• Sulpiz Boisserée an August Wilhelm von Schlegel

  • Absendeort: Stuttgart · Empfangsort: Bonn · Datum: 19.09.1821
Editionsstatus: Neu transkribiert und ausgezeichnet; zweimal kollationiert
    Briefkopfdaten
  • Absender: Sulpiz Boisserée
  • Empfänger: August Wilhelm von Schlegel
  • Absendeort: Stuttgart
  • Empfangsort: Bonn
  • Datum: 19.09.1821
  • Anmerkung: Da der Brief im Druck nur teilweise wiedergegeben ist, wurde er neu transkribiert. – Empfangsort erschlossen.
    Druck
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 365374954
  • Bibliographische Angabe: Sulpiz Boisserée. Erster Band. Stuttgart 1862, S. 394‒395.
  • Incipit: „[1] Stuttgart am 19.t Septbr 1821.
    Verehrtester Freund
    Des Versprechens eingedenk, welches Sie mir vorigen Herbst in Paris gegeben, schicke ich Ihnen [...]“
    Handschrift
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-38972
  • Signatur: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.3,Nr.63
  • Blatt-/Seitenzahl: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 20,4 x 12,5 cm
    Sprache
  • Deutsch
  • Französisch
    Editorische Bearbeitung
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
[1] Stuttgart am 19.t Septbr 1821.
Verehrtester Freund
Des Versprechens eingedenk, welches Sie mir vorigen Herbst in Paris gegeben, schicke ich Ihnen einen Abdruck von dem Umriß nach Gerards Gemälde der Corinna, welchen dieser mir vor ein paar Wochen zugestellt hat; und wiederhole nun meine Bitte, einen Aufsatz über das Gemälde für das Kunstblatt zu schreiben.
Der Umriß ist, wie Sie wissen, dazu bestimmt, den Aufsatz zu begleiten. Gerard äußert sich wohl zufrieden mit der Platte; ich finde indessen, daß die Figuren im Mittelgrunde mit zu starken Linien umschrieben sind, weshalb sie denn auch nicht so sehr zurückweichen, und die Hauptfigur nicht so sehr vorherrschen laßen, als dies in dem Gemälde der Fall ist.
Was die Figur des Lazzaroniʼs im Vordergrunde betrift, so ist diese nach dem Staffelei-Gemälde zugesetzt worden, welches Gerard als eine Wiederholung des großen Bildes für den König von Frankreich verfertigt hat; sonst in allem übrigen stimmt dieses Staffelei Gemälde mit letzterem [2] vollkommen überein.
Das Original Gemälde hat 10 Fuß Breite und 8' Höhe. Das Gewand der Corinna ist gelblich weis, der Überwurf roth mit goldenen Randverzierungen, die Binde im schwarzen Haar so wie der Gürtel gelb. Da das Bild im Abendlicht gehalten ist, so befindet sich die untere Hälfte der Figuren im Schatten, und folgt auch, daß der tiefsitzende Lazzaroni nur durch Reflex-Licht beleuchtet seyn kann.
Daß Prinz August von Preussen das Original-Gemälde der Frau Recamier geschenkt hat, zum Zeichen seiner Hochachtung für diese Dame, die das Exil freiwillig das Exil der Frau von Staël theilte, das wissen Sie. Gerard schreibt mir darüber: Je regrette toujours que ce tableau nʼait pas été en Allemagne, vous savez Monsieur quelle estime je fais de lʼopinion éclairée de vos compatriotes, mais du moins lʼidée que vous avez la bonté de donner de mon ouvrage, est une sorte de dédommagement pour moi.
Der glückliche Gedanke, die Corinna ganz idealisch zu nehmen; gleichsam eine Griechische Muse wieder ins Leben treten und über dem Verfall des schönen Landes auf den Trümmern eines Tempels ihre Klagen ertönen zu laßen, wird gewiß Ihren Beifall ebenso sehr haben, als die treffliche Composition [3] und Ausführung des Gemäldes. Die großartige Umgebung, die weite Landschaft mit dem Meer dem Vesuv und dem wolkenreichen Himmel, an dem die letzten Strahlen der untergehenden Sonne hier und dort hervorleuchten, scheint mir höchst lobenswerth, besonders auch in poetisch-malerischer Beziehung auf die Figur der Corinna, die sich von dem Hintergrund der grauen trüben Ferne höchst sehr glänzend hervorhebt. Das Erstaunen der Herankommenden; aus der heutigen Welt genommenen Figuren bringt den Gegensatz, worauf dem die ganze Composition beruht, erst recht zum Vorschein, es ist auch meist gut ausgedrückt; jedoch kann ich nicht leugnen, daß einige dieser Figuren mich unbefriedigt laßen oder gar stöhren.
Über alles dies werden wir ausführlicher Ihre geistreichen Bemerkungen vernehmen; das Publikum wird Ihnen dafür den schönsten Dank wissen; und ich werde mich mit allen Edelgesinnten noch ganz besonders freuen, daß bei dieser Gelegenheit einmal wieder das ungetrübte Lob einer so hochverdienten Frau ausgesprochen wird, die seit kurzem über ihre Dix années dʼexil von Napoleonischem Lumpengesindel im Morgenblatt, auf eine, für jeden rechtlich denkenckenden höchst beleidigende Weise verhöhnt worden. Denn was sollen diese bedauernden, Alles auf [4] die Eitelkeit schiebenden, die Willkühr des Gewalthabers als Gerechtigkeit darstellenden Anmerkungen andres, als uns alle Erinnerung absprechen; just so, wie im umgekehrten Sinn die Ultraʼs es mit der Revolution machen.
H. v. Cotta und der Redacteur des Kunstblatts bitten mich, Sie um baldige Einsendung des Aufsatzes zu ersuchen, und Ihnen zu versichern, daß sie sichʼs recht sehr zur Ehre rechnen werden, dieses Blatt endlich mit einem Beitrag von Ihrer Hand geziert zu sehen.
Die Arbeiten für mein Werk über den Kölner Dom haben mich viel beschäftigt. Da man schon so lang auf dieses Werk wartet, so glaubte ich gleich bei der ersten Lieferung die HauptResultate meiner Forschungen mittheilen zu müßen. Dieser Theil des Textes, welcher mehr als 20 Bogen ausmachen wird, ist nun dem Druck übergeben, aber wegen der verwünschten Langsamkeit der Kupferstecher, wird es doch bis zu Ende des Jahres dauern, ehe das Werk wird ausgegeben werden können. Laßen Sie diese Arbeit zum Voraus Ihrer freundschaftlichen Theilnahme und Nachsicht empfohlen seyn. Die französ Regierung hat mich in diesem kostbaren Unternehmen mit einer Subscription von Dreißig Exemplaren unterstützt; von den Deutschen Regierungen darf ich gewiß hoffen, daß sie auf demselben Wege mich einigermaßen vor baarem Schaden schützen werden. – Aber wichtiger noch ist mir der Beifall von Männern, wie Sie, deren Urtheil über die geistigen Angelegenheiten des Vaterlandes entscheidet. In einigen Wochen werde ich Sie auf einer Reise nach Köln besuchen. In Erwartung, Sie dann gesund und froh wieder zu sehen, bleibe ich mit der ausgezeichnetsten Hochachtung und Freundschaft
Ihr
Sulpiz Boisserée. Mein Bruder und Bertram grüßen mit mir freundlichst
N.S. Verzeihen Sie mein eiliges Geschreibe; überhäufte Geschäfte laßen mir nicht die gehörige Ruhe.
[1] Stuttgart am 19.t Septbr 1821.
Verehrtester Freund
Des Versprechens eingedenk, welches Sie mir vorigen Herbst in Paris gegeben, schicke ich Ihnen einen Abdruck von dem Umriß nach Gerards Gemälde der Corinna, welchen dieser mir vor ein paar Wochen zugestellt hat; und wiederhole nun meine Bitte, einen Aufsatz über das Gemälde für das Kunstblatt zu schreiben.
Der Umriß ist, wie Sie wissen, dazu bestimmt, den Aufsatz zu begleiten. Gerard äußert sich wohl zufrieden mit der Platte; ich finde indessen, daß die Figuren im Mittelgrunde mit zu starken Linien umschrieben sind, weshalb sie denn auch nicht so sehr zurückweichen, und die Hauptfigur nicht so sehr vorherrschen laßen, als dies in dem Gemälde der Fall ist.
Was die Figur des Lazzaroniʼs im Vordergrunde betrift, so ist diese nach dem Staffelei-Gemälde zugesetzt worden, welches Gerard als eine Wiederholung des großen Bildes für den König von Frankreich verfertigt hat; sonst in allem übrigen stimmt dieses Staffelei Gemälde mit letzterem [2] vollkommen überein.
Das Original Gemälde hat 10 Fuß Breite und 8' Höhe. Das Gewand der Corinna ist gelblich weis, der Überwurf roth mit goldenen Randverzierungen, die Binde im schwarzen Haar so wie der Gürtel gelb. Da das Bild im Abendlicht gehalten ist, so befindet sich die untere Hälfte der Figuren im Schatten, und folgt auch, daß der tiefsitzende Lazzaroni nur durch Reflex-Licht beleuchtet seyn kann.
Daß Prinz August von Preussen das Original-Gemälde der Frau Recamier geschenkt hat, zum Zeichen seiner Hochachtung für diese Dame, die das Exil freiwillig das Exil der Frau von Staël theilte, das wissen Sie. Gerard schreibt mir darüber: Je regrette toujours que ce tableau nʼait pas été en Allemagne, vous savez Monsieur quelle estime je fais de lʼopinion éclairée de vos compatriotes, mais du moins lʼidée que vous avez la bonté de donner de mon ouvrage, est une sorte de dédommagement pour moi.
Der glückliche Gedanke, die Corinna ganz idealisch zu nehmen; gleichsam eine Griechische Muse wieder ins Leben treten und über dem Verfall des schönen Landes auf den Trümmern eines Tempels ihre Klagen ertönen zu laßen, wird gewiß Ihren Beifall ebenso sehr haben, als die treffliche Composition [3] und Ausführung des Gemäldes. Die großartige Umgebung, die weite Landschaft mit dem Meer dem Vesuv und dem wolkenreichen Himmel, an dem die letzten Strahlen der untergehenden Sonne hier und dort hervorleuchten, scheint mir höchst lobenswerth, besonders auch in poetisch-malerischer Beziehung auf die Figur der Corinna, die sich von dem Hintergrund der grauen trüben Ferne höchst sehr glänzend hervorhebt. Das Erstaunen der Herankommenden; aus der heutigen Welt genommenen Figuren bringt den Gegensatz, worauf dem die ganze Composition beruht, erst recht zum Vorschein, es ist auch meist gut ausgedrückt; jedoch kann ich nicht leugnen, daß einige dieser Figuren mich unbefriedigt laßen oder gar stöhren.
Über alles dies werden wir ausführlicher Ihre geistreichen Bemerkungen vernehmen; das Publikum wird Ihnen dafür den schönsten Dank wissen; und ich werde mich mit allen Edelgesinnten noch ganz besonders freuen, daß bei dieser Gelegenheit einmal wieder das ungetrübte Lob einer so hochverdienten Frau ausgesprochen wird, die seit kurzem über ihre Dix années dʼexil von Napoleonischem Lumpengesindel im Morgenblatt, auf eine, für jeden rechtlich denkenckenden höchst beleidigende Weise verhöhnt worden. Denn was sollen diese bedauernden, Alles auf [4] die Eitelkeit schiebenden, die Willkühr des Gewalthabers als Gerechtigkeit darstellenden Anmerkungen andres, als uns alle Erinnerung absprechen; just so, wie im umgekehrten Sinn die Ultraʼs es mit der Revolution machen.
H. v. Cotta und der Redacteur des Kunstblatts bitten mich, Sie um baldige Einsendung des Aufsatzes zu ersuchen, und Ihnen zu versichern, daß sie sichʼs recht sehr zur Ehre rechnen werden, dieses Blatt endlich mit einem Beitrag von Ihrer Hand geziert zu sehen.
Die Arbeiten für mein Werk über den Kölner Dom haben mich viel beschäftigt. Da man schon so lang auf dieses Werk wartet, so glaubte ich gleich bei der ersten Lieferung die HauptResultate meiner Forschungen mittheilen zu müßen. Dieser Theil des Textes, welcher mehr als 20 Bogen ausmachen wird, ist nun dem Druck übergeben, aber wegen der verwünschten Langsamkeit der Kupferstecher, wird es doch bis zu Ende des Jahres dauern, ehe das Werk wird ausgegeben werden können. Laßen Sie diese Arbeit zum Voraus Ihrer freundschaftlichen Theilnahme und Nachsicht empfohlen seyn. Die französ Regierung hat mich in diesem kostbaren Unternehmen mit einer Subscription von Dreißig Exemplaren unterstützt; von den Deutschen Regierungen darf ich gewiß hoffen, daß sie auf demselben Wege mich einigermaßen vor baarem Schaden schützen werden. – Aber wichtiger noch ist mir der Beifall von Männern, wie Sie, deren Urtheil über die geistigen Angelegenheiten des Vaterlandes entscheidet. In einigen Wochen werde ich Sie auf einer Reise nach Köln besuchen. In Erwartung, Sie dann gesund und froh wieder zu sehen, bleibe ich mit der ausgezeichnetsten Hochachtung und Freundschaft
Ihr
Sulpiz Boisserée. Mein Bruder und Bertram grüßen mit mir freundlichst
N.S. Verzeihen Sie mein eiliges Geschreibe; überhäufte Geschäfte laßen mir nicht die gehörige Ruhe.
· Konzept , 19.09.1821
· Bonn, Universitäts- und Landesbibliothek
· S 863,II : 2 : 86-87
×