1841.
Geliebter Oheim!
Im Namen meiner Mutter soll ich Ihnen anzeigen, daß die traurige Angelegenheit in Verden, die durch den Dr. Matthaei so sehr in die Länge gezogen ward, nun endlich zum Schluß gekommen ist. Das Resultat ist, daß alle seine Forderungen befriedigt sind und zwar größten Theils von dem Nachlaß meines unglücklichen Bruders, das noch Fehlende hat Mutter berichtigt. Zum Beweis, wie er die Sachen berechnet hat, besonders seine Mühwaltungen, legt sie einige Papiere bei, alle Verhandlungen zu überschicken, würde zu weitläuftig und für Sie auch nicht des Durchsehens werth sein. Die gute Mutter hat eine unsägliche Schreiberei und manchen Verdruß davon gehabt, denn es ist wohl nicht zu leugnen, daß M: unredlich genug gewesen ist, dieses traurige Ereigniß möglichst zu seinem Vortheil auszubeuten, doch wollte sie sich in ih[2]rem hohen Alter mit diesem listigen, gewandten Mann in keinen Prozeß verwickeln, dessen Ausgang noch zweifelhaft blieb. Damit scheinen aber auch ihre Kräfte gänzlich erschöpft zu sein, denn sie ist kaum im Stande, mir dann und wann einige Zeilen zu schreiben und freut sich, daß es bald ganz aufhört, wenn ich erst dort bin, da sie es nicht lange mehr würde fortsetzen können. Sie läßt sich recht sehr bei Ihnen entschuldigen, theuerster Oheim, und dankt Ihnen nochmals innigst, für die ihr bei dieser betrübenden Gelegenheit bewiesenen herzlichen, wahrhaft brüderlichen Theilnahme, die ihr so wohl gethan und für die thätige Hülfe, die Sie ihr geleistet haben. Die ihr zuletzt gütigst übersandten 10 Louisd’or hat sie zur Tilgung der noch übrigen Forderungen verwandt, auch mir die an M: gesandten 4 Louisd’or davon erstattet, die früher erhaltenen 100 rthr. mußten in Hamburg bezahlt werden, wie sie Ihnen bereits geschrieben hat. Sie hofft, daß Sie mit dieser Verwendung zufrieden sind. Mit Madame Engels, August’s früherer Hauswirthinn, steht sie nun noch in einiger Abrechnung, die gute Frau ist so entsetzlich weitläuftig, sonst wäre auch dieses längst beendigt. Doch nun genug hiervon.
[3] Sie, theurer Oheim, und Ihre Hausgenossen haben hoffentlich das neue Jahr in guter Gesundheit angefangen und wie herzlich wünsche ich, daß es in seinem Fortgange nur erfreulich und seegenbringend für Sie sein möge! Die Strenge des Winters sucht uns zwar arg heim und erschüttert manche Gesundheit, doch kann man derselben in einem so vortrefflich eingerichteten, wohl verwahrten Hause, wie dem Ihrigen, noch am ersten Trotz bieten.
Recht begierig bin ich, ob Sie dem ehrenvollen Rufe des Königs, eine Zeit lang nach Berlin zu kommen, Folge leisten und wie lange sie dieser dort fesseln wird. Mit großem Interesse las ich neulich den sich darauf beziehenden Artikel in der Hamburger Zeitung. Meine Freunde meinen, ich müsse doch wahrlich stolz und glücklich sein, einen solchen Oheim zu besitzen und das bin ich denn auch in der That.
Ich verlebe den Winter recht still und einsam und würde mich auch zufrieden in mein Schicksal finden, wenn ich nur die Überzeugung haben könnte, daß es Hermann wohl ginge. Seinetwegen mache ich mir jedoch und nicht ohne Grund, manche Sorge, denn Frau Pastorinn Rolffs, bei der er im Hause ist und die so mütterlich für ihn zu sorgen versprach, [4] hält ihr Wort schlecht. Damals war die Zeit zu kurz, um mich nach ihr erkundigen zu können, auch verließ ich mich auf die Empfehlung des Pastor Bödecker und ihre eigenen Versicherungen. Später erfuhr ich von mehreren Seiten und von sehr zuverlässigen Leuten, daß sie eine heuchlerische, geizige und sehr böse Frau und H: gewiß nicht gut bei ihr aufgehoben sei. Ich fragte nun bei ihm selbst an, da meldet er mir einfach einige Thatsachen, die mich zu dem Entschluß bestimmen, ihn Ostern irgend wo anders unterzubringen, obgleich mir das viele Mühe und Schwierigkeit macht, da ich so wenig bekannt in Hannover bin. Der arme Junge muß in mancher Hinsicht ordentlich Mangel leiden, besonders empfindlich ist ihm, daß er Abends, wenn er um 8 1/2 Uhr zu Hause kommt, nie ein geheiztes Zimmer findet. Von Myrzinsky’s (Helwing’s) habe ich auch auf meine Anfrage Antwort erhalten, sie lautet ungefähr: „sie könnten über einen jungen Mann, den sie erst einige Monate unter Augen hätten, noch kein richtiges Urtheil fällen, er scheine jedoch Lust zum Buchhandel zu haben. Ein Übelstand bei ihm sei jedoch seine Kurzsichtigkeit, die ihm manche Arbeit erschwere und langsamer von Statten gehen lasse.“ Ich werde mich nun wohl entschließen müssen, ihm Ostern mit Zuziehung eines geschickten Augenarztes, eine Brille anzuschaffen.
Leben Sie recht wohl, liebster Oheim, und seien Sie versichert von den aufrichtigen Gesinnungen
Ihrer
Sie liebenden Nichte A. Wolper.
Dürfte ich mir wohl den Brief von Frau Pastorinn Rolffs, den ich Ihnen damals zuschickte, [3] gelegentlich zurück erbitten? Es wäre möglich, daß ich denselben gebrauchen müßte.