Hochwohlgebohrner Herr Professor!
Hochverehrtester Lehrer!
Ewr. Hochwohlgebohren würden sehr gerechte Ursache haben mir meine nachlässige Führung unserer Correspondenz vorzuwerfen; die einzige Veranlassung meines Säumens ist, daß Baron Schilling mir eben zufällig die Tage weggenommen hat, wo ich zu schreiben pflege. Er geht morgen ab nach Paris und von da unverzüglich weiter. Seinen Hitôp[adêsa] wird er Ihnen von da aus schicken, nebst dem ersten Bande der Trans[actions] of the Roy[al] As[iatic] Soc[iety], dem Gîta-Gôv[inda] & Bhag[avad] Gîta, die Sie hier noch haben. Ich darf wohl Ihre Verzeihung dafür hoffen, daß ich den Amarû Ṣat[aka] nicht mitgesendet, ich lese mitunter darin und wollte es gern ganz durchlesen. Ich habe sehr viel Zeit mit ihm zugebracht und gestehe gern, daß ich mit den Stunden nicht sparsam gewesen bin, die ich seiner Unterhaltung gewidmet habe; ich hoffe ihm auch vom einigen Nutzen hier gewesen zu seyn. Er ist der ingeniöseste Mann, den ich kenne, und in allen Sachen der Typographie ein entschiedener Meister. Er hat hier das Sanskrit angefangen, und so schnelle Fortschritte gemacht, daß er den Lehrer bald aus dem Sattel gehoben haben würde; er scheint große Lust zu haben, dieses Studium fortzusetzen und hat sich alle Hülfsmittel dafür angeschafft. Wir haben sehr interessante Sprachvergleichungen zwischen dem Russischen und Sanskrit angestellt; die feinsten Uebereinstimmungen erhellen freilich nicht aus den geschriebenen Sprachlehren, sondern können nur bemerkt werden von einem geistreichen praktischen Kenner des Russischen. Er hat mir versprochen alle Hülfsmittel zum Studium des Russischen zu senden und ich werde nicht versäumen davon Gebrauch zu machen.
[2] Ich verdanke ihm auch die Kenntniß des Thibetischen Alphabets, das für die Geschichte des Dêvanâgari sehr wichtig ist und mir über vieles in dem System der Buchstaben des Sanskrits die Augen geöffnet. Ueber die Sanskritformeln, die in Thibetanischen Manuscripten vorkommen, sammle ich zu einer Abhandlung, die ich, wenn ich Zeit und Stimmung finden sollte sie zu vollenden, Colebrooke zur Prüfung vorlegen werde. ‒
Ich will offenherzig gestehen, daß während der Anwesenheit des Baron Schilling das Râmâyana nicht hat blühen können; ich habe vom zweiten Buche noch 13 Capitel zurück und mit dem Cod. T bin ich noch nicht weit über die Hälfte des Lib. IV hinaus. Ich muß mich jetzt freilich etwas zusammen nehmen, um nicht hinter meinen Worten zurückzubleiben. Ewr. Hochwohlgebohren würden mich sehr verbinden, wenn Sie mich unterrichten würden, ob der Plan, den ich Ihnen für die Folge vorlegte, Ihren Beifall findet, und wann Sie die Materialien zum zweiten Buche zu erhalten wünschen. Bei Arbeiten dieser Art ist zu große Vertheilung eine sehr gefährliche Sache.
Was die Bücher betrifft, die Sie hier haben, so sind sie bei den hiesigen Bücherwucherern nicht anzubringen; ich bin wohl bei allen gewesen, die mit solchen Büchern handeln; sie wollen aber nicht einmahl die halben Preise geben. Den Carey habe ich Baron Schilling für 5 ₤ überlassen; die beiden andern thun Sie am besten, durch Herrn Richter gegen andre umzutauschen, wenn Sie einige Bücher noch zur Vervollständigung Ihrer Sammlung wünschen sollten.
Ich erhielt vor einiger Zeit einen Auftrag von einem Capitain Murray einen Catalog von Manuscripten zu machen; da aber der größere Theil aus persischen, der kleinere aus Indischen besteht, habe ich es natürlich ablehnen müssen und kann daher nicht sagen, ob der Sanskritische Theil von irgend einer Erheblichkeit sey. Haughtonʼs Manu erwarte ich täglich, ich bedaure recht sehr, daß ich ihn nicht schon habe senden können.
[3] Litterärische Neuigkeiten giebt es in Boötien nicht, am wenigsten im November; Boppʼs Episoden hat mir Colebrooke gefällig mitgetheilt, ich habe aber nur Ein Stück gelesen, welches bloß dichterisches Interesse hat und mich daher nicht sehr ansprach. Ich bemerke nebenbei, daß in dem Bâhulya über den Infinitiv er auf einer Stelle des 1sten B[uches] des Râm[âyana] sich stützt, wo zwei fatale Fehler sind; es muß ohne Zweifel heißen ‒ yâtu kâryaṃ hi tâvad udyataṃ. Auf seine Grammatik und vergleichendes Sprachwerk bin ich ganz begierig; ich habe die geheime Hoffnung, daß er uns andern in der zum Erstenmahle in einer Europäischen Sprache geschriebenen Sprachvergleichung nicht die tiefern und feinern Uebereinstimmungen weggefischt haben wird; es hängt viel davon ab, ob er auf den Dialect der Vêdas Rücksicht genommen, sonst gäbe es einen Grimm ohne den Ulphilas.
Die As[iatic] Society hat ihre Sitzungen wieder angefangen und die erste Abhandlung, die vorgelesen wurde, war ein verunglückter Versuch, die historische Auctorität des Firdûsi zu retten; à la Hammer. Colebrooke hat sich auf Inschriften Entzifferung geworfen und ein Paar recht interessante entdeckt.
Ehe ich diesen Brief schließe, will ich mir eine Bemerkung über eine Stelle des Râmây[ana] erlauben; es ist die Stelle jayati raghuvañṣatilakah etc. Ed[itio] Ser[amporica] p. 2. Sie kömmt wörtlich vor in dem Drama genannt Mahânâṭaka, welches die Geschichte des 1sten Buches von Râma & Sîtâ enthält. Die ganze Intriguen-Geschichte im 1sten Buche scheint mir überhaupt nach diesem od. einem ähnlichen Drama dem Râm[âyana] angeheftet worden zu seyn.
Ich werde nicht verfehlen, heute über vierzehn Tage zu schreiben, und ersuche Sie, mich unterzeichnen zu dürfen,
Ewr. Hochwohlgebohren
unterthänigsten und ergebensten
Chr. Laßen.
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