1840.
Verehrtester Oheim!
Schon wieder schreibe ich Ihnen und fürchte nun fast, durch meine häufigen Briefe Ihnen lästig zu fallen. Da Sie es jedoch selbst wünschen und sich bei dem uns betroffenen Unglück so herzlich theilnehmend und so thätig hülfreich beweisen, so kommt es mir vor, als müsse ich Ihnen Alles mittheilen, was darauf Bezug hat. Ich erwähnte doch neulich, daß ich mich durch den Sup: Jüngst bei dem O. S. R. Kohlrausch für August verwandt, aber noch keine Antwort erhalten habe. Diese ist denn nun vor einigen Tagen erfolgt, recht ausführlich und artig und ungefähr folgenden Inhalts: „Er habe so lange damit gezögert, um erst etwas Bestimmtes melden zu können, da man sich aber erst mit dem Scholarchat in Verden habe in Correspondenz setzen, manche Erkundigungen einziehen, Anordnungen treffen müssen, so sei es nicht wohl [2] eher möglich gewesen. Die Sache sei nun so weit gediehen, daß meines Bruders Aufnahme in Hildesheim kein Hinderniß mehr im Wege stehe und der Transport dahin vielleicht schon geschehen sei. Zur Bestreitung der Kosten habe man fürerst auf die Schul-Kasse zu Verden angewiesen, für das Vierteljahr von Michaelis bis Weihnachten den vollen Gehalt mit 100 rthr. von Weihnachten bis Ostern 1840 die Hälfte mit 50 rthr. Bis dahin sei also für ihn gesorgt, da in Hildesheim jährlich 200 rthr. bezahlt werden müßten. Nun komme es auf das Urtheil des Arztes an und ob sich bald entschiedene Zeichen einer zu hoffenden gänzlichen Wiederherstellung zeigten, sonst aber müsse das Ober-Schul-Collegium auf Ostern um seine Entlassung einkommen. Es würde sich alsdann dringend bei dem Ministerium um die Unterhaltungskosten oder doch um eine Pension verwenden, da dieses aber äußerst sparsam in Bewilligungen sei, so hege er wenig Hoffnung. Der Schulfond in Verden könne nichts thun, da er einer der schwächsten im Lande sei. Es würde daher sehr wünschenswerth sein, wenn die Angehörigen zur Unterstützung und Erleichterung des Kranken beitragen könnten. Er wolle jedoch das Seinige thun, verspreche sich aber, wie schon ein mal gesagt, wenig davon.“ – [3] Der Sup. Jüngst will ihm nun wieder schreiben und die Sache nochmals dringend empfehlen und somit müssen wir dann das Resultat einstweilen ruhig abwarten. Ich bin schon auf den Gedanken gekommen, ob sich meine Mutter nicht direct an den König wenden könnte, wenn das Ministerium gar zu wenig bewilligte. Was meinen Sie davon, lieber Oheim?
Meine Nachrichten aus Harburg reichen bis zum 4ten d. M. Sie wußten dort noch nichts davon, daß Aug. nach Hildesheim transportirt sei, Madame Engels habe zuletzt geschrieben, er sei noch bei ihr im Hause und scheine sich ganz zufrieden zu fühlen. Oft sogar sei er heiter, esse mit gutem Appetit und Vergnügen seine Lieblingsspeisen, die sie ihm zubereite, krame zwischen seinen Sachen, ect. schlafe jedoch unruhig und habe kürzlich einen sehr schlimmen Finger bekommen. So nothwendig es mir nun auch scheint, daß er unter Aufsicht eines geschickten, einsichtsvollen Arztes und in Behandlung und Pflege in eine Irrenanstalt kommt, so glaube ich doch, daß er sich dort lange nicht so behaglich fühlt, als in seinen gewohnten Umgebungen, wo seine gutmüthige Wirthinn so aufmerksam für ihn sorgt. Doch das kann natürlich nicht berücksichtigt werden. Meine Mutter wird es Ihnen sogleich melden, wenn sie erfährt, daß er nach Hildesheim gebracht ist. Ihre herzlichen, liebevollen Briefe, theuerster Oheim, [4] gereichen ihr zum wahrhaften Trost und sie erkennt Ihre Güte mit innigem Danke an.
Aus einliegenden Zeilen meiner Schwester werden Sie sehen, daß diese das Geld nicht annimmt, was mir aus dem Grunde lieb ist, weil Sie es tadelten, daß ich es ihr übersandte. Ich kann es nun zu jedem Zweck, den Sie für den besten halten, benutzen. Es scheint mir, als habe meine arme Schwester bald überwunden, die heftige Gemüthserschütterung und der Gram über unsren unglücklichen Bruder werden ihr wohl den letzten Stoß geben. Dann bedarf sie ja nichts weiter. –
An Mad. Engels, die den Bestand und die Beschaffenheit von August’s Wäsche am besten kennt, habe ich gleich in voriger Woche geschrieben und sie dringend um baldige Antwort gebeten. Sobald diese erfolgt, kann ich die Hemden und sollte es nöthig sein, auch Geld zu etwa fehlenden Kleidungsstücken nach Verden oder Hildesheim abschicken.
Sie, liebster Oheim, haben in diesem Winter auch manches häusliche Ungemach durch Krankheiten, was ich von Herzen bedaure. Nun ist, so höre ich von Mutter, auch Ihr Heinrich erkrankt. Ich will nur wünschen, daß dieses nicht so langwierig und nicht so bedenklicher Art ist, als früher bei meinem Dortsein. Hoffentlich befinden Sie sich besser und auch Mamsell Marie ist wieder hergestellt. Grüßen Sie sie bestens, sobald ich in etwas ruhigerer Gemüthsstimmung bin, werde ich ihr schreiben.
Leben Sie wohl und erhalten Sie mir Ihr Wohlwollen.
Ihre
Sie aufrichtig liebende Nichte
Amalie Wolper.
[1] IV.