[1] Ich habe Ew. Hochwohlgebornen beide Hefte der Indischen Bibliothek erhalten, und säume keinen Augenblick, Ihnen meinen wärmsten Dank für das große Vergnügen, und die mannigfaltige Belehrung abzustatten, welche mir diese reichhaltigen Hefte gewährt haben. Zu gleicher Zeit ist mir die französische Kritik im Journal Asiatique zugekommen, die mich durch die guten Einfälle, die Remusat glücklicherweise nicht vertilgt hat, sehr belustigt hat. Ich habe auch lachen müssen, daß Sie mir vorwerfen, mit Langlois zu glimpflich umzugehen. Ich war, wie Sie, überzeugt, daß er in der Stelle grobe Unwissenheit über die Declinationen sogar verrieth, aber es ist meine Art so, dergleichen Blößen lieber mit dem Mantel der Liebe zuzudecken. Bei andern aber tadle ich das entgegengesetzte Verfahren im geringsten nicht. Für den sehr genauen Abdruck meiner Bemerkungen bin ich Ihnen ausnehmend verbunden. Aber für Ihre Zugaben kann ich Ihnen nicht genug danken. Sie geben erst dem Ganzen Interesse und Werth, und so leicht und hübsch sie nur hingeworfen scheinen, so liegt in ihnen, außer den originellen und scharfsinnigen Ansichten, Fülle der Gelehrsamkeit und Belesenheit. Gleich die erste über den Vyâsas stellt die Sache in den richtigen Gesichtspunkt. Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß dies kein Name eines Individuums, sondern ein wirklicher Collectivname ist. [2] Die von Ihnen S. 339. angegriffene etymologische Behauptung gebe ich Ew. Hochwohlgebornen vollkommen Preis. Es erschien mir nichts Zweifelhaftes dabei, und so schrieb ich sie zu flüchtig hin. Sie haben sehr richtig gezeigt, daß sie allerdings Bedenken, und wichtige hat. Nur will mich die Ableitung von μῆτις von μάομαι auch nicht überzeugen, und daß das τ hier nicht radical sey, möchte ich auch noch nicht zugeben, so wenig ich bestreite, daß es eine Griechische Endung -τις giebt. In einem andern Punkt aber kann ich meine Meinung nicht der Ew. Hochwohlgebornen unterordnen, nemlich in dem was wir beide über die Bedeutung der psychologischen Ausdrücke und der Uebersetzung derselben sagen. Es ist allerdings richtig, daß der gewöhnliche lebendige Gebrauch diese Wörter wohl vermischt und nicht immer in bestimmten Gränzen festhält, aber der philosophische thut das Letztere, und die Gítá scheint mir ebenso wohl, wie ein Platonisches Gespräch oder ein Buch des Aristoteles, ein metaphysischer Aufsatz, wenn man ein Gedicht so nennen könnte. In der Zeit und unter dem Volke, wo diese Episode entstand, war dies die Form des philosophischen Vortrags. Ich glaube auch nicht, daß man im Manus und der Gítá Eine Stelle finden wird, wo diese Ausdrücke von ihrer philosophisch einmal gestempelten Bedeutung abgiengen. Gewiß fodre ich nun nicht von einem Uebersetzer, und habe es deutlich gesagt, daß er für jeden dieser Ausdrücke einen bestimmten präge, und nie einen andern dafür gebrauche. Ich halte es besonders im Lateinischen sogar für unmöglich, das [3] durchzuführen. Aber zu wünschen wäre bei Uebersetzung eines metaphysischen Gedichts eine solche Gleichförmigkeit allerdings, und die Abweichung davon darf, dünkt mich, nur Ausnahme seyn. Gerade in den Zugaben, in welchen Ew. Hochwohlgebornen hierüber sprechen, kommen aber zugleich sehr schöne und schlagende Bemerkungen und einige herrliche Etymologieen vor. – Auf meine hingewagte Meinung über wijnâna lege ich durchaus kein Gewicht. Allein gegen Ihre Erklärung hätte ich noch Vieles einzuwenden. Die Stelle des Amara Kosha ist allerdings sehr wichtig; könnte aber nicht wijnâna eine doppelte Bedeutung gehabt haben, eine esoterische und exoterische und spricht nicht das Wörterbuch nur von dieser, so wie Ew. Hochwohlgebornen auch anführen, daß die psychologischen Ausdrücke darin nicht tief philosophisch geschieden werden? Mir will gerade in die fünf Stellen des Gedichts die Annahme, daß da von menschlichen Wissenschaften die Rede sey, gar nicht passen. Ihnen scheint wijnâna untergeordnet, weil es in den fünf Stellen einmal mit sa, und einmal mit sahita verbunden ist; dreimal folgt es bloß auf jnâna. Ich gestehe aber, daß mir dies gar nicht zu beweisen scheint, daß wijnâna etwas mehr Untergeordnetes bedeute. Daß wijnâna nicht vorausgeht liegt darin, daß es mit einer Praeposition verbunden ist, wo man dann natürlich mit dem allgemeinen Begriff anhebt. Unter den fünf Stellen scheint mir Ihre Bedeutung nur auf Eine allenfalls zu passen, nemlich auf XVIII. 42. Auf III. 41., wo Sie auch wijnânaṇ durch judicium übersetzen, schon weniger gut. VI. 8. übersetzen Sie es, und ich glaube sehr mit Recht, durch cognitio. Es wird da dem Yogi zugeschrieben. Die Brahmanen waren allerdings die Aufbewah[4]rer aller Wissenschaft. Sollte das aber auch für die Vertieften gelten, und gerade im Augenblick ihrer Vertiefung, von dem da die Rede ist? Am deutlichsten aber scheinen mir die beiden noch übrigen Stellen zu beweisen, daß wijnânaṇ auch metaphysisch religiöse Erkenntniß der Gottheit ist. In beiden heißt es, daß Krischnas nun dem Arjunas jnânaṇ und wijnânaṇ offenbaren will. Dies Futurum geht sichtbar nicht auf eine künftige Zeit, sondern auf den Augenblick des Gesprächs selbst, und wie der Gott nun kund macht, was er verheißen hat, spricht er nur von sich und der Gottheit überhaupt, durchaus von nichts Menschlichem. VII. 2. heißt es: dieses jnânaṇ und wijnânaṇ und was vorausgegangen ist, worauf sich aber diese Erkenntniß bezieht, ist der Begriff der Gottheit. IX. 1. erhalten beide diese Erkenntnisse das Beiwort der geheimsten. In beiden Stellen folgt eine mit besondrer Weihe vorgetragene heilige Lehre. Würden VII. 2. unter wijnânaṇ alle Wissenschaften verstanden, so wäre der Zusatz, daß nun nichts Wissenswürdiges übrigbleibe, wirklich sehr müßig. Denn wie will etwas übrigbleiben, wenn alles schon zusammengefaßt ist? Dieser Zusatz aber hat eine hohe Kraft, wenn jene Worte nur die heilige Lehre umfassen; neben ihr, heißt es dann, bleibt nichts mehr, das wissenswürdig, übrig. In ähnlichen Stellen der Bibel heißt diese Lehre, die Summe aller Erkenntniß. Nur so, und dies wäre vielleicht ein passender Ausweg, könnte ich Amara Sinhas Erklärung hier passend finden, daß Krischnas sagte, ich will dir erklären was alle heilige und profane Wissenschaft in sich faßt, damit aber doch nur die heilige Lehre meinte, und gleichsam die profane gegen sie fallen ließe. Allein daß er meinen sollte, der Yogi sollte jene profanen Wissenschaften treiben, und so alles Wissen in sich vereinigen, kommt mir sowohl den einzelnen Stellen, als dem Geist des ganzen Gedichts unangemessen vor. – Unter eine der [5] bekannten Schulen die Bhagavad Gita zu bringen, ist gewiß nicht meine Absicht. Indeß ist nicht zu läugnen, daß das Daseyn solcher Schulen schon aus dem Gedicht selbst hervorgeht, und daß die Lehre desselben im Ganzen mit dem übereinkommt, was nachher Patanjalis Yoga System hieß. – Auf die Titel der Abschnitte gebe ich gleichfalls nichts und habe sie nur angeführt um Langlois mit seinen eignen Argumenten zu widerlegen. – Daß in der Bhagavad Gita das sinnliche Princip der Erkenntniß, wie Sie sagen, oder das irdische des Daseyns, wie ich es ausgedrückt habe, gänzlich aufgehoben werden, scheint mir nicht. Allerdings giebt es Stellen in ihr, welche die sinnliche Welt fast nur als einen Schein der Maya darstellen. Allein ein so entschiedner Idealismus, wie man ihn sonst wohl der Indischen Philosophie beilegt, ist in dem Gedicht nicht ausgesprochen, wie es mir wenigstens vorkommt. – Daß Sie einzelne Stellen des Commentars haben abdrucken lassen, hat mich außerordentlich gefreut. Wie herrlich wäre es, wenn man einen ganzen Commentar mit so göttlicher Correctheit und Deutlichkeit gedruckt besäße! – Der übrige Inhalt Ihrer beiden Hefte ist durchaus interessant, und einige Aufsätze müssen von jedem als vollendet und meisterhaft auch in der Form erkannt werden. Am meisten angezogen haben mich die grammatischen und etymologischen Untersuchungen im 3ten Heft. Man kann damit nur die besten Aufsätze des verstorbnen Wolf vergleichen, aber die Ihrigen haben den unbestreitbaren Vorzug, daß sie mit wichtigen Resultaten schließen, da sich die seinigen meist in ungelöst bleibende Zweifel verliefen. – Ich räume vollkommen ein, daß, wie Ew. Hochwohlgebornen sagen, s im Sanskrit der Charakter des männlichen Nominativs ist. Allein ich freue mich zu sehen, daß Sie, wo Sie verbundne Worte drucken lassen, den Nominativ mit h (:) endigen. Ich bin schon lange darüber mit Bopp in Streit, daß er auch im Devanagari [6] Druck in seiner Grammatik in den Paradigmen den Singularis und Pluralis immer mit s endigen läßt. Es scheint mir dies durchaus unstatthaft, da, wo das Wort allein steht, : schließen muß. Wie die Sprache heute liegt, müßte auf das s ein surder Buchstabe folgen. Für den Anfänger entsteht auch die Undeutlichkeit, daß er die wirklich mit radicalem s endenden Worte nicht zu unterscheiden weiß. Sie reden bei dem Nominativ s mit Recht von einer vorgeschichtlichen Zeit. In der heutigen Sprache läßt sich nicht einmal sagen, daß die Charakteristik des Nominativs s ist. Diese Charakteristik ist, wenn das Wort allein steht, :, wenn es verbunden ist, einer der Laute, die dann eintreten können, also allgemein: ein Hauch- Zisch- oder r-Laut. Denn Sie nehmen doch auch wohl an, daß, wenn das Visarga vor einem Vocal wegfällt, doch ein Hauch (eine Art Digamma) die beiden Vocale, die sonst zusammenlaufen würden, aus einander hält. Der Hauch wird nur bis zur bloßen Pause gemildert. – Ueber das anuswâra kann ich auch Bopp nicht beistimmen, daß es bloß ein Zeichen, und also orthographisch ist. Ich halte es für eine eigne Modification des Nasenlautes, und hierin ist Bopp geneigt, mir nachzugeben. – Bei diesen Untersuchungen fällt mir ein, daß ich mich oft gefragt habe, ob die Lehre des Sandhi wohl als eine Frucht des sich verfeinernden Wohlklangs anzusehen ist, oder schon der ursprünglichen Sprache angehört haben mag. Ich glaube das Letztere. Rohe Völker sind viel eigner in Behandlung der Laute, als cultivirte. In allen Indischen Sprachen, obgleich man die Nationen jetzt wohl roh nennen muß, auch in den von dem Sanskrit weit abweichenden, wie in der Telinga, herrscht eine solche Lehre, und das Volk versteht den nicht, der sie nicht anwendet. Auch in Amerikanischen Sprachen sind Spuren davon. Diese Völker trennen auch noch viel weniger die Wörter in Gedanken ab, und behandeln eine ganze Redensart wie Ein Wort. Der Gebrauch der Schrift nimmt davon hinweg, wie man im Griechischen deutlich sieht. – Die Sprachen ohne Declination haben den guten Mannert zu einem großen Verstoß verführt, vor dem ihn die Lehre der Accente, wenn er sie wüßte, bewahrt haben würde. [7] Im Diodor kommt ein Iberischer König Orissôn indeclinabel vor, und den hat er für den Genitiv eines Volksnamens gehalten. So paradiren auf vielen Karten Orisser, die es nie gegeben hat. Ich habe es in der Schrift über die Urbewohner Hispaniens gerügt. – HErrn Schilling von Cannstadt verdanke ich es, daß ich wenigstens etwas von ta hio gelesen habe. Ich besitze seine beiden lithographischen Chinesischen Schriften durch meinen Bruder. Zu den Sloken wünsche ich von Herzen Glück. Es sind wohl die ersten, diesseits des Meeres gemachten. – Daß Ew. Hochwohlgebornen den anonymen französischen Brief p. 186. so viel ausführlicher und gründlicher beantwortet haben, als er es verdiente, werden Ihnen die Leser Dank wissen. Ihre Antwort enthält triftige und neue Wahrheiten. Ich besonders bin Ihnen für die freundliche Erwähnung meines Namens darin sehr verbunden. Erhalten Sie mir ferner diese wohlwollenden und freundschaftlichen Gesinnungen und nehmen Sie die aufrichtigste und herzlichste Versicherung der meinigen und meiner ausgezeichneten Hochachtung an.
Tegel, den 18. September, 1826.
Humboldt.
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