Seit ich Deinen letzten Brief empfing, geliebter Bruder, habe ich mich fast unaufhörlich mit dem Inhalte desselben beschäftigt, und von einem Tage zum andern auf weitere Nachricht gehofft. Als ich Dir letzthin antwortete, überwog bei mir das Gefühl der großen Schwierigkeiten, die Deinem Vorschlage, Dich in Dreßden zu sehen und von da nach W.[ien] zu reisen, sich mir bis zur Unmöglichkeit aufzuthürmen schienen. Seitdem ist wenigstens der Wunsch bei mir immer höher gestiegen; so daß es, wenn sich nur eine Möglichkeit zeigt, an meiner Bereitwilligkeit, gleich aufzubrechen und zu kommen, nicht fehlen soll. – Hier Wartens wegen länger noch zu bleiben, hätte ich wenigstens sehr Unrecht. Das mit Münster, was mir so zuversichtlich und gewiß angekündigt ward, war offenbar nur ein blinder Lärm, absichtlich veranlaßt um die Reise nach Sp[anien] zu verhüllen. Die große Universität ist zwar decretirt, aber vom Decret zur Ausführung ist noch weit; auch ist noch keineswegs entschieden, was von jenem Wesen hier für Kölln oder Bonn eigentlich abfließen wird. – Bliebe meine Frau vors erste noch hier, so wäre die Ausführbarkeit schon um etwas leichter. Aber auch dann gehörte doch eine sehr beträchtliche Summe dazu. Die [2] Reise abgerechnet, kann ich meine Frau hier nicht allein zurücklaßen, ohne wenigstens die Hälfte der kleinen Schulden zu bezahlen. Als ich vor anderthalb Jahren zu Euch nach Aubergenville ging, konnte ich gewiß sein, meiner Frau bald eine Summe schicken zu können, und viele der kleinen Schulden hatten auch noch nicht so unschicklich lange gewartet. – Kurz ohne eine Summe von 50 L[ouis]d[or] wäre eigentlich nichts anzufangen. – Am Besten wäre es freilich, sogleich irgend eine Stelle in Wien zu haben. Der feste Gehalt ist die Hauptsache, alles andre findet sich, wenn man den hat. Eine bestimmte Erlaubniß zu lesen, wäre fast so gut als eine Stelle. Ohne eins oder das andre wäre es freilich immer ängstlich da allein und ohne Hülfe zu sein. – Im Grunde aber könnten sie mir jetzt eben so gut geben was sie geben wollen als nachher; und um so ehrenvoller ists wenn es aus der Ferne geschieht. Die persönlichen Vorurtheile, die mir entgegenstehen konnten, muß Deine Gegenwart völlig weggeräumt haben; meine Gesinnungen sind nun bei den Ersten selbst bekannt; und mein Werk über Indien giebt nebst meinem frühern Nahmen Grund genug zu einem solchen Ruf an Handen. – Eine Professur*) der Litteratur an der Wiener [3] Universität würde am besten die Fächer umfassen, in denen ich Vorlesungen versprechen und ertheilen kann. Die östreichische Regierung will nicht mehr daß die Ungarn auf Deutschen Universitäten studiren sollen, wie natürlich, da sie jetzt alle unter französischem Einfluß stehn. Da wird es aber auch einleuchtend sein, daß man um so mehr einiges thun muß, um jenes Bedürfniß im Lande befriedigen zu können; gesetzt auch, es müßte eine neue Stelle an der Wiener Universität zu jenem Behuf creirt werden. – Ich zweifle kaum, daß Du bei Deinen immer weiter verbreiteten und besser begründeten Bekantschaften Gelegenheit erhältst, hiefür etwas kräftiges zu wirken. Es würde überflüßig sein Dich zu bitten, dieß zu thun und zu nutzen, was sich darbietet; da Du ja ohnehin mit so edler und schöner Freundschaft meiner bei allem eingedenk gewesen bist. Nur das Eine möchte ich Dich bitten; wenn Du siehst daß es etwa nur an der Zeit liegt, daß es nur auf einige Wochen mehr ankömmt, um die Frucht zur Reife zu bringen; daß Du dann doch ja allen Deinen Einfluß bei der Staël anwendest, um sie zu einer kleinen Verlängerung ihres Aufenthaltes zu bewegen. Du kannst es mit gutem Gewissen thun; sie wird doch [4] immer früh genug nach Genf und der großen Langenweile zurückkommen.
So viel von mir, und nun erwarte ich Deine weitre Entscheidung. – Unterdessen habe ich endlich den Prometheus erhalten, und mich an seiner innern und äußern Eleganz erfreut. Deine Beschreibung der Vermählungsfeste habe ich mit großer Bewundrung und Verwundrung gelesen, bis auf die schöne Zamoiska, und die orientalischen Augen der Sangusko. Messer Guglielmo, Messer Guglielmo, dove avete preso tante coglionerie? – In der That aber finde ich die Würde und edle Zierlichkeit des ganzen Aufsatzes sehr angemessen; es ist ein Styl darin. – Wegen der vorgeschlagnen Beiträge zum Prometheus (– Ueber die Antike – Kurzer Unterricht von der Poesie – Über Opitz –) erwarte ich einen Wink von Dir. Es kann eins wie das andre bald fertig sein; und überhaupt kannst Du den Herausgebern die Versichrung [geben], daß ich wenn das Journal nur nicht am 2ten Stück stirbt, gern recht viel, fleißig und fortdauernd beitragen werde. – Seit ich das erste Stück las, und an dem Ton desselben ungefähr einen Maßstab habe, ist mir auch der Gedanke gekommen, etwas das ich lange zu schreiben [5] im Sinne hatte, in den Prometheus zu geben; über die Einrichtung des gelehrten Wesens – d. h. über die moralischen und politischen Verhältnisse der Deutschen Litteratur. Es ist auch ein Kapitel von Vielschreiberei und Preßfreiheit dabei. – Unser poetisches Wechsellob hätte vielleicht für Wien schicklicher in einem der spätern Hefte gestanden als grade in dem ersten; doch für Deutschland ist es sehr gut und an der Zeit, die Fortdauer unsrer Verbrüderung auch in dieser Form einmal laut verkündigt zu haben. – Wie hat aber Seckendorf den elenden Brief von Falk aufnehmen können, wo auf eine so ganz ungebührende Art die herablassende Absicht zu vernehmen gegeben, Wien zu einem zweiten Weimar(!) zu bilden und zu erheben. Und was hat der verdorbne Perrüquier noch jetzt und so sehr zur Unzeit, auf das Athenäum zu schimpfen? Dieß Weimarsche Volk ist doch wirklich das lumpichtste von allem Lumpengesindel.
Auf die übrigen Bogen meiner indischen Schrift warte ich immer noch mit Ungeduld. Ich schrieb dem Buchhändler, er solle Dir vor dem 25ten April das Werk schaffen, 3 Exemplare vom Ganzen, oder wenn es denn noch nicht so weit ist, wenigstens die Aushängebogen so weit sie sind; jetzt muß doch das Ganze fertig sein. Ich dränge immer fort, ich werde ihm den Termin [6] wo Du die Exemplare haben mußt, nun noch bis zum 1ten Mai verlängern.
Ich verliehre dieß Frühjahr einige Zeit an allerlei Uebelbefinden; vorige Woche hatte ich ein kleines Flußfieber, was mich einige Tage ganz unfähig machte und im Bette hielt; seitdem habe ich einen so entsetzlichen Schnupfen, daß ich mich kaum zu besinnen weiß. Daher ist denn auch noch kein Act vom Karl fertig. Indessen lese ich fleißig im Sepulveda. Ich bedarf aber auch einiger Zeit, um den Plan erst nach dieser erweiterten Kenntniß zu berichtigen. So habe ich z. B. das Vorhaben, die Maria de Padilla im ersten Stück auftreten zu lassen, nach reifer Erwägung der Geschichte, die an sich schön, aber doch im Ganzen nicht sehr bedeutend ist, aufgegeben und werde nun das ganze erste Stück in Deutschland beschliessen, vielleicht mit Sickingens Tod. Wegen des Chors sei unbesorgt, ich meinte es gar nicht im antiken Sinn, sondern so wie der in Shakspeares Henry V als Prolog. Einen solchen brauche ich im 2ten Stück gewiß, im 1ten komme ich vielleicht auch ohne das zu[recht]. Ist nur [7] einmal ein Act da, dann wird es sehr schnell gehen. – Während ich krank war, laß ich auch Shakspeares historische Stücke einmal wieder; mir sagt der historische Ernst dieser Behandlung am meisten zu. Wenn nur die Deutschen durch Schillers und der andern opernmäßige Behandlung nicht dafür verdorben sind! – Auch des Werner Luther und Käthe las ich. Das ist ja ein recht fratzenhaftes historisches Pasquill. Wie konntest Du nur so gar glimpflich darüber urtheilen? – Seine Freimaurerstücke sind doch lange so pöbelhaft nicht. – Kn.[orring] und Sophien grüße recht sehr von mir. Es freut mich ungemein, daß Du nichts als Gutes von Ihnen zu schreiben hast. Knorrings Anerbieten ist sehr gütig; wenn ich wirklich noch nach Wien ginge so wäre das allerdings für den ersten Monath sehr erwünscht. Es freut mich nur, daß es ihnen beiden jetzt wieder gut geht; in Prag muß S.[ophie] wohl in Verlegenheit gewesen sein, da sie unter andern auch Charlotten eine kleine Summe abgeborgt hat. Sie würde dieß schwerlich gethan haben, wenn sie Charlottens Lage näher kannte. Du weißt selbst wie beschränkt diese eigentlich ist; sie haben von der kleinen Einnahme sich diesen Winter doch 50 rth. abgespart, um sie der Mutter zu schicken. Dabei hat der Bruder von Ernst, der in der Schlacht bei Jena blieb, eine junge ganz hülflose [8] Wittwe zurückgelassen, für die sie auch thun was sie können; so daß sie freilich selbst sich beschränken und alles sehr genau abwickeln müssen. – Uebrigens freut sich Charlotte ganz unbeschreiblich, Dich wieder zu sehn.
Nun will ich noch einen Brief an den Graf Sickingen entwerfen und wünsche nur, daß er nach Deinem Sinne sein mag. Ist der Graf Sickingen katholisch oder protestantisch? Wenn man Dir sehr bestimmte und so gut als gewisse Anträge zu einer Stelle für mich macht, so wird es vielleicht auch schicklich sein, einen Wink zu geben, daß ich schon seit geraumer Zeit katholisch sei. Eine Stelle an der Universität pp. erhält ein Protestant wohl schwerlich. Auf der andern Seite wird es ihm lieber sein jene Verändrung, als eine längst geschehene Vergangenheit zu betrachten, als etwas das noch erst geschehn soll und ein unangenehmes Aufsehn erregen möchte. Doch diesen Punkt wirst Du nach Deiner Weisheit, der ich ihn ganz anheim stelle, schon mit der Zartheit zu berühren wissen, die er erfodert.
Laß doch in den Anzeiger des Prometheus eine kurze Ankündigung des Werks über Indien einrücken.
Ich umarme Dich von Herzensgrunde
Dein treuer Freund Friedrich S.[chlegel]
[von Dorotheas Hand:] Dorothea grüßt Sie von ganzem Herzen, und dankt für die vortrefliche Beschreibung der Vermählung. Dem Gluck haben Sie ein bischen Unrecht gethan. Mozart verdankt ihm vieles. Iphigenie in Aulis ist Classisch.
[7] [Beilage von Friedrichs Hand:] Geliebter Freund, so eben hatte ich diesen ruhigen, bedenklichen und bedächtlichen Brief vollendet und wollte mich hinsetzen um einen an den Grafen Sickingen zu entwerfen, als ich Deinen begeisterten und begeisternden vom 2ten April erhielt. Wie soll ich Dir freudig genug danken? Das Beste ist, wenn ich es bald mündlich thun kann. Ich sollte den beikommenden Brief eigentlich nun umschreiben, indessen außer manchem andern was er enthält, siehst Du auch meine Gemüthsstimmung und tief begründete Reiselust am besten daraus; und so schicke ich ihn denn für heute ab, damit Du wenigstens gleich erfährst, daß ich Deinen Brief nebst dem von der Staël und dem Wechsel richtig erhalten habe. Meine Briefe vom 18ten März und vom 29ten März wirst Du nun doch richtig erhalten haben. Das ist nur bei der weiten Entfernung schlimm, daß die Antwort oft ankömmt, wenn sie schon überflüßig, oder wenn doch eine ganz andre nöthig wäre. Dieß ist nun auch heute der Fall – Du mußt diesen Brief also nur als einen vorläufigen ansehn. Eher mein Entschluß ganz zur Reife kommt, wird es morgen oder übermorgen werden; dann lege ich auch einen Brief an Sickingen und an die Staël mit ein; vielleicht auch an Hormayr. –
Wegen meiner eigentlichen ökonomischen Lage [8] wirst Du nun schon alles nöthige wissen. Zum Überfluß, da Du Genauigkeit verlangst, setze ich alles noch einmal her. Hier bin ich circa 40–45 Carolin schuldig; da meine Frau fürs erste hier bleibt, ists genug wenn die Hälfte gleich bezahlt wird. Zur Reise, über Dreßden rechne ich für mich allein, 25 Carolin. Dieß ist nicht zu viel, theils kann man auf einer so langen Reise nicht so genau rechnen, theils sind auch immer hie und da ein Paar Kleinigkeiten anzuschaffen. –
Geliebter Bruder, nimm nochmals meinen Dank; ich hoffe ihn Dir bald selbst sagen zu können. Morgen oder übermorgen schreibe ich Dir wieder.
Dein Friedrich.
Der Staël empfiehl mich aufs beste bis zum nächsten Brief. Ueberrede sie immer noch etwas in Wien zu bleiben. Genf ist ja doch so langweilig, daß man nie spät genug dahinkommen kann.
*) Es versteht sich übrigens, daß auch jede andre nicht Professorstelle, von der etwa die Rede sein und Dir und den Gönnern schicklich scheinen kann, es auch mir sein wird.