1839.
Ein höchst trauriges Ereigniß in unsrer Familie veranlaßt diese Zeilen an Sie, theuerster Oheim, denn bei der Güte und Theilnahme, die Sie uns stets bewiesen, halte ich es für Pflicht, Sie davon in Kenntniß zu setzen. Mein unglücklicher Bruder ist seit kurzer Zeit völlig in Irrsinn verfallen. Der Hergang der Sache ist ungefähr folgender, so weit er mir aus den Briefen meiner armen, erschütterten Mutter bekannt geworden ist: etwa 8 Tage vor Michaelis bekam August ein schlimmes Bein, ohne zu wissen, daß er es verletzt hatte. Grade in dieser Zeit schrieb er mir ausführlich und ich freute mich herzlich darüber, weil er sich so zufrieden über seine Lage und seinen Wirkungskreis aussprach, auch seinen Gesundheitszustand lobte und nur leichthin des schlimmen Beines erwähnte. Wie weit war ich entfernt, zu ahnen, daß das einen so schrecklichen Aus[2]gang nehmen könnte! Mit Hülfe eines Chirurgus ist dieser Schaden am Beine schnell zugeheilt, aber leider hat sich gleich darauf Geisteszerrüttung gezeigt. Drei Tage und Nächte hindurch ist er in völlige Raserei verfallen, so daß man hat Wache bei ihm nehmen müssen. Darnach ist er zwar wieder ruhiger geworden, jedoch redet er meistens irre und verworren, mitunter auch vernünftig. Unbegreiflich ist es mir nun und fast möchte ich es unverantwortlich nennen, daß man ihn in diesem Zustande allein hat von Verden abreisen lassen. Stellen Sie sich nun den tödtlichen Schreck meiner alten Mutter, meiner schwachen, kränkelnden Schwester vor, als er in Harburg so ankommt, da sie nicht ein Wort von der Sache gewußt haben. Tags darauf hat er darauf bestanden, nach Hamburg gehen zu wollen und dieses auch ausgeführt. Dort erkennt ihn ein Vetter von uns, der jetzt Chef der Polizei ist und hält ihn fest, unter dem Vorwande, daß er keinen Paß bei sich habe, eigentlich aber, um Unheil zu verhüten und erst zu sehen, was bei der Sache am besten anzufangen sei. Meine Mutter und Schwester haben nun sehr gewünscht, daß der arme August in dem Hamburger Krankenhause aufgenommen werden möchte, welches eine so vorzügliche Anstalt ist, doch dieses ist leider nicht angegangen, weil er Ausländer ist. Vorigen Montag, [3] den 25sten Novbr. ist er nun als Kranker, in Begleitung eines Hamburger Offizianten in einem Miethwagen wieder nach Verden transportirt. Gott mag nun wissen, welches sein Schicksal ist und was man dort mit ihm anfängt, ich bin tief bekümmert darüber. Nach meiner Ansicht wäre es die Hauptsache, daß er sofort unter geschickte ärztliche Behandlung und sorgfältige Pflege käme, doch kann ich in solcher Entfernung leider gar nichts dafür wirken und thun. Wie betrübend und beunruhigend nun die Nachrichten aus Harburg lauten, können Sie denken. Es ist hart, daß meine gute Mutter in ihrem hohen Alter ein solcher Schlag hat treffen müssen und sie in tiefen Jammer versunken ihre letzten Tage verleben muß. Meine Schwester erliegt ganz dem Schmerz und der heftigen Gemüthserschütterung und ist nicht einmal mehr im Stande, mir zu schreiben. Ich bin fest entschlossen, falls es sich dort nicht bald bessert, hinzureisen, um wenigstens, so viel in meinen Kräften steht, zu helfen und zu trösten. Große Sorgen verursachen meiner Mutter nun auch noch die Bestreitung der sehr bedeutenden Kosten, die dieses unseelige Ereigniß mit sich führt. August hat unter diesen Umständen natürlich seine Stelle verloren und ob ihm eine kleine Pension bewilligt wird, ist noch sehr ungewiß. [4] Nun rechnet man auf meiner Mutter geringes Vermögen, was, wie gewöhnlich, von den Leuten sehr überschätzt wird, bedenkt aber nicht, daß die alte Frau in ihren letzten Lebenstagen doch nicht darben kann. Allein für den Aufenthalt in Hamb: und den Transport nach Verden hat sie 30 Thaler bezahlen müssen und das ist erst der Anfang. Gott stehe uns bei und senke einmal wieder Ruhe und Frieden in unsre gequälten Herzen! Jetzt ist es finster rings um uns her. – Vielleicht haben Sie auch einen Brief von Aug: erhalten, er wollte sich wegen einer Lehnsangelegenheit an Sie wenden und können sich nun den wahrscheinlich sehr verworrenen, sonderbaren Inhalt erklären.
Ihnen, geliebter Oheim, geht es hoffentlich so wohl und gut, wie ich es vom Grunde meines Herzens wünsche. Ich bedaure es, daß ich Ihnen so unerfreuliche Nachrichten habe mittheilen müssen, die gewiß bei Ihrem menschenfreundlichen Herzen Sie verstimmen werden, doch konnte ich heute nicht anders.
Hermann wird zu meiner Freude groß und stark, doch leidet er leider an schwachen Augen und häufigen Entzündungen der Augenlieder. Das ist schlimm, besonders auch, weil er in seinen Schularbeiten dadurch unterbrochen wird. Seit Michaelis sitzt er in Secunda.
Leben Sie recht wohl, verehrtester Oheim, und erhalten Sie mir Ihr gütiges Wohlwollen.
Ihre
Sie aufrichtig liebende Nichte
Amalie Wolper.
Ich bitte um viele Grüße an Mamsell Marie. Hermann grüßt auch herzlichst.
[1] Empf. d. 4ten Dec.
beantw. eodem und 50 Thl. in Golde beigelegt
An meine Schwester in Harburg geschrieben d. 6ten Dec. 39
I.