• Wilhelm von Humboldt to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Tegel · Place of Destination: Bonn · Date: 24.05.1824
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Wilhelm von Humboldt
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Tegel
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 24.05.1824
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Briefwechsel zwischen Wilhelm von Humboldt und August Wilhelm Schlegel. Hg. v. Albert Leitzmann. Halle 1908, S. 167‒169.
  • Incipit: „[1] Ich glaube Ew. Hochwohlgebornen schon in meinem letzten, oder früheren Schreiben von einer Abhandlung gesprochen zu haben, die ich vor [...]“
    Manuscript
  • Provider: Bonn, Universitäts- und Landesbibliothek
  • OAI Id: 1732895
  • Classification Number: S 507 : 14
  • Provenance: Betr. u.a. Übersetzungsprobleme der Bhagavad Gita (2. Gesang, Vers 70).Geschenk August Wilhelm von Schlegels an die Universitätsbibliothek Bonn (s. A. Klette und I. Staender, Chirographorum in Bibliotheca Academica Bonnensi servatorum catalogus, Bd. II, Bonn 1858-1876, S. 152).
  • Number of Pages: 3 e. S.
  • Format: 25 x 20,2 cm
  • Particularities: Der Brief ist als Nr. 14 mit weiteren 26 Briefen Wilhelm von Humboldts an August Wilhelm von Schlegel in einen braunen marmorierten Pappeinband des 19. Jhs. eingebunden (Nr. 5: Brief von August Wilhelm von Schlegel an Wilhelm von Humboldt).
    Language
  • German
  • Sanskrit
[1] Ich glaube Ew. Hochwohlgebornen schon in meinem letzten, oder früheren Schreiben von einer Abhandlung gesprochen zu haben, die ich vor längerer Zeit in der Akademie gelesen habe, die aber erst jetzt gedruckt worden ist. Ich bin so frei, Ihnen jetzt ein Exemplar derselben zu übersenden, gestehe aber, daß ich es nicht ohne einige Scheu thue. Ich muß besorgen, und einige Winke im letzten Stück der Indischen Bibliothek haben mich in dieser Besorgniß bestätigt, daß Sie mit der Grundidee des Aufsatzes nicht einverstanden sind, und so sehr auch meine Ueberzeugung für mich durch erhebliche Gründe gesichert ist, so gestehe ich doch sehr gern, daß Ihre Autorität für mich ein ungemein großes Gewicht hat.
Es scheint mir nemlich, daß Ew. Hochwohlgebornen den Uebergang von Agglutination zu Flexion, wenn Sie denselben auch nicht ganz abläugnen, doch von keiner zur Erklärung der wesentlichen Natur der Sprachen erheblichen Bedeutung halten; daß Sie den von Ihrem Bruder zuerst aufgestellten Unterschied zwischen sich aus sich selbst entfaltenden, und bloß anfügenden Sprachen, so wie er, annehmen; endlich daß Sie, so hat es mir wenigstens geschienen, bei [2] dem Raisonnement über die Anfänge der Nationen und Sprachen, wenigstens bei einigen der erstern eine Höhe der Intelligenz voraussetzen, gewissermaßen noch einen Abglanz des Götterursprungs, aus der sich, was gewöhnlichen Menschenkräften unerreichbar ist, wenn auch nicht erklären, doch aber als nicht unmöglicher Weise hervorgehend denken läßt.
Ich bin in allen diesen Punkten abweichender Meinung, und alle liegen der gegenwärtigen Abhandlung zum Grunde, oder berühren sie doch unmittelbar. Meine Ueberzeugung aber ist aus wiederholtem Nachdenken über diese Gegenstände, und aus sorgfältigem Vergleichen der Annahmen, zu welchen es mich führte, mit mehreren und sehr verschiedenartigen Sprachen entstanden, und ich bin in jedem Augenblick bereit, wo die entgegengesetzte Meinung mit neuen Gründen unterstützt wird, die Prüfung aufs Neue vorzunehmen. In Einem Punkt begegnen sich die an sich verschiednen Meinungen ohnehin, nemlich darin, daß es zwischen zwei Gattungen von Sprachen, den wahrhaft geformten und den beinahe formlosen, einen wesentlichen Unterschied giebt. Die Abweichung der Meinungen betrift nur die nähere Bestimmung und die Entstehung dieses Unterschiedes.
Ihrer Ausgabe der Gita verdanke ich noch unablässig einen ungemein großen Genuß. Erlauben Sie mir, Ihnen zum Schluß dieses Briefs noch eine Frage vorlegen zu dürfen, die ich mir nicht recht selbst beantworten kann. Sie betrift gerade eine sehr schöne Stelle. Es ist die 70. sl. des 2. Gesanges, und mein Zweifel betrift das Wort [3] âpûryamâṇaṇ. Sie übersetzen es inexpleto. Hier hat wohl aber der Uebersetzung eine andre Lesart zum Grunde gelegen, als dem Text, da ich sonst mit der ersten nicht das lange a reimen kann. Dies vorausgesetzt fragt es sich nur, welche die richtigere und dem Sinn der Stelle angemessenere sey? Ich würde für die des Textes stimmen. Ich nehme das erwähnte Wort alsdann, so wie den Sinn des Ganzen folgendergestalt: wie die Wasser eingehen in das sich anfüllende (durch sie anschwellende) unbeweglich stehnde Meer, so u. s. f. Dies scheint mir einen schönern Sinn zu geben, als wenn man das a privativ erklärt. Im letztern Fall fügen die Leidenschaften, wie die Wasser dem unerschöpflichen Ocean nichts hinzu, beide stehen in ihrer einmal geschlossenen Natur. Bei der andern Lesart schwellen die Wasser den Ocean an, wie die Leidenschaften die Seele bereichern. Aber beides geschieht ohne Sturm, die Seele bleibt ruhig. Indeß möchte dieser Sinn vielleicht der Einfachheit des Alterthums nicht entsprechen. Die Worte intra terminos suos residenti in Ew. Hochwohlgebornen Uebersetzung fügen, genau genommen, dem Text etwas ihm fremdes hinzu. In diesem steht doch nur unbeweglich, was mit langsamem und allmählichem Anschwellen verträglich ist.
Ew. Hochwohlgebornen würden mich sehr verbinden, wenn Sie die Inlage unserm Freunde Welcker übergeben wollten. Ich bitte Sie zugleich die Freiheit des Einschlusses gütigst zu entschuldigen.
Mit der hochachtungsvollsten Freundschaft
Ew. Hochwohlgebornen
ergebenster,
Humboldt.
Tegel, den 24. Mai, 1824.
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[1] Ich glaube Ew. Hochwohlgebornen schon in meinem letzten, oder früheren Schreiben von einer Abhandlung gesprochen zu haben, die ich vor längerer Zeit in der Akademie gelesen habe, die aber erst jetzt gedruckt worden ist. Ich bin so frei, Ihnen jetzt ein Exemplar derselben zu übersenden, gestehe aber, daß ich es nicht ohne einige Scheu thue. Ich muß besorgen, und einige Winke im letzten Stück der Indischen Bibliothek haben mich in dieser Besorgniß bestätigt, daß Sie mit der Grundidee des Aufsatzes nicht einverstanden sind, und so sehr auch meine Ueberzeugung für mich durch erhebliche Gründe gesichert ist, so gestehe ich doch sehr gern, daß Ihre Autorität für mich ein ungemein großes Gewicht hat.
Es scheint mir nemlich, daß Ew. Hochwohlgebornen den Uebergang von Agglutination zu Flexion, wenn Sie denselben auch nicht ganz abläugnen, doch von keiner zur Erklärung der wesentlichen Natur der Sprachen erheblichen Bedeutung halten; daß Sie den von Ihrem Bruder zuerst aufgestellten Unterschied zwischen sich aus sich selbst entfaltenden, und bloß anfügenden Sprachen, so wie er, annehmen; endlich daß Sie, so hat es mir wenigstens geschienen, bei [2] dem Raisonnement über die Anfänge der Nationen und Sprachen, wenigstens bei einigen der erstern eine Höhe der Intelligenz voraussetzen, gewissermaßen noch einen Abglanz des Götterursprungs, aus der sich, was gewöhnlichen Menschenkräften unerreichbar ist, wenn auch nicht erklären, doch aber als nicht unmöglicher Weise hervorgehend denken läßt.
Ich bin in allen diesen Punkten abweichender Meinung, und alle liegen der gegenwärtigen Abhandlung zum Grunde, oder berühren sie doch unmittelbar. Meine Ueberzeugung aber ist aus wiederholtem Nachdenken über diese Gegenstände, und aus sorgfältigem Vergleichen der Annahmen, zu welchen es mich führte, mit mehreren und sehr verschiedenartigen Sprachen entstanden, und ich bin in jedem Augenblick bereit, wo die entgegengesetzte Meinung mit neuen Gründen unterstützt wird, die Prüfung aufs Neue vorzunehmen. In Einem Punkt begegnen sich die an sich verschiednen Meinungen ohnehin, nemlich darin, daß es zwischen zwei Gattungen von Sprachen, den wahrhaft geformten und den beinahe formlosen, einen wesentlichen Unterschied giebt. Die Abweichung der Meinungen betrift nur die nähere Bestimmung und die Entstehung dieses Unterschiedes.
Ihrer Ausgabe der Gita verdanke ich noch unablässig einen ungemein großen Genuß. Erlauben Sie mir, Ihnen zum Schluß dieses Briefs noch eine Frage vorlegen zu dürfen, die ich mir nicht recht selbst beantworten kann. Sie betrift gerade eine sehr schöne Stelle. Es ist die 70. sl. des 2. Gesanges, und mein Zweifel betrift das Wort [3] âpûryamâṇaṇ. Sie übersetzen es inexpleto. Hier hat wohl aber der Uebersetzung eine andre Lesart zum Grunde gelegen, als dem Text, da ich sonst mit der ersten nicht das lange a reimen kann. Dies vorausgesetzt fragt es sich nur, welche die richtigere und dem Sinn der Stelle angemessenere sey? Ich würde für die des Textes stimmen. Ich nehme das erwähnte Wort alsdann, so wie den Sinn des Ganzen folgendergestalt: wie die Wasser eingehen in das sich anfüllende (durch sie anschwellende) unbeweglich stehnde Meer, so u. s. f. Dies scheint mir einen schönern Sinn zu geben, als wenn man das a privativ erklärt. Im letztern Fall fügen die Leidenschaften, wie die Wasser dem unerschöpflichen Ocean nichts hinzu, beide stehen in ihrer einmal geschlossenen Natur. Bei der andern Lesart schwellen die Wasser den Ocean an, wie die Leidenschaften die Seele bereichern. Aber beides geschieht ohne Sturm, die Seele bleibt ruhig. Indeß möchte dieser Sinn vielleicht der Einfachheit des Alterthums nicht entsprechen. Die Worte intra terminos suos residenti in Ew. Hochwohlgebornen Uebersetzung fügen, genau genommen, dem Text etwas ihm fremdes hinzu. In diesem steht doch nur unbeweglich, was mit langsamem und allmählichem Anschwellen verträglich ist.
Ew. Hochwohlgebornen würden mich sehr verbinden, wenn Sie die Inlage unserm Freunde Welcker übergeben wollten. Ich bitte Sie zugleich die Freiheit des Einschlusses gütigst zu entschuldigen.
Mit der hochachtungsvollsten Freundschaft
Ew. Hochwohlgebornen
ergebenster,
Humboldt.
Tegel, den 24. Mai, 1824.
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