Hochwohlgeborner Herr,
Hochverehrter Herr Professor,
Für Ew. Hochwohlgeboren gütige Antwort sage ich Ihnen den verbindlichsten Dank: sie ist mir ein Antrieb mehr geworden, mich mit unverdrossenem Eifer dem Studium der heiligen Sanskrita zu widmen, und keine Mühe zu scheuen, um immer klarer den Genius des wunderbaren Indischen Volkes kennen zu lernen. Im hohen Grade würde es mich fördern, wenn Sie mir erlauben wollen, mich bisweilen schriftlich an Sie zu wenden, und Ihrer Entscheidung meine Ansichten und etwaniger Zweifel vorzulegen. – Ihre trefflichen Réflexions besitze ich längst, und habe vielfache Belehrung daraus geschöpft: Ihr gütiges Anerbieten, mir diese Schrift zu übersenden, im Falle ich sie noch nicht hätte, ermuntert mich, eine andre Bitte an Sie zu richten. Ich habe mit der größten Freude den ersten Theil des Râmâyana gleich nach seiner Erscheinung durchgelesen; heute grade fangen unsre Ferien an, und Sie würden mich ungemein verpflichten, wenn Sie mir den zweiten Theil des Textes übersenden wollten. Ich beziehe mein Exemplar von der Hahnʼschen Buchhandlung in Hannover, u. würde diese dann sogleich davon benachrichtigen. – Auf die neue Ausgabe der Bhagavadg. freue ich mich sehr – werden vielleicht einige Exemplare in größerem Format auf Velinpapier gedruckt? So oft ich das wundervolle Gedicht auch schon gelesen habe, so werde ich doch nicht müde, es immer von Neuem zu studiren. Wahrlich, ein solches Werk belohnt allein schon reichlich die Mühe, die das Erlernen des Sanskrit kostet! – Werden Sie vielleicht Auszüge aus dem Kommentator mitabdrucken lassen? – Noch möchte ich Sie bitten, mir, wenn auch nur auf wenige Wochen, Ihr Exemplar des Amarúçatakam zu übersenden: [2] ich besitze nur die Ausgabe des Hrn. Apudy, der, um dem Leser, wie er sagt, ein Gähnen zu ersparen, nur die Hälfte dieser reizenden Sprüche hat abdrucken lassen. –
Allerdings lassen die Verfasser der Kunstgedichte sich bisweilen zu Spitzfindigkeiten und übermächtigen Spielen mit der Sprache verleiten; aber doch glaube ich, daß ächter poetischer Geist ihnen nicht abzusprechen ist. In jedem Falle kann das Studium dieser Dichter sowohl, als ihrer Scholiasten unsre Kenntniß des Sanskrit, der Sitten und Gebräuche der Indier in einer gewissen Periode außerordentlich bereichern – Sie dichteten in einer Zeit, wo Mythologie und Philosophie völlig ausgebildet waren, wo das Epos im Munde des Volkes lebte, und das Drama schon einen hohen Grad der Vollendung erreicht hatte. – So blieb ihnen fast nichts übrig, als alte, epische Stoffe auf kunstvolle Art zu behandeln; Eleganz trat an die Stelle des einfach erhabnen Tones im alten Epos, Witz an die Stelle des Gefühles. – Was die Schwierigkeit des Verständnisses anbelangt, so ist Bharavi schon nicht so leicht, wie Kâlidâsa – bei weitem am schwierigsten aber Mágha – letztere ist aber auch unübertrefflich in Wahrheit der Naturschilderung sowohl, als in wunderbarer Mannigfaltigkeit der Bilder. – Ich erlaube mir, Ihnen folgendes Fragment aus dem elften Gesange, eine Schilderung des Sonnenaufgangs enthaltend, mitzutheilen:
Das Strahlennetz des Schöpfers der Tage, gelb wie neues Gold, glänzt in der Weltgegend des Donnerkeilträgers, wie der aufflammende Glanz des Aurva-Feuers, das den Weltenbrand beginnen will, nachdem es die Ge(43.)wässer des Oceans verbrannt. – Mit den Strahlen, die angespannten langen Seilen gleichen, wie ein gewaltiger Krug emporgewunden von den Weltgegenden, deren lärmendes Geschwätz die beweglichen Vögel erheben, wird aufgezogen die Sonne aus der Mitte der Gewässer des Welt(44.)meers. – Die Sonne, bei Nacht eingetaucht in das Wasser der See wurde offenbar unaufhörlich durchglüht von der Flamme des Bádava-Feuers, da sie jetzt aufgehend einen Körper trägt, röthlich wie die (45.) Kohle von entzündetem Khadira-Holze. – Nicht allein das Gebirge [3] des Aufgangs, sondern, als die Sonne einen Augenblick emporgestiegen war, alle Erdeträger – tragen durch die Menge der jungen Strahlen einen Kranz, geflochten (46.) von Büscheln geöffneter Bandhúka-Blumen. – Der Sonnenstraale, wandelnd am Fuße der Klippen des östlichen Gebirges, angeblickt von der Menge der Nymphäen mit lächelndem Lotosmunde, stürzt sich mit ausgebreiteten, zarten Fingerspitzen, voll Wonne auf den Schooß der Himmelsmutter, die mit der Stimme der (47.) Vögel ihn herbeiruft. – Einen Augenblick sich niederlassend, indem er den Fuß auf den Erdboden setzt, kurze Zeit anblickend „die Verehrung bezeigende, erfreute Welt, erhebt sich der Herr des Siebengespanns von seinem (48.) Bergthrone, indem er den ganzen Erdkreis überschauen will. – Die Flüsse, führend das von beiden Ufern eingeschlossene Wasser, , das durch die junge Gluth geröthet, glänzt, wie alter Wein, strahlen, als führten sie das Blut der in allen Weltgegenden von der Sonne mit Strahlenpfeilen getroffenen Finsternißele(49.)phantenmenge.– Die Strahlen der jungen Sonne, welche durch die Fensteröffnungen in das Innere der Häuser fallen, gleichen glühenden Bolzen, die der erzürnte Madana auf die Liebhaber der Mädchen abschießt, die (50.) in der Frühe zu gehen wünschen. –
Was das Bhattikâvyam anbelangt, so halte ich es besonders deshalb für wichtig, weil es ein lebendiger Commentar zu den dunkeln Sprüchen des Pânini ist. So ist die Verwandlung des na in ṇa p 685 – 697 erläutert erklärt und es findet sich hier jede Bemerkung des Prof. Lassen Bd. III, 1 der Ind. Bibl. durch Beispiele erläutert. – Prof Bopps Grammatik ist allerdings nichts weniger als vollständig, und enthält auch manches Unrichtige, indessen habe ich mir keine andere verschaffen können. – Mit Freude habe ich in den Blättern f. lit. Unterh. Juni Nro 152 – 154 Auszüge aus der Vrihat-Kathâ gelesen: hoffentlich wird der Verfasser derselben uns mit einer Ausgabe dieses Werkes beschenken. –
Leben Sie wohl, hochverehrter Herr Professor, und erhalten Sie mir Ihre gütige Theilnahme. – Wenn dem Schatten Valmíkiʼs ein Blick auf die Erde vergönnt ist, so richtet er gewiß mit hoher Freude sein Auge auf den Mann, der berufen ward, sein erhabnes Gedicht in würdiger Gestalt der Welt vorzulegen. – Er wird Ihnen bei Bráhmá frische Kraft und langes Leben erbitten! –
Mit inniger Verehrung
Ihr Karl Schütz.
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