Theuerster Oheim!
Seit langer Zeit habe ich mir die Freude versagen müssen, Ihnen zu schreiben. Ich hatte zuletzt in Lingen so viel zu thun und zu ordnen, wodurch nicht allein meine körperlichen Kräfte, sondern auch mein Gefühl in Anspruch genommen ward, daß ich mich völlig erschöpft in den Wagen setzte. Meine Reise ging ganz glücklich von statten, das Wetter begünstigte mich im Ganzen und ich kam recht wohl, auch etwas erheitert durch die stets wechselnden Gegenstände, vor ungefähr 14 Tagen mit meinem Hermann hier an. Es ist mir ein höchst wohlthätiges Gefühl, nach beinah 4 Jahren, in wel[2]chem Zeitraume so manches traurige Ereigniß uns traf, ein mal wieder im Kreise der Meinigen zu sein und mich ganz gegen sie aussprechen zu können, was schriftlich doch immer mangelhaft bleibt. Doch auch diese Freude ward uns bald getrübt. Wir haben Alle nach einander an einem heftigen Erkältungsübel, der sogenannten Grippe gelitten. Ist diese Krankheit im Allgemeinen nun auch ganz gefahrlos, so fühlt man sich doch recht unwohl und so angegriffen dabei, daß man sich kaum bewegen mag und kann. Dieses allein war die Ursache, daß ich Ihnen, liebster Oheim, nicht sogleich nach meiner Ankunft schrieb.
Die Zeit meines hiesigen Aufenthalts habe ich ungefähr bis Mitte oder Ende Juni festgesetzt. Meinen Rückweg muß ich leider wieder durch die öde, freudlose Haidgegend über Lingen nehmen. Ich habe dort noch einige Sachen in Ordnung zu bringen, die meine persönliche Gegenwart erfordern, auch wollte ich mich zugleich bem[üh]en, ob ich für den nächsten Winter eine [3] erträgliche Wohnung zu einem mäßigen Preise bekommen kann. Dann, mein theurer Oheim, komme ich, wenn es Ihnen wirklich nicht ungelegen ist, zu Ihnen. Es versteht sich aber, daß ich Ihnen zuvor den Tag meiner Ankunft melde, wahrscheinlich von Lingen aus, wo ich mich 8–14 Tage aufzuhalten denke. Die Aussicht zu dieser Reise ist mir in jeder Hinsicht sehr erheiternd und erfreulich; wie oft war sie schon mein Wunsch!
Es wäre zu unbescheiden, wenn ich Sie bäte, mir hierher einige Zeilen zu schreiben, da ich weiß, wie überhäuft Sie mit Geschäften sind. Hätten Sie aber vielleicht einige Aufträge für mich in Hamburg, wovon Sie früher ein mal erwähnten, dann würde es mich sehr erfreuen, sie auszurichten.
Leben Sie recht wohl, geliebter Oheim! Stets
Ihre
Sie hochschätzende und liebende
[N]ichte Amalie Wolper.
[4] An
den Herrn Professor A. W. v. Schlegel
in
Bonn.
d. E.
[1] beantwortet
d. 8.ten Jun. 33.