Theuerster Freund!
Thue mir den Gefallen, die Einlage an Fräulein Charlotte von Hagn baldigst zu besorgen. Du siehst wohl, es ist ein schlechter Wiener Nachdruck, aber die ächte zweite Ausgabe ist nirgends aufzutreiben. Nun schreibt mir die edle Freundin, sie lese gern aus meinen Gedichten vor und habe sich nichts andres als die erste unvollständige Sammlung aus einer Leihbibliothek verschaffen können. Sie muß also einstweilen mit diesem kümmerlichen Büchlein vorlieb nehmen.
Ich will jetzt ernstlich Hand an die dritte vermehrte Ausgabe legen, dann sollt ihr beiden die ersten Exemplare haben.
[2] Eigentlich lasse ich die Sendung nur darum den Umweg durch Deine Hände gehen, um Dich den vergeßlichen Freund an mich zu erinnern. Wenn Du zu mir zu kommen ernstlich gesonnen bist, so melde es bald und komm im nächsten Monat oder spätestens zu Anfang Juni. Gegen Ende des Sommers möchten die großen militärischen Uebungen allerlei störendes herbeiführen. Mein Haus ist heiter, wohnlich und im höchsten Grade sauber: es wird Dir wohl darin zu Muthe werden. Außer Deinen beiden Zimmern stehen Dir auch die Gesellschaftszimmer ganz zu Dienste; sie sind schöner und originaler als irgend etwas in Goetheʼs Hause, wovon man [3] soviel Rühmens gemacht hat. Jedesmal, daß ich Dich besuchte, habe ich Dich wegen Deines traurigen gemietheten Stockwerks bedauert, wozu ich nur auf schmutzigen Treppen hinauf gelangen konnte. Die Spazierfahrten mit meinen raschen Pferden in der schönen Gegend werden Dir auch gefallen.
Wie ist es denn mit Deinem Bruder? Wird er ganz nach Berlin hinüber ziehen, oder noch einen Fuß in Dresden behalten?
Lebe recht wohl und werde der alten Freundschaft und Brüderschaft nicht ganz abtrünnig.
Dein
Schlegel