Verehrtester Herr und Freund
Ihr letzter gütiger Brief traf mich kurz vor dem Antritt einer Reise nach Leipzig und Dresden, und wenn ich nun auch gleich längere Zeit schon wieder einheimisch bin, so konnte ich doch nicht früher als heute zur Erwiederung auf den freilich für mich unerfreulichen Inhalt desselben gelangen, der mich zu meinem höchsten Bedauern der Aussicht beraubt Ihre wahrhaft bessernde und den Werth der Sache steigernde Hand dem Werke entzogen zu sehen, und dadurch die große Zahl der Verehrer des unvergleichlichen Dichters eines erhoften Genusses beraubt. Immer hatte ich noch gehofft, da Sie im verwichenen Jahre doch nicht in zu langen Fristen der Unterbrechung 3 Stücke lieferten, es könne in ähnlicher Art um so eher fortgehen, als vielleicht die späteren Bände, bei wachsender Meisterschaft in der Uebertragung, Ihnen auch geringere Mühe auferlegen dürften. Inzwischen ist Ihre Erklärung freilich von der Art, daß ich, wie schmerzlich es nur auch ist, den Druck nicht länger verschieben darf, wenn das ganze Unternehmen nicht scheitern soll, namentlich auch in dem Betracht, daß Sie auch gar keinen Termin bestimmen können und wollen, weil Sie strenge Innehaltung zu den Unmöglichkeiten [rechnen], ich aber nothwendig dem Publikum gegenüber eine bestimmte Erklärung abgeben muß. Mir bleiben dabei also nur zwei Aussichten einigermaßen günstiger Art: erstens daß Sie vielleicht, wenn nun auch der Druck der historischen Stücke weiter fortgesetzt wird, ganz nach der ersten Ausgabe (Unger), daß Sie doch im Laufe des Drucks noch Zeit gewinnen möchten einem oder dem andern Stücke Ihre pflegende Hand zu zu wenden; vielleicht Romeo und Julie (wegen der Alexandriner); oder aber, daß Sie nach Erledigung aller Arbeiten, womit Sie jetzt belastet sind, dennoch einmal wieder zum Sh.[akspeare] sich zurückwenden, und daß dann bei einer künftigen Ausgabe (die zu erwarten steht) die von Ihnen übersetzten Stücke in einer vervollkommneteren Gestalt erscheinen könnten. Eine Frage erlaube ich mir aber hiebei: wollen Sie alle veränderten Lesarten Tiecks durchaus verwerfen? Gewiß hat er in den bei weit meisten Fällen Unrecht, aber mitunter dürfte er doch nicht ganz gefehlt haben.
In jedem Fall aber nehme ich Ihr Erbieten an, mir ein Exemplar nach der frühern Ausgabe corrigirt zu senden, in der stillen Hoffnung, daß doch hier und da die Durchsicht auch auf eine wesentliche Verbesserung führen dürfte; doch werde ich [2] Sie ergebenst bitten, diese Sendung möglichst zu beschleunigen, weil der letzte Band der Tieckschen Uebersetzung schon unter der Presse ist und nur noch Macbeth zum Schluß des Ganzen fehlt. Sie würden mich durch Erfüllung dieser Bitte ausnehmend verbinden. Den ersten Band (oder vielmehr den zweiten der Reihe nach) werde ich directe mit der Post (als Gedrucktes bezeichnet) hieher erbitten; der folgende könnte dann wol durch Buchhändlergelegenheit nachfolgen.
Die 30 Frdʼors welche ich Ihnen für die 3 empfangenen Stücke nach Ihrem Wunsche zahlen soll, werde ich Gelegenheit nehmen Ihnen gegen Johannis zuzustellen; oder wollen Sie mir gefälligst an jemand verweisen, welchem ich hier zahlen könnte, so kann es vielleicht auch früher geschehn.
Gewähren Sie mir die Hofnung, daß mir Ihr Wohlwollen unverkürzt bleiben [wird,] so wie Sie sich meiner steten Verehrung und treuen Ergebenheit versichert halten dürfen.
G. Reimer
[3]
[4]