1839.
Theuerster Oheim!
Meine Freude über Ihren lieben und ausführlichen Brief vom November voriges Jahres, war so groß, daß ich Ihnen sogleich meinen innigsten Dank dafür hätte sagen mögen, wenn ich es nicht für unbescheiden gehalten hätte, Sie so oft mit unbedeutenden und uninteressanten Nachrichten zu belästigen. Nun aber bin ich fast zu lange in’s Aufschieben hinein gerathen, oft an meinem Entschluß, mich Ihnen ein mal wieder schriftlich mitzutheilen, durch unvorhergesehene Störungen gehindert und muß mich deßhalb recht sehr entschuldigen.
Ihre gütigen Mittheilungen, besonders was Sie selbst und Ihr Haus betrifft, waren für mich von dem größten Interesse. Daß Sie, geliebter Oheim, längere Zeit an Ihrer Gesundheit gelitten haben, erfüllte mich mit der aufrichtigsten Theilnahme und würde mich noch mehr bekümmert haben, wenn Sie nicht die beruhigende [2] Nachricht hinzu gefügt hätten, daß Sie völlig wieder hergestellt und nun also heiter und thätig wie früher sein können. Dieses fand ich auch noch später in einem Zeitungsartikel zu meiner großen Freude bestätigt, worin es hieß, daß Sie sich in der letzten Zeit fast verjüngt hätten und wohl und kräftig aussähen. Möchten Sie nun auch in diesem Jahre Ihren Geburtstag, der in einigen Tagen herannaht, froh und bei ungeschwächter Gesundheit feiern und der Himmel Sie uns und der Welt noch lange erhalten, das ist mein herzlichster Wunsch. Daß Sie dann gewöhnlich einen kleinen ausgewählten, heitern Kreis um sich versammeln, finde ich allerliebst und kann mir denken, wie Alle sich beeifern werden, Ihnen Beweise von Verehrung und Hochachtung zu geben. Durch den Scherz mit dem krystallenen Aufsatz mit 70 Lichtern ward gewiß die ganze Gesellschaft auf das angenehmste überrascht.
Hermann und mir ist es im Ganzen gut gegangen. Ich lebe ziemlich einsam und häuslich, da meine früheren Freunde fast alle nach und nach von hier weggezogen sind und mir kein Ersatz dafür geworden ist. Die einzige Familie, die mir noch zum freundschaftlichen Umgange blieb, war der Superintendent Jüngst und seine Frau, nun muß ich fürchten, auch diese noch zu ver[3]lieren, da er wahrscheinlich eine sehr vortheilhafte und angenehme Stelle in Bremen bekommt und dieser Verlust würde mir um so empfindlicher sein, da er mir immer in meinen Angelegenheiten bereitwillig und gütig Rath und Beistand war. – Hermann hat in diesem Sommer fleißig arbeiten müssen und wird hoffentlich Michaelis nach Secunda versetzt. Bei dem geringen Besuch des hiesigen Gymnasiums trat nämlich der Übelstand ein, daß die Klasse, in welche Hermann gehörte und für welche er eigentlich reif war, sich auflöste, weil fast Alle abgingen. Als einziges Auskunftsmittel schlug mir nun der Director vor, daß Hermann suchen müsse, durch verdoppelte Anstrengung und dadurch, daß er alle seine Arbeiten im Hause unter Aufsicht und Anleitung eines schon erwachsenen, sehr fähigen Schülers mache, so weit zu kommen, um nach Secunda versetzt zu werden. Dieses ist nun auch geschehen, obgleich es mich sehr genirt und wegen der dadurch veranlaßten Ausgaben drückend ist, doch scheue ich kein Opfer, um ihm weiter zu helfen, der Himmel mag geben, daß es von günstigem Erfolge ist!
Meine Mutter freut sich Ihres gütigen und freundlichen Andenkens sehr und hat mir aufgetragen, Sie herzlich zu grüßen. Ihr Befinden ist noch so ziemlich [4] dasselbe, das heißt, sie ist schwach und leidend in hohem Grade, doch kann man bei ihrem Alter keine Besserung erwarten und wir freuen uns innig, wenn die gute, liebe Mutter uns noch eine Zeit lang erhalten bleibt. Der Gesundheitszustand meiner Schwester verschlimmert sich leider immer mehr, sie hat in diesem Sommer Brunnen getrunken, doch bis jetzt ohne günstigen Erfolg. Ich glaube, wenn sie sich in den letzten Jahren mehr Ruhe und Pflege hätte verschaffen, vielleicht auch eine Badecur gebrauchen können, das würde sie, wenn auch nicht ganz hergestellt, doch sehr gestärkt und wohlthätig auf sie gewirkt haben, doch leider ließ sich das bei ihrer beschränkten Lage nicht möglich machen. Ihre Tochter Pauline, jetzt 17 Jahre alt, ist ihr schon Hülfe und Stütze, doch darf diese auch nicht zu sehr angestrengt werden, da sie ein sehr zartes junges Mädchen ist, wenn auch nicht mehr so kränklich, als in ihren Kinderjahren. Ihr Sohn Adolph ist ein netter, fleißiger und gesunder Knabe von 15 Jahren und wird, so wie auch Hermann, künftigen Ostern confirmirt. Mein Bruder ist noch immer in Verden und dort ziemlich zufrieden. Ich höre auch, daß er dort beliebt ist, und der Ober-Schul-Rath Kohlrausch, der alle 2 Jahre die Gymnasien besucht, sich lobend über ihn ausgesprochen hat. Daß er Ihnen gar nicht schreibt, ist allerdings sehr auffallend, doch wissen sie, wie schwie[5]rig und weitläuftig er mit solchen Dingen ist, und werden ihn daher einigermaßen entschuldigen. Auch ich erhalte nur selten Briefe von ihm.
Daß Sie mit Herr Professor Lassen wieder in freundlichem Verhältniß stehen, freut mich sehr. Ich bitte, mich ihm zu empfehlen, da er sich hoffentlich meiner noch erinnert. – Auch Mamsell Marie meinen besten Gruß und das Versprechen, ihr Briefchen nächstens zu beantworten. Ich werde sie dann bitten, mir zuweilen einige Nachricht zukommen zu lassen, da ich Ihnen, theuerster Oheim, bei Ihrer, noch in diesem Jahre vermehrten Geschäftsthätigkeit, das gar nicht zumuthen kann. Daß sie fortwährend einer so vortrefflichen Gesundheit genießt, freut mich sehr. Die Umwandlung Ihrer Calesche in eine viersitzige Kutsche ist gewiß sehr zweckmäßig, besonders bei rauhen und stürmischen Wintertagen. Mit großem Vergnügen erinnere ich mich noch der angenehmen Fahrten, die ich darin gemacht habe.
Leben Sie recht wohl und erhalten Sie mir ferner ein freundliches Andenken. Hermann hat mir tausend herzliche Grüße aufgetragen und ich bin wie immer
Ihre
Sie aufrichtig liebende Nichte
Amalie Wolper.
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