1841.
Theuerster Oheim!
Nachdem ich mich einigermaßen von der Reise und den Anstrengungen und Unruhen, die ein Umzug immer mit sich führt, erholt habe, ist es meine erste und angenehmste Pflicht, Ihnen einmal wieder von mir und den Meinigen Nachricht zu geben. In den letzten Tagen des April’s verließ ich Lingen, natürlich nicht ohne schmerzliche Gefühle, da ich dort zwar viele trübe, aber auch manche ruhige, glückliche Stunde verlebt und bewährte, treue Freunde gefunden habe. Meine Reise dauerte mehrere Wochen, da ich bei dieser Gelegenheit, ohne weitere Kosten und Umwege den Einladungen einiger Freundinnen folgen konnte und in Bramsche, Osnabrück und [2] Celle mehrere Tage verweilte, so daß ich erst Mitte d. M. hier eintraf. Ich nahm die Tour über Hannover, um Hermann wiederzusehen und seine dortigen Verhältnisse kennen zu lernen, dieses Wiedersehen hat jedoch, statt mich zu erfreuen, mich tief bekümmert und mit Sorge erfüllt. Er verließ mich Anfang October v. J., wie Sie wissen und war damals frisch, gesund, kräftig und munter und da er in seinen Briefen an mich nie über sein Befinden klagte, so ward ich auf’s Äußerste überrascht und betrübt, ihn blaß, mager, hinfällig und gänzlich muthlos zu finden. Die Entbehrungen an wahrhafter Beköstigung und Wärme im verflossenen Winter, dazu die strenge Behandlung seines Prinzipals und das anhaltende Sitzen, 12–13 Stunden täglich, selbst Sonntags nicht ausgenommen, haben so nachtheilig auf seine Gesundheit gewirkt und ich bin ganz bedenklich geworden, ob er diese Lebensweise wohl auf die Dauer aushalten kann. Ich habe mich daher vor einigen Tagen schriftlich an einen geschickten Arzt in Hannover gewandt und um seine Meinung gebeten und muß es nun auf dessen Ausspruch ankommen lassen. So gut es nun auch von [3] Hermann gemeint war, daß er mir die Sache verschwieg, um mich nicht zu beunruhigen, so wäre es doch viel besser gewesen, ich wäre früher davon in Kenntniß gesetzt. Ich hätte dann einstweilen noch in Lingen bleiben können, wo ich einen völlig eingerichteten Haushalt hatte, er wäre zu mir zurückgekehrt, um seine Gesundheit herzustellen, und man hätte dann weiter sehen können, was mit ihm würde. So aber bin ich, ohne mein Verschulden, in die größte Verlegenheit gerathen, denn ich wohne ganz beschränkt, habe den Tisch bei Mutter, an einen längeren Aufenthalt und gehörige Pflege für H. ist daher nicht wohl zu denken. Und was ist, wenn er hergestellt wird, mit ihm anzufangen, wenn er seine jetzigen Verhältnisse aufgeben muß? Gott möge mir beistehen und einen Ausweg zeigen!
Meine gute Mutter fand ich zwar alt und schwach, doch nicht so verändert, wie ich nach dem langen Zeitraum, in welchem ich sie nicht gesehen habe, fürchtete. Sie ist geistig noch recht regsam, lies’t viel, Zeitungen, Journale u. d. gl. und beschäftigt sich viel mit ihren Blumen, die unter ihrer Pflege wohl ge[4]deihen. Ausgehen thut sie fast gar nicht mehr, daher hoffe ich, wenn ich erst selbst etwas beruhigter bin, zu ihrer Erheiterung und Gesellschaft beitragen zu können. Meine Schwester ist im Vergleich mit ihr viel schwächer und hinfälliger, besonders so schlecht zu Fuß, daß sie kaum einen Schritt gehen kann, ohne unterstützt zu werden, oder Gefahr zu laufen, zu fallen. Pauline hilft ihr, so viel sie kann, doch ist auch diese zart und schwächlich. Adolph ist kräftig, blühend und recht fleißig, der Liebling seiner Lehrer und überhaupt Aller, die ihn kennen. Er giebt in seinen wenigen Freistunden kleineren Kindern Unterricht, wofür er sich Bücher ect. anschaffen kann, was der Mutter schon eine rechte Erleichterung ist.
Den größten Theil meiner Möbeln, Küchengeräth ect. habe ich in Lingen verkauft und kann mit dem Ertrag zufrieden sein. Alles Leinen- und Silberzeug, die besten Betten, einige Lieblingsmöbeln habe ich jedoch eingepackt und vor 4 Wochen zu Schiff von Lingen abgesandt. Sie sind leider! noch nicht hier eingetroffen, was mich theils in Verlegenheit setzt, theils sehr beunruhigt, da sie eine ziemliche Reise zur See zu machen haben und es doch möglich wäre, daß sie verunglückten. Ich habe sie indeß versichern lassen, doch könnte mir in mancher Beziehung der Schaden gar nicht ersetzt werden.
[5] Ich las gestern in den Zeitungen, daß Sie, geliebter Oheim, mit den Vorbereitungen zu Ihrer Abreise nach Berlin beschäftigt wären. Hoffentlich trifft dieser Brief Sie noch in Bonn. Von ganzem Herzen wünsche ich, daß der Aufenthalt in Berlin Ihnen in jeder Beziehung zusagen und Sie erheitern und auf Ihre Gesundheit günstig wirken möge. Ein solches Herausreißen aus dem gewohnten Gleise ist oft recht heilsam, doch werden Sie manche Bequemlichkeit, fern von Ihrem so wohl eingerichteten Haushalt vermissen. Heinrich wird wohl Ihr Begleiter sein? Über die Dauer Ihrer Abwesenheit von Bonn ist wohl noch nichts bestimmt?
Meine Schwester und deren Kinder empfehlen sich Ihnen bestens und ich bitte, Mamsell Marie und Heinrich freundlich von mir zu grüßen.
Leben Sie recht wohl, geliebtester Oheim, und erhalten Sie mir auch ferner Ihr Wohlwollen und Ihre nachsichtsvolle Güte.
Ihre
Sie aufrichtig liebende Nichte
Amalie Wolper.
[6] An
den Herrn Professor A. W. von Schlegel.
Hochwohlgeboren.
zu
Bonn.