Hochwohlgebohrner Herr Professor!
Hochzuverehrender Lehrer!
Ewr. Hochwohlgebohren Empfehlung an Herrn Remusat ist mir grade zur rechten Zeit zugekommen, um mich einer Menge von Formalitäten zu entreißen, die ich sonst hätte durchgehen müssen. Herr Remusat hat mich schon gleich sehr artig aufgenommen, aber mit dem Gesuch im Nahmen des Baron Werther bin ich wohl wie man sagt, mit der Thüre ins Haus gefallen und er verlangte daher, daß der Herr Ambassadeur für mich garantiren solle, was Herr von Werther auch gleich auf die zuvorkommenste Weise that. Ich habe jetzt den Bengal. Codex im Hause und will gleich das wenige, was über ihn vorläufig zu sagen ist, hier beifügen. Es ist dieser Codex der XXste des Hamilt[onschen] Catalogs; er enthält das I. u II. Buch; der Cod. No. XXI. enthält das 3te und 4te; der flgde No. XXII, den aber Chézy im Hause hat und mir noch nicht zu Gesicht gekommen ist, vermuthlich das 5te, 6te und 7te. Was den Text betrifft, den dieses Manuscript liefert, ist er ganz derselbe wie der des Bengal. Codex in London und neue Materialien für die Kritik dürfen Sie sich nicht aus seiner Collation versprechen. Das Pariser Manuscript ist aber von den beiden ohne Vergleich das deutlichere und correctere, und ist ein vortreffliches Correctiv der oft fehlerhaften Var[iae] Lect[iones], die sich im Londoner Manuscript finden. Ich habe bis gestern auf der Bibliothek arbeiten müssen und bin daher bloß bis zum Cap. XVI vorgerückt; ich kann aber jetzt sehr [2] schnell vorwärts schreiten. Herr Rémusat will mir den Cod. No. XXII auf die Bibliothek schaffen lassen, sobald ich es wünsche, was Chézy sehr empören wird; der gute Mann soll aber schon Feuer und Flamme seyn, weil meine unbedeutende Person hier angelangt ist, und geäußert haben, daß die Hoffnung, die Ehre seines Anblickes zu genießen, eine der vielen grundlosen Schöpfungen meiner reizbaren Phantasie sey. Den Dêvanâg[ari] Codex habe ich noch nicht untersucht; wenn ich nicht irre, haben Sie schon ein Memorandum davon genommen und den Anfang collationirt; es wäre mir daher sehr lieb, wenn Sie mich mit einer Nachricht verbinden wollten, wo ich meine Collation anzufangen habe. Es sind demnach nur zwei Hdschften hier, wenn nicht im Catalog nicht aufgeführte Manuscripte in der Bibliothek vorhanden seyn sollten, was ich jedoch nicht glaube.
Ich wohne jetzt in einem Privathause, rue Snte. Anne No. 31. Diese Veränderung war nothwendig um Manuscripte ins Haus zu bekommen und ist außerdem vorteilhaft, weil ich mein Hotel sehr theuer gefunden habe; dazu schlecht und sehr störend; das große Zusammenströmen von Fremden macht die Wohnungen überhaupt jetzt sehr theuer. Für meine jetzige bezahle ich 50 Fr. monathlich, für mein Mittagessen 30 Fr. Ich zweifle nicht, daß eine genauere Bekanntschaft mit der Stadt oder ein Cicerone, bei dem ich mich Rath erhohlen könne, mir beides sowohl wohlfeiler als besser würde nachweisen können; aber ich entbehre des Besitzes beider jener Hülfsmittel gänzlich; und ich muß befürchten, daß meine Einrichtung Ewr. Hochwohlgebohren Wünschen nicht entspreche.
[3] Herr Rémusat hat mir aufgetragen, bei Ihnen nachzufragen, ob ein Brief von ihm an Herrn Siebold (wenn ich recht gehört habe) Ihnen richtig in die Hände gekommen sey; er will Ihnen selbst in wenigen Tagen schreiben. Herr Hase läßt sich Ihnen empfehlen, ich hatte schon gleich auf der Bibliothek seine Bekanntschaft gemacht. Für den Brief an Herrn v. Humboldt bin ich Ihnen sehr verbunden, ich habe ihn aber noch nicht sprechen können. ‒ Die wenigen asiatischen Neuigkeiten, die mir hier mitgetheilt worden sind, werden Ihnen schon längst bekannt seyn und ich will Sie nicht damit behelligen, sie nachzuerzählen. Da Sie die Güte gehabt haben, mir ein ausführlicheres Schreiben zu versprechen, will ich was ich sonst zu melden hätte, auf meinen nächsten Brief versparen und mir erlauben, mich zu unterzeichnen,
mit der größten Hochachtung
Ewr. Hochwohlgebohren
ergebenster
Chr. Laßen.
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