Theurer Herr Bruder!
Erlauben Sie mir Ihnen für Ihr verehrtes, eben so Innhaltreiches als wohlwollendes Schreiben meinen innigsten Dank auszudrücken. Sie haben mich sehr damit erfreut, um so mehr noch, da ich von Ihnen vergessen worden zu seyn befürchten mußte. Die Hoffnung, welche Sie mir geben, sich des Theils über Indien bei der Herausgabe der Schriften des seeligen Friedrichs annehmen zu wollen, so wie die welche Sie mir nicht nehmen, auch den literarischen und poetischen Theil derselben, Ihre Mitwirkung zukommen zu lassen, hat mich, wie Sie wohl leicht denken werden, mit großem Trost erfüllt. Ich kann nicht zu einer innern Seelen Ruhe gelangen, bis ich diese Angelegenheit gesichert weiß, und Niemand ist mir zur Seite dem ich sie anvertrauen möchte als Ihnen, geehrter Bruder Wilhelm! Haben Sie auch eine Vorliebe für das, welches Sie die erste Periode seiner schriftstellerischen Thätigkeit nennen, so besitzen [2] Sie zu viel Vorurtheilsfreye Erkenntniß des Geistes, um nicht auch die spätere Periode gehörig zu würdigen. ‒ Alle Ihre Bemerkungen über jede einzelne jener Schriften sind äußerst schätzbar und lehrreich. Allerdings müßten die Uebersetzungen, und manches Andre, bey einer neuen Ausgabe wegbleiben; ich war gleich Anfangs gegen die Aufnahme derselben. Alle diese, oder ähnliche Fehlgriffe entstanden meistens in der Verlegenheit, wenn der Verleger Manuscript verlangte, und er keines geordnet hatte; (doch dieses lieber Wilhelm, nur im engsten Vertrauen, wie in der Beichte.) Vollkommen Recht haben Sie, daß die ganze Angelegenheit weit schicklicher und angemessener gewesen wäre, wenn die ersten 10 Bände wieder neu aufgelegt und das übrige als Fortsetzung, ergänzend beygefügt würde. Wie sehr war es meine Absicht und mein Wunsch; ich fand keinen Buchhändler der sich mit dem Herausgeber in Wien darüber verstehen wollte. Dieser selbst lebt nicht mehr; sein Compagnon, Namens Schmiedl, der die Auflage an sich gebracht hat, ist nur Antiquar, also nicht befugt ein [3] Werk herauszugeben. Ich habe diesen Mann mehr als einmal erinnern lassen, mir den Bestand der noch vorräthigen Exemplare anzugeben; er hat es bis jetzt zwar immer versprochen, aber noch nicht gethan. Der Buchhändler in Bonn, welcher jetzt zwey Bände, welche Windischmann herausgiebt, drucken läßt, könnte gewiß am wirksamsten mit jenen Mann in Wien übereinkommen, aber er will durch diese zwey Bände sich erst des Gelingens einer größern Unternehmung vergewissern. Es gelang mir nicht meine entgegengesetzte Ansicht dieser Angelegenheit geltend zu machen, auch interessirte sich Niemand sonst dafür. Und wer kann dies auch so eingreifend als Sie? ‒ Alles kömmt jetzt auf den Absatz an, welchen diese beyden philosophischen Bände finden werden, wobey freylich auch viel auf den thätigen Eifer des Buchhändlers ankömmt. Die Ankündigung von Windischmann, sind außer denen, welche ich erhielt, noch nirgend gesehen worden; ich bat Herrn Windischmann mir noch mehrere zukommen zu lassen, um sie zu verbreiten, ich habe noch keine wieder erhalten, auch sonst in keinem Blatt davon Erwähnung gesehen. ‒ Sollte nicht etwa der [4] Buchhändler Reimer in Berlin, nicht ein Exemplar jener Zeitschrift Deutschland, besitzen, oder nachweisen können, und wären Sie selbst nicht etwa in Verbindung mit ihm, um darüber bey ihm nachzufragen?
O mein Theurer Bruder, wie interessant ist mir jede Ihrer Bemerkungen; wie lichtvoll Ihre Anordnung und Eintheilung aller jener Schriften so verschiedenen Inhalts, die gewiß, wie Sie sagen, vielen der jüngern Zeitgenossen unbekannt geblieben, während sie bey den ältern völlig in Vergessenheit mögen gerathen seyn! Welch ein Gewinn wenn Sie selbst sich dieser Herausgabe unterziehen wollten! Doch ich wage keine Bitte mehr in dieser Sache, die ich der göttlichen Vorsehung empfehle. ‒ Verbindlichsten Dank sage ich Ihnen für die mir so liebevoll mitgetheilten Familien Nachrichten, von denen die meisten mir schon früher bekannt wurden; daß aber die Wittwe des seeligen Bruder Karl noch am Leben sey, war mir überraschend. Die Nachricht vom Ableben des theuren Bruders erhielt ich durch eine Reisende, die von Hannover hier zurückkam, mit dem Zusatze, die Wittwe sey gleich nach dem Ableben ihres Gemahls gestorben, das kleine Mädchen dem Vater [5] zurückgegeben. Dieser unwahre Bericht war mit so vielen glaubwürdigen Umständen begleitet, erzählt worden, daß ich mir die Unwahrheit desselben nicht beykommen ließ, im Gegentheil erklärte ich mir daraus den Umstand, daß die Wittwe mir den Tod des Gemahls nicht habe anzeigen lassen; die Nachricht seines Todes erhielt ich geraume Zeit nachher und durch zufälligen Bericht. Auch die Buttlar, der ich es klagte, hatte eben so wenig von der Schwägerin eine Anzeige erhalten, sie erfuhr die Trauer Botschaft erst durch mich. Mir war der Bruder Karl noch besonders durch seine liebevolle, wahrhaft brüderliche Theilnahme, nach Friedrichs Hintritt, sehr, sehr lieb und werth geworden, wie sehr schmerzte mich die Nachricht seines Ablebens. Diesen edlen, reichbegabten Stamm abnehmen zu sehen, ist mir ein Gegenstand recht tiefer Traurigkeit. Ist denn in der That unter den Enkeln des seel. Bruder Moritz Keines das den herrlichen Namen erbt? und warum meynen Sie, daß sein Sohn keine Hoffnung zur Nachkommenschaft giebt? ist er verehlicht und seine Ehe kinderlos? Wie könnte es aber geschehen, [6] daß in keinem öffentlichen Blatt der Tod des seeligen Bruder Karl erwähnt, und nirgend ein Nekrolog von ihm erschienen ist, da es doch sonst in vielen gelehrten Journalen nicht an Nachrichten der Art fehlt! Karl war ja selbst als Schriftsteller nicht unbekannt, und schon der Name berechtigte ihn zu einer öffentlichen Erwähnung.
Von der guten Buttlar habe ich ziemlich oft Nachricht; wir stehen im Briefwechsel miteinander, dann auch durch Tiecks und durch mehrere gemeinschaftliche Bekannte. Ich versäume keine Gelegenheit ihr so oft ich es möglich machen kann irgend eine kleine Freude zu machen. Sie ist so bescheiden, und so dankbar genügsam, daß auch das kleinste schon dazu hinreicht; die Arme muß sich ihr Leben recht sauer werden lassen; das mindeste Zeichen der Liebe und Erinnerung erheitert ihre so trübe Existenz. Princessin Auguste hat ihre Tochter ins Fräulein-Stift aufgegenommen, wo sie bis zu ihrem achtzehnten Jahre unterrichtet und erhalten wird. Eine große Wohlthat für die Tochter wie für die Mutter, die dadurch veranlaßt wird [7] in Dresden zu leben, während Buttlar, der nicht dort leben mag, von dort entfernt ist und sie dadurch Ruhe vor ihm hat. Es ist eine Wohlthat der Princessin, aber auch das Einzige was für die Einzige Tochter, eines so treuen lang gedienten Dieners geschah! ‒ Gelingt es mir so mache ich künftigen Sommer die Rheinreise auf bequemer eingerichtete Weise, und dann würde ich Sie gewiß beym Worte halten mich bey sich aufzunehmen, wenn ich nicht befürchten müßte Ihnen eine zu große Last aufzubürden. Eine bejahrte Frau kann nichts mehr zur geselligen Annehmlichkeit beytragen. Wie schön wäre es, wenn Sie unterdessen uns hier einmal besuchen wollten. Ein so schönes zierliches Haus, wie das Ihrige mir beschrieben wird, können die armen Mahlers Leute freylich nicht anbieten, aber doch ein ruhiges, geräumiges Zimmer, und zur Unterhaltung fünf hübsche lustige Kinder, die Ihnen vorstellen zu dürfen, ich mich sehr freuen würde. Philipp läßt sich Ihrem wohlwollenden Andenken [8] bestens empfehlen, so wie seine Frau ‒ eine recht angenehme, unbefangene Römerin ‒ mir angelegentlich aufträgt sie Ihnen unbekannter Weise zu empfehlen.
Leben Sie wohl, geliebter Wilhelm. Gott erhalte Sie gesund und heiteren Muthes.
Ihre Ihnen herzlich ergebene Schwester
Dorothea Schlegel.
Von Tiecks ältesten Tochter Dorothea habe ich dieser Tage die Nachricht erhalten daß es mit der Frau Tieck besser geht, und sie wieder einige Hoffnung haben, sie genesen zu sehen.