Ich würde mir es selbst nicht verzeihen, mein theuerster Freund, daß ich die Beantwortung ihrer mir höchst angenehmen Zuschrift vom 22 May so sehr verspätet habe, wenn ich nicht seit mehr als 4 Monaten unter dem Einfluß von Umständen gestanden hätte, die entweder meine Tätigkeit ganz gehemmt, oder ihr doch eine viel zu einseitige Richtung gegeben haben, als daß ich meinen übrigen Verhältnissen die gehörige Aufmerksamkeit hätte widmen können. Gleich nach Empfang Ihres Briefs, (ich erhielt ihn kurz vor meiner Abreise von Amsterdam) habe ich mich auf den Weg nach Deutschland gemacht, um meine theils durch anhaltendes Studiren, theils durch mancherley Verdrießlichkeiten geschwächte Gesundheit in den Bädern von Hof-Geismar wieder herzustellen. Ich hatte mir vorgenommen, nach vollendeter Cur sogleich weiter vorzudringen, und meine Reise wenigstens bis Jena fortzusetzen. Schon freuete ich mich auf den Augenblick, wen ich so glücklich seyn würde, Sie nach einer so langen Trennung wieder zu sehen. Allein der allmächtige Zufall, der seit geraumer Zeit meine Handlungen und Entschlüsse allein bestimmt, hat es anders gefügt, und gewisse Nachrichten aus Holland haben mich bewogen, vorerst in Göttingen Halt zu machen, und hier, wie von einem Ufer, die Bewegungen des stürmischen Meers lieber in Sicherheit zu beobachten, als mich aufs neue der Gefahr auszusetzen, von ihm verschlungen zu werden. Daß ich die mir aufgetragene Stelle der griech. Professur in Leiden, niemals angetreten habe, das werden Sie ja nun wohl, wo nicht durch öffentliche, doch durch besondre Nachrichten erfahren haben. Sie kennen [2] den gegenwärtigen Zustand der Holländ. Angelegenheiten so gut, als einer, und wißen, wie öffentliche Lehrstellen daselbst von politischen Meinungen abhängig sind. Es kann Ihnen nicht unbekannt seyn, daß gleich beym Ausbruch der Revolution verschiedene Professoren zu Leiden, unter andern auch Luzac abgesetzt wurden. Ob mit Recht oder Unrecht, darüber war damals so wenig die Frage, als sie es in der Folge gewesen ist. Niemand hat jemals in Holland den Curatoren einer Universität das Recht streitig gemacht, abzusetzen und anzustellen, wen sie wollen. Sie waren nie verbindlich, hiervon Rechenschaft zu geben. Auch ist es keinem einzigen abgesetzten Lehrer in den Sinn gekommen, gegen dieses Verfahren zu protestiren, selbst Luzac nicht, der nicht einmal einen Schein von Recht für sich hatte; weil man ihm blos den einen Theil seiner Professur, nehmlich die vaterländische Geschichte abgenommen, und weil er denselbe zweyten, die griechische Literatur, selbst und aus eigner Bewegung niedergelegt hatte.. Unterdessen ist er der einzige gewesen, der sich gegen das Verfahren der Curatoren aufgelehnt, und sich bey der ProvinzialAdministration einen Anhang zu machen gewußt hat, der zwar nicht stark genug ist, um ihn wiedereinsetzen zu können, aber doch Kräfte genug hat, die Sache in suspenso zu erhalten. Er hatte es so weit gebracht, daß seine Klage angenommen, und einer Commission übergeben wurde. Oeffentlich war hiervon nichts bekannt, und ich konnte xxxxxxxx folglich in dieser Rücksicht kein Bedenken tragen, die mir in der Zwischenzeit angebotene Stelle anzunehmen. Bald darauf lieferte die Commission ihren Rapport ein, und die Regierung erklärte, daß die Professur der gr. Literatur zu Leiden in statu quo bleiben müßte bis nach geendigten Proceß. Nun entstand eine offenbahre Fehde zwischen den Curatoren und dem Provinziaalbestuur. Alle Zeitungen waren voll davon, und Jedermann nahm Antheil an dem Streit. Luzac wurde einmal wieder eingesetzt, aber sein Triumpf dauerte nur 12 Stunden. Er wurde aufs neue suspendirt. Ich hatte mir fest vorgenommen, auf die Stelle Verzicht zu thun, wenn man von mir verlangen würde, vor geendigtem Proceß anzutreten. Dieß ist geschehen, und ich habe um meine Entlassung angehalten. Ob ich sie nun schon nicht erhalten habe, so mache ich doch nicht die geringste Rechnung mehr auf die Professur. Auch zweifle ich im mindesten nicht, daß sich die Curatoren nach einem andern umsehen werden, und daß sie ihn anstellen werden, wenn er sich über die Bedenklichkeiten wegsetzen will, die ich gehabt habe. Ich bin ganz ruhig, und auf jeden Fall gefaßt. [3] Nur das thut mir herzlich leid, daß ich dadurch ausser Stand gesetzt worden, den Wunsch Ihres vortreflichen Freundes, des Hn. D. Hartmann in Leipzig zu befriedigen. Ich würde die Collation des Plautus gewiß keinem andern aufgetragen, sondern alles mit der größten Genauigkeit selbst besorgt haben, wenn ich meinen Posten hätte antreten können. So aber blieb mir nichts übrig, als Hn. van Santen dringend zu bitten, daß er aus Achtung für H. Hermann, und zum Besten der Literatur das mir aufgetragene Geschäft für mich übernehmen, und die Vergleichung der angezeigten Stellen selbst überneh besorgen möchte. Ich habe Ursache zu glauben, daß ich keine Fehlbitte gethan habe; und vielleicht hat Herr D. Herrmann die Beweise davon bereits in Händen. Wenn Sie, wie ich gar sehr wünsche, mich bald mit einer Antwort erfreuen wollten, so vergessen Sie doch nicht, mir seine Addresse beyzulegen, oder zu melden, ob ich Sie mit einem Brief an ihn beschweren darf. Ich dancke Ihnen herzlich, daß Sie mir Gelegenheit zu einer Bekanntschaft gemacht haben, die mir äußerst wichtig und interessant ist.
Von Ihren literar. Arbeiten habe ich in Holland mehr erfahren, und gelesen als Sie sich vorzustellen scheinen. Es macht mir eine besondere Freude, den Recens. des Vossischen Homer eher errathen zu haben, als er sich mir selbst entdeckte. Eine vortrefliche Recension! In den Horen hatte ich Sie auc[h] wiedergefunden, und die Uebersetzung des Shakespear war mir wenigsten[s] durchs Gerücht bekannt geworden. Wie glücklich schätze ich Sie, daß die Vorsehung Sie in einen so schönen Wirkungskreis gestellt hat.
Ehe ich schließe, nur noch ein Wort über ein Holl. Produkt, das ich Ihnen besonders empfehlen muß. Herr van Santen hat voriges Jahr eine kleine Schrift drucken laßen, betitelt: Ruuwe Proef over het werktuiglyke der Dichtkunde. Er wünscht, daß es in Deutschland bekannt würde, und er war nicht wenig erfreut, als ich ihn versicherte, daß ich ein Exemplar für Sie mitnehmen, und Sie in seinem Namen bitten wollte, (er war selbst auf Sie gefallen) eine Uebersetzung davon zu besorgen. Da der Uebersetzer dieser Schrift eine große Belesenheit in deutschen Dichtern haben, und selbst dieser seyn muß, so begreifen Sie leicht, warum er Sie besonders zum Pflegevater seines Kindes ausersehen hat. Nur müssen Sie mir gütigst anzeigen, ob ich das kleine Werkchen mit der Post überschicken soll. Sie werden so gütig seyn, meine Briefe so zu bezeichnen: abzugeben bey H. Magister Kirsten auf der rothen Straße. Herr Matthiä empfiehlt sich Ihnen bestens. Leben Sie wohl.
Ganz der Ihrige
Huschke.
Lassen Sie doch die Einlage gefälligst H. Hofrath Schütz überreichen.
[4] Sr. Wohlgeb.
dem Herrn Hofrath Schlegel
in Jena.
frey.