Verehrter Oheim,
bei Ihrer stets bewiesenen lebhaften Theilnahme an jedem wichtigen Ereignisse, welches unsere Familie betraf, fühle ich das Bedürfniß Ihnen ungesäumt den sehr schmerzlichen Verlust, den wir durch das Hinscheiden unseres meines innig geliebten Vaters erlitten haben, mitzutheilen; und erfülle dadurch zugleich den Auftrag meiner Angehörigen. Zwar seit längerer Zeit war, wie Ihnen bekannt ist, seine Gesundheit sehr geschwächt, und wir hatten häufig Ursache für ihn zu fürchten: besonders aber nahmen seine Kräfte mit dem Anfange der letzten Kälte, die er nach eigener Beobachtung nicht vertragen konnte, merklich ab. Vor sechs Jahren hatte er sich mit einer Erkältung einen bösen Husten zugezogen, der ihn nicht wieder verlassen hat, und seit den letzten Jahren kam Engbrüstigkeit hinzu, die immer zunahm und ihn zuletzt [2] sehr quälte. Seine rastlose Thätigkeit und ängstliche Gewissenhaftigkeit im Berufe erlaubte es ihm nicht, wenn er der Ruhe und Erholung bedurfte, sich seinen Geschäften zu entziehen, und so wirkten die mit seiner letzten Stelle verbundenen Berufsgeschäfte, die eine seine Kräfte weit übersteigende Anstrengung erforderten und für sein zunehmendes Alter von zu großem Umfange waren, mit seine Kräfte aufzureiben. Wenige Wochen vor seinem Ende vermehrte sich bei dem Eintritt der Kälte seine Engbrüstigkeit und es trat eine gänzliche Abspannung und ein steter Hang zum Schlafen bei ihm ein, so wie dieser Winter überhaupt in der hiesigen Gegend ähnliche Wirkungen auf alle alte und schwache Leute äußert und sie in großer Zahl wegrafft. In diesem krankhaften Zustande ist er gegen die dringenden Vorstellungen seiner Umgebungen noch am Sonntage vor acht Tagen in die Kirche gegangen, um den gewöhnlichen Gottesdienst und zugleich Taufen und andere kirchliche [3] Handlungen zu verrichten. Nachdem er aber diese mit der größten Anstrengung kaum hat zu Ende bringen können, hat er selbst die Nothwendigkeit eingesehen zu Hause zu bleiben, und seine Gesundheit zu schonen. Ich fand ihn zwar, als ich ihn gleich darauf besuchte, sehr schwach, übrigens aber auch ganz wie bisher und bei völliger Lebhaftigkeit des Geistes, wenn er nicht von Müdigkeit überwältigt ward. Es war bis auf den letzten Augenblick alle Hoffnung da, daß seine Kräfte wiederkehren und er genesen würde. Erst am Abend vor seinem Ende fühlte er das Bedürfniß sich zu Bett zu legen, ist aber dabei sehr heiter und froh gewesen, so wie auch am folgenden Morgen, wo er noch von allen möglichen Geschäftssachen gesprochen hat. Als ich um Mittag (Sonntag d. 29 Jan.) in das Haus trat, um ihn zu besuchen, erhielt ich die traurige Botschaft, daß er kurz vorher sanft eingeschlafen sey, ohne alle Schmerzen und bei vollem Bewußtseyn. Es ist keine Spur vorhanden gewesen, daß er selbst sein herannahendes Ende geahndet habe. [4] Noch wenige Tage vor seinem Ende sprach er, bei Gelegenheit des von Ihnen verfaßten lateinischen Gedichtes, wovon er mir eine Abschrift mittheilte, sehr ausführlich und mit lebhaftem Interesse von Ihnen und Ihrem literarischen Wirken.
Mutter und Schwester, die durch den Schmerz sehr niedergebeugt sind, grüßen Sie herzlich.
Leben Sie recht wohl, Theuerster Oheim, und behalten Sie in stetem geneigten Andenken
Ihren
Sie verehrenden Neffen
Aug. Schlegel.