rue Snte Anne No. 31.
Hochwohlgebohrner Herr Professor!
Hochzuverehrender Lehrer!
Verzeihen Ewr. Hochwohlgebohren gefälligst, daß ich erst heute dazu komme, Ihr Schreiben vom 9ten d. M. zu beantworten; ich habe Ihnen zugleich die richtige Auszahlung des Geldes zu melden und Ihnen meinen verbindlichsten Dank für die Gefälligkeit, womit Sie die Auslage gemacht haben abzustatten. Es thut mir leid, daß das Stipendium nicht ausreicht für die ganze Zeit meines Aufenthaltes im Auslande und daß Sie noch aus Ihren eigenen Mitteln einen Theil der Kosten tragen müssen; ich hoffe aber, daß ich nur noch einen kleinen Zuschuß brauchen werde. Ich hoffe mit dem Gelde, was ich jetzt habe, bis über die Mitte Octobers hinaus durchzukommen und bis dahin hoffe ich auch den größten Theil meiner Collationen vollendet zu haben. Ich habe das zweite Buch im Devanagari Manuscript vollendet und die Vergleichung des Bengalischen Codex bis zum 42sten Capitel des zweiten Buchs beendigt; ich werde daher in nicht gar langer Zeit damit fertig seyn können. Die Vergleichung der Telinga Manuscripte wird freilich nicht so schnell von Statten gehen; es wird auf jeden Fall der mühseligste Theil meiner Arbeit werden; da wir die Manuscripte aber einmahl haben, darf die Arbeit [2] nicht unterbleiben und sie besitzt immer den Reitz des Außergewöhnlichen. Im kimmerischen Dunkel Englands wäre es ein hoffnungslooses Unternehmen; im hellern Paris wird die Sache schon ausführbar seyn und ich darf Ihnen versprechen, daß die pûrvâ sandhyâ mich immer am Werke finden soll. Das zweite Manuscript, das ich noch nicht im Hause habe, besitzt den Vortheil, daß das Gekritzel mit Kohlenstaub bestreut ist, eine Operation, die ich auch wohl mit dem ersten vornehmen werde. Uebrigens ist der Text des zweiten Buchs im ersten Telinga Manuscript vom 6ten Capitel an genau der der commentirten Manuscripte. Wenn dieses mit beiden Manuscripten und durchgängig der Fall seyn sollte, glaube ich, daß eine theilweise Vergleichung hinreichend seyn würde. Für das erste Buch, wovon ich keine Abschrift der Londoner Manuscripte bei mir habe, muß ich die gedruckte Ausgabe zu Grund legen. Auf jeden Fall ist die Accession dieser beiden Manuscripte für die Kritik des Textes sehr interessant und Sie werden ein vollständigeres Material zusammen haben, als man für irgend ein anderes Indisches Werk in Europa gehabt hat oder haben kann. Es wäre merkwürdig, wenn alle Manuscripte sich auf die zwei Recensionen zurückführen ließen, die wir schon kennen; die Bengalischen Manuscripte, das [3] Manuscript v. Captain Todd und das Devanag[ari] Manuscript in Paris, geben, trotz einzelnen Abweichungen, so genau denselben Text, daß die große Uebereinstimmung mehr Verwunderung erregt, als die Abweichung im Einzelnen.
Herr Klaproth hat mich gebeten, Sie zu bitten, daß Sie die Gefälligkeit haben möchten, in Wilsonʼs Geschichte von Kashmir eine Stelle für ihn nachzusehen; ich gebe die Frage mit seinen eigenen Worten.
In Wilsons Geschichte von Kashmîr ist unter der Regierung der drei Nachfolger des Damôdara, Namens Hushka, Jushka und Kanishka von einem Bôdhisatva Nagarjuna die Rede. Steht dort, er habe 150 Jahre vor oder nach dem Tode des Ṣakyasiñha gelebt?
K[laproth] hat nehmlich im Journ[al] Asiat[ique] einen Auszug aus jener Abhandlung gemacht, der etwas übereilt zu seyn scheint und worin mehrere lustige Fehler, vom Auszieher oder Setzer weiß ich nicht, vorkommen. So wird gesagt, daß die Geschichte selbst 1078 Ṣâkâ od. 1156 vor Christi Geburt geschrieben sey. Es scheint, daß K[laproth] die Abkürzung A. D. auf eine etwas ungewöhnliche Weise interpretirt hat. Zugleich hat er eine wüthende Proclamation gegen Wilford erlassen.
Erlauben Sie mir, mich zu unterzeichnen,
Ewr. Hochwohlgebohren
[hoch]achtungsvollsten und dankbarsten
Chr. Laßen.
[4]