• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Pillnitz · Place of Destination: Amsterdam · Date: 16.06.1795
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Pillnitz
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 16.06.1795
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 233‒235.
  • Incipit: „[1] Pillnitz. den 16ten Juni 1795.
    Liebster Bruder, Heute nur noch ein paar Zeilen zum Abschiede aus den Morästen, alles übrige findest [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.64
  • Number of Pages: 9S. auf Doppelbl., hs. m. U. u. Adresse
  • Format: 18,9 x 11,7 cm
    Language
  • German
[1] Pillnitz. den 16ten Juni 1795.
Liebster Bruder, Heute nur noch ein paar Zeilen zum Abschiede aus den Morästen, alles übrige findest Du in Br.[aunschweig] Gedrucktes und Geschriebenes, Catalogue raisonné aller ietzigen und künftigen Werke, rapport des finances, und alles. Wie froh bin ich, daß Du die Sümpfe verläßt, zu Luft und Licht wieder zurückkehrst. Sey im voraus herzlich gegrüßt.
Von Körner soll ich Dich bestens grüßen, er würde Dir nächstens weitläuftig schreiben. Das Werk was er und Göschen unternimmt ist nicht ein Journal, wie ich neulich ein Billet von ihm misverstanden hatte – sondern eine jährliche Schrift zur Uebersicht und Beurtheilung der politischen, philosophischen und artistischen Kultur in Deutschland, Deutsche Annalen (wie die Brittischen etwa) an denen er Dir ein oder das andre Fach antragen wird, wie das poetische zum Beyspiel. – Ich hätte gern Deinen Dante zuvor gesehen; ich werde mich nun noch bis Anfang des Augusts gedulden müßen oder vielleicht gar bis Anfang des Septembers. Denn das 6te Stück ist gewiß schon im Druck und vielleicht das 7te schon destinirt. Was [2] mich betrifft, so hatte Sch.[iller] eine Grobheit gegen mich begangen, wozu ich ihm nicht die geringste Veranlaßung gegeben hatte: überdem kann ich es kaum vermeiden, die Aufsätze, welche ich bis ietzt habe <in Journ[alen]> drucken lassen, <fast alle> sogleich wieder drucken zu lassen, und erst in einiger Zeit würde ich etwas haben, wo diese Ursache wegfiele. – Mein eigenthümliches Verhältniß mit K[örner] erlaubt mir nicht wohl an Sch[iller] gradezu etwas zu schicken und mich einer abschläglichen Antwort auszusetzen, zu der ich sehr leicht kommen könnte. Das hohe Honorar würde mir gut thun, aber übrigens finde ich gar nicht nothwendig, daß von mir etwas unter Euch sey. –
Wenn Du Hann.[over] nicht vermeiden kannst, ist es vielleicht beßer Du gehst zuerst hin, als Du vermeidest es zu auffallend. Dazu kann ich weiter nichts sagen. Du kannst freylich nicht um die Thore herumfahren. Auch wird es ja nur von Dir abhängen, wie dieser Besuch wirken wird. – Ich bin auch überzeugt, daß Du die Mutter sehr leicht wirst stimmen können. Bis ietzt bleibt sie noch fest auf ihren Grillen, und ich weiß ihr kaum mehr etwas zu schreiben, wenn ich nicht das Vorige wiederholen will. Charl.[otte] hat ihr einen sehr zweckmäßigen Brief geschrieben, der gute Wirkung thun muß. Aber schlimmer [3] ist es mit Kar.[olines] Mutter. Was sie davon schreibt, hat meine ganze Besorgniß, aber auch meine ganze Galle rege gemacht. Die despotische alte Thörin! Fahrt ihr durch den Sinn: Unrecht leiden ist oft der erste Schritt zum Unrecht thun. Ich beschwöre Dich, Dir die Bestimmung Deines Lebens nicht so durch kleinliche Verhältniße verzwicken zu lassen. Lügt so wenig als es seyn kann, seyd lieber grob.
Ueber den Vorschlag nach Amerika kann ich nicht ganz urtheilen, weil Du mir das wie, nach Deiner löblichen Art nicht geschrieben hast, und ich kenne das Land ja nur aus ein paar Reisebeschreibungen. Aber wenn Du Eigenthum erwerben willst, ohne Handels- und oekonomische Kenntniße, so müssen die Aussichten sehr sicher seyn. Allerdings ist es ein freyes Land, und das ist unschätzbar. – Das römische Projekt siehst Du glaube ich zu ungünstig an. –
Kar.[oline] ist freylich sehr angegriffen, doch scheint ihre Gesundheit leidlich; die Hoffnung und das Frühjahr kommen ihr zu Hülfe. Im Winter wäre es tödtlich gewesen.
Es wird mein unverrücktes Ziel [4] seyn, auf längere Zeit mit Dir mich vereinigen zu können, und dieß ist vielleicht schon Ostern 96 möglich. Es gefällt mir hier auf die Länge gar nicht: auch sind meine Hülfsmittel äußerst beschränkt. Ich hoffe zu der bestimmten Zeit so weit zu seyn, daß ich eine weite Reise nicht scheuen darf, daß die Garantie meines hiesigen Aufenthalts wegen meiner Schulden in L.[eipzig] nicht mehr nöthig ist, und ich also frey bin zu leben wo ich will. Sollte es sich fügen, daß ich Dich früher auf kürzere Zeit sehen könnte, so würde es die grösseste Freude seyn, die mich in diesem Jammerthale erquicken könnte.
Dein Brief enthält einmal wieder eine demi-confidence, ich liebe sie nicht so wenig wie alle demi-mesures. Ich bin aber weit entfernt Angst und Kummer zu empfinden über etwas, was mir nur Unwillen verursachen könnte, wenn es ernsthaft genung wäre. Wenn Du um einige Stunden Genuß Karoline einen Augenblick Kummer machen willst, so werde ich Dich hassen. – Ueberhaupt nimm Dich in [5] Acht vor Uebermaaß in bonnes fortunes. Kömmt es von selbst, so ist es eine recht artige Sache. Eine solche Erfrischung zu rechter Zeit ist äusserst wohlthätig, sie verbreitet eine gewiße sinnliche Ruhe über das Leben und erquickt auch den Geist zu neuer Heiterkeit, sie giebt der Manier eine Dreistigkeit und Eleganz, die nicht zu verachten sind. Routine gibt in allen Dingen Superiorität, aber eben darum ist sie hier so gefährlich, Uebermaaß so leicht, und das kleinste so gefährlich. Mischt sich Eitelkeit drein und nicht blos Sinnlichkeit, so ist der Charakter in Gefahr verlohren zu gehen. – Die Weiber machens mit Dir bald wie mit einem gewissen andern Wilhelm, den Du erst in Deutschland wirst kennen lernen. Es ist wahr bonnes fortunes multipliciren sich selbst wie Schulden. Und kaum ist ein Jude so scharfsinnig, die Größe Deines Deficit an Deinem Gesichte zu messen, als eine unschuldige Frau den Lauf-Zettel in den Augen zu lesen, zu dem die erste unschuldige Frau dem eiligen Reisenden ihren ersten Beytrag mitgab. Nächstens mehr. Lebe herzlich wohl. –
Ganz Dein Fr. S.
[6]
Pour Monsieur W. Schlegel
a
p. Emmerich Amsterdam.
[1] Pillnitz. den 16ten Juni 1795.
Liebster Bruder, Heute nur noch ein paar Zeilen zum Abschiede aus den Morästen, alles übrige findest Du in Br.[aunschweig] Gedrucktes und Geschriebenes, Catalogue raisonné aller ietzigen und künftigen Werke, rapport des finances, und alles. Wie froh bin ich, daß Du die Sümpfe verläßt, zu Luft und Licht wieder zurückkehrst. Sey im voraus herzlich gegrüßt.
Von Körner soll ich Dich bestens grüßen, er würde Dir nächstens weitläuftig schreiben. Das Werk was er und Göschen unternimmt ist nicht ein Journal, wie ich neulich ein Billet von ihm misverstanden hatte – sondern eine jährliche Schrift zur Uebersicht und Beurtheilung der politischen, philosophischen und artistischen Kultur in Deutschland, Deutsche Annalen (wie die Brittischen etwa) an denen er Dir ein oder das andre Fach antragen wird, wie das poetische zum Beyspiel. – Ich hätte gern Deinen Dante zuvor gesehen; ich werde mich nun noch bis Anfang des Augusts gedulden müßen oder vielleicht gar bis Anfang des Septembers. Denn das 6te Stück ist gewiß schon im Druck und vielleicht das 7te schon destinirt. Was [2] mich betrifft, so hatte Sch.[iller] eine Grobheit gegen mich begangen, wozu ich ihm nicht die geringste Veranlaßung gegeben hatte: überdem kann ich es kaum vermeiden, die Aufsätze, welche ich bis ietzt habe <in Journ[alen]> drucken lassen, <fast alle> sogleich wieder drucken zu lassen, und erst in einiger Zeit würde ich etwas haben, wo diese Ursache wegfiele. – Mein eigenthümliches Verhältniß mit K[örner] erlaubt mir nicht wohl an Sch[iller] gradezu etwas zu schicken und mich einer abschläglichen Antwort auszusetzen, zu der ich sehr leicht kommen könnte. Das hohe Honorar würde mir gut thun, aber übrigens finde ich gar nicht nothwendig, daß von mir etwas unter Euch sey. –
Wenn Du Hann.[over] nicht vermeiden kannst, ist es vielleicht beßer Du gehst zuerst hin, als Du vermeidest es zu auffallend. Dazu kann ich weiter nichts sagen. Du kannst freylich nicht um die Thore herumfahren. Auch wird es ja nur von Dir abhängen, wie dieser Besuch wirken wird. – Ich bin auch überzeugt, daß Du die Mutter sehr leicht wirst stimmen können. Bis ietzt bleibt sie noch fest auf ihren Grillen, und ich weiß ihr kaum mehr etwas zu schreiben, wenn ich nicht das Vorige wiederholen will. Charl.[otte] hat ihr einen sehr zweckmäßigen Brief geschrieben, der gute Wirkung thun muß. Aber schlimmer [3] ist es mit Kar.[olines] Mutter. Was sie davon schreibt, hat meine ganze Besorgniß, aber auch meine ganze Galle rege gemacht. Die despotische alte Thörin! Fahrt ihr durch den Sinn: Unrecht leiden ist oft der erste Schritt zum Unrecht thun. Ich beschwöre Dich, Dir die Bestimmung Deines Lebens nicht so durch kleinliche Verhältniße verzwicken zu lassen. Lügt so wenig als es seyn kann, seyd lieber grob.
Ueber den Vorschlag nach Amerika kann ich nicht ganz urtheilen, weil Du mir das wie, nach Deiner löblichen Art nicht geschrieben hast, und ich kenne das Land ja nur aus ein paar Reisebeschreibungen. Aber wenn Du Eigenthum erwerben willst, ohne Handels- und oekonomische Kenntniße, so müssen die Aussichten sehr sicher seyn. Allerdings ist es ein freyes Land, und das ist unschätzbar. – Das römische Projekt siehst Du glaube ich zu ungünstig an. –
Kar.[oline] ist freylich sehr angegriffen, doch scheint ihre Gesundheit leidlich; die Hoffnung und das Frühjahr kommen ihr zu Hülfe. Im Winter wäre es tödtlich gewesen.
Es wird mein unverrücktes Ziel [4] seyn, auf längere Zeit mit Dir mich vereinigen zu können, und dieß ist vielleicht schon Ostern 96 möglich. Es gefällt mir hier auf die Länge gar nicht: auch sind meine Hülfsmittel äußerst beschränkt. Ich hoffe zu der bestimmten Zeit so weit zu seyn, daß ich eine weite Reise nicht scheuen darf, daß die Garantie meines hiesigen Aufenthalts wegen meiner Schulden in L.[eipzig] nicht mehr nöthig ist, und ich also frey bin zu leben wo ich will. Sollte es sich fügen, daß ich Dich früher auf kürzere Zeit sehen könnte, so würde es die grösseste Freude seyn, die mich in diesem Jammerthale erquicken könnte.
Dein Brief enthält einmal wieder eine demi-confidence, ich liebe sie nicht so wenig wie alle demi-mesures. Ich bin aber weit entfernt Angst und Kummer zu empfinden über etwas, was mir nur Unwillen verursachen könnte, wenn es ernsthaft genung wäre. Wenn Du um einige Stunden Genuß Karoline einen Augenblick Kummer machen willst, so werde ich Dich hassen. – Ueberhaupt nimm Dich in [5] Acht vor Uebermaaß in bonnes fortunes. Kömmt es von selbst, so ist es eine recht artige Sache. Eine solche Erfrischung zu rechter Zeit ist äusserst wohlthätig, sie verbreitet eine gewiße sinnliche Ruhe über das Leben und erquickt auch den Geist zu neuer Heiterkeit, sie giebt der Manier eine Dreistigkeit und Eleganz, die nicht zu verachten sind. Routine gibt in allen Dingen Superiorität, aber eben darum ist sie hier so gefährlich, Uebermaaß so leicht, und das kleinste so gefährlich. Mischt sich Eitelkeit drein und nicht blos Sinnlichkeit, so ist der Charakter in Gefahr verlohren zu gehen. – Die Weiber machens mit Dir bald wie mit einem gewissen andern Wilhelm, den Du erst in Deutschland wirst kennen lernen. Es ist wahr bonnes fortunes multipliciren sich selbst wie Schulden. Und kaum ist ein Jude so scharfsinnig, die Größe Deines Deficit an Deinem Gesichte zu messen, als eine unschuldige Frau den Lauf-Zettel in den Augen zu lesen, zu dem die erste unschuldige Frau dem eiligen Reisenden ihren ersten Beytrag mitgab. Nächstens mehr. Lebe herzlich wohl. –
Ganz Dein Fr. S.
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Pour Monsieur W. Schlegel
a
p. Emmerich Amsterdam.
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