Verehrtester Herr Professor!
Mit Blitzesschnelle ergriff es mein Innres, als ich die unvergeßliche Recension des Vossischen Homers las, und die entzückend schönen Verse, mit denen uns Ihre holde Muse erfreute, ermuthigten mich, frisch ans Werk zu gehen.
So ist beifolgende Uebersetzung lediglich durch den bezaubernden Geist Ihrer Schriften hervorgerufen worden, und darum wage ich es, vom innigsten Dankgefühl durchdrungen, sie als ein stilles Weihgeschenk Ew. Hochwohlgeboren vorzulegen.
Zwar erkenne ich, daß noch viel an der beabsichtigten Höhe fehlt, so kräftig ich auch glaubte gearbeitet zu haben, daß noch Vieles geändert werden muß, ehe sie – was ein Hauptstreben war – eine völlig [2] trochäenlose genannt werden könnte; und besonders tragen die ersten Gesänge, wo mich eine fast sclavische Furcht, dem Originale Etwas zu entziehen, beinahe zur Verzweiflung brachte, noch vielfältige Spuren der Schwäche und ringenden Kraft. Doch es mußte einmal ein andrer Weg eingeschlagen werden; man unterliegt den unendlichen Schwierigkeiten, wenn man nicht vorwärts dringt: und so glaubte ich denn offen Alles, wie es entstanden, ausgehen zu lassen, nicht ohne einige Hoffnung, daß im Vorlauf der Gesänge ein Vorschreiten zum Bessern entschädigen würde.
So will ich mir denn auch fürderhin der strengste Richter bleiben – wie könnten auch Anderer Urtheile bewegen, die selbst nicht im Kampfe gewesen? Nur Ihr Urtheil, Verehrtester, dem – ich muß es selbst hier aussprechen – dem die Chariten selbst inwohnen, hat für mich einen unaussprechlichen Reiz, und wäre mir jetzt von so größerer Bedeutung, da die andere Hälfte der Odysee noch in meinen Händen ist: [3] in der That ich würde mich glücklich schätzen, Ew. Hochwohlgeboren freie Ansicht über das Vorliegende zu vernehmen.
Unterdeß bitte ich nochmals höflichst, meine Freimüthigkeit zu entschuldigen, indem ich die Ehre habe zu seyn
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster Diener
Wiedasch.
Wetzlar d. 6 Febr.
1831.
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