratz,
[2] Frey hinauf in ein hohes Haus,
Und schaute oben zum Fenster hinaus.
Ehrbare Meister vom Schneidergewerke!
So sprach er, jeder hör’ und merke:
Habt ihr Scheer, Ell’ und Nadel gut,
Dazu noch Zwirn und Fingerhut,
So habt ihr zu eurem Handwerk genug;
Das schafft sich jeder mit gutem Fug.
An allem dem ist keine Kunst,
Nur eines, bitt’ ich, bemerkt mit Gunst.
Wenn ihr die Nadel habt eingeöhrt,
So macht einen Knoten, wie sichs gehört
Ans andere Ende des Fadens recht,
Daß ihr umsonst viel Stiche nicht stecht.
Denn wenn ihr nicht den Knoten knüpft,
Der Faden euch durch das Tuch hinschlüpft,
So bringt ihr nimmer zu Stand die Nath:
Vergeßt es nicht, dieß ist mein Rath.
Die Schneider sahen einander an,
Sprach jeder zu seinem Nachbarsmann:
Was ist das für eine Fantasey,
Daß er uns ruft so weit herbey?
Schon lange wußten wir diese Kunst;
Unsre Reise war gar umsunst.
[3] Der Schalksnarr als er solches sah,
Sprach: Was vor tausend Jahren geschah,
Deß ist oft niemand eingedenk,
Drum seiner Mühe sich keiner kränk’.
Auch meynt’ er, sollten sie sich schämen,
Statt Danks mit Unwillen aufzunehmen
Die Treu, so er zum Handwerk trüge.
So schlich er sich fort auf neue Züge.
Die Schneider schalten zwar mit Recht
Auf Eulenspiegel, den schlimmen Knecht.
Doch wollt ihr erwägen des Spruches Sinn,
So bringt er vielleicht euch noch Gewinn.
Ich weiß wohl manchen, dem’s thät vonnöthen,
Daß wir nach Rostock ihn entböten,
’s giebt Leute, die ihr alle kennt,
Der Weltweisheit Lehrer man sie nennt,
Die sind in diesen Tagen bemüht,
Wo Wissenschaft und Kunst erblüht,
Aus mancherley Lappen von geistigen Kleidern
Dem alten Adam ’nen Rock zu schneidern.
Sie nehmen die Brille nach Schneiderart
Vor die Augenbrauen struppig behaart,
Sie kauern auf einem Tische hoch,
Und stecken die Füße durch das Loch,
Sie halten die Nadel zur Nasenspitze,
[4] Um recht zu treffen die schmale Ritze;
Sie ziehn den Faden hindurch gar fein,
Das Knötlein vergessen sie allein.
So nähn sie, daß ihnen der Schweiß ausbricht,
So will die Nath doch fördern nicht,
Und nimmer will sich der Mantel gestalten,
Der Leib und Seele zusammen soll halten.
Die Nadel heißet Logica,
Der Faden Metaphysica,
Und was sothanns Knötlein bedeute,
Das merken nun schon die gescheidten Leute,
Die Weltweisen aber spürens nicht,
Weil’s ihnen an tüchtigem Sinn gebricht.
O Eulenspiegel, du weiser Narr,
Schau auf der heutigen Welt Wirrwarr!

Kannst du vom Grab’ erstehn, so komm,
Und mache durch Spott die Narren fromm!
· Hauptdokument (zu dem das aktuelle Dokument mitgeschickt wurde) , 03.06.1811
· Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
· SLUB Dresden: Mscr.Dresd.Aut.2842.b; Goethe-Museum Düsseldorf: 774/1963
· Beiliegender Brief von/an A.W. Schlegel , 03.06.1811
· Düsseldorf, Goethe-Museum
· SLUB Dresden: Mscr.Dresd.Aut.2842.b; Goethe-Museum Düsseldorf: 774/1963
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