Hochgeehrtester Herr Professor!
Erinnern Sich vielleicht Ew. Hochwohlgeb. eines Reisenden, dem Sie in Bonn im August 1829 ein halbes Stündchen schenkten, als er in Begleitung seines Collegen des Conrector Schmidt, eines alten Portensers Ihnen einen Besuch zu machen sich erlaubte? Schon damals bekannte ich mich gern, ob mir gleich das Glück nie zu Theil ward, Ihnes mündlichen Unterrichts mich zu erfreuen, zu Ihrem dankbaren Schüler; vor Allem aber ist das in einer vom Ubersetzer des Shakespeare und Calderon in einer seit Luther unerreichten Virtuosität und auch von mir seit länger als 32. Jahren, wenn auch nicht mit solchem Glück, aber doch mit Liebe geübten Kunst, der poetischen Ubersetzungskunst, der Fall. (Von mir erschienen: Medea. 1811. Guarinis treuer Hirt. 1822. W. Scottó Abt. 1824. [2] Don Quijote 1825. 6. Thukydides 1830. 31. Silvio Pellico (mit Kannegießer, 1834).
Aber keiner dieser Versuche ward mit solcher Lust begonnen und fortgesetzt, wie die Ubersetzung des Aristophanes, und darum möchte nun auch Ihr freilich bereits ziemlich ergrauter Schüler des Meisters Urtheil über seine Nachbildung eines Dichters vernehmen, den Sie freilich in Ihren trefflichen dramatischen Vorlesungen für unübersetzlich erklären und von dem Sie, in der ersten 1809 erschienenen Auflage, die ich vor mir habe, sagen, wir besäßen von ihm noch keine genügende poetische Übersetzung. Haben die indessen erschienenen von Voß und Droysen Sie bestimmen können, Ihr letztes und demnach auch Ihr zuerst angeführtes Urtheil zu ändern? Schmeichle ich mir zuviel, wenn ich glaube, in der nur annäherungsweise zu bewerkstelligenden Lösung der anerkannt schwierigen Aufgabe glücklicher als die genannten Vorgänger, als Wieland – ja selbst als F. A. Wolf gewesen zu sein? Werden Sie die ergebenste Bitte unbescheiden finden Ihre Antwort auf diese Fragen entweder unter des Siegels Verschluß, [3] oder durch die Druckerpresse, wenn auch nicht durch eine in alles Einzelne eingehende Beurtheilung, aber doch im Allgemeinen, mich wissen zu lassen? Wie erwünscht würde es mir, wie vortheilhaft dem von mir Unternommenen sein, wenn es mir verstattet wäre, bei Überarbeitung des im Entwurfe bereits fertigen zweiten und Bearbeitung des 3ten Bandes die Fingerzeige eines solchen Kenners zu benützen. Und vielleicht wissen zuletzt auch Sie mir es Dank, Sie veranlaßt zu haben, den erfindungsreichsten und witzigsten aller vom Weibe Gebohrenen einmal wieder zur Hand zu nehmen.
Mißdeuten Sie das eben Gesagte ja nicht als selbstsüchtige Lobhudelei, sondern sein Sie überzeugt, daß ich darin nur meine wahre und wohlbegründete Uberzeugung aussprach und meine Bitte zu motivieren aussprechen müßte. Dann werden Sie dieser Bitte und meiner Zudringlichkeit auch freundliche Verzeihung zu Theil werden lassen. Mit der aufrichtigsten Hochachtung
Ew. Hochwohlgebohren
gehorsamster
Hieron. Müller.
Naumburg a. d. S. 6. Sept.
1843.
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