1832.
Verehrtester Oheim!
Mit Vergnügen erfülle ich den Auftrag meiner Mutter, Ihnen für Ihren werthen Brief vom 28sten Octbr. den herzlichsten Dank zu sagen und denselben zu beantworten. Sie selbst ist leider wieder sehr bedenklich krank gewesen, wovon wohl die mannichfachen, heftigen Gemüthserschütterungen und ihre Jahre die Ursachen sein mögen, und fühlt sich noch so schwach, daß sie nur mit vieler Anstrengung einige Zeilen an mich hat zu Papier bringen können. Sie erkennt Ihre Güte und wohlwollenden Absichten mit dem größten Danke, und es gereicht ihr zur wahren Beruhigung, daß wir an Ihnen, theurer Oheim, eine solche Stütze haben. Es war natürlich für die alte Frau ein quälender Gedanke, uns Beide, meine Schwester und mich, ohne Versorger in der [2] Welt zurück zu lassen, der ihr ihre letzten Lebenstage getrübt, vielleicht die Scheidestunde erschwert hätte.
Ihnen auf die Dauer lästig zu fallen, lieber Oheim, daraus würde ich mir ein Gewissen machen und es als Mißbrauch Ihrer großen Güte betrachten. Gewiß würde die Vergrößerung Ihres Haushalts durch mich und Hermann manche Ihnen unangenehme Änderung herbei führen, auch das ungewohnte Geräusch eines lebhaften Knaben Ihnen oft störend sein. Es scheint mir daher das Beste, daß ich hier am Orte, wo ich ein mal eingerichtet bin, bleibe; ein Umzug nach Harburg würde viele Kosten und Unruhe verursachen, und wer weiß, ob das Leben meiner geliebten Mutter uns noch lange erhalten wird.
In einer Witwencasse bin ich nicht, obgleich meinem guten Manne dieser Wunsch immer sehr am Herzen lag und häufig beunruhigte. In den ersten Jahren unserer Verheirathung war es ihm nicht möglich, die dazu nöthige Summe zu erübrigen, da eine neue häusliche Einrichtung viel erfordert und seine Einnahme nicht bedeutend war. Später, als er es wohl gekonnt hätte, erfuhr er zu seinem [3] Bedauern, daß in Berlin keine Ausländer mehr aufge[no]mmen würden, und andre Einrichtungen der Art schienen ihm nicht sicher. Er hofte nun auf die Errichtung einer Witwencasse im Hannoverschen, wovon längst die Rede war, doch immer vergebens; wer weiß, ob sie je zu Stande kommt. Er hat mir indeß ein kleines Vermögen hinterlassen; wovon die jährlichen Zinsen etwas über hundert Thaler in Golde betragen. Außerdem denke ich noch eine Witwenpension aus dem hiesigen Schulfond zu erhalten, die freilich nicht bedeutend ausfallen wird, da man im Hannoverschen sehr sparsam mit Pensionirungen zu Werke geht. Wenn ich jedoch nur so viel habe, daß ich bei gehöriger Einschränkung auskomme und meinem Sohn den nöthigen Unterricht ertheilen lassen kann, dann bin ich gern zufrieden.
Daß ich so ausführlich über meine Angelegenheiten geschrieben habe, wird Ihre Güte mir nachsehen. Mein Brief vom 7ten d. M. wird bereits in Ihren Händen sein.
Leben Sie wohl, theurer Oheim, ich bin stets
Ihre
ergebene, Sie liebende Nichte
Amalie Wolper geb. Schlegel.
[4] [leer]
[1] beantwortet