1836.
Theuerster Oheim!
Wahrhaft erfreut ward ich durch Ihren freundlichen, theilnehmenden Brief, für den ich Ihnen von ganzem Herzen danke. Daß es Ihnen leid sein würde, daß das Lebensziel meiner lieben Mutter wohl nicht mehr ganz fern ist, wußte ich wohl, da ich Ihr Wohlwollen und Ihre gütigen Gesinnungen für dieselbe kenne. Gerührt hat es mich aber, daß Sie, um den letzten Wunsch derselben zu erfüllen, mir zu einer Reise dahin behülflich sein wollten, doch trage ich billig Bedenken, dieses anzunehmen, da ich Ihnen schon so Vieles zu danken habe. Der Entschluß hin zu reisen steht jetzt übrigens bei mir fest, denn ich betrachte es gleichsam als eine Pflicht und es wird später zu meiner eignen Beruhigung gereichen. Dasselbe Bedenken, lieber Onkel, daß meiner Mutter der Abschied von uns zu schmerzlich und angreifend sein würde, hegte auch ich, doch beruhigt mich meine Schwe[2]ster darüber einigermaßen, wie Sie aus den beigefügten Zeilen derselben sehen können. Sie entschuldigen gütigst, daß meine Schwester sehr eilig und daher schlecht geschrieben hat, doch glaubte sie gewiß nicht, daß dieser Brief in andre Hände als die meinigen kommen würde. Mit Vergnügen wird sie Ihnen gewiß dann und wann von dem Befinden meiner Mutter Nachricht geben. Ihre Grüße an diese letztere habe ich gestern bestellt.
Die Entfernung von Lingen bis Harburg beträgt auf dem nächsten Wege durch das Oldenburgsche und über Bremen ungefähr 32–34 Meilen. Die Kosten der Hin- und Rückreise würden, wenn ich sie auch noch so sparsam einrichte, gegen 60 Thaler ausmachen. Den 16ten Juli fangen die Ferien an und dauern volle 4 Wochen.
Daß es mit Ihrer Gesundheit gut geht und Sie das Reiten wieder angefangen haben, freut mich sehr und ich bitte Sie dringend, lieber Onkel, doch in der schönen Jahrszeit die gelehrten Arbeiten etwas ruhen zu lassen und nichts zu Ihrer Pflege und Erholung zu verabsäumen. Der Winter bannt uns ja früh genug wieder in unsre Zimmer.
Das traurige Schicksal der Frau Forstheim hat mich recht ergriffen und mit aufrichtigem Bedauern erfüllt. Ich verdenke es ihr im Ganzen nicht, daß [3] sie keinen Besuch annimmt, da manche Menschen, in der besten Meinung, ihr etwas Tröstliches zu sagen, ihr Gefühl doch nur verletzen würden. Bei so bewährten und fein fühlenden Freunden, wie Sie sind, bester Onkel, würde ich jedoch eine Ausnahme machen, und mich dünkt, ein so theilnehmender Zuspruch müßte ihr zu einigem Trost gereichen.
Von der Tante aus Hannover erfahre ich hier nichts, denn niemand kennt sie. Im vorigen Sommer sprach ich jedoch ein junges Mädchen von daher, die eine Jugendgespielinn Emiliens war und mir erzählte, daß das arme Mädchen jetzt schrecklich verwachsen und dadurch ganz entstellt sei. In Harburg höre ich aber gewiß etwas Näheres, was ich Ihnen mittheilen werde.
Mein Bruder schreibt mir von Zeit zu Zeit, und noch in der vorigen Woche erhielt ich einen Brief von ihm. Er ist, wie Sie wissen, am Gymnasium zu Verden als Lehrer angestellt und es scheint ihm dort im Ganzen recht gut zu gehen. Er äußert in seinem letzten Briefe den Wunsch, da er von meiner Reise nach Harburg gehört hat, mich bei dieser Gelegenheit einmal zu sehen und da Verden nur ein unbedeutender Umweg von einigen Stunden ist, so werde ich wohl meine Rückreise über den genannten Ort machen. In den Michaelisferien denkt auch er unsre Mutter zu besuchen.
[4] Das Kapital meines seeligen Mannes ist mir ohne Abzug in Göttingen ausbezahlt worden, doch habe ich an den rückständigen Zinsen ein Bedeutendes eingebüßt. Ich habe es hier theils zu 4, theils zu 4 1/4 Procent wieder untergebracht und hoffe, daß es sicher und gut steht, wenigstens ist alle mögliche Vorsicht dabei angewandt, denn ich war etwas scheu und ängstlich geworden. Im Juli werden mir die ersten halbjährigen Zinsen ausbezahlt, wovon ich einen Theil der Reisekosten zu bestreiten denke.
Daß Sie zwei gute Dienstmädchen bekommen haben, dazu gratulire ich Ihnen, denn es gehört wirklich mit zur häuslichen Glückseeligkeit. Bei Ihnen haben aber auch die Leute so herrliche, goldene Tage, daß ich es ganz natürlich finde, wenn sie immer rüstig zur Arbeit und aufgelegt zum Scherze sind.
Die guten Eigenschaften von Mamsell Marie habe ich ja selbst Gelegenheit gehabt, kennen zu lernen und weiß sie sehr wohl zu schätzen; sie sind für Sie und Ihr Hauswesen von großem Werthe. Darf ich bitten, dieselbe recht freundlich von mir zu grüßen. Auch Hermann trägt mir die herzlichsten Grüße an Sie auf.
Der Besuch von Tieck wird Ihnen gewiß eine angenehme Erheiterung gewähren.
Leben Sie wohl, theurer Oheim, und erhalten Sie mir ferner Ihr so schätzbares Wohlwollen.
Ihre
Sie liebende Nichte A. Wolper.
[1] beantw. d. 7 Jul. 36 mit Einlage von 30 thl. Gold worüber Postschein.