• August Wilhelm von Schlegel to Johann Carl Fürchtegott Schlegel

  • Place of Dispatch: Rom · Place of Destination: Hannover · Date: 27.03.1805
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Carl Fürchtegott Schlegel
  • Place of Dispatch: Rom
  • Place of Destination: Hannover
  • Date: 27.03.1805
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 190‒192.
  • Incipit: „[1] Rom d. 27 März [180]5
    Geliebter Bruder
    Wiewohl ich Dir so lange nicht geschrieben wirst Du gewiß diesen Brief und die darin [...]“
    Manuscript
  • Provider: Leipzig, Universitätsbibliothek
  • Classification Number: II A IV 1582
  • Number of Pages: 6 S.
    Language
  • German
[1] Rom d. 27 März [180]5
Geliebter Bruder
Wiewohl ich Dir so lange nicht geschrieben wirst Du gewiß diesen Brief und die darin enthaltnen Bitten brüderlich aufnehmen da sie eine uns beyden gleich sehr am Herzen liegende Veranlassung betreffen. Charlotte hat mir den Unglücksfall, der unsre gute Mutter betroffen, gemeldet, ich habe unverzüglich die Einlage an sie geschrieben die Du gefälligst bestellen wirst. Ich bitte Dich mir baldigst wieder Nachricht zu geben von dem gegenwärtigen Zustande, und zugleich die Umstände des Falles, wann und wie sie ihn gethan, was Charlotte übergeht, recht genau nachzuhohlen. Das zweyte warum ich dich anzugehen habe, ist die Besorgung eines kleinen Geschäftes. Du wirst nämlich von Genf aus eine Anweisung von 15 Carolin oder 60 Laubthaler auf Hamburg erhalten, die Du in Hanover leicht wirst zu Gelde machen und der [2] Mutter einhändigen können. Wie würde ich mich freuen, wenn sie bey Ankunft dieses Briefes keine andre Hülfleistung als nur noch diese nöthig hätte, die einzige wozu ich in so weiter Entfernung im Stande bin. Dir und Julchen sage ich den herzlichsten Dank für die der Mutter geleistete Pflege, wodurch Ihr die Stelle der abwesenden Geschwister vertreten habt.
Jetzt will ich Dir einige Nachrichten von mir und meiner Reise mittheilen. Daß sie in jeder Hinsicht äußerst interessant für mich ist, brauche ich nicht erst zu versichern, und wiewohl sie ziemlich schnell gemacht wird, hoffe ich doch allen den verschiednen Zwecken Genüge leisten zu können, und bis auf einige Lücken eine gründliche Kenntniß von Italien zurückzubringen. Eine Reisebeschreibung zu geben, das liegt nicht in meiner Gesinnung, ich habe nicht einmal von mir gewinnen können das anfangs gehaltne Tagebuch fortzusetzen. Indessen ist mir für manches, was ich in der Folge schreiben dürfte, der Anblick und die nähere Bekanntschaft unendlich wichtig. Die landschaftliche Natur haben wir zwar nicht in der günstigsten Jahrszeit gesehen, und der Genuß eines südlichen Frühling steht uns erst bey der Rückkehr recht bevor, allein die wilden Savoyischen Alpen erschienen in ihrer winterlichen Gestalt mir noch größer, und so manche andre Gegend, das freundliche Piemont am Fuß der Gebirge, das reich angebaute Bologna, Ancona mit seinem felsigen Seehafen, die zum Theil mit immer grüner Waldung besetzten Apeninnen, Neapel mit seinem herrlichen Meerbusen [3] seinem oben glühenden Vesuv und seinen Citronengebüschen, ja selbst die stilleren sieben Hügel Roms und sein rein begränzter Horizont bedürfen dieses zufälligen Schmucks nicht einmal. Die bildenden Künste sind mein Hauptgegenstand, jedoch hier in Rom und in Neapel theile ich mich zwischen ihnen und dem Studium der Alterthümer, die Sprache lerne ich beyher geläufig reden, und für die Gesellschaft geben mir die vielen Verbindungen meiner Reisegefährten Gelegenheit die bedeutendsten Menschen aus allen Classen kennen zu lernen. Das Theater konnte mich bey seinem jetzigen allgemeinen Verfall nicht sehr beschäftigen, und von der Musik, weißt Du schon, bin ich kein besondrer Kenner. Unser Gang war folgender. Wir machten von Genf aus den Umweg über Lyon, nächst Paris gewiß der schönsten und merkwürdigsten Stadt Frankreichs, dann durch Savoyen über den Mont Cenis nach Turin wo wir 8 Tage blieben, von da nach Mailand, 3 Wochen, dann mit kurzem Verweilen in den Städten wo etwas zu sehen ist, über Parma und Modena nach Bologna, von da nach Ancona, und dann ohne Ruhetag queer durch Italien nach Rom. Von hieraus gingen wir nach einem [4] Aufenthalt von 14 Tagen nach Neapel, welches uns mit dem Hin und Rückwege etwa 3 Wochen gekostet hat. Seit ein paar Wochen sind wir nun wieder hier und werden bis nach Ostern bleiben, dann geht es nach Venedig, von da wieder nach Mailand, und über den Simplon nach der Schweiz zurück. Dieß wird etwa in die Mitte des Junii fallen.
Daß meine schriftstellerischen Arbeiten unterdessen gänzlich ruhen, wirst Du leicht begreifen; indessen denke ich sie im Sommer mit Eifer wieder vorzunehmen. – Der Verleger meines Shakspeare ist gestorben, und es hat mir sehr leid gethan ihn zu verlieren; doch hat mich die Witwe schon um die Fortsetzung angegangen und Du wirst vielleicht in der Hamburger Zeitung eine Ankündigung deßhalb von mir gelesen haben. Das Spanische Theater wird auch fortgesetzt, von weiteren Planen will ich noch nicht sprechen. – Friedrich ist immer mit seinen orientalischen Studien hauptsächlich beschäftigt, und wird hoffentlich bald etwas davon mittheilen. In einiger Zeit nach Paris zu kommen, kann mir auch nicht fehlen, und damit wird der Kreis der wichtigsten Kunstwerke für mich so ziemlich vollständig werden. Leider können wir [5] wegen des noch fortdauernden Cordons nicht nach Florenz reisen.
Einen angenehmen Umgang habe ich hier an Humboldt, einem alten Universitätsbekannten, der Preußischer Minister am Päbstlichen Hofe ist. Sein Bruder, der berühmte Reisende, wird allernächstens eintreffen. Auch giebt es verschiedne junge Deutsche Künstler hier, die sich viel zu mir halten. Den langweiligen Rehberg nicht hier zu finden, bin ich recht wohl zufrieden.
Grüße aufs beste die übrigen Geschwister von mir, und gieb mir Nachricht von ihnen. Was macht denn die artige kleine Pflegetochter die sich meiner wohl nicht mehr erinnert? Und Morizens Kinder? – An Charlotte schreibe ich nächstens, entschuldige mich unterdessen.
Lebe recht wohl und behalte mich in brüderlichem Andenken. Ich küsse Deiner lieben Julie die Hand.
Dein treuer Bruder
A. W. Schlegel
Richte die Antwort nach Mailand mit folgender Addresse: A Mr le Professeur Schlegel chez Madame de Staël, aux [6] soins de Mrs Ferdinand Fortis & Comp. à Milan.
[1] Rom d. 27 März [180]5
Geliebter Bruder
Wiewohl ich Dir so lange nicht geschrieben wirst Du gewiß diesen Brief und die darin enthaltnen Bitten brüderlich aufnehmen da sie eine uns beyden gleich sehr am Herzen liegende Veranlassung betreffen. Charlotte hat mir den Unglücksfall, der unsre gute Mutter betroffen, gemeldet, ich habe unverzüglich die Einlage an sie geschrieben die Du gefälligst bestellen wirst. Ich bitte Dich mir baldigst wieder Nachricht zu geben von dem gegenwärtigen Zustande, und zugleich die Umstände des Falles, wann und wie sie ihn gethan, was Charlotte übergeht, recht genau nachzuhohlen. Das zweyte warum ich dich anzugehen habe, ist die Besorgung eines kleinen Geschäftes. Du wirst nämlich von Genf aus eine Anweisung von 15 Carolin oder 60 Laubthaler auf Hamburg erhalten, die Du in Hanover leicht wirst zu Gelde machen und der [2] Mutter einhändigen können. Wie würde ich mich freuen, wenn sie bey Ankunft dieses Briefes keine andre Hülfleistung als nur noch diese nöthig hätte, die einzige wozu ich in so weiter Entfernung im Stande bin. Dir und Julchen sage ich den herzlichsten Dank für die der Mutter geleistete Pflege, wodurch Ihr die Stelle der abwesenden Geschwister vertreten habt.
Jetzt will ich Dir einige Nachrichten von mir und meiner Reise mittheilen. Daß sie in jeder Hinsicht äußerst interessant für mich ist, brauche ich nicht erst zu versichern, und wiewohl sie ziemlich schnell gemacht wird, hoffe ich doch allen den verschiednen Zwecken Genüge leisten zu können, und bis auf einige Lücken eine gründliche Kenntniß von Italien zurückzubringen. Eine Reisebeschreibung zu geben, das liegt nicht in meiner Gesinnung, ich habe nicht einmal von mir gewinnen können das anfangs gehaltne Tagebuch fortzusetzen. Indessen ist mir für manches, was ich in der Folge schreiben dürfte, der Anblick und die nähere Bekanntschaft unendlich wichtig. Die landschaftliche Natur haben wir zwar nicht in der günstigsten Jahrszeit gesehen, und der Genuß eines südlichen Frühling steht uns erst bey der Rückkehr recht bevor, allein die wilden Savoyischen Alpen erschienen in ihrer winterlichen Gestalt mir noch größer, und so manche andre Gegend, das freundliche Piemont am Fuß der Gebirge, das reich angebaute Bologna, Ancona mit seinem felsigen Seehafen, die zum Theil mit immer grüner Waldung besetzten Apeninnen, Neapel mit seinem herrlichen Meerbusen [3] seinem oben glühenden Vesuv und seinen Citronengebüschen, ja selbst die stilleren sieben Hügel Roms und sein rein begränzter Horizont bedürfen dieses zufälligen Schmucks nicht einmal. Die bildenden Künste sind mein Hauptgegenstand, jedoch hier in Rom und in Neapel theile ich mich zwischen ihnen und dem Studium der Alterthümer, die Sprache lerne ich beyher geläufig reden, und für die Gesellschaft geben mir die vielen Verbindungen meiner Reisegefährten Gelegenheit die bedeutendsten Menschen aus allen Classen kennen zu lernen. Das Theater konnte mich bey seinem jetzigen allgemeinen Verfall nicht sehr beschäftigen, und von der Musik, weißt Du schon, bin ich kein besondrer Kenner. Unser Gang war folgender. Wir machten von Genf aus den Umweg über Lyon, nächst Paris gewiß der schönsten und merkwürdigsten Stadt Frankreichs, dann durch Savoyen über den Mont Cenis nach Turin wo wir 8 Tage blieben, von da nach Mailand, 3 Wochen, dann mit kurzem Verweilen in den Städten wo etwas zu sehen ist, über Parma und Modena nach Bologna, von da nach Ancona, und dann ohne Ruhetag queer durch Italien nach Rom. Von hieraus gingen wir nach einem [4] Aufenthalt von 14 Tagen nach Neapel, welches uns mit dem Hin und Rückwege etwa 3 Wochen gekostet hat. Seit ein paar Wochen sind wir nun wieder hier und werden bis nach Ostern bleiben, dann geht es nach Venedig, von da wieder nach Mailand, und über den Simplon nach der Schweiz zurück. Dieß wird etwa in die Mitte des Junii fallen.
Daß meine schriftstellerischen Arbeiten unterdessen gänzlich ruhen, wirst Du leicht begreifen; indessen denke ich sie im Sommer mit Eifer wieder vorzunehmen. – Der Verleger meines Shakspeare ist gestorben, und es hat mir sehr leid gethan ihn zu verlieren; doch hat mich die Witwe schon um die Fortsetzung angegangen und Du wirst vielleicht in der Hamburger Zeitung eine Ankündigung deßhalb von mir gelesen haben. Das Spanische Theater wird auch fortgesetzt, von weiteren Planen will ich noch nicht sprechen. – Friedrich ist immer mit seinen orientalischen Studien hauptsächlich beschäftigt, und wird hoffentlich bald etwas davon mittheilen. In einiger Zeit nach Paris zu kommen, kann mir auch nicht fehlen, und damit wird der Kreis der wichtigsten Kunstwerke für mich so ziemlich vollständig werden. Leider können wir [5] wegen des noch fortdauernden Cordons nicht nach Florenz reisen.
Einen angenehmen Umgang habe ich hier an Humboldt, einem alten Universitätsbekannten, der Preußischer Minister am Päbstlichen Hofe ist. Sein Bruder, der berühmte Reisende, wird allernächstens eintreffen. Auch giebt es verschiedne junge Deutsche Künstler hier, die sich viel zu mir halten. Den langweiligen Rehberg nicht hier zu finden, bin ich recht wohl zufrieden.
Grüße aufs beste die übrigen Geschwister von mir, und gieb mir Nachricht von ihnen. Was macht denn die artige kleine Pflegetochter die sich meiner wohl nicht mehr erinnert? Und Morizens Kinder? – An Charlotte schreibe ich nächstens, entschuldige mich unterdessen.
Lebe recht wohl und behalte mich in brüderlichem Andenken. Ich küsse Deiner lieben Julie die Hand.
Dein treuer Bruder
A. W. Schlegel
Richte die Antwort nach Mailand mit folgender Addresse: A Mr le Professeur Schlegel chez Madame de Staël, aux [6] soins de Mrs Ferdinand Fortis & Comp. à Milan.
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