• Hans Christian Genelli to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Berlin · Date: 29.05.1802
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Hans Christian Genelli
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: 29.05.1802
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 146‒148.
  • Incipit: „[1] Berlin den 29sten May [18]02
    Mittwoch, 26sten d., erfuhr ich durch Schierstett, der Jon solle den 30sten aufgeführt und – ausgepfiffen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-33708
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.9,Nr.11
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 23,3 x 19,2 cm
    Language
  • German
[1] Berlin den 29sten May [18]02
Mittwoch, 26sten d., erfuhr ich durch Schierstett, der Jon solle den 30sten aufgeführt und – ausgepfiffen werden. Man sage im Publicum, Mayer, der Doctor, wolle durchaus nicht zugeben, daß seine Ehehälfte eine so schlüpfrige Rolle, wie die der Kreusa, spiele und da man das Stück trotz seiner Protestationen nun doch geben wolle, so habe er eine Parthie bestellt, um es tüchtig auszupfeifen usw. Mir schien dieses ein ungereimtes Gerücht, das keinen Glauben verdiene; jedoch da ich noch denselben Abend erfuhr, daß der Jon schon früher angekündigt, und dann wieder „wegen Krankheit“ abgesagt worden, so gieng ich den andern Morgen, Donnerstag, zu Mdme Mayer um mich näher zu erkundigen. Sie können sich meine Verwunderung denken, als ich da aus ihrem eigenen Munde die Wahrheit des Factums erfahren mußte. Der Doctor hat das Stück nicht lesen hören (hätte er es, so, meint sie, hätte er wahrscheinlich nichts Bedenkliches darin gefunden) und von der Aufführung hat er nur die Scene am Altar, welche die Geständniße enthält, den zweiten Abend beigewohnt. Seine reformirte Candidaten- und Erzieher-Moral ist schon von selbst stutzig geworden, über den scandalösen Fall, daß eine tugendsame Ehefrau vor der Ehe heimlich soll ein Kind von einem Gotte gehabt haben, und daß es grade seine Ehefrau war die diese Person vorstellte. Dazu kam noch, daß er grade neben ein Paar Gensdʼarmes-Offiziere zu stehn kam, die nach ihrer Weise Hurenglossen darüber machten und dabei die Person der Rolle gar nicht von der der Schauspielerin zu unterscheiden sich bemühten: so daß er ganz in Wuth das Schauspiel verließ. Nun ist er von Natur ein unbarmherziger Schreier, der nichts an sich halten kann: so kam er denn vom Theater in Gott weiß welche Gesellschaft von Moralitäten-Dreschern, [2] die durch herzliche Theilnahme an sein Scandal ihm vollends den Kopf verrückten. So erzählte sie selbst mir die Veranlassung. Darauf hat sie mit ihm, wie man denken kann, die lieblichsten Haus-Scenen, von festem Charakter und bestimmter Denkungsart, und von Philosophischer Gelassenheit und Anerkennung der Freiheit Andrer, aber dabey doch festem Bestehen auf den eigenen vernünftig gefaßten Entschluß und moralischen Unwillen et cetera et cetera gehabt. Kurz er besteht darauf daß sie die Rolle nicht spiele, und daß, wenn die Dircetion dennoch darauf bestehe, sie ihren Abschied nehme. Iffland hat sich in aller Form Mühe gegeben den Starrkopf zu bewegen; aber vergebens, wie sich leicht voraussetzen ließ, denn Ifflands ostensible Moral wird sich wohl nur in dem Grad der Schlaffheit von der des Doctors unterscheiden so daß jener in seinem Herzen sogar die Entschlossenheit des Anderen und seine Aufopferung eines ganzen Gehalts zum Besten der Öffentlichen Moral bewundern muß. Zwischen dem Interesse der Bühne also und der Bewunderung für die Rechtschaffenheit des eifrigen Ehemannes, wozu vielleicht noch eine heimliche Hoffnung, das Stück fallen zu sehen, kommen mag – stehn mag ich wenigstens nicht davor daß dem nicht so sey – hat der tapfere Iffland keine andre Auskunft gewußt, als die Sache anstehn zu lassen, bis Gott sie entscheidet. Andre Menschen – denn der Doctor hat soviel geschrieen, daß die ganze Stadt es weiß – haben ihn darüber zugesetzt, und er mag schon ziemlich viel Spott und Persifflage ausgehalten haben: allein all dies Bearbeiten hat ihn nur noch hölzerner gemacht. So hat man ihm gesagt, er gebe dem Schlegel alles Recht in die Hand gegen ihn mit einer heillosen Satyre hervorzukommen; aber der Eifer für die Tugend macht ihn hart: „er soll nur kommen“, sagt er, „ich will ihn schon fegen, wie er es verdient“. Seine Frau, die nun wohl mehr Vertrauen auf seine Tapferkeit als auf sein Vermögen hat, [3] fürchtet eben nun dies; und sie möchte natürlich die Sache eingeschläfert wissen. Auf der einen Seite fürchtet sie die Störung des Hausfriedens, den innern Krieg im Ehebett und die Scheidung. Wahrscheinlich, sagt sie, werde ich länger Frau seyn müßen, als Schauspielerin: welches doch ebenso wahrscheinlich nicht ist. Es ist wenigstens eben so wahrscheinlich, daß sie in fünf Jahren noch auf die Bühne treten wird, als daß er diese Frist überlebe. Sie, die doch in einem Bett mit diesem vertrokneten Hitzkopf liegt, oder gelegen hat, muß wohl ein heimliches Vorgefühl von dieser Alternative haben; und darum fürchtet sie eben so sehr von der andern Seite den Abschied vom Theater: wozu noch die Eigenliebe der Künstlerin kommt, und daß sie denn doch auch in ihrem jetzigen Hausstand den Verlust des Gehaltes empfinden müßte.
Alles dies nun macht sie Angst, erstlich daß die Sache nicht so weit angeregt werde, daß es zu öffentlicher Foderung des Stückes käme; denn da würde sie am wahrscheinlichsten ihren Abschied bekommen, im gelindesten Fall aber die Kränkung erleben, ihre Rolle auf ein andres Subject übertragen zu sehn: zweitens daß Sie, Herr Schlegel, gegen ihren Mann mit Spottschriften auftreten möchten, wodurch ihr Hausfrieden untergraben würde, und was d. gl. mehr.
Sie hat mich daher gebeten Ihnen alles dies vorzutragen, ehe Sie es durch andre Hand erführen, und Sie in ihrem Namen zu bitten nicht unsanft mit ihrem Mann zu verfahren und Ihnen vorzustellen wie sie noch nicht verzweifle ihren theuren Gatten mit der Zeit zu besänftigen. Daß ich ihr dieses nicht abschlagen konnte werden Sie, lieber Schlegel, mir einräumen; ihr aber habe ich dagegen vorgestellt, wie sie auf keine Weise von Ihnen fodern könne, daß Sie den platten Doctor, darum weil er einige Tage im Jahre der zufällige Ehegatte Kreusens werden könne, als Censor Ihres Werkes anerkennen [4] sollen, und daß Sie nie zugeben können, daß so ein Philister für sich allein den Kredit des Schauspiels zu creiren sich anmaße. Um ihr übrigens meinen Verdruß hierüber an den Tag zu legen, gestand ich ihr, daß ich gesonnen war etwas über die Aufführung des Stückes zu schreiben, welches mir aber dadurch verleidet würde, indem ich mich jetzt doch nicht entbrechen könnte etwas über die Urtheile solcher Leute von dem Gelichter ihres Mannes mit einfließen zu lassen; worüber sie erbebte, und doch nicht gern sah, daß ich darum unterlassen wollte zu schreiben, da sie doch gern wenigstens diese Satisfaction von ihrem Bestreben haben möchte.
Alles dieses glaubte ich Ihnen, lieber Freund, treulich berichten zu müßen auf daß Sie Ihre Maaßregeln nehmen möchten, falls welche zu nehmen sind. Wenn Sie können, haben Sie natürlich alles Recht dahin zu arbeiten, daß das Stück gefodert werde: am besten wäre, wenn es gar von allerhöchsten Orts her verlangt würde. Denn dergleichen häusliche Rücksichten, wie der Doctor und seine Gattin verlangen, sind doch gar nicht zu dulden. Scheint Ihnen dies nun nicht wie ein Bericht aus einem kleinen Marktflecken?
Die langweiligsten Verwirrungen in meiner neuen Einrichtung, welche machen daß ich kaum in meiner Garderobe noch unbequemen Ort, Ihnen diesen Bericht zu schreiben, finden konnte, und mich den ganzen Tag auf der Straße halten [muß], sind Ursache daß ich noch nicht dazu gekommen bin, das verlangte über Ihren Jon zu schreiben. Sollten Sie also hierüber jetzt noch Erinnerungen zu machen haben, so würden diese mir noch zu rechter Zeit kommen. Haben Sie die Güte, mich Ihrer Gesellschaft zu empfehlen und empfangen Sie selber meinen freundschaftlichen Gruß. Grüßen Sie auch den Bury. Ihr ergebener
Genelli
[1] Berlin den 29sten May [18]02
Mittwoch, 26sten d., erfuhr ich durch Schierstett, der Jon solle den 30sten aufgeführt und – ausgepfiffen werden. Man sage im Publicum, Mayer, der Doctor, wolle durchaus nicht zugeben, daß seine Ehehälfte eine so schlüpfrige Rolle, wie die der Kreusa, spiele und da man das Stück trotz seiner Protestationen nun doch geben wolle, so habe er eine Parthie bestellt, um es tüchtig auszupfeifen usw. Mir schien dieses ein ungereimtes Gerücht, das keinen Glauben verdiene; jedoch da ich noch denselben Abend erfuhr, daß der Jon schon früher angekündigt, und dann wieder „wegen Krankheit“ abgesagt worden, so gieng ich den andern Morgen, Donnerstag, zu Mdme Mayer um mich näher zu erkundigen. Sie können sich meine Verwunderung denken, als ich da aus ihrem eigenen Munde die Wahrheit des Factums erfahren mußte. Der Doctor hat das Stück nicht lesen hören (hätte er es, so, meint sie, hätte er wahrscheinlich nichts Bedenkliches darin gefunden) und von der Aufführung hat er nur die Scene am Altar, welche die Geständniße enthält, den zweiten Abend beigewohnt. Seine reformirte Candidaten- und Erzieher-Moral ist schon von selbst stutzig geworden, über den scandalösen Fall, daß eine tugendsame Ehefrau vor der Ehe heimlich soll ein Kind von einem Gotte gehabt haben, und daß es grade seine Ehefrau war die diese Person vorstellte. Dazu kam noch, daß er grade neben ein Paar Gensdʼarmes-Offiziere zu stehn kam, die nach ihrer Weise Hurenglossen darüber machten und dabei die Person der Rolle gar nicht von der der Schauspielerin zu unterscheiden sich bemühten: so daß er ganz in Wuth das Schauspiel verließ. Nun ist er von Natur ein unbarmherziger Schreier, der nichts an sich halten kann: so kam er denn vom Theater in Gott weiß welche Gesellschaft von Moralitäten-Dreschern, [2] die durch herzliche Theilnahme an sein Scandal ihm vollends den Kopf verrückten. So erzählte sie selbst mir die Veranlassung. Darauf hat sie mit ihm, wie man denken kann, die lieblichsten Haus-Scenen, von festem Charakter und bestimmter Denkungsart, und von Philosophischer Gelassenheit und Anerkennung der Freiheit Andrer, aber dabey doch festem Bestehen auf den eigenen vernünftig gefaßten Entschluß und moralischen Unwillen et cetera et cetera gehabt. Kurz er besteht darauf daß sie die Rolle nicht spiele, und daß, wenn die Dircetion dennoch darauf bestehe, sie ihren Abschied nehme. Iffland hat sich in aller Form Mühe gegeben den Starrkopf zu bewegen; aber vergebens, wie sich leicht voraussetzen ließ, denn Ifflands ostensible Moral wird sich wohl nur in dem Grad der Schlaffheit von der des Doctors unterscheiden so daß jener in seinem Herzen sogar die Entschlossenheit des Anderen und seine Aufopferung eines ganzen Gehalts zum Besten der Öffentlichen Moral bewundern muß. Zwischen dem Interesse der Bühne also und der Bewunderung für die Rechtschaffenheit des eifrigen Ehemannes, wozu vielleicht noch eine heimliche Hoffnung, das Stück fallen zu sehen, kommen mag – stehn mag ich wenigstens nicht davor daß dem nicht so sey – hat der tapfere Iffland keine andre Auskunft gewußt, als die Sache anstehn zu lassen, bis Gott sie entscheidet. Andre Menschen – denn der Doctor hat soviel geschrieen, daß die ganze Stadt es weiß – haben ihn darüber zugesetzt, und er mag schon ziemlich viel Spott und Persifflage ausgehalten haben: allein all dies Bearbeiten hat ihn nur noch hölzerner gemacht. So hat man ihm gesagt, er gebe dem Schlegel alles Recht in die Hand gegen ihn mit einer heillosen Satyre hervorzukommen; aber der Eifer für die Tugend macht ihn hart: „er soll nur kommen“, sagt er, „ich will ihn schon fegen, wie er es verdient“. Seine Frau, die nun wohl mehr Vertrauen auf seine Tapferkeit als auf sein Vermögen hat, [3] fürchtet eben nun dies; und sie möchte natürlich die Sache eingeschläfert wissen. Auf der einen Seite fürchtet sie die Störung des Hausfriedens, den innern Krieg im Ehebett und die Scheidung. Wahrscheinlich, sagt sie, werde ich länger Frau seyn müßen, als Schauspielerin: welches doch ebenso wahrscheinlich nicht ist. Es ist wenigstens eben so wahrscheinlich, daß sie in fünf Jahren noch auf die Bühne treten wird, als daß er diese Frist überlebe. Sie, die doch in einem Bett mit diesem vertrokneten Hitzkopf liegt, oder gelegen hat, muß wohl ein heimliches Vorgefühl von dieser Alternative haben; und darum fürchtet sie eben so sehr von der andern Seite den Abschied vom Theater: wozu noch die Eigenliebe der Künstlerin kommt, und daß sie denn doch auch in ihrem jetzigen Hausstand den Verlust des Gehaltes empfinden müßte.
Alles dies nun macht sie Angst, erstlich daß die Sache nicht so weit angeregt werde, daß es zu öffentlicher Foderung des Stückes käme; denn da würde sie am wahrscheinlichsten ihren Abschied bekommen, im gelindesten Fall aber die Kränkung erleben, ihre Rolle auf ein andres Subject übertragen zu sehn: zweitens daß Sie, Herr Schlegel, gegen ihren Mann mit Spottschriften auftreten möchten, wodurch ihr Hausfrieden untergraben würde, und was d. gl. mehr.
Sie hat mich daher gebeten Ihnen alles dies vorzutragen, ehe Sie es durch andre Hand erführen, und Sie in ihrem Namen zu bitten nicht unsanft mit ihrem Mann zu verfahren und Ihnen vorzustellen wie sie noch nicht verzweifle ihren theuren Gatten mit der Zeit zu besänftigen. Daß ich ihr dieses nicht abschlagen konnte werden Sie, lieber Schlegel, mir einräumen; ihr aber habe ich dagegen vorgestellt, wie sie auf keine Weise von Ihnen fodern könne, daß Sie den platten Doctor, darum weil er einige Tage im Jahre der zufällige Ehegatte Kreusens werden könne, als Censor Ihres Werkes anerkennen [4] sollen, und daß Sie nie zugeben können, daß so ein Philister für sich allein den Kredit des Schauspiels zu creiren sich anmaße. Um ihr übrigens meinen Verdruß hierüber an den Tag zu legen, gestand ich ihr, daß ich gesonnen war etwas über die Aufführung des Stückes zu schreiben, welches mir aber dadurch verleidet würde, indem ich mich jetzt doch nicht entbrechen könnte etwas über die Urtheile solcher Leute von dem Gelichter ihres Mannes mit einfließen zu lassen; worüber sie erbebte, und doch nicht gern sah, daß ich darum unterlassen wollte zu schreiben, da sie doch gern wenigstens diese Satisfaction von ihrem Bestreben haben möchte.
Alles dieses glaubte ich Ihnen, lieber Freund, treulich berichten zu müßen auf daß Sie Ihre Maaßregeln nehmen möchten, falls welche zu nehmen sind. Wenn Sie können, haben Sie natürlich alles Recht dahin zu arbeiten, daß das Stück gefodert werde: am besten wäre, wenn es gar von allerhöchsten Orts her verlangt würde. Denn dergleichen häusliche Rücksichten, wie der Doctor und seine Gattin verlangen, sind doch gar nicht zu dulden. Scheint Ihnen dies nun nicht wie ein Bericht aus einem kleinen Marktflecken?
Die langweiligsten Verwirrungen in meiner neuen Einrichtung, welche machen daß ich kaum in meiner Garderobe noch unbequemen Ort, Ihnen diesen Bericht zu schreiben, finden konnte, und mich den ganzen Tag auf der Straße halten [muß], sind Ursache daß ich noch nicht dazu gekommen bin, das verlangte über Ihren Jon zu schreiben. Sollten Sie also hierüber jetzt noch Erinnerungen zu machen haben, so würden diese mir noch zu rechter Zeit kommen. Haben Sie die Güte, mich Ihrer Gesellschaft zu empfehlen und empfangen Sie selber meinen freundschaftlichen Gruß. Grüßen Sie auch den Bury. Ihr ergebener
Genelli
×
×