• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Braunschweig · Date: 30.01.1796
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Braunschweig
  • Date: 30.01.1796
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 279‒281.
  • Incipit: „[1] Dreßden. Den 30ten Januar.
    Liebster Freund, Eure Briefe waren mir dießmal eine reiche Quelle von Freude. Zuerst die Gewißheit Eurer Freundschaft, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.77
  • Number of Pages: 8S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,9 x 11,5 cm
    Language
  • German
[1] Dreßden. Den 30ten Januar.
Liebster Freund, Eure Briefe waren mir dießmal eine reiche Quelle von Freude. Zuerst die Gewißheit Eurer Freundschaft, die nahe Hoffnung, Dich bald zu sehn, und die entferntere doch auch nahe, ganz mit Euch zu leben, und endlich die Beruhigung meiner Besorgnisse über Mich.[aelis], die sehr ängstlich zu werden anfiengen. – Ich glaube ihr könnt es wohl verzeihlich finden, daß ich nach so langer Einsamkeit und Noth mich etwas hart äussre, und oft mir auch unnütze Grillen mache. Wie bald würde sich das verliehren!
Deine Recension habe ich noch nicht gelesen, und vielleicht muß ich meine Erwartung noch einige Zeit unbefriedigt lassen, weil der einzige Bekannte, der die A[llgemeine] L.[itteratur-]Z[eitung] selbst hielt, diesen Jahrgang wegen einer Reise nach Italien aufgegeben hat. Kannst Du mir nicht einen Begriff von dem machen, was Du über Cond.[orcet] zu schreiben denkst? [2] und in welcher Form Du es geben willst. Ich hoffe, Du hältst mich nicht für so pedantisch zu glauben, daß was ich im übelsten Humor ausdrücklich als Kontrast schrieb, im Ernst gemeynt sey. An meiner Recension desselben wirst Du nicht viel finden. Sie ist dürftig, weil ich bloß urtheilen und durchaus nicht selbst docieren wollte, wie ich mir in der andern erlaubt habe.
Ernsts ziehen den 1ten May nach Pillnitz. Es versteht sich, daß Du bey Ihnen wohnst, und so lange bleibst als es Dir gefällt. Vier Wochen würden durchaus nicht zu lange seyn; ja wenn Du nur erst hier bist, wird Dir diese Zeit sehr kurz vorkommen. Ich rathe Dir aber sehr, daß Du gleich nach Dreßden kommst. Kämest Du nach dem lten May, so würde Charlotte vermuthlich herein ziehen, und Ernst in Pillnitz allein lassen. Denn länger als einige Tage würde ich Dir nicht rathen in Pillnitz [3] zu seyn. Du scheinst viel zu wenig Zeit auf die Kunstsachen zu rechnen, wenn Du sie nehmlich gehörig sehn willst. Zehn Vormittage auf der Gallerie sind nicht sehr viel. Die Gipse müssen wir nothwendig doch auch einigemahl sehn; die Antiken, wenn Becker so höflich ist wie sich erwarten läßt, auch. (Die Münzen werden noch nicht gezeigt). Dann noch Besuche bey einzelnen Künstlern, die Kupferstichgallerie, bedeutende Privatsammlungen u.s.w. Nach der Natur und Musik frägst Du so viel nicht nach; ich denke also es ist der Mühe werth, die Kunstsachen hier ordentlich zu sehn. Du weißt doch nicht ob Du sobald wieder kommen wirst. Läge Dir Musik sehr am Herzen, so müßtest Du noch vor den Feyertagen kommen, wo immer sehr schöne gegeben wird. – In Pillnitz würdest Du Dich, gesetzt Du beständest darauf, später zu kommen, und dann länger dort zu seyn, wür[4]dest Du Dich sehr behelfen müssen. Auch hier muß Charlotte darauf rechnen. – Sobald Du Dich nun bestimmt hast, so wäre es wohl gut, wenn Du an Ernst schriebst. Mit einigen Attenzionen, <vertraulichen> Erzählungen und politischen Raisonnements wirst Du ihm bald angenehm seyn, und ihn ganz gewinnen.
Körners reisen im Anfang des May oder Ende Aprils nach Leipzig und Jena. Vielleicht wirst Du sie also auch in Jena noch finden.
In Leipzig rathe ich Dir wirklich nicht zu bleiben. In der Messe ist der Aufenthalt sehr theuer, und in einem anständigen Gasthofe, mit Besuch der Schauspiele, Speisen an öffentl.[icher] Tafel kostet Dich der Tag zum wenigsten 5–6 Thl. wo nicht weit mehr. Wenn Du kömmst so ist die Messe noch nicht angegangen, und wenn Du gehst so wird sie längst vorbey seyn. [5] Die Buchhändler lernt man dort am schlechtesten kennen. Sie kommen so spät sie können, und sind dann mit Geschäften so überhäuft (affektiren es auch wohl noch mehr) daß sich nichts mit Ihnen machen läßt. Kommst Du in der Messe zu Göschen ins Comtoir, so kennt er Dich aus Zerstreuung vielleicht gar nicht, und auf Konnexion läßt sich niemand ein. Unter den Gelehrten könnte Dich der einzige Platner interessiren. Der Mensch ist aber ein Narr und wie eine Wetterfahne. Ueberdem wünschte ich nicht, daß Dich jemand von meinen Bekannten aufsuchte oder witterte. – Willst Du aber einige Tage dort zubringen, so rathe ich Dir ein Privatlogis in der Stadt, oder noch besser in der Vorstadt zu nehmen. Das kann mein alter Bediente, der alles kennt und alles kann, besorgen. Ein solches habe [6] ich einmal für einen Freund für 8 Gr. täglich besorgt. Im Gasthofe kann man in der Ostermesse oft für einen Dukaten kein Nachtquartier bekommen. Jeder Tag, den Du Dr.[esden] abziehst, um ihn in L.[eipzig] zuzubringen, ist ein Hochverrath an uns und an Dr.[esden,] welches, wiewohl ich es satt bin, doch ein köstlicher Ort ist. Ueberdem ist L.[eipzig] ja nur eine Tagreise von Jena. Behalte dir dieß Vergnügen vor. Willst Du eine L.[eipziger] Ostermesse eigentlich sehn und geniessen, welches ein recht hübscher aber auch ein theurer Spaß ist, so sind einige Tage viel zu wenig.
Ich bin heute verhindert zu Becker zu gehen, werde aber morgen Deinen Auftrag besorgen. Ich zweifle jedoch daß wir den Fisch wieder von der Angel loßreissen werden. Ueber die Stellen weshalb ich anfragte, [7] hast Du nicht geantwortet. Ich fürchte er kömmt auf den Argwohn, Du hättest die Frage übel genommen. Das zweite Heft soll auch zur O.[ster-]M.[esse] fertig seyn. Um so weniger dächte ich, könnte der Abdruck der Stücke aus Romeo Mich.[aelis] Eintrag thun. Was Kar.[oline] ietzt abgeschrieben hat, ist sehr schön. Es war meinem Gedächtnisse fremder. Die vorige Scene stand noch bis auf die kleinsten Züge vor meiner Erinnerung. Ach was ich lachen würde, wenn ich Kar.[oline] skandiren hörte – und sähe, weil sie doch die Finger dazu braucht. Werdet Ihr Auguste nicht auch bald so weit bringen, daß sie im Bette skandirt. In L.[ucka] sang sie noch die Marseillaise; ietzt ut re mi; bald wird sie a la hauteur seyn.
Höre, ich liebe und ehre, wo es geschieht mit Leib und Seele, aber nicht blöd. Der Ursprung der Sprache [8] ist nicht von dem unsterblichen Grundleger Fichte, sondern von dem Offenbarer, der durch ein lächerliches Versehen berühmt wurde. Es ist ein dürftiges Ding. Der erste Gedanke ist aber doch gut. Wer nicht zeigt, wie die Sprache entstehn mußte, der mag zu Hause bleiben. Träumen, wie sie entstehen konnte, kann jeder.
Habt Ihr meine Rezension gelesen? Ich lege sie einem Brief an K.[aroline] bey, den Du bey ihr lesen wirst. Sie will nun schlechterdings, daß ich singen soll, und Du weißt wohl daß sie am Ende ihren Willen haben muß. Dir kann es gleich gelten ob Du meine Briefe etwas früher oder später ließt. Laß ihr immer das weibliche Vergnügen, Dir anzuvertrauen, was sie mich erst zwingt vor Deinen Blicken zu verhüllen.
Friedrich Schl.
Ich übersetze Platoʼs Lysis für Beckers Quartalschrift.
[1] Dreßden. Den 30ten Januar.
Liebster Freund, Eure Briefe waren mir dießmal eine reiche Quelle von Freude. Zuerst die Gewißheit Eurer Freundschaft, die nahe Hoffnung, Dich bald zu sehn, und die entferntere doch auch nahe, ganz mit Euch zu leben, und endlich die Beruhigung meiner Besorgnisse über Mich.[aelis], die sehr ängstlich zu werden anfiengen. – Ich glaube ihr könnt es wohl verzeihlich finden, daß ich nach so langer Einsamkeit und Noth mich etwas hart äussre, und oft mir auch unnütze Grillen mache. Wie bald würde sich das verliehren!
Deine Recension habe ich noch nicht gelesen, und vielleicht muß ich meine Erwartung noch einige Zeit unbefriedigt lassen, weil der einzige Bekannte, der die A[llgemeine] L.[itteratur-]Z[eitung] selbst hielt, diesen Jahrgang wegen einer Reise nach Italien aufgegeben hat. Kannst Du mir nicht einen Begriff von dem machen, was Du über Cond.[orcet] zu schreiben denkst? [2] und in welcher Form Du es geben willst. Ich hoffe, Du hältst mich nicht für so pedantisch zu glauben, daß was ich im übelsten Humor ausdrücklich als Kontrast schrieb, im Ernst gemeynt sey. An meiner Recension desselben wirst Du nicht viel finden. Sie ist dürftig, weil ich bloß urtheilen und durchaus nicht selbst docieren wollte, wie ich mir in der andern erlaubt habe.
Ernsts ziehen den 1ten May nach Pillnitz. Es versteht sich, daß Du bey Ihnen wohnst, und so lange bleibst als es Dir gefällt. Vier Wochen würden durchaus nicht zu lange seyn; ja wenn Du nur erst hier bist, wird Dir diese Zeit sehr kurz vorkommen. Ich rathe Dir aber sehr, daß Du gleich nach Dreßden kommst. Kämest Du nach dem lten May, so würde Charlotte vermuthlich herein ziehen, und Ernst in Pillnitz allein lassen. Denn länger als einige Tage würde ich Dir nicht rathen in Pillnitz [3] zu seyn. Du scheinst viel zu wenig Zeit auf die Kunstsachen zu rechnen, wenn Du sie nehmlich gehörig sehn willst. Zehn Vormittage auf der Gallerie sind nicht sehr viel. Die Gipse müssen wir nothwendig doch auch einigemahl sehn; die Antiken, wenn Becker so höflich ist wie sich erwarten läßt, auch. (Die Münzen werden noch nicht gezeigt). Dann noch Besuche bey einzelnen Künstlern, die Kupferstichgallerie, bedeutende Privatsammlungen u.s.w. Nach der Natur und Musik frägst Du so viel nicht nach; ich denke also es ist der Mühe werth, die Kunstsachen hier ordentlich zu sehn. Du weißt doch nicht ob Du sobald wieder kommen wirst. Läge Dir Musik sehr am Herzen, so müßtest Du noch vor den Feyertagen kommen, wo immer sehr schöne gegeben wird. – In Pillnitz würdest Du Dich, gesetzt Du beständest darauf, später zu kommen, und dann länger dort zu seyn, wür[4]dest Du Dich sehr behelfen müssen. Auch hier muß Charlotte darauf rechnen. – Sobald Du Dich nun bestimmt hast, so wäre es wohl gut, wenn Du an Ernst schriebst. Mit einigen Attenzionen, <vertraulichen> Erzählungen und politischen Raisonnements wirst Du ihm bald angenehm seyn, und ihn ganz gewinnen.
Körners reisen im Anfang des May oder Ende Aprils nach Leipzig und Jena. Vielleicht wirst Du sie also auch in Jena noch finden.
In Leipzig rathe ich Dir wirklich nicht zu bleiben. In der Messe ist der Aufenthalt sehr theuer, und in einem anständigen Gasthofe, mit Besuch der Schauspiele, Speisen an öffentl.[icher] Tafel kostet Dich der Tag zum wenigsten 5–6 Thl. wo nicht weit mehr. Wenn Du kömmst so ist die Messe noch nicht angegangen, und wenn Du gehst so wird sie längst vorbey seyn. [5] Die Buchhändler lernt man dort am schlechtesten kennen. Sie kommen so spät sie können, und sind dann mit Geschäften so überhäuft (affektiren es auch wohl noch mehr) daß sich nichts mit Ihnen machen läßt. Kommst Du in der Messe zu Göschen ins Comtoir, so kennt er Dich aus Zerstreuung vielleicht gar nicht, und auf Konnexion läßt sich niemand ein. Unter den Gelehrten könnte Dich der einzige Platner interessiren. Der Mensch ist aber ein Narr und wie eine Wetterfahne. Ueberdem wünschte ich nicht, daß Dich jemand von meinen Bekannten aufsuchte oder witterte. – Willst Du aber einige Tage dort zubringen, so rathe ich Dir ein Privatlogis in der Stadt, oder noch besser in der Vorstadt zu nehmen. Das kann mein alter Bediente, der alles kennt und alles kann, besorgen. Ein solches habe [6] ich einmal für einen Freund für 8 Gr. täglich besorgt. Im Gasthofe kann man in der Ostermesse oft für einen Dukaten kein Nachtquartier bekommen. Jeder Tag, den Du Dr.[esden] abziehst, um ihn in L.[eipzig] zuzubringen, ist ein Hochverrath an uns und an Dr.[esden,] welches, wiewohl ich es satt bin, doch ein köstlicher Ort ist. Ueberdem ist L.[eipzig] ja nur eine Tagreise von Jena. Behalte dir dieß Vergnügen vor. Willst Du eine L.[eipziger] Ostermesse eigentlich sehn und geniessen, welches ein recht hübscher aber auch ein theurer Spaß ist, so sind einige Tage viel zu wenig.
Ich bin heute verhindert zu Becker zu gehen, werde aber morgen Deinen Auftrag besorgen. Ich zweifle jedoch daß wir den Fisch wieder von der Angel loßreissen werden. Ueber die Stellen weshalb ich anfragte, [7] hast Du nicht geantwortet. Ich fürchte er kömmt auf den Argwohn, Du hättest die Frage übel genommen. Das zweite Heft soll auch zur O.[ster-]M.[esse] fertig seyn. Um so weniger dächte ich, könnte der Abdruck der Stücke aus Romeo Mich.[aelis] Eintrag thun. Was Kar.[oline] ietzt abgeschrieben hat, ist sehr schön. Es war meinem Gedächtnisse fremder. Die vorige Scene stand noch bis auf die kleinsten Züge vor meiner Erinnerung. Ach was ich lachen würde, wenn ich Kar.[oline] skandiren hörte – und sähe, weil sie doch die Finger dazu braucht. Werdet Ihr Auguste nicht auch bald so weit bringen, daß sie im Bette skandirt. In L.[ucka] sang sie noch die Marseillaise; ietzt ut re mi; bald wird sie a la hauteur seyn.
Höre, ich liebe und ehre, wo es geschieht mit Leib und Seele, aber nicht blöd. Der Ursprung der Sprache [8] ist nicht von dem unsterblichen Grundleger Fichte, sondern von dem Offenbarer, der durch ein lächerliches Versehen berühmt wurde. Es ist ein dürftiges Ding. Der erste Gedanke ist aber doch gut. Wer nicht zeigt, wie die Sprache entstehn mußte, der mag zu Hause bleiben. Träumen, wie sie entstehen konnte, kann jeder.
Habt Ihr meine Rezension gelesen? Ich lege sie einem Brief an K.[aroline] bey, den Du bey ihr lesen wirst. Sie will nun schlechterdings, daß ich singen soll, und Du weißt wohl daß sie am Ende ihren Willen haben muß. Dir kann es gleich gelten ob Du meine Briefe etwas früher oder später ließt. Laß ihr immer das weibliche Vergnügen, Dir anzuvertrauen, was sie mich erst zwingt vor Deinen Blicken zu verhüllen.
Friedrich Schl.
Ich übersetze Platoʼs Lysis für Beckers Quartalschrift.
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