Schon lange, werthester Freund, wartete ich wieder auf Nachricht von Ihnen, da ich seit meinem letzten flüchtigen Brief, dem ich einen ausführlicheren nachzusenden Willens war, ungewiß blieb, wo ich Sie zu suchen hätte. Vor einigen Tagen erhielt ich von den HE. Mohr und Zimmer in Heidelberg einen von ihnen aufgetragnen Wechsel auf Augsburg von 600 fl. dortiger Währung. Ich halte für Schuldigkeit, Ihnen dieß sogleich zu melden. Noch weiß ich aber nicht, ob diese Summe nicht vielleicht die ursprüngliche bereits übersteigt; sollte sich dieß so finden, so behalte ich mir vor, mich darüber mit Ihnen genauer zu berechnen. Ein viel wertherer Beweis Ihres freundschaftlichen Andenkens an mich war mir das von ebendenselben erhaltne Exemplar Ihrer poëtischen Werke. Mit Innigkeit habe ich so manches tiefgefühlte Wort aus früheren Zeiten, so manche gediegne Klänge der späteren in mich gesogen. Ob mir gleich die meisten Ihrer späteren Gedichte durch Ihre Güte schon früher bekannt geworden waren, habe ich sie doch als neue gelesen, indem sie von einer so natürlichen [2] Frischheit sind, daß sie immer wieder gelesen doch nie alt werden. Besondere Freude empfand ich an dem ersten Gesang des Tristan, den ich jetzt nach gemachter Bekanntschaft des Nibelungenliedes weit besser verstehen konnte. Die Verschmelzung jener noch rauheren Töne des uralten Heldengesangs mit den weichen Lauten südlicher Poësie bringt etwas ganz Eigenthümliches hervor, das die Nachricht, dieser erste Gesang soll Bruchstück bleiben, doppelt bedauern läßt.
Inzwischen habe ich eine mir sehr werthe Bekanntschaft an Hn. Chevalier v. Balk gemacht, die ich unstreitig vorzüglich Ihnen verdanke. Es ist Erquickung, so reine, tief fühlende und liebenswürdige Seelen kennen zu lernen. Leider habe ich, eben aufʼs dringendste durch eine zufällige Arbeit beschäftigt, ihn weniger als ich wünschte genießen können.
Jacobi hat uns mit einer Schrift, Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, oder wie Baader den Titel umändert v.[on] d.[en] g.[öttlichen] D.[ingen] und ihrer Verheimlichung beschenkt. Viele Gründe, welche zu schreiben allzuweitläuftig wäre, mußten mich bestimmen, mich bey dieser Gelegenheit mit dem Manne völlig auseinander zu setzen. Dieses ist in einer eignen kleinen Schrift geschehen, die ich durch Einschluß an die [3] HE. Orell und Geßner in Zürich an Sie habe abgehen lassen. Ich wünsche, daß sie in Ihre Hände komme und eine Ihnen zusagende Lektüre seyn möge.
Auf sonderbare Art bin ich mit Ihrem Herrn Bruder in Bezug auf Herausgabe einer Zeitschrift in eine wenigstens scheinbare Collision gekommen. Ganz unabhängig von ihm und ohne von seinem Plan eher als durch Baader zu hören, hatte ich schon Jahr und Tag zuvor den Plan einer solchen periodischen Schrift gefaßt, der mit dem Gedanken der seinigen in Ansehung des Wesentlichen ganz der nämliche war. Der Verleger, der ihn schon seit längerer Zeit in Händen hatte, glaubte, nachdem die Ankündigung Ihres HE. Bruders erschienen war, mit der seinen auch vorrücken zu müssen, ohnerachtet er längst wußte, daß ich den wirklichen Anfang der Herausgabe vielleicht erst Ende dieses Jahrs machen würde. Ich bitte Sie, wenn Sie dieses Punkts in einem Brief erwähnen sollten, Ihrem Herrn Bruder diese Umstände mitzutheilen und ihn zu versichern, daß es auf keine Art und in keinerley Absicht meine Meynung gewesen, seiner Zeitschrift in den Weg zu treten. Ich habe längst einen neuen all[4]gemeinen Vereinigungspunkt gewünscht und würde mit Vergnügen meinen Plan aufgeben, wenn ein solcher wirklich zu gewinnen wäre. So habe ich mich in Ansehung der von mir entworfnen Zeitschrift nur auf einige Cardinal-Punkte beschränkt, welche ich in starke Anregung zu bringen hoffe, und werde so, was Fülle und Mannichfaltigkeit betrifft weit hinter dem Reichthum Ihres Herrn Bruders zurückbleiben. Auch ist meine Zeitschrift, wenn auch dieses, doch keine genau periodische, da sie sich an keine bestimmte Erscheinungsweise bindet.
Ich bitte Sie, bey Frau von Stael meinen Respekt zu erneuern, und füge nichts bey, als den Wunsch, daß Sie wohl leben und in Freundschaft bisweilen meiner gedenken mögen. Mit immer gleicher Gesinnung
ganz
Der Ihrige
Schelling