Lieber Wilhelm
Es ist endlich wohl einmal Zeit daß ich mich gegen Dich rechtfertige, Dir auf Deine öftern lieben Briefe nicht geantwortet – und für das Geschenk Deiner neuen Gedichte Dir nicht gedankt zu haben – meine vielen Geschäfte werden mich vielleicht schon bey Dir entschuldigt haben – oder vielleicht mehr wie das – Vergessenheit. Nimm mir das nicht übel, daß ich Vergessenheit meiner von Dir fürchte, ich zweifle gar nicht an Deiner brüderlichen Liebe – aber ich weis es leyder nur zu wohl – und zerstört mir diese Bemerkung oft den süßen Gedanken, der mir in den Stunden sehnssuchtsvoller Rückerrinnerung Wonne giebt: daß itzt in eben den Augenblick vielleicht eine Freund oder Geschwister oder sonst verbrüderte Seele an mich denkt, mich zurückwünscht: – daß unsre Gedanken durch sinnliche Vorstellungen geleitet sein wollen – und also mit diesen auch zugleich allmählig das Andenken verschwindet. Eben das ist lieber Wilhelm die Ursache daß ich die sinnlichen Andenken so sehr liebe – und um desto öfterer an euch zu denken, eine kleine Dieberey zu begehn [2] nicht gescheut habe. Das ists auch was mir Deinen Gedichten einen besondern Werth gibt, ohne dem, welchen ihnen ihre eigenthümliche Güte gibt. Dir eine besondre Critik über diese Stücke zu machen erlaubt mir weder die Gelegenheit, noch das Papier, und mögte Dir auch wohl wenig daran gelegen sein – ich hoffe aber Du nimmst mir einen allgemeinen, guten Rath in Ansehung Deiner Poesie nicht übel. Kenntniß der Schönheiten der Natur, und einiges warmes Gefühl derselben, die der Dichter mehr oder weniger besitzt, gibt zuverläßig seinen Poesien nach eben diesen Maastabe Schmuck und Anmuth. Dieses Gefühl ists nicht was Dir fehlt, und wünscht ich nichts mehr, als daß Du alle die herrlichen und großen Anblicke der Natur die ich itzt sehe und sehen werde, mit mir theilen könntest, Du würdest sie gewiß beßer gebrauchen; diese Schauspiele die von Homer bis auf unsre Zeiten allen großen Dichtern den Stof zu den erhabensten Gedanken und Vergleichungen gegeben haben. Aber dieß ists nicht was ich sagen wollte, außer diesem Gefühl der schönen Natur, müßen Empfindungen der Liebe und des Wohlwollens, mit erwärmenden Hauch dem Gedicht Leben und Seele geben – ich drücke mich schlecht und undeutlich aus, aber [3] ließ Popens Epistel from Abailard to Eloisa – oder die Choriambische Ode auf die Freundschaft, aus den Bremer Beyträgen, und Du wirst mich besser verstehn. Kurz, so wie der Keim des Wohlwollens der uns zur Mittheilung gegeben ist, beynah der Quell aller unserer glücklichen Empfindungen ist, so erhöhet er auch alle Kräfte der Sele und gibt uns durch seine geheime, nur durch feine Selen zu empfindenden Ausflüße, das Vermögen, unmittelbar auf andre zu würken, und in ihnen eben diese seligen Empfindungen zu erwecken, – und daß ist meiner Meinung nach der Hauptzweck des Dichters. So kann also keiner als derjenige der diese Empfindungen, und alle die feinen nachhallenden Saiten des menschlichen Herzens kennet die er berühren muß um nicht bloß dem Ohre und der Phantasie – sondern auch dem Herzen harmonisch zu werden: großer und erfreulicher Dichter zu sein. – Und um diese Gefühle, wovon ich gewiß überzeugt bin, daß sie Dir in mehr wie gewöhnlichem Maaße eigen sind, zu entwickeln, was würde Dir hiezu zweckmäßiger sein – als Freundschaft – nicht den Popanz meine ich den man gewöhnlich mit diesem Namen betitelt – sondern diese göttliche Freundinn der Menschheit, die den Leidenden tröstet – und dem Glücklichen vor allem Enkel sichert – die durch unaussprechliche Gefühle, und hohem Enthusiasmus [4] der uns Selbstgefühl unsers Werths gibt, auch allein, fähig ist uns zu beglücken. – Lieber wenn ich nicht fern von Dir wäre, wolltʼ ich dieser Freund sein – und Du würdest der meinige werden. – Aber nun hats das Schicksahl anders gewollt, – und wir sind uns fern. Suche Bester also diesen Freund – der Dir damals, wie ich Dich verließ noch fehlte, – ich bin gewiß überzeugt daß Du ihn findest – und auch davon bin ich überzeugt, daß so lange der Mensch diese Quelle des Glücks ungenutzt versiegen läßt – er nie wahres Glück – nie Stillung der geheimen Sehnsucht, und ihm selbst unerklärbaren, unruhigen Leere des Herzens empfinden wird. Leb wohl, und schreib mir so oft es die Umstände erlauben
Dein
Dich liebender Bruder
CA. Schlegel.